Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Verfassungsbeschwerde, §§ 90 ff. BVerfGG. Verfassungsmäßigkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung. Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG. Informationelle Selbstbestimmung (Datenschutz), Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG. Schutz der Allgemeinheit vor Verbrechen; Verhältnismäßigkeit

BVerfG Beschluss vom 1. 12. 2020 (2 BvR 636/12) NJW 2021, 3248 (verbunden mit 2 BvR 916/11)

Fall (Fußfessel)

Nach dem StGB kann gegenüber Tätern, die wegen schwerer Straftaten verurteilt worden waren und die Strafe verbüßt haben, vom Gericht Führungsaufsicht (§ 68 StGB) als Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet werden. Diese kann nach § 68b StGB mit Anordnungen für das Verhalten der überwachten Person verbunden werden. Zu den möglichen Anordnungen gehört die Weisung, „die für eine elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen“. Durch eine danach angelegte elektronische Fußfessel wird der Aufenthaltsort der Person durchgehend festgestellt und mittels GPS-Technik an einen bei der Aufsichtsstelle dafür bestimmten Rechner gesendet. Eine weitergehende Überwachung findet nicht statt. Voraussetzungen für eine EAÜ sind, dass bei der betroffenen Person die Gefahr der Begehung bestimmter Straftaten besteht, zu denen neben Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die persönliche Freiheit auch die Vergewaltigung gehört, und dass zu ihrer Verhinderung eine EAÜ erforderlich ist. Bei der Überwachung in der Wohnung sollen keine über den Umstand der Anwesenheit hinausgehenden Daten erhoben werden. Die Daten dürfen nur zur Aufenthaltsbestimmung verwendet werden und sind spätestens nach zwei Monaten zu löschen.

B war wegen mehrfachen Vergewaltigungen und anderen mit Gewaltanwendung verbundenen Taten zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden. In einem der Fälle hatte er eine Arbeitskollegin vergewaltigt, obwohl ihm bekannt war, dass sie wegen einer Risikoschwangerschaft keinen Sexualverkehr haben durfte. Nach Verbüßung der Strafe wurden gegenüber B durch Beschluss des zuständigen Landgerichts (LG) die Führungsaufsicht angeordnet und die Weisung erteilt, für die Dauer der Führungsaufsicht eine elektronische Fußfessel zu tragen; nach Beschwerde des B wurde die Weisung durch Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) bestätigt. Die wesentliche Begründung dafür ging dahin, dass von B weiterhin die Gefahr von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ausgehe. Dabei stützten sich die Gerichte auf das Gutachten eines Sachverständigen, nach dem bei B weiterhin e in hohes Risiko der Begehung sexueller Gewalttaten bestehe. Zu dieser Prognose zwinge die im Strafverfahren festgestellte mehrfache Tatbegehung mit wechselnden Geschädigten nach gleichem Tatmuster sowie der Umstand, dass B sich während der Haft keiner Therapie unterzogen habe. Der Beschluss des OLG ist unanfechtbar. Die Fußfessel wurde B inzwischen angelegt.

B beabsichtigt, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht zu erheben. In erster Linie will er sich gegen § 68b StGB wenden. Die Vorschrift gehöre nicht in das StGB, weil der Betroffene nach Verbüßung der Strafe nicht erneut bestraft werden dürfe. Sie verstoße gegen Grundrechte, weil die Rundumüberwachung den Betroffenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns mache. Auch werde, wer ein solches Gerät am Körper tragen müsse, beim Sport, bei der Arbeit, bei Flugreisen, beim Sexualverkehr als überwachter Krimineller stigmatisiert, was ihn in seinem Persönlichkeitsrecht, seiner körperlichen Unversehrtheit und persönlichen Freiheit verletze. Da die Fußfessel spätestens nach 12 Stunden aufgeladen werden müsse, beeinträchtige sie ihn auch bei der Arbeit. Überdies sei sie untauglich, weil er sie, falls er wieder eine Straftat begehen wolle, einfach ablösen könne. Nach zehn Jahren im Gefängnis sei er auch nicht mehr gefährlich. Der Sachverständige, der ihn begutachtet hat, sei ihm geradezu feindlich gegenübergetreten und habe deshalb zu keinem objektiven Urteil kommen können. Wird die Verfassungsbeschwerde Erfolg haben?

Lösung

A. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (VfB) richtet sich nach §§ 90 ff. BVerfGG.

I. Die VfB muss sich gegen einen Hoheitsakt richten (§ 90 I BVerfGG; Beschwerdegegenstand).

1. B will sich in erster Linie gegen § 68b StGB wenden.

a) Zu den Hoheitsakten gehören Gesetze (vgl. § 93 III BVerfGG), die mit einer Rechtssatz-VfB angegriffen werden können; folglich ist § 68b StGB ein möglicher Beschwerdegegenstand.

b) Insoweit ist die VfB aber offensichtlich unzulässig: Nach § 93 III BVerfGG muss die VfB gegen ein Gesetz innerhalb einer Frist von einem Jahr nach Erlass des Gesetzes erhoben werden. Es ist aber davon auszugehen, dass § 68b StGB länger als ein Jahr in Kraft ist. (§ 68b StGB ist im Jahre 2011 in Kraft getreten, BVerfG [2].) Außerdem muss bei einer Rechtssatz-VfB der Beschwerdeführer durch die Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein(BVerfG NJW 2020, 2235 Rn. 71). An einer unmittelbaren Betroffenheit fehlt es, wenn noch ein Vollzugsakt erforderlich ist. Das ist bei § 68b StGB der Fall, weil für die Belastung mit einer Fußfessel eine Entscheidung des Strafgerichts erforderlich ist. Erst danach liegt eine unmittelbare Betroffenheit vor.

c) Der Betroffene kann sich in solchem Fall also erst gegen die gerichtliche Anordnung wenden. In diesem Zusammenhang wird das Gesetz inzidenter überprüft. Deshalb hat das BVerfG die VfB im vorliegenden Fall „unmittelbar gegen den Beschluss des OLG und mittelbar gegen § 68b StGB“ gerichtet. Allerdings ist auch der Beschluss des LG mit einzubeziehen.

2. Unmittelbar angegriffener Hoheitsakt und damit Beschwerdegegenstand sind also die - zusammen zu betrachtenden - Beschlüsse des LG und des OLG. Da gerichtliche Beschlüsse dieselbe Bedeutung wie Urteile haben, handelt es sich um eine Urteils-VfB.

II. Der Beschwerdeführer muss behaupten, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG; Beschwerdebefugnis).

1. B behauptet die Verletzung mehrerer Grundrechte, u. a. des Persönlichkeitsrechts und der Berufsfreiheit.

2. Bei einer Urteils-VfB prüft das BVerfG nur, ob eine spezifische Verfassungsverletzung vorliegt (BVerfGE 18, 85, 92; 95, 96, 128; NJW 2018, 2385 Rn. 69-71). Die sich daraus ergebende Beschränkung der Prüfung betrifft zwar die Begründetheit der VfB (dazu noch unten B II 2 c), jedoch ist für die Zulässigkeit erforderlich, dass nicht nur eine einfache Grundrechtsverletzung gerügt wird, sondern dass eine spezifische Verfassungsverletzung möglich ist (vgl. BVerfG NJW 2020, 2235 Rn. 61). B macht geltend, § 68b StGB als Rechtsgrundlage für die Beschlüsse des LG/OLG verletze Grundrechte und sei deshalb verfassungswidrig. Die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes wäre eine spezifische Verfassungsverletzung. Somit steht B die Beschwerdebefugnis zu.

III. Das Gebot vorheriger Rechtswegerschöpfung (§ 90 II BVerfGG) ist beachtet, weil B Beschwerde beim OLG erhoben hat und dessen Beschluss unanfechtbar ist.

IV. Der Subsidiaritätsgrundsatz (vgl. BVerfG NJW 2020, 2235 Rn. 78) steht nicht entgegen, weil nicht ersichtlich ist, dass B auf andere Weise als durch die beabsichtigte VfB sich gegen die behaupteten Grundrechtsverletzungen wehren kann.

V. B kann die VfB formgerecht (Schriftform, § 23 BVerfGG), mit der von § 92 BVerfGG geforderten Begründung und innerhalb der Monatsfrist (§ 93 I 1 BVerfGG) seit dem Beschluss des OLG erheben. Sie ist somit zulässig, soweit sie sich unmittelbar gegen die Beschlüsse des LG und des OLG richtet.

B. Die VfB ist begründet, wenn B in einem seiner Grundrechte verletzt wird.

In der danach vorzunehmenden Prüfung sind Prüfungsgegenstand und Prüfungsmaßstab zu unterscheiden. Prüfungsgegenstand ist der angegriffene Hoheitsakt (vgl. § 95 I 1 BVerfGG: „Handlung oder Unterlassung“), Prüfungsmaßstab sind die Grundrechte (vgl. § 95 I 1 BVerfGG: „welche Vorschrift des GG“). In der hier gegebenen Fallkonstellation sind unmittelbarer Prüfungsgegenstand die gerichtlichen Beschlüsse (LG/OLG), mittelbar aber auch § 68b StGB als deren Rechtsgrundlage. Zwar sind Gesetz (§ 68b StGB) und Vollzugsakte (LG/OLG-Beschlüsse) zu unterscheiden, was deren getrennte Prüfung nahelegt. Da jedoch die von B beanstandeten Belastungen die typischen Folgen einer Anwendung des § 68b StGB sind, ist die getrennte und damit doppelte Prüfung vermeidbar. Geprüft wird vielmehr die in § 68b StGB gestattete EAÜ durch eine Fußfessel und zugleich die Anwendung dieser Vorschrift gegenüber B durch die Beschlüsse des LG/OLG. (Das BVerfG prüft die wesentliche Problematik anhand des § 68b StGB unter [185-354] und geht auf den Fall des Beschwerdeführers II nur noch kurz unter [384-402] ein.) Gesondert zu behandeln ist allerdings der Einwand des B, er sei nicht mehr gefährlich, da dieser nur die Anwendung des § 68b StGB betrifft (dazu B II 2 c).

I. Die Zulassung einer EAÜ durch § 68b StGB und dessen Anwendung durch die Beschlüsse des LG/OLG könnte wegen der damit verbundenen Dauerüberwachung gegen die Menschenwürde (Art. 1 I GG) verstoßen.

1. BVerfG [189, 190] Mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) als oberstem Wert des Grundgesetzes und tragendem Konstitutionsprinzip ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell infrage stellt (vgl. BVerfGE 27, 1, 6; 30, 1, 25;…117, 71, 89).… Darüber hinaus umfasst die Menschenwürde einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung, der staatlicher Beobachtung schlechthin entzogen ist…

2. Die Überwachung durch eine EAÜ ist jedoch keine umfassende Rundüberwachung, sondern auf die Feststellung des Aufenthaltsortes beschränkt. BVerfG [251] Eine die Menschenwürde tangierende Totalerfassung der Freiheitswahrnehmung, durch welche die von der EAÜ Betroffenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht würden, liegt nicht vor. [246] Auch führt die EAÜ nicht zu einem Eingriff in den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Sie ist lediglich auf die anlassbezogene Feststellbarkeit des Aufenthaltsortes des Weisungsbetroffenen gerichtet. In welcher Weise er sich an diesem Ort betätigt, ist nicht Gegenstand der Überwachung. Das Handeln des Betroffenen unterliegt weder optischer noch akustischer Kontrolle. Somit wird durch die EAÜ per Fußfessel die Menschenwürde des Betroffenen nicht verletzt.

II. Die Zulassung einer EAÜ durch Fußfessel könnte gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG) verstoßen.

1. Das Persönlichkeitsrecht gewährleistet jeder Person die Selbstbestimmung und schützt sie vor ihr abträglichen Darstellungen in der Öffentlichkeit und gegenüber anderen Personen. Zur Selbstbestimmung gehört zu entscheiden, welche Geräte der Mensch an seinem Körper trägt. Das erzwungene Anbringen der Fußfessel beeinträchtigt somit die Selbstbestimmung. Ferner lässt sich, wie B zutreffend geltend macht, nicht stets vermeiden, dass andere Personen von der Fußfessel und damit von der EAÜ Kenntnis erlangen, was für den Überwachten zu einer erheblich abträglichen Wirkung führen kann. Folglich enthält die EAÜ einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht.

2. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein. Auch für das Persönlichkeitsrecht gilt ein Gesetzesvorbehalt, der der Beschränkung des Art. 2 I GG durch die „verfassungsmäßige Ordnung“ entnommen wird und als verfassungsmäßige Rechtsordnung verstanden wird. Folglich kann die gesetzliche Regelung in § 68b StGB das Persönlichkeitsrecht beschränken, sofern sie formell und materiell verfassungsmäßig ist. BVerfG [191] Schutz gewährt dieses Recht nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, das heißt der Gesamtheit aller Rechtsnormen, die formell und materiell im Einklang mit der verfassungsmäßigen Ordnung stehen (vgl. BVerfGE 6, 32, 37; 90, 145, 172; 128, 193, 206; st. Rspr.).

a) § 68b StGB müsste formell verfassungsmäßig sein.

aa) Hierfür müsste dem Bund die Gesetzgebungszuständigkeit zustehen. Sie wird zwar von B bezweifelt, folgt aber aus der Kompetenzzuweisung für das Strafrecht in Art. 74 I Nr. 1 GG. Zwar enthält die EAÜ keine Bestrafung, sondern ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung, steht aber in engem Sachzusammenhang mit dem Strafrecht. BVerfG [186] Die EAÜ unterfällt als Maßnahme der Führungsaufsicht der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes für das Strafrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, weil sie sich als staatliche Reaktion darstellt, die - wie das Institut der Führungsaufsicht insgesamt (…) - an die vorangegangene Begehung einer Straftat anknüpft, ausschließlich für Straftäter gilt und ihre sachliche Rechtfertigung aus der Anlasstat bezieht (…).

bb) Ein formeller Fehler könnte in einer Verletzung des Zitiergebots (Art. 19 I 2 GG) liegen. Dass das der Fall ist, kann allerdings nicht festgestellt werden, weil der Sachverhalt die gesetzliche Regelung der EAÜ nicht vollständig wiedergibt. Im Originalfall ist das BVerfG zwar davon ausgegangen, dass trotz des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht das StGB Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG nicht zitiert hat, hat das aber für unbeachtlich gehalten. [341] Aufgrund der Offensichtlichkeit des Grundrechtseingriffs kommt der mit Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verbundenen Warn- und Besinnungsfunktion keine Bedeutung zu. Damit hat sich ein ausdrücklicher Hinweis gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG erübrigt (vgl. BVerfGE 35, 185, 189).

b) In materieller Hinsicht müssen § 68b StGB - und dessen Anwendung - dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen. BVerfG [192] Die gesetzliche Regelung muss einen legitimen Zweck verfolgen und geeignet, erforderlich sowie angemessen sein. Geeignet ist sie, wenn die Möglichkeit besteht, dass der mit der gesetzlichen Regelung angestrebte Zweck erreicht werden kann (…). Erforderlich ist die Regelung, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können (…). Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der erstrebten Ziele sowie der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzungen und Prognosen steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu (…). Dabei spielt die Schwere des Eingriffs eine maßgebliche Rolle. Ferner muss bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt sein.

aa) Die EAÜ dient einem legitimen Zweck, BVerfG [260]: Sie verfolgt mit dem Schutz der Allgemeinheit vor schweren Straftaten und zugleich dem Schutz der entlassenen Verurteilten vor erneuter Straffälligkeit legitime Zwecke.

[261-264] Sie ist auch zur Erreichung des Ziels eines verbesserten Schutzes der Allgemeinheit vor schweren Straftaten nicht ungeeignet.Zwar gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse über ihre Wirksamkeit. Jedoch ist es primär Aufgabe des Gesetzgebers, die Zwecktauglichkeit eines Gesetzes zu beurteilen. Dabei steht ihm ein Beurteilungsspielraum zu, der hier nicht überschritten ist. Dem steht der Einwand des B, er könne die Fußfessel einfach ablösen, nicht entgegen, weil in diesem Fall eine Meldung an die Aufsichtsstelle geht und diese darauf reagieren wird.

bb) Die generelle Erforderlichkeit einer EAÜ ergibt sich daraus, dass ein milderes Mittel zum Schutz der Allgemeinheit vor den zu befürchtenden Straftaten nicht ersichtlich ist. Die EAÜ durch eine Fußfessel ist bereits das mildeste Mittel gegenüber der früher angewendeten Sicherungsverwahrung oder der individuellen polizeilichen Überwachung. Dass dem Gebot der Erforderlichkeit auch im Einzelfall Rechnung getragen wird, folgt daraus, dass laut Sachverhalt edie EAÜ erforderlich sein muss. BVerfG [270] Gemäß § 68b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 StGB darf eine elektronische Aufenthaltsüberwachung nur angeordnet werden, wenn die Weisung erforderlich erscheint, um den Betroffenen durch die Möglichkeit der Verwendung der erhobenen Daten von der Begehung schwerer Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB abzuhalten. Das gesetzliche Regelungskonzept stellt also bereits selbst auf den Gesichtspunkt der Erforderlichkeit ab. Demgemäß ist…in jedem Einzelfall zu prüfen, ob mildere Mittel zur Verfügung stehen, die in gleicher Weise wie die Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung geeignet sind, die angestrebten spezialpräventiven Effekte zu erreichen. Bedenken gegen die gesetzliche Regelung selbst ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit daher nicht.

cc) Die Angemessenheit der EAÜ setzt nach BVerfG [271] voraus, dass die Intensität der Freiheitsbeeinträchtigung des Weisungsbetroffenen nicht außer Verhältnis steht zu dem Gewicht der Rechtsgüter, deren Schutz die elektronische Aufenthaltsüberwachung bezweckt (vgl. BVerfGE 50, 217, 227;…120, 274, 321 f.; st. Rspr.). Hierfür müssen die Intensität der Beeinträchtigung einerseits und das Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter andererseits bewertet und gegeneinander abgewogen werden. BVerfG [273] Die EAÜ führt zu einer ständigen Erhebung der Aufenthaltsdaten des Betroffenen und ermöglicht deren Verwendung zur Feststellung des Aufenthaltsortes. Sie dringt damit tief in die Privatsphäre des Weisungsunterworfenen ein und beeinträchtigt dessen durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistete Autonomie… Sie ist somit ein Grundrechtseingriff von hoher Intensität. Auf der anderen Seite verlangt § 68b StGB, dass der Betroffene eine schwere Straftat begangen hat und dass die Gefahr weiterer schwerer Straftaten besteht. [277] Die Anordnung der EAÜ dient dem Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der sexuellen Selbstbestimmung… Dabei handelt es sich um höchstrangige Verfassungswerte (…). [340] Unter Berücksichtigung insbesondere der Beschränkung auf einen eng begrenzten Personenkreis besonders gefährlicher und rückfallgefährdeter Straftäter einerseits und der - gegenüber einer Freiheitsentziehung durch Sicherungsverwahrung oder polizeiliche Dauerobservation - verminderten Eingriffstiefe andererseits begegnet es keinen Bedenken, dass der Gesetzgeber den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit gegenüber dem Interesse des Betroffenen auf eine nicht durch staatliche Maßnahmen beeinträchtigte Lebensführung den Vorrang eingeräumt hat. Vor allem auch weil der Betroffene für die von ihm ausgehende Gefahr verantwortlich ist, während die möglichen Opfer Unbeteiligte sind, ist dem Betroffenen die Hinnahme der Überwachung zuzumuten. Dass die Maßnahme auch im Einzelfall nicht unangemessen sein darf, wird durch § 62 StGB für alle Maßnahmen der Besserung und Sicherung vorgeschrieben.

c) Allerdings bestreitet B seine G efährlichkeit und greift das zugrunde gelegte Gutachten an. Wäre dieses Vorbringen zutreffend, würde die Anordnung der EAÜ gegenüber B gegen §§ 62, 68b StGB verstoßen und auch zu einer Verletzung des Art. 2 I GG durch die Beschlüsse des LG/OLG führen. Jedoch braucht das BVerfG dem dahingehenden Vortrag nicht nachzugehen, weil er keine für eine Urteils-VfB spezifische Verfassungsverletzung aufzeigt, sondern lediglich eine Grundrechtsverletzung geltend macht, die auf einer falschen Anwendung der §§ 62, 68b StGB beruht. BVerfG [356] Das BVerfG prüft gerichtliche Entscheidungen, die auf einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden gesetzlichen Grundlage ergangen sind, nur in einem eingeschränkten Umfang nach. Ihm obliegt keine umfassende Kontrolle, ob die Gerichtsentscheidungen das jeweilige Fachrecht „richtig“ im Sinne einer größtmöglichen Gewähr der Gerechtigkeit anwenden. Das BVerfG greift nur ein, wenn die Gerichte übersehen, dass ihre Entscheidung Grundrechte berührt, wenn sie Bedeutung und Tragweite von Grundrechten nicht hinreichend berücksichtigen oder wenn sie sonst aus sachfremden und damit objektiv willkürlichen Gründen entscheiden (…). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Eine Nachprüfung der Vorwürfe des B wäre nur möglich, wenn das BVerfG sich in einer Beweisaufnahme genauer mit dem Gutachten befassen würde, was aber nicht dessen Aufgabe ist.

Ergebnis zu II: B ist weder durch § 68b StGB noch durch dessen Anwendung durch die Beschlüsse des LG/OLG in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt.

III. Die mit der EAÜ verbundene Erhebung und Verwendung der Daten könnte gegen das aus dem Persönlichkeitsrecht entwickelte Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG, Datenschutz) verstoßen. Dieses Recht wird nicht durch die DSGVO der EU verdrängt. BVerfG [187] Denn diese bestimmt in ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchstabe d, dass die DSGVO keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit findet.

1. BVerfG [198] Das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1, Leitsatz 1, 43). Daher bedeutet die Erhebung der Daten über den Aufenthaltsort der betroffenen Person und ihre Verwendung zu Kontrollzwecken einen Eingriff in das Grundrecht.

2. Der Schutz der persönlichen Daten unterliegt aber - ebenso wie das Persönlichkeitsrecht und die allgemeine Handlungsfreiheit - dem aus der „verfassungsmäßigen Ordnung“ des Art. 2 I GG entwickelten Gesetzesvorbehalt (oben B II 2). Die Einschränkung des Datenschutzes durch § 68b StGB, die zwingend Bestandteil der EAÜ ist, ist deshalb grundsätzlich zulässig und gerechtfertigt. Sie ist insbesondere aus den zu § 68b StGB oben B II 2b dargelegten Gründen verhältnismäßig. BVerfG [298] Bestehen angesichts der Beschränkung auf Fälle der begründeten Wahrscheinlichkeit erneuter schwerer Straftaten keine Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der EAÜ, kann für die Erhebung der zu ihrer Durchführung erforderlichen Daten nichts anderes gelten. Die Angemessenheit der gesetzlich zugelassenen Datenverarbeitung folgt insbesondere daraus, dass bei der Überwachung in der Wohnung ke ine über den Umstand der Anwesenheit hinausgehenden Daten erhoben werden, dass die Zweckbindung gewährleistet wird und dass eine Löschung spätestens nach zwei Monaten erfolgt.

3. Da auch davon auszugehen ist, dass bei der Erhebung und Verwendung der Aufenthaltsdaten des B die Vorgaben des § 68b StGB beachtet werden, wird B nicht in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

IV. Das erzwungene Tragen einer Fußfessel könnte das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG) verletzen.

1. Zwar wirkt das Gerät mit einem gewissen Druck auf die Haut ein, bewirkt aber keine Verletzungen oder Schmerzen. BVerfG [316] Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass die EAÜ zu Eingriffen in den Schutzgehalt des Grundrechts auf körperliche Integrität führt. Somit liegt bereits kein Eingriff vor.

2. [319] Allenfalls handelt es sich um geringfügige Eingriffe in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Da dieses Recht gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG einem Gesetzesvorbehalt unterliegt, wären diese Eingriffe aus den [oben unter B II 2] dargelegten Gründen jedenfalls gerechtfertigt.

V. In die durch Art. 2 II 2 GG (Freiheit der Person) geschützte körperliche Bewegungsfreiheit wird ebenfalls nicht eingegriffen. BVerfG [321, 323] Der Weisungsbetroffene wird lediglich verpflichtet, die zur elektronischen Überwachung des Aufenthaltsorts erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Sein Recht, diejenigen Orte, die ihm tatsächlich zugänglich sind, aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, wird dadurch nicht berührt. Dies gilt selbst hinsichtlich solcher Orte, an denen aufgrund fehlender Ortungsmöglichkeiten eine elektronische Aufenthaltsbestimmung nicht möglich ist (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 36)… Auch die Verpflichtung zum Aufladen der Akkus der Überwachungsgeräte stellt keinen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG dar. Diese Verpflichtung begründet kein Verbot, bestimmte Orte aufzusuchen, zu verlassen oder sich dort aufzuhalten. Sie ist daher nicht als Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG im Sinne körperlicher Bewegungsfreiheit, sondern als Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) zu qualifizieren. Diese ist jedoch aus den zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht dargelegten Erwägungen gerechtfertigt [oben B II 2 a, b].

[324] Die EAÜ tangiert auch nicht das von Art. 11 GG (Freizügigkeit) umfasste Recht, innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnung zu nehmen einschließlich des Rechts zur Einreise (…). Der Betroffene ist durch die Überwachungsweisung nicht gehindert, den räumlichen Schwerpunkt seines Lebens innerhalb des Bundesgebietes frei zu bestimmen oder zu ändern. Soweit B geltend macht, er sei faktisch an Flugreisen gehindert, verkennt er, dass Art. 11 GG…die Wahl des Beförderungsmittels nicht umfasst (vgl. BVerfGE 80, 137, 150).

VI. Soweit B geltend macht, die Pflicht zum regelmäßigen Aufladen beeinträchtige ihn auch bei der Arbeit, könnte die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) verletzt sein.

1. Jedoch fehlt es an einem Eingriff. BVerfG [326] § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB greift in das Grundrecht der Freiheit der beruflichen Betätigung bereits deshalb nicht ein, weil es an einer objektiv berufsregelnden Tendenz der Vorschrift fehlt. Die Weisung der EAÜ beinhaltet keine Verbote hinsichtlich der Wahl des Berufs. Sie betrifft die Berufsausübung auch nicht in einem Umfang, der die Annahme einer objektiv berufsregelnden Tendenz zu rechtfertigen vermag.

2. Auch hier kann hilfsweise darauf verwiesen werden, dass im Falle der Bejahung eines Eingriffs in Art. 12 I GG lediglich eine Regelung der Berufsausübung vorliegen würde, die aus den unter B II 2 dargelegten Gründen gerechtfertigt wäre.

VII. Ein Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 I GG) scheitert daran, dass durch die Fußfessel lediglich festgestellt wird, ob sich der Betroffene in der Wohnung aufhält, und dass keine weitere Überwachung stattfindet. BVerfG [332] Mit dieser bloßen Präsenzkontrolle trägt die gesetzliche Regelung der EAÜ dem verfassungsrechtlichen Gebot, die Wohnung als räumlich-gegenständlichen Bereich der Privatsphäre zu schützen,…hinreichend Rechnung.

Ergebnis: § 68b StGB verletzt kein Grundrecht des B. Auch dessen Anwendung durch die Beschlüsse des LG/OLG gegenüber B enthält keinen für das BVerfG relevanten Fehler. Die VfB ist unbegründet und wird zurückgewiesen.


Zusammenfassung