Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

► Rechtsweggarantie, Art. 19 IV GG; Voraussetzungen und Rechtsfolgen. ► Effektivität des Rechtsschutzes bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe; grundsätzliche Pflicht der Gerichte zur vollständigen Nachprüfung eines Verwaltungsakts. ► Ausnahmsweise Bindung des Gerichts an nichtnormative Regeln und an Entscheidungen der Verwaltung; Lockerungen der Kontrolldichte. ► Verfahrensstufungen mit der Folge bindender Vorentscheidungen

BVerfG Beschluss vom 31. 5. 2011 (1 BvR 857/07) NVwZ 2011, 1062

Fall
(Investitionszulage für Bauschuttaufbereitung)

Nach dem Investitionszulagengesetz (InvZulG) erhalten Betriebe des verarbeitenden Gewerbes im Fall einer Investition einen Zuschuss. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG richtet sich die Frage, ob ein Betrieb zum verarbeitenden Gewerbe gehört, nach der vom Statistischen Bundesamt in Zusammenarbeit mit fachlich kompetenten Gremien herausgegebenen - und in entsprechende Ordnungssysteme der UNO und der EU eingebundene - „Klassifikation der Wirtschaftszweige“. Für die Entscheidung über einen Antrag auf Zuschusszahlung ist das Finanzamt zuständig. Für Rechtsstreitigkeiten ist der Finanzrechtsweg eröffnet.

Firma F ist ein Unternehmen, das sich der Recyclingbranche zurechnet. Es lässt sich Altasphalt und Altbeton anliefern und zerkleinert das Material maschinell bis auf eine vom Anlieferer gewünschte Größe; anschließend erhält der Anlieferer das Material zurück, um es wieder im Straßenbau zu verwenden. F schaffte zwei Fahrzeuge, eine mobile Siebanlage und eine Brecheranlage an und beantragte beim zuständigen Finanzamt eine Investitionszulage in der gesetzlich vorgesehenen Höhe. Auf Anregung des Finanzamts richtete F eine Anfrage an das Statistische Bundesamt wegen der Einordnung ihres Betriebs in die „Klassifikation der Wirtschaftszweige“. In seiner Antwort vom 3. 2. stellte das Statistische Bundesamt fest, die Eingruppierung als verarbeitendes Gewerbe in den Abschnitt 37 „Recycling“ setze voraus, dass die Materialien zu Sekundärrohstoffen verarbeitet würden. Im Fall der F werde das Straßenbruchmaterial mittels einer Brecheranlage bearbeitet, um als Straßenfüllstoff für den Unterboden von Straßen zu dienen. Hierbei handele es sich nicht um einen Sekundärrohstoff, sondern um ein Endprodukt, das dem Abschnitt 14 „Gewinnung von Kies und Sand“ zuzuordnen sei. F gehöre deshalb zum produzierenden und nicht zum verarbeitenden Gewerbe. Demzufolge lehnte das Finanzamt den Antrag auf die Zulage ab.

Die hiergegen gerichtete Klage der F beim Finanzgericht und die Revision beim Bundesfinanzhof hatten keinen Erfolg. Der BFH verwies darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BFHE 229, 562, 565) die Klassifikation durch das Statistische Bundesamt verbindlich sei; sie sei fachlich begründet und gewährleiste Rechtssicherheit. Ein Ausnahme gelte nur, wenn die Einordnung offensichtlich falsch sei, was auf den Fall der F nicht zutreffe. Demgegenüber sieht F in der nur beschränkten Überprüfung eine Verkürzung ihres verfassungsmäßig gewährleisteten Rechtsschutzes und erwägt eine Verfassungsbeschwerde. Sie hat den Vorwurf der Rechtsschutzverkürzung bereits im finanzgerichtlichen Verfahren erhoben. Dem hat der BFH in seinem Urteil entgegengehalten, F habe gegen die für sie ungünstige Feststellung des Statistischen Bundesamts vom 3. 2. um Rechtsschutz nachsuchen und dadurch eine Überprüfung der Einordnung erreichen können. Hat eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BFH Aussicht auf Erfolg ?

Zulässigkeit einer VfB

I. Nach § 90 I BVerfGG muss sich die VfB gegen einen Hoheitsakt richten. Hoheitsakt kann die Maßnahme einer jeden der drei Staatsgewalten - Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung - sein, also auch ein gerichtliches Urteil. Im vorliegenden Fall ist Hoheitsakt das Urteil des BFH.

II. Der Beschwerdeführer muss geltend machen, durch den Hoheitsakt in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG). F kann eine Verletzung des Rechts auf Rechtsschutzgewährung (Art. 19 IV GG) geltend machen. Außerdem kann sie geltend machen, in einem für ihre berufliche Betätigung bedeutsamen Recht auf Zahlung einer Zulage, also in Art. 12 I GG verletzt zu sein.

III. Der Rechtsweg ist erschöpft (§ 90 II BVerfGG). Gegen das Urteil des BFH gibt es kein weiteres Rechtsmittel. Die Subsidiarität der VfB steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen, weil F sich bereits im finanzgerichtlichen Verfahren auf eine Grundrechtsverletzung berufen hat.

IV. Die von § 23 I 1 BVerfGG vorgeschriebene Schriftform, die Monatsfrist für die Erhebung der VfB und das Begründungsgebot (§ 93 I 1, 2 BVerfGG) können eingehalten werden. Somit ist die VfB zulässig.

Begründetheit der VfB

A. F könnte in ihrem Grundrecht auf Garantie des Rechtswegs (Art. 19 IV GG) verletzt sein. Dieses Grundrecht ist kein Freiheitsrecht und wird deshalb nicht nach Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung geprüft. Es gewährt einen Anspruch auf ein bestimmtes staatliches Verfahren, so dass es nach Voraussetzungen und Rechtsfolge zu prüfen ist.

I. Voraussetzungen für ein Eingreifen des Art. 19 IV sind:

1. Es muss ein Handeln der öffentlichen Gewalt, also ein hoheitliches Handeln vorliegen. Darunter fallen allerdings - anders als bei der VfB - nicht die Maßnahmen der ersten Gewalt, also der Erlass formeller Gesetzes, und auch nicht die der dritten Gewalt, also die Urteile und Beschlüsse der Gerichte. Für den Rechtsschutz gegenüber förmlichen Gesetzen stellt das GG speziellere Formen bereit: die Verfassungsbeschwerde und die Inzidenter-Kontrolle, die zu einem Vorlagebeschluss nach Art. 100 GG führt. Dass gerichtliche Entscheidungen nicht unter Art. 19 IV GG fallen, wird üblicherweise so formuliert: Art. 19 IV gewährt Schutz durch die Gerichte und nicht gegen die Gerichte. Im wesentlichen fallen unter Art. 19 IV GG die Maßnahmen - Handlungen und Unterlassungen - der Exekutive. Im vorliegenden Fall ist das die Entscheidung der Finanzbehörde über die Gewährung einer Investitionszulage.

2. Abweichend vom Wortlaut des Art. 19 IV genügt es, dass eine Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Denn ob sie vorliegt, kann erst in dem von Art. 19 IV gewährleisteten Verfahren entschieden werden. Was das geltend zu machende subjektive Recht betrifft, gewährleistet Art. 19 IV den Rechtsschutz für das Recht, begründet das Recht aber nicht. Dieses muss sich also aus einer anderen gesetzlichen Regelung ergeben. BVerfG Abs.-Nr. 67: Die materiell geschützte Rechtsposition ergibt sich nicht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG selbst, sondern wird darin vorausgesetzt (vgl. BVerfGE 61, 82 [110];…st. Rspr.). Neben den verfassungsmäßigen Rechten bestimmt das einfache Recht, welche Rechte der Einzelne geltend machen kann. Der Gesetzgeber befindet unter Beachtung der Grundrechte darüber, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zustehen und welchen Inhalt es haben soll (…).

Im vorliegenden Fall kann F geltend machen, ihr stehe ein Recht auf eine Investitionszulage aus dem InvZulG zu, insbesondere weil ihre Tätigkeit zum verarbeitenden Gewerbe gehöre. Somit liegen die Voraussetzungen des Art. 19 IV vor.

II. Der Rechtsfolge nach schützt Art. 19 IV GG zweierlei: dass überhaupt ein Gericht vorhanden ist, das angerufen werden kann, und dass dieses auch effektiven Rechtsschutz gewährt.

1 BVerfG Abs.-Nr. 66: Das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert jedem den Rechtsweg, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Damit wird sowohl der Zugang zu den Gerichten als auch die Wirksamkeit des Rechtsschutzes gewährleistet. Der Bürger hat einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen (vgl. BVerfGE 40, 272 [275]; 113, 273 [310]), wobei es keinen Unterschied macht, ob es sich um Eingriffe in geschützte Rechtspositionen oder die Versagung gesetzlich eingeräumter Leistungsansprüche handelt (vgl. BVerfGE 31, 33 [39 f.]; 46, 166 [177 ff.]; 60, 253 [297 f.]; 79, 69 [74]; 116, 1 [11 f.]). Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Das schließt eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen und Wertungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall rechtens ist, im Grundsatz aus (vgl. BVerfGE 15, 275 [282]; 61, 82 [110 f.]; 84, 34 [49]; 84, 59 [77]; 101, 106 [123]; 103, 142 [156]). Im vorliegenden Fall ist der Zugang zu den Gerichten dadurch gewährleistet, dass die Finanzgerichte für zuständig erklärt und diese auch tätig geworden sind.

2. Problematisch ist aber die Effektivität des Rechtsschutzes.

a) Das Rechtsschutzbegehren der F zielt auf die Klärung der Frage, ob der Betrieb der F zum verarbeitenden Gewerbe gehört. Methodisch handelt es sich um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs und die Anwendung des Auslegungsergebnisses auf den Fall der F. Grundsätzlich ist das nach den Ausführungen oben 1. Aufgabe des Finanzgerichts, das die Auslegung vorzunehmen hat, und zwar ohne Bindung an Exekutiventscheidungen oder Regeln, die nicht vom Gesetzgeber stammen. BVerfG Abs.-Nr. 68: Beruht die angefochtene Entscheidung auf der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, so ist deren Konkretisierung grundsätzlich Sache der Gerichte, die die Rechtsanwendung der Verwaltungsbehörden uneingeschränkt nachzuprüfen haben. Die Regeln über die eingeschränkte Kontrolle des Verwaltungsermessens gelten nicht ohne weiteres auch für die Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe (vgl. BVerfGE 7, 129 [154]; 64, 261 [279]; 84, 34 [49 f.])

b) Im vorliegenden Fall könnte die Wahrnehmung dieser Aufgabe in zweierlei Hinsicht unzulässig eingeschränkt sein: durch die Bindung der Finanzbehörde und des Finanzgerichts an die „Klassifikation der Wirtschaftszweige“ (nachfolgend 3.) und durch die Bindung an die Auskunft des Statistischen Bundesamts (nachfolgend 4.). Dementsprechend betrifft die VfB nach BVerfG Abs.-Nr. 1 die Frage, ob es verfassungsgemäß ist, die für die Gewährung der Investitionszulage nach dem Investitionszulagengesetz…entscheidende Zuordnung eines Betriebs zum verarbeitenden Gewerbe auf die Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts zu stützen und eine durch diese Behörde vorgenommene Zuordnung nur einer eingeschränkten finanzgerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Allgemeiner lässt sich das Problem auch als Frage der verfassungsrechtlich gebotenen Kontrolldichte bezeichnen.

3. Nach den vorangegangenen Überlegungen enthält die Bindung der Finanzbehörde und des Finanzgerichts an die „Klassifikation der Wirtschaftszweige“ eine Einschränkung des Rechtsschutzes, die grundsätzlich dem Art. 19 IV widerspricht. Es könnte aber eine Rechtfertigung für diese Einschränkung eingreifen.

a) Gerechtfertigt wäre die Bindung, wenn die „Klassifikation“ eine Rechtsnorm - eine Definitionsnorm zum Begriff „verarbeitendes Gewerbe“ - wäre. Denn dann entspräche die Bindung an sie der Bindung an das Gesetz (Art. 20 III GG). Jedoch ist nach BVerfG Abs.-Nr. 77 - 79 die Klassifikation der Wirtschaftszweige weder Gesetz noch Verordnung, die als solche Geltung für den Bereich der Investitionszulage beanspruchen könnten…Die vom Statistischen Bundesamt herausgegebene deutsche Fassung der Klassifikation ist weder dem Verfahren noch der Form nach als Gesetz oder als Rechtsverordnung ergangen.…Sie erfüllt vielmehr im Ausgangspunkt eine rein statistische Ordnungsfunktion. Zudem weist sie weder nach ihrem Inhalt noch nach ihrer normativen Einbindung einen Bezug zur Förderwürdigkeit von Investitionen auf.

Da die „Klassifikation“ vom statistischen Bundesamt, also einer hochrangigen Stelle der (Bundes-) Verwaltung stammt, lässt sie sich am ehesten mit einer Verwaltungsvorschrift vergleichen. Auch diese ist aber keine Rechtsnorm, BVerfG Abs.-Nr. 69: Verwaltungsvorschriften, mit denen die Verwaltung einen einheitlichen Verwaltungsvollzug bei der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe oder bei der Ausübung des Verwaltungsermessens sicherstellen will, sind grundsätzlich Gegenstand, nicht jedoch Maßstab richterlicher Kontrolle des Verwaltungshandelns (vgl. BVerfGE 78, 214 [227]).

b) Aber auch ohne normativen Charakter können Vorschriften oder Regelwerke bindende Wirkungen haben; auch kann aus sonstigen Gründen der Rechtsschutz eingeschränkt sein. Das BVerfG führt dazu folgende Fallgruppen auf, bei denen ausnahmsweise der Rechtsschutz eingeschränkt und die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte gelockert ist.

(1) Abs.-Nr. 70: Es beeinträchtigt weder die Gesetzesbindung der Gerichte noch den Anspruch des Einzelnen auf wirksame gerichtliche Kontrolle nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, wenn die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch gesetzliche Verweisung auf bestimmte Verwaltungsvorschriften oder sonstige untergesetzliche Regelwerke erfolgt oder wenn die konkretisierende Heranziehung solcher Vorschriften oder Regelwerke in vergleichbarer Weise auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht. Das trifft auf technische Vorschriften wie die TA Luft und TA Lärm zu, die als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften eine unmittelbare Bindungswirkung auch gegenüber den Gerichten haben (BVerwGE 129, 209, 211).

(2) Abs.-Nr. 71: Das Gebot effektiven Rechtsschutzes schließt nicht aus, dass durch den Gesetzgeber eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume…die Durchführung der Rechtskontrolle durch die Gerichte einschränken (vgl. BVerfGE 15, 275 [282]; 61, 82 [111]; 84, 34 [50 ff.]; 88, 40 [56]; 103, 142 [157]; 113, 273 [310]). Gerichtliche Kontrolle kann nicht weiter reichen als die materiellrechtliche Bindung der Instanz, deren Entscheidung überprüft werden soll. Sie endet deshalb dort, wo das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig determiniert und der Verwaltung einen Einschätzungs- und Auswahlspielraum belässt (vgl. BVerfGE 88, 40 [61]; 103, 142 [156 f.]; 116, 1 [18]). Dazu gehören auch Planungsentscheidungen, bei denen der planenden Stelle eine - dem Ermessensspielraum ähnliche - planerische Gestaltungsfreiheit eingeräumt wird.

(3) Eingeschränkt ist die gerichtliche Kontrolle bei Prüfungs- und ähnlichen Entscheidungen, bei denen der entscheidenden Stelle ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird und die deshalb nur auf bestimmte Fehler hin überprüft werden können. Das BVerfG führt dazu unter Abs.-Nr. 74 nur aus: Offen bleiben kann, ob gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbare Entscheidungsspielräume der Verwaltung ausnahmsweise auch ohne gesetzliche Grundlage von Verfassungs wegen dann zulässig sind, wenn eine weitergehende gerichtliche Kontrolle zweifelsfrei an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stieße (so offenbar in den Prüfungsfällen vgl. BVerfGE 84, 34 [50]; 84, 59 [77 f.]) Zu den in dieser Weise nur beschränkt nachprüfbaren Maßnahmen gehören auch Entscheidungen über die Vergabe öffentlicher Ämter und über Beförderungen (BVerfG NVwZ 2011, 1191).

(4) Auch im vorliegenden Fall durfte durch Gesetz (§ 3 I 2 InvZulG) eine Bindung an die „Klassifikation“ eingeführt werden, weil sie sachgemäß ist, Rechtssicherheit gewährleistet und es sich nicht um Eingriffe, sondern um die Vergabe von Vergünstigungen handelt. BVerfG Abs.-Nr. 87: Die Klassifikationen des Statistikrechts gewährleisten allen am Investitionszulageverfahren Beteiligten, Behörden wie Antragstellern, ein weitaus höheres Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit…als es ein vom Statistikrecht abgelöstes, eigenes Verständnis des Gesetzesbegriffs „verarbeitendes Gewerbe“ in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InvZulG vermöchte. Zwar wohnt der vom Gesetzgeber intendierten Bindung eine gewisse Dynamik inne, weil die statistischen Klassifikationen vor und nach Erlass des Investitionszulagengesetzes wiederholt überarbeitet wurden. Der Gesetzgeber hat, dies sehend, offenbar eine Bindung an den jeweils aktuellen Stand angestrebt. Dieser Rückgriff auf die Klassifikationen ist jedoch verfassungsrechtlich ausreichend, weil es sich um Subventionen handelt. Hinzu kommt, dass die Zuordnung eines Betriebs zum verarbeitenden Gewerbe auch bei der nach der Rechtsprechung des BFH hierbei gebotenen Bindung an die Klassifikation der Wirtschaftszweige keineswegs völlig der gerichtlichen Kontrolle entzogen wird. Die Einteilung der betrieblichen Tätigkeiten nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige selbst bleibt einer Evidenzprüfung daraufhin unterworfen, ob sie in Blick auf das Investitionszulagenrecht zu einem offensichtlich falschen Ergebnis führt (vgl. BFHE 201, 571 [573 f.];…st. Rspr.). Auch bleibt die Kontrolle, ob die Behörde bei ihrer Zuordnungsentscheidung von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, den Gerichten im Übrigen ohnehin unbenommen.

Somit bedeutet die Bindung an die „Klassifikation“ keine Verletzung des Art. 19 IV GG. Das BVerfG hat im Ergebnis gebilligt, dass der BFH die „Klassifikation“ praktisch wie eine Rechtsnorm [verwendet], unter die der jeweilige Betrieb subsumiert werde. (Abs.-Nr. 56)

Damit ist zugleich entschieden, dass die Bindung gemäß § 3 I 2 InvZulG keinen Verstoß gegen das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes bedeutet, das bei der Gewährung von Leistungen ohnehin nur eine stark abgeschwächte Bedeutung hat. Eine verfassungsmäßige Einschränkung des Rechtsschutzes kann kein Verstoß gegen das Vorbehaltsprinzip sein.

4. Gegen Art. 19 IV GG könnte es verstoßen, dass der BFH auch eine Bindung an die Feststellung des Statistischen Bundesamtes im Schreiben vom 3. 2., also im konkreten Fall der F, angenommen hat.

a) BVerfG Abs.-Nr. 90, 91: Indem der BFH im Ausgangsverfahren die Stellungnahme des Statistischen Bundesamts, derzufolge die vom Betrieb der Beschwerdeführerin ausgeübte Tätigkeit nicht zum verarbeitenden Gewerbe zählt, für die Entscheidungen des Finanzamts und nachfolgend des Finanzgerichts über die Gewährung der Investitionszulage als grundsätzlich verbindlich erklärt und nur darauf überprüft, ob sie zu einem offensichtlich falschen Ergebnis führt (vgl. auch BFHE 209, 186 [189]), bleibt er hinter der nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG im Regelfall gebotenen vollständigen Prüfung des angegriffenen Hoheitsakts zurück und beschränkt sich stattdessen auf eine bloße Offensichtlichkeitskontrolle. Anders als bei der Einbindung der Klassifikation der Wirtschaftszweige in die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „verarbeitendes Gewerbe“ als ersten konkretisierenden Schritt der Rechtsanwendung auf den Einzelfall geht es hier um den zweiten Schritt, die konkrete Subsumtion unter den so präzisierten Gesetzesbegriff.

Mit dieser Rspr. räumt der BFH dem Statistischen Bundesamt…ein partielles behördliches Letztentscheidungsrecht ein. Dieses schmälert den individuellen Rechtsschutz, weil es die bei Ablehnung der begehrten Investitionszulage zu verklagenden Finanzbehörden nach der Rspr. .des BFH in gleicher Weise wie die Finanzgerichte gegenüber den Statistikbehörden auf die Prüfung beschränkt, ob deren Einstufungsentscheidung zu einem offensichtlich falschen Ergebnis führt oder von einem falschen Sachverhalt ausgeht….

b) Bei der Frage, ob es hierfür eine Rechtfertigung gibt, stellt das BVerfG unter Abs.-Nr. 93, 94 fest: Für eine solche Beschränkung der richterlichen Kontrolle fehlt es bereits an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage. Weder § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 noch sonst eine Bestimmung des InvZulG enthalten ausdrücklich oder sinngemäß einen Anhaltspunkt dafür, dass die Zuordnungsentscheidung der Finanzbehörde…über den eine Zulage begehrenden Betrieb zum verarbeitenden Gewerbe einer nur eingeschränkten gerichtlichen Prüfung zugänglich sein soll. Auch der BFH begründet seine diesbezügliche Rechtsprechung nicht unter Rückgriff auf das Investitionszulagengesetz.

Abs.-Nr. 97: Es fehlt im Übrigen auch…an einem tragfähigen Sachgrund für das hier beanspruchte behördliche Letztentscheidungsrecht. Jedenfalls gelangt die Rspr. bei der Überprüfung einer behördlichen Zuordnungsentscheidung zur Klassifikation der Wirtschaftszweige nicht an die Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit (zu diesem Kriterium vgl. BVerfGE 54, 173 [197]; 83, 130 [148]; 84, 34 [50]; 88, 40 [56]; 103, 142 [156 f.]…).

c) Ein Fall zulässiger Bindung wäre, wenn die Feststellung der Statistikbehörde in einem gestuften Verfahren erginge, in dem eine gesonderte Möglichkeit des Rechtsschutzes auf der Stufe der Feststellung bestünde und bei Nichtergreifen dieser Rechtsschutzmöglichkeit auf der nächsten Verfahrensstufe, der Entscheidung über die Zulage, von der Richtigkeit der Entscheidung auf der ersten Stufe auszugehen wäre. (Um einen solchen Fall handelt es sich im Verwaltungsvollstreckungsverfahren, in dem Grundverfügung, Zwangsandrohung und -festsetzung eine abschichtende Wirkung haben, die zur Folge hat, dass die Unanfechtbarkeit einer vorangegangenen Entscheidung für die weiteren Schritte zu einer Bindung führt; dazu BVerwGE 122, 293, 296/7.)

aa) BVerfG Abs.-Nr. 99, 100: Die Garantie effektiven Rechtsschutzes steht der Aufspaltung behördlicher Entscheidungsfindung in mehrere Verfahrensstufen mit einer Abschichtung des Entscheidungsstoffs in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und einer entsprechenden Bindung der nachfolgenden Entscheidungsebene an die Ergebnisse der vorangegangenen nicht grundsätzlich entgegen (vgl. BVerfGE 61, 82 [111]; 83, 182 [198]). Eine solche Verfahrensstufung kann den individuellen Rechtsschutz mit Rücksicht auf seine Frühzeitigkeit sowie die Reduktion komplexer Streitstoffe fördern.

Mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar sind Verfahrensstufungen in Form bindender Vorentscheidungen, die durch den Angriff gegen die Endentscheidung nicht mehr oder nur eingeschränkt einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden können, allerdings nur, sofern - erstens - die Bindung einer Behörde an vorangehende Feststellungen oder Entscheidungen einer anderen Behörde sich hinreichend klar aus einer gesetzlichen Bestimmung ergibt, - zweitens - gegen die mit Bindungswirkung ausgestattete Teil- oder Vorentscheidung ihrerseits effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht (vgl. BVerfGE 73, 339 [373]) und - drittens - die Aufspaltung des Rechtsschutzes mit einer etwaigen Anfechtungslast gegenüber der Vorentscheidung für den Bürger klar erkennbar (vgl. BVerfGE 49, 148 [164]; 87, 48 [65]; 107, 395 [416]) und nicht mit unzumutbaren Risiken und Lasten verbunden ist (vgl. BVerfGE 93, 99 [108]; 107, 395 [416 f.]).

bb) Abs.-Nr. 101: Eine diesen Anforderungen genügende Verfahrensstufung zwischen der Einordnungsentscheidung des Statistischen Bundesamts und der Entscheidung des Finanzamts über die Investitionszulagengewährung besteht nicht. Weder das Investitionszulagengesetz noch sonstige gesetzliche Regelungen sehen eine förmliche Beteiligung der Statistikbehörden im Verfahren über die Gewährung einer Investitionszulage vor…Der BFH selbst betont im Übrigen, dass die Eingruppierungsentscheidung des Statistischen Bundesamts oder eines Statistischen Landesamts nicht die Funktion eines Grundlagenbescheids hat (vgl. BFHE 209, 186 [189]). So bleibt es der freien Verfahrensgestaltung des Finanzamts oder - wie hier - der Anfrage des Unternehmers überlassen, ob wegen der Einordnung eines Betriebs in die Klassifikation der Wirtschaftszweige die Auskunft…des Statistischen Bundesamts eingeholt wird. Damit existiert keine rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechende Verfahrensstufung zwischen Statistik- und Finanzbehörde, die eine Vorverlagerung des Rechtsschutzes auf die Entscheidung der Statistikbehörde tragen könnte.

cc) Abs.-Nr. 102: Selbst wenn die Entscheidung des Statistischen Bundesamtes für sich genommen einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich wäre, muss sich der betroffene Unternehmer nicht auf eine isolierte Klage gegen die Stellungnahme der Statistikbehörde verweisen lassen. Er kann darauf vertrauen, uneingeschränkten Rechtsschutz gegen die Versagung der Investitionszulage durch das Finanzamt zu erhalten. Die gegenteilige Auffassung des BFH ist folglich unzutreffend.

Somit liegt auch keine Verfahrensstufung vor, die eine Bindung rechtfertigt. Art. 19 IV GG ist verletzt.

III. BVerfG Abs.-Nr. 103: Das angefochtene Urteil des BFH beruht auf seiner gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstoßenden Beschränkung auf eine Offensichtlichkeitskontrolle der vom Statistischen Bundesamt vorgenommenen Einordnung der betrieblichen Tätigkeit der Bf. in die Klassifikation der Wirtschaftszweige. Es erscheint zumindest möglich, dass der BFH, oder ggfs. nach einer Zurückverweisung das Finanzgericht, den Betrieb der Bf. dem verarbeitenden Gewerbe zuordnet, wenn die verfassungsrechtlich gebotene vollständige Kontrolle erfolgt.

B. Das Urteil des BFH könnte ferner das Grundrecht der F auf Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) verletzen.

I. Dann müsste ein Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts vorliegen.

1. F übt mit ihrer Tätigkeit, Gewinn dadurch zu erzielen, dass sie Altasphalt und Altbeton im Auftrag aufbereitet, einen Beruf aus.

2. Möglicher Eingriffsakt ist das Urteil des BFH, das im fachlich zuständigen Rechtsweg endgültig entschieden hat, dass F keine Investitionszulage erhält.

3. Das Urteil des BFH ist für die berufliche Tätigkeit der F nachteilig. Einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 I enthält es aber nur, wenn es darüber hinaus eine berufsregelnde Tendenz aufweist und einen Bereich betrifft, der nach dem Zweck des Art. 12 I gegenüber einem derartigen Eingriff geschützt werden soll (vgl. BVerfGE 13, 185/6; 95, 302; 98, 258: Rechtschreibreform war kein Eingriff in Art. 12 I der Verlage).

a) Da die Investitionszulage betrieblich angeschaffte Produktionsmittel betraf, hatte ihre Verweigerung eine berufsregelnde Tendenz. eine berufsregelnde Tendenz. Es handelt sich nicht um den Fall, dass die Maßnahme einem Lebensbereich zuzuordnen ist, der normalerweise in keinem Zusammenhang mit dem Beruf steht (wie z. B. eine Regelung des allgemeinen Straßenverkehrs).

b) Art. 12 I gewährt keinen Anspruch auf Subventionen; diese bedürfen stets einer anderen Rechtsgrundlage. Zum Vergleich: Auch Art. 14 I GG schützt nur Rechte, die Äquivalent eigener Leistung oder eines eigenen Kapitaleinsatzes sind, und nicht Ansprüche, die - wie Subventionen - auf staatlicher Gewährung beruhen (BVerfGE 48, 412/3). Art. 12 I könnte aber den Schutz auf Subventionen erstrecken, die durch Gesetz gewährt werden, um zu verhindern, dass sie zu Unrecht versagt werden. Dagegen spricht jedoch, dass bei gesetzlich vorgesehenen und rechtswidrig versagten Subventionen eine Klagemöglichkeit vor den Verwaltungsgerichten, oder im vorliegenden Fall ausnahmsweise vor den Finanzgerichten möglich ist; ein zusätzlicher Grundrechtsschutz ist nicht erforderlich. Es spricht somit mehr dafür, den Schutzbereich des Art. 12 I nicht auf Subventionen wie die Investitionszulage zu erstrecken.

Somit liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 I nicht vor. Dieses Grundrecht ist nicht verletzt. (Im Originalfall hatte sich die VfB der F nicht auf Art. 12 I berufen. Das BVerfG hat Art. 12 nicht erwähnt, vgl. Abs.-Nr. 107.)

C. Es bleibt dabei, dass (nur) Art. 19 IV verletzt ist. Nach § 95 II BVerfGG ist das Urteil des BFH aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen. Der Tenor der BVerfG-Entscheidung lautet: Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 25. Januar 2007 - III R 69/06 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.


Zusammenfassung