Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Religionsfreiheit; Staatskirchenrecht. Normvollzug im Bundesstaat; Geltung des von einer Landesbehörde erlassenen VA in einem anderen Bundesland. Gewaltenteilungsprinzip; VA in Form eines Gesetzes. Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung eines Gesetzes

BVerfG Beschluss vom 30. 6. 2015 (2 BvR 1282/11) NVwZ 2015, 1434 und JZ 2015, 1093

Fall (Zeugen Jehovas)

Die Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas in Deutschland erstrebt die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das hierfür maßgebende Staatskirchenrecht ergibt sich aus der Verweisung in Art. 140 GG auf die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung (Art. 136 - 141 WRV). Nach Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV bleiben die Religionsgesellschaften Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie solche bisher waren; das gilt vor allem für die katholischen Bistümer und die evangelischen Landeskirchen. Nach Art. 137 Absatz 5 Satz 2 WRV sind anderen Religionsgesellschaften die gleichen Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Mit der Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts sind eine Reihe von Rechten verbunden wie das Recht zur Erhebung von Kirchensteuern bei ihren Mitgliedern (Art. 137 Abs. 6 WRV), die Dienstherrneigenschaft, die es ermöglicht, Pfarrer zu Kirchenbeamten zu ernennen, die Befugnis, Gegenstände wie Kirchen und Glocken zu öffentlichen Sachen zu widmen.

Zeugen Jehovas hatten einen Antrag im Lande Berlin gestellt und waren dort von der Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt worden. Um diese Rechtsstellung auch in den anderen Bundesländern zu erhalten, wurden dort Anträge auf Anerkennung gestellt, die in den meisten Ländern zur Verleihung der Rechte als Körperschaft des öffentlichen Rechts führten, jedoch nicht überall. In der Freien Hansestadt Bremen (Land Bremen) trifft Art. 61 Satz 2 der Landesverfassung eine - aus der Zeit vor Erlass des Grundgesetzes stammende - Regelung, die die Voraussetzungen des Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV übernimmt, jedoch zwei Änderungen enthält: Die Verleihung der Rechte als Körperschaft des öffentlichen Rechts erfolgt „durch Gesetz“ und „kann“ gewährt werden. Nach Einbringen einer Gesetzesvorlage beim Landesparlament von Bremen, der Bremischen Bürgerschaft, führte diese eine Anhörung zu der Frage durch, ob Zeugen Jehovas die - ungeschriebene - Voraussetzung der Rechtstreue erfüllen. Zweifel ergaben sich daraus, dass Zeugen Jehovas eine Teilnahme an Wahlen ablehnen und dass sie Bluttransfusionen verweigern, wodurch das Leben von Kindern gefährdet werden kann. Da den Parlamentariern nach der Anhörung Zweifel an der Rechtstreue blieben, wurde die Gesetzesvorlage abgelehnt und dies Zeugen Jehovas mitgeteilt. Nunmehr bitten die Beteiligten um eine gutachtliche Stellungnahme zu folgenden Fragen:

1. Bedarf es für Zeugen Jehovas, um in Bremen die Rechte als Körperschaft des öffentlichen Rechts wahrnehmen zu können, einer Verleihung durch ein zuständiges Organ des Landes Bremen? Der Vertreter der Religionsgemeinschaft macht geltend, nach der Erstverleihung des Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts durch das Land Berlin bedürfe es keiner Zweitverleihung in einem anderen Land. Der Vertreter des Landes Bremen erklärt demgegenüber, die Rechtswirkungen der Verleihung in Berlin könnten keine Rechtsfolgen in einem anderen Bundesland haben.

2. Ist Art. 61 Satz 2 BremVerf mit dem Grundgesetz vereinbar? Nach Ansicht des Vertreters der Religionsgemeinschaft steht Art. 61, 2 BremVerf in Widerspruch zu Art. 137 Absatz 5 Satz 2 WRV. Auch weise die Vorschrift eine Entscheidung, die wesensmäßig eine Verwaltungsentscheidung sei, unter Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips dem Gesetzgeber zu. Der Vertreter Bremens beruft sich auf die Verfassungsautonomie der Bundesländer.

3. Hätte eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht dagegen, dass das Land Bremen die Verleihung als Körperschaft des öffentlichen Rechts vom Erlass eines Gesetzes abhängig gemacht und den Erlass dieses Gesetzes abgelehnt hat, Aussicht auf Erfolg?

4. Wie sind die Aussichten dafür einzuschätzen, dass Zeugen Jehovas ihre Anerkennung als KdöR in Bremen erreichen können?

Bitte erstatten Sie das Gutachten.

Gutachtliche Stellungnahme zu Frage 1: Bedarf es für Zeugen Jehovas, um im Lande Bremen die Rechte als Körperschaft des öffentlichen Rechts wahrnehmen zu können, einer Verleihung durch ein zuständiges Organ des Landes Bremen?

I. Damit eine Organisation die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) erlangt, bedarf es einer Verleihung dieser Rechte durch Hoheitsakt.

1. Das ergibt sich bereits aus Art. 140 GG, 137 V 2 WRV, wo bestimmt ist, dass die Rechte als KdöR „zu gewähren“ sind. Bestätigt wird das durch die folgenden Überlegungen.

a) BVerfG [92] Mit dem Körperschaftsstatus werden hoheitliche Befugnisse übertragen, die die Religionsgemeinschaft gegenüber ihren Mitgliedern - wie etwa beim Besteuerungsrecht, der Rechtssetzungsautonomie und der Dienstherrenfähigkeit - oder gegenüber Dritten - wie bei der Widmungsbefugnis - ausüben kann. Diese Vergünstigungen sollen es der Religionsgemeinschaft erleichtern, ihre Organisation und ihr Wirken nach den Grundsätzen ihres Selbstverständnisses zu gestalten und die hierfür erforderlichen Ressourcen, etwa in Form finanzieller Mittel, zu erlangen (BVerfGE 102, 370, 388).

b) BVerfG [91] Allerdings unterscheiden sich im religiös-weltanschaulich neutralen Staat des Grundgesetzes…die korporierten Religionsgemeinschaften grundlegend von den Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen Sinne (vgl. BVerfGE 102, 370, 387 f.). Die aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 2 GG folgende Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität ist eine Grundlage moderner, freiheitlicher Staatlichkeit. In einem Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gelingen, wenn der Staat selbst in Glaubens- und Weltanschauungsfragen Neutralität bewahrt (…). Deshalb nehmen Religionsgemeinschaften auch dann, wenn sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert sind, keine Staatsaufgaben wahr; sie sind nicht in die Staatsorganisation eingebunden und unterliegen keiner staatlichen Aufsicht (vgl. BVerfGE …66, 1,19 f.; 102, 370, 388).

2. Für staatliche Maßnahmen im Bundesstaat sind grundsätzlich die Länder zuständig (Art. 30 GG).

a) BVerfG [98] Nach dem für die bundesstaatliche Ordnung grundlegenden Verfassungsrechtssatz des Art. 30 GG ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder, soweit das GG keine andere Regelung trifft oder zulässt (…). Eine Bundeszuständigkeit für die Anerkennung als KdöR ist nicht vorgesehen. Dass Art. 140 GG, 137 V 2 WRV möglicherweise Bundesrecht sind, ist unerheblich, weil auch Bundesrecht grundsätzlich von Länderbehörden und Landesgerichten vollzogen und angewendet wird (für die Verwaltung: Art. 83 GG).

b) Da Zeugen Jehovas ihre Anerkennung in Bremen erstreben, ist grundsätzlich das Land Bremen dafür zuständig zu entscheiden, ob in Bremen Zeugen Jehovas der Status als KdöR verliehen wird.

II. Einer Verleihung durch das Land Bremen bedürfte es aber nicht, wenn die vorausgegangene Verleihung durch das Land Berlin auch für Bremen die vollen Rechtswirkungen hätte. Damit stellt sich die Frage, ob im Hinblick auf den Erwerb der Rechtsstellung als KdöR nach einer Erstverleihung noch eine Zweitverleihung nötig ist.

1. BVerfG [99] Ein Land ist bei Ausübung seiner Verwaltungshoheit grundsätzlich auf sein eigenes Staatsgebiet beschränkt (vgl. BVerfGE 11, 6, 19;…Isensee/P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 126 Rn. 35). Danach hat die Verleihung in Berlin keine Rechtswirkungen für Bremen.

2. Von dem genannten Grundsatz gibt es jedoch Ausnahmen. Wichtigste Ausnahme ist, dass Verwaltungsakte, bei denen die Länder Bundesrecht vollziehen, d. h. die ihre Rechtsgrundlage in einem Bundesgesetz haben, im ganzen Bundesgebiet verbindlich sind. Das gilt beispielweise für die Fahrerlaubnis (Rechtsgrundlage StraßenverkehrsG, FahrerlaubnisVO), die Einbürgerung; die Aufenthaltserlaubnis nach dem AufenthaltsG, den Waffenschein nach dem WaffG (Sachs/Jasper NWVBl 2016, 1, 4/5; Besprechung der BVerfG-Entscheidung). BVerfG [100] Der im Vollzug eines Bundesgesetzes ergangene Verwaltungsakt eines Landes beansprucht grundsätzlich im ganzen Bundesgebiet Geltung (vgl. BVerfGE 11, 6, 19). Bei der Verleihung durch die Senatsverwaltung in Berlin handelte es sich um einen VA (vgl. zu dem dieser Verleihung vorausgegangenen Verwaltungsprozess und der anschließenden VfB BVerfGE 102, 370). Fraglich ist, ob dieser VA in Vollzug eines Bundesgesetzes ergangen ist.

a) Die dem Mehrheitsbeschluss des BVerfG angefügte abweichende Meinung dreier Richter bejaht das (dazu die Besprechung der BVerfG-Entscheidung von Muckel NVwZ 2015, 1426). Abweichende Meinung [2] Bei dem Anspruch von Religionsgemeinschaften auf Gewährung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV handelt es sich um materielles Bundesrecht, welches nach Art. 30, 83 GG durch die Länder als eigene Angelegenheit auszuführen ist… Die hoheitlichen Befugnisse und sonstigen Privilegien korporativer Religionsgemeinschaften bundesrechtlicher Art sind unmittelbar an den allein nach Bundesverfassungsrecht zu erwerbenden Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts geknüpft. Hieraus folgt, dass es sich bei der Verleihung des Körperschaftsstatus‘ um den Akt eines Landes handelt, dessen Vollzug im ganzen Bundesgebiet Geltung beansprucht (vgl. BVerfGE 11, 6, 19). Wird diesem Ansatz gefolgt, werden die Interessen der anderen Länder dadurch gewahrt, dass sie in dem (Erst-) Verleihungsverfahren beteiligt werden (entsprechend Nr. 4 der Empfehlungen der Kultusministerkonferenz über die Verleihung der öffentlichen Körperschaftsrechte an Religionsgesellschaften, vgl. BVerfG [120]). Einer Zweitverleihung in einem anderen Bundesland bedarf es danach nicht.

b) Das BVerfG und die h. M. folgen diesem Ansatz nur, soweit die Antragstellerin die Rechtsform der KdöR erworben hat. BVerfG [112] Die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts entfaltet als überregionaler Akt Rechtswirkung über das Gebiet des verleihenden Landes hinaus, weil und soweit die im Körperschaftsstatus enthaltene Rechtsfähigkeit mit bundesweiter Verbindlichkeit begründet wird (…). Die Religionsgemeinschaft hört mit Erlangung des Körperschaftsstatus auf, als juristische Person des Privatrechts zu existieren; sie tauscht das privatrechtliche vollständig gegen das öffentlich-rechtliche Gewand ein (…).

c) Für die Geltendmachung der damit verbundenen hoheitlichen Befugnisse reicht das aber nicht aus; hierfür bedarf es einer Zweitverleihung.

aa) BVerfG [111-113] Nach der gängigen Staatspraxis und der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur muss einer Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will, dieser Status in jedem Land in einem gesonderten Verfahren verliehen werden (folgen Nachw.; vgl. nunmehr Muckel NVwZ 2015, 1426).… Die Verleihung des Körperschaftsstatus gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV in einem Land führt nicht dazu, dass die Körperschaft hoheitliche Befugnisse und kraft einfachen Landesrechts zuerkannte Privilegien über die Grenzen des verleihenden Landes hinaus ausüben dürfte… Auch nach der erstmaligen Verleihung des Körperschaftsstatus in einem Land kommt der Zweitverleihung konstitutive Wirkung zu….

bb) Diese Auffassung stützt sich darauf, dass Art. 140 GG, 137 V 2 WRV kein von den Ländern auszuführendes Bundesrecht ist. Damit der Bund den Ländern einen Vollzugsauftrag erteilen kann, müsste er für diese Materie eine Gesetzgebungszuständigkeit haben; das ist beim Staatskirchenrecht aber nicht der Fall. BVerfG [104, 105] Jedenfalls bei der Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV wird kein Bundesgesetz im Sinne des Art. 83 GG vollzogen, weil dieser eine Kompetenzzuweisung an den Bund voraussetzt, die im Bereich des Staatskirchenrechts fehlt (…). Die Normierung in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV enthält keine kompetenzrechtliche Aussage. Die Bestimmungen unterscheiden sich insoweit nicht von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG oder Art. 8 Abs. 1 GG, die ebenfalls zwar bundesrechtliche Grundrechtsgarantien - der Rundfunk- und Versammlungsfreiheit - statuieren, für die bundesstaatliche Kompetenzverteilung jedoch ohne Bedeutung sind (vgl. grundlegend BVerfGE 12, 205, 242). Auch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV geben lediglich einen bundesweit verbindlichen Maßstab vor, den die Länder sowohl bei der Verleihung des Körperschaftsstatus als auch bei der Normierung landesrechtlicher Pflichten und Privilegien zu beachten haben.

[114] Dass die Rechtswirkungen der Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ihre Grenzen in der Hoheitsgewalt und Eigenstaatlichkeit der Länder finden, entspricht auch dem bundesstaatlichen Kompetenzgefüge. Die Länder behalten dadurch die Möglichkeit, für ihr eigenes Gebiet zu entscheiden, dass beispielsweise auf eine Religionsgemeinschaft die Voraussetzung der Rechtstreue nicht zutrifft.

Somit wird der Grundsatz, dass ein Land bei der Ausübung seiner Verwaltungshoheit auf sein eigenes Staatsgebiet beschränkt ist, im vorliegenden Fall nicht dadurch verdrängt, dass ein VA, der ein Bundesgesetz vollzieht, im ganzen Bundesgebiet Geltung beansprucht.

3. Weitere Ausnahmen von dem Grundsatz, dass ein Land bei Ausübung seiner Verwaltungshoheit auf sein eigenes Staatsgebiet beschränkt ist, erkennt BVerfG [99] für die Fälle an, in denen dieser Grundsatz - etwa durch Staatsvertrag - abbedungen ist oder die Ausübung der Verwaltungshoheit die Hoheitsgewalt anderer Länder nicht beeinträchtigt (vgl. BVerwGE 79, 339, 341 f.). Eine Vereinbarung durch Staatsvertrag - so wie beispielsweise bei der gegenseitigen Anerkennung von Schulabschlüssen - ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Auch steht nicht fest, dass die Ausübung Berliner Hoheitsgewalt in Bremen die Befugnisse des Landes Bremen nicht beeinträchtigen kann (BVerfG [117]). Die weiteren Ausnahmen liegen also auch nicht vor.

Folglich war ein Zweitverleihungsverfahren erforderlich. Auf Frage 1 ist deshalb zu antworten: Damit Zeugen Jehovas im Lande Bremen die Rechte als KdöR wahrnehmen können, bedarf es einer Verleihung durch ein Organ des Landes Bremen.

Frage 2: Ist Art. 61 Satz 2 BremVerf mit dem Grundgesetz vereinbar?

I. Wegen der zwei Änderungen, die Art. 61, 2 BremVerf gegenüber Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV enthält, könnte Art. 61, 2 BremVerf gegen Art. 140 GG, 137 V 2 WRV verstoßen.

1. Soweit Art. 61, 2 BremVerf den Erlass eines Gesetzes verlangt, kann ein Verstoß nicht vorliegen, weil Art. 137 V 2 WRV keine Regelung darüber enthält, in welcher Rechtsform die Verleihung erfolgt. Er schließt deshalb den Erlass eines Gesetzes nicht aus.

2. Die „kann“-Regelung verstößt gegen Art. 137 V 2 WRV, wenn Art. 137 V 2 WRV eine gebundene Entscheidung regelt, Art. 61, 2 BremVerf dagegen Ermessen einräumt.

a) Aus der Formulierung „sind…zu gewähren“ ergibt sich, dass die Vorschrift eine zwingende Rechtsfolge enthält. BVerfG [110] Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung, die den Ländern keinen Gestaltungs- oder Ermessensspielraum lässt.

b) Das „kann“ in Art. 61, 2 BremVerf spricht zwar für Ermessen, gleichwohl ist eine andere Auslegung möglich. Nach Sachs/Jasper NWVBl 2016, 1, 3 „lässt der Wortlaut Raum für eine grundgesetzkonforme Deutung im Sinne eines Kompetenz-Könnens, das eine gebundene Entscheidung…nicht ausschließt.“ Dem wird hier gefolgt, so dass Art. 61, 2 BremVerf nicht gegen Art. 137 V 2 WRV verstößt.

II. Art. 61, 2 BremVerf könnte gegen das Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 II 2 GG) verstoßen, weil dadurch eine Maßnahme, die wesensmäßig eine Verwaltungsentscheidung der Exekutive ist, dem Gesetzgeber zugewiesen wird. (Während das BVerfG Art. 20 II 2 GG direkt anwendet, ist nach der Besprechung der BVerfG-Entscheidung von Möllers JZ 2015, 1103 das Gewaltenteilungsprinzip auf das Verfassungsrecht des Landes Bremen nur über das Homogenitätsprinzip des Art. 28 I 1 GG anwendbar.)

1. Das Gewaltenteilungsprinzip besteht darin, dass drei Staatsfunktionen unterschieden und bestimmten Organen zugewiesen werden: die Aufgaben der Gesetzgebung den gesetzgebenden Organen (Erste Gewalt, Legislative); die Regierungs- und Verwaltungsaufgaben der Regierung und den Verwaltungsbehörden (Zweite Gewalt, Exekutive); die Aufgaben der Rechtsprechung den Gerichten (Dritte Gewalt, Judikative). Diese Trennung und Aufteilung der Aufgaben auf die verschiedenen Organe wird ergänzt durch deren Zusammenwirken und eine gegenseitige Kontrolle (System der „checks and balances“).

BVerfG [125] Die in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG normierte Teilung der Gewalten ist ein tragendes Organisations- und Funktionsprinzip des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 3, 225, 247; st. Rspr).

a) Sie bezweckt vor allem eine politische Machtverteilung, das Ineinandergreifen der drei Gewalten und die daraus resultierende gegenseitige Kontrolle und Begrenzung mit der Folge der Mäßigung der Staatsgewalt (…).

b) Darüber hinaus will sie sicherstellen, dass staatliche Entscheidungen von den Organen getroffen werden, die nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen für eine möglichst sachgerechte Entscheidung verfügen (…).

c) Der im GG niedergelegte Grundsatz der Gewaltenteilung zielt nicht auf eine strikte Trennung der Staatsfunktionen ab. Neben dem bereits erwähnten Prinzip des Zusammenwirkens und der gegenseitigen Kontrolle gibt es echte Ausnahmen von Grundprinzip der Aufteilung. So sind Rechtsverordnungen und Satzungen Rechtsnormen, werden aber von Exekutivorganen erlassen.

2. Zu der für die Beurteilung des Art. 61, 2 BremVerf erforderlichen Abgrenzung der Ersten von der Zweiten Gewalt führt BVerfG [126] zunächst grundsätzlich aus: Im freiheitlich-demokratischen Staat des Grundgesetzes fällt in erster Linie dem Parlament die verfassungsrechtliche Aufgabe der Normsetzung zu; nur das Parlament ist hierfür demokratisch legitimiert (…). Der Exekutive obliegen vor allem Regierung und Verwaltung. Während die Regierung für die politische Gestaltung zuständig und parlamentarisch verantwortlich ist, ist die Verwaltung idealtypisch mit der Aufgabe des Gesetzesvollzugs im Einzelfall betraut (…).

a) Dem Schutz der Legislative vor Übergriffen der Exekutive - und zugleich dem Schutz des Bürgers - dient in erster Linie das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes, indem es Eingriffe in Grundrechte und wesentliche Entscheidungen durch die Exekutive nur zulässt, wenn hierfür eine gesetzliche Regelung besteht.

b) Im vorliegenden Fall kommt in Betracht, dass Art. 61, 2 BremVerf den Aufgabenbereich der Exekutive zugunsten der Legislative unzulässig einschränkt. Deshalb bedarf es einer Bestimmung des zugunsten der Exekutive geschützten Aufgabenbereichs. Neben dem Kernbereich der Exekutive, der durch Art. 60, 2 BremVerf nicht angetastet wird, weist BVerfG [127] der Exekutive folgende Funktion zu: Entscheidungen, die aufgrund eines schlicht subsumierenden Normenvollzugs ergehen, sind funktional typischerweise der Verwaltung vorbehalten, die für diese Aufgabe den erforderlichen Verwaltungsapparat und Sachverstand besitzt. Das Parlament darf eine solche Verwaltungstätigkeit nur an sich ziehen, wenn hierfür im Einzelfall hinreichende sachliche Gründe bestehen (…). Dass solche Entscheidungen der Exekutive vorbehalten sind, stützt das BVerfG auch auf die Rechtsgedanken des Art. 19 IV und 19 I 1 GG (dazu, dass diese Vorschriften nicht unmittelbar angewendet werden können, noch III). BVerfG [128-132]

aa) Durch die Wahl des Gesetzes statt einer Verwaltungsentscheidung als Handlungsform für die Regelung eines Einzelfalls wird die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle erheblich eingeschränkt. Gegenüber Eingriffen, die unmittelbar durch den Erlass eines Gesetzes oder sein Unterlassen bewirkt werden, ist die Verfassungsbeschwerde der einzige mögliche Rechtsbehelf, während gegen Maßnahmen oder die Untätigkeit der Verwaltung sonst der jeweilige fachgerichtliche Rechtsweg eröffnet ist. Von der Verfassungsgerichtsbarkeit kann jedoch eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle mit Blick auf (Einzelpersonen-)Gesetze schon deshalb nicht gewährleistet werden, weil deren Prüfungsmaßstab auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt ist (vgl. BVerfGE 107, 395, 413; 115, 81, 92;…).

bb) Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG untersagt vor allem sogenannte Einzelpersonengesetze. Nicht von ungefähr wird er deshalb als eine spezifische Absicherung des Grundsatzes der Gewaltenteilung begriffen, die den Erlass konkret-individueller Regelungen der Exekutive vorbehält (Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 19 Rn. 20; Kirchhof, in: Isensee/P. Kirchhof, HStR XII, 3. Aufl. 2014, § 267 Rn. 13;…).

3. In Anwendung vorstehender Grundsätze ist zu prüfen, ob Art. 61, 2 BremVerf eine Entscheidung, die durch schlicht subsumierenden Normvollzug zu treffen ist, dem Gesetzgeber zuweist, ohne dass dafür hinreichende Gründe bestehen.

a) BVerfG [139, 140] Die Länder haben bei Prüfung der Voraussetzungen des 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV deren Tatbestandsmerkmale einem von ihnen zu ermittelnden Sachverhalt zuzuordnen und zu würdigen. Damit entscheiden sie über die Zuerkennung oder Versagung der (landes-)hoheitlichen Befugnisse, die unmittelbar mit dem Körperschaftsstatus verbunden sind. Die der Zulassung vorausgehende Prüfung kann nur im bejahenden oder im verneinenden Sinn erfolgen. Ein Entscheidungs- und Wertungsspielraum ist nicht gegeben. Es handelt sich nicht um eine gestaltende Tätigkeit, bei der der Gesetzgeber zwischen möglichen Alternativen bei der Konkretisierung eines Grundrechts wählen könnte (…). Bei der Prüfung der Verleihensvoraussetzungen aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV handelt es sich um eine hoheitliche Tätigkeit, die in den typischen Verantwortungsbereich der Exekutive fällt, und damit funktional um Verwaltungshandeln. Mit dem formellen Gesetz, durch das der Körperschaftsstatus verliehen wird, wird materiell ein Verwaltungsakt ersetzt. Das gilt entsprechend für den Fall der Ablehnung. (Kritisch dazu Sachs/Jasper NWVBl 2016, 7: Bei der Anwendung von Art. 137 V 2 WRV handelt es sich um den Vollzug einer Verfassungsnorm, der nach Art. 20 III GG eher Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der Verwaltung ist.)

b) Hinreichende Gründe für diese Regelung sind nicht ersichtlich, wie sich auch daraus ergibt, dass in anderen Bundesländern kein Gesetz vorgesehen ist. BVerfG [142] Die unmittelbare demokratische Legitimation des parlamentarischen Gesetzgebers, der Bremischen Bürgerschaft, kommt als Rechtfertigung nicht in Betracht. Es geht im vorliegenden Zusammenhang um die Durchsetzung eines im Kern grundrechtlichen Anspruchs, der sich der Rationalität demokratischer Mehrheitsentscheidungen entzieht… Hinzu kommt, dass die Vorteile einer unmittelbar demokratisch legitimierten Abwägungsentscheidung durch den Gesetzgeber beim Erlass einer gebundenen Entscheidung nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV nicht eingreifen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Bremische Bürgerschaft aus anderen Gründen „besser“ als der Bremische Senat dazu in der Lage wäre, die bei Prüfung des Anspruchs aus Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV geschuldete reine Subsumtionstätigkeit zu leisten.

4. BVerfG [144] Der Widerspruch zwischen Art. 61 Satz 2 BremVerf und dem Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) führt zur Verfassungswidrigkeit der Norm.

III. Wie ausgeführt, sprechen auch Art. 19 IV und I 1 GG gegen die in Art. 61, 2 BremVerf getroffene Regelung. Ihre Voraussetzungen liegen allerdings nicht vor.

1. „Öffentliche Gewalt“ i. S. des Art. 19 IV GG ist nach BVerfG nur die Zweite Gewalt, weder die Erste noch die Dritte (BVerfGE 45, 334; 112, 207; zum Streitstand und zur Behandlung des Art. 19 IV und I 1 durch das BVerfG kritisch Möllers JZ 2015, 1104). Indem Art. 61, 2 BremVerf die Entscheidung über die Verleihung der Rechte als KdöR dem Gesetzgeber zugewiesen hat, gelten die Grundsätze über den Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Gesetzgebers (dazu auch noch Frage 3) und nicht die über den Rechtsschutz gegen VAe; folglich greift Art. 19 IV GG nicht ein.

2. Art. 19 I 1 GG hat eine Grundrechtsbeschränkung durch Gesetz zur Voraussetzung. Wird das Verleihungsgesetz i. S. des Art. 61, 2 erlassen, wird kein Grundrecht beschränkt. Wird die Verleihung abgelehnt, fehlt es an einem Gesetz.

IV. Ergebnis der Überlegungen zu Frage 2 ist: Art. 60, 2 BremVerf ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar

Frage 3: Hätte eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG dagegen, dass das Land Bremen die Verleihung als KdöR vom Erlass eines Gesetzes abhängig macht und den Erlass dieses Gesetzes abgelehnt hat, Aussicht auf Erfolg?

I. Zulässigkeit der VfB

1. Anzugreifender Hoheitsakt (§ 90 I BVerfGG) ist die Ablehnung des den Status der Zeugen Jehovas als KdöR anerkennenden Gesetzes. Das BVerfG sieht darin ein Unterlassen, [82] Ein Unterlassen des Gesetzgebers kann Gegenstand einer VfB sein, wenn sich der Bf. auf einen ausdrücklichen Auftrag des GG berufen kann, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenzt hat (…). Die Pflicht zur Gesetzgebung ergibt sich hier aus dem Zusammenwirken des subjektiv-verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Verleihung als Körperschaft des öffentlichen Rechts bei Vorliegen der geschriebenen und ungeschriebenen Voraussetzungen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV einerseits und mit der in Art. 61 Satz 2 BremVerf vorgesehenen Verleihung des Körperschaftsstatus durch förmliches Gesetz andererseits.

2. Zeugen Jehovas müssten geltend machen, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG, Beschwerdebefugnis).

a) Art. 140 GG, 137 V 2 WRV sind kein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht (vgl. Art. 93 I Nr. 4 a GG). Grundrecht sind die in Art. 4 I und II GG gewährleisteten Freiheiten des Glaubens und der Religionsausübung, die mit Art. 140 GG, Art. 137 V 2 WRV verbunden werden (so bereits in obigem Text unter 1.). BVerfG [90} Zwischen der Glaubensfreiheit und den inkorporierten Normen der Weimarer Reichsverfassung besteht eine interpretatorische Wechselwirkung. Die Weimarer Kirchenartikel sind einerseits funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt (…), und andererseits wird der Gewährleistungsgehalt des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG in Verbindung mit den inkorporierten Artikeln der Weimarer Reichsverfassung institutionell konkretisiert und ergänzt (…).

b) Der Beschwerdebefugnis steht nicht entgegen, dass n ach der Rspr. des BVerfG (E 61, 82, 100) Bund, Länder, Gemeinden und andere Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts keine Grundrechte haben. Denn Religionsgemeinschaften sind kein Teil des Staates (oben Frage 1 I 1 b), sondern stehen diesem als eigenständige Rechtssubjekte gegenüber (ebenso wie Universitäten, die sich auf die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 II GG berufen können, und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Hinblick auf Art. 5 I 2 GG). BVerfG [83] Die Bf. ist ungeachtet ihrer öffentlich-rechtlichen Organisationsform hinsichtlich des Grundrechts der Religionsfreiheit beschwerdefähig (…) und befugt, die VfB zu erheben. - Auch Art. 19 III GG steht nicht entgegen, weil das Grundrecht der Religionsfreiheit wesensmäßig den Zeugen Jehovas zustehen kann.

c) Ein Problem ist, dass nach dem Ergebnis des Gutachtens zur Frage 2 feststeht, dass Art. 61, 2 BremVerf nichtig ist und die Bremer Bürgerschaft deshalb ein die Verleihung der Rechte als KdöR gewährendes Gesetz gar nicht erlassen darf. Daraus könnte geschlossen werden, dass eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GG durch die Ablehnung des Gesetzes von vornherein ausscheidet (vgl. Sachs/Jasper NWVBl 2016, 3). Jedoch hat die Bremer Bürgerschaft das Gesetz nicht wegen der Nichtigkeit des Art. 61, 2 abgelehnt, sondern hat eine Sachentscheidung getroffen und den Antrag abgelehnt. Diese Sachentscheidung kann das Grundrecht der Zeugen Jehovas verletzen. Auch sollte bei Prüfung der Zulässigkeit einer VfB nicht das Ergebnis der Begründetheitsprüfung vorweggenommen werden. Somit ist dem BVerfG zu folgen und die Beschwerdebefugnis der Zeugen Jehovas zu bejahen.

d) Bei Prüfung der VfB ist das BVerfG nicht darauf beschränkt, nur die speziell mit dem als verletzt geltend gemachten Grundrecht zusammenhängenden Fragen zu behandeln. Behandelt werden darf deshalb auch die Vereinbarkeit des Art. 61, 2 BremVerf mit dem Gewaltenteilungsprinzip. BVerfG [86] Bei der Beurteilung einer zulässigen VfB ist das BVerfG nicht darauf beschränkt zu prüfen, ob die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 13 Nr. 8 a, § 90 BVerfGG aufgeführten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte verletzt sind. Die angegriffene hoheitliche Maßnahme kann vielmehr unter jedem in Betracht kommenden Gesichtspunkt auf ihre verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit hin geprüft werden (st. Rspr; vgl. BVerfGE…102, 370, 384).

3. Ein Rechtsweg (§ 90 II BVerfGG) steht gegenüber der Ablehnung eines Gesetzes durch ein Parlament nicht zur Verfügung. BVerfG [84] Die VfB genügt dem in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität. Ein fachgerichtliches Vorgehen ist der Bf. jedenfalls nicht zumutbar im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG, weil der Fall spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die das BVerfG beantworten kann, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung eine verbesserte Entscheidungsgrundlage zu erwarten wäre (vgl. BVerfGE 102, 197, 210; 123, 148, 173).

4. Weitere Zulässigkeitsprobleme sind nicht ersichtlich. Die zu erhebende VfB ist zulässig.

II. Die VfB ist begründet, wenn Zeugen Jehovas in ihrem Grundrecht aus Art. 4 GG, 140 GG, 137 V 2 WRV verletzt sind.

1. Eine Verletzung des Grundrechts könnte bejaht werden, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschriften erfüllt sind. Denn dann würde ein Anspruch auf Verleihung bestehen, den das Land Bremen nicht erfüllt, sondern dessen Erfüllung es abgelehnt hat. Würde dieser Gedankengang fortgeführt, käme es zu der Prüfung, die in diesem Gutachten bei Frage 4 vorgenommen wird.

2. Das BVerfG sah sich im Rahmen des VfB-Verfahrens an dieser Prüfung dadurch gehindert, dass das Land Bremen bisher noch kein verfassungsmäßiges Prüfungsverfahren durchgeführt hat. [123] Ob die Freie Hansestadt Bremen bei Ausübung der ihr zustehenden eigenständigen Prüfungskompetenz den verfassungsrechtlichen Maßstab für die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an die Bf. gewahrt hat, kann erst dann einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen werden, wenn das durchgeführte Verleihungsverfahren in seiner grundsätzlichen Konzeption mit den Vorgaben der Verfassung in Einklang steht. Das ist aber nicht der Fall:

a) Das Verleihungsverfahren darf, wie sich aus den Überlegungen zu Frage 2 ergibt, kein Gesetzgebungsverfahren sein, sondern muss von der Verwaltung, der Senatsverwaltung Bremen, durchgeführt werden. Auf die Durchführung dieses formell fehlerfreien Verfahrens haben Zeugen Jehovas aus Art. 4 I, II GG, Art. 137 V 2 WRV einen Anspruch. Daraus folgert BVerfG [ 149] Die Bf. ist bereits durch die Durchführung des verfassungswidrigen Gesetzgebungsverfahrens zur Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts…in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV verletzt.

b) Das BVerfG hat deshalb der VfB stattgegeben und gemäß § 95 I 1, II 2 BVerfGG entschieden:

1. Art. 61 Satz 2 BremVerf ist mit Art. 20 Absatz 2 Satz 2 GG unvereinbar und nichtig

2. Die Beschwerdeführerin ist durch die Durchführung des Verfahrens zur Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 61 Satz 2 BremVerf in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Absatz 1 und Absatz 2 i. V. mit Art. 140 GG und Art. 137 Absatz 5 Satz 2 WRV verletzt.

Folglich ist auf Frage 3 zu antworten: Eine VfB beim BVerfG dagegen, dass das Land Bremen die Verleihung als KdöR vom Erlass eines Gesetzes abhängig gemacht und den Erlass dieses Gesetzes abgelehnt hat, ist zulässig und begründet.

Frage 4: Wie sind die Aussichten dafür einzuschätzen, dass Zeugen Jehovas ihre Anerkennung als KdöR in Bremen erreichen können?

I. Um ihre in Bremen beantragte Verleihung der Rechte als KdöR zu erreichen, müssten Zeugen Jehovas einen Anspruch aus Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 V 2 WRV haben. Hierfür müssten die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen.

1. Vom Vorliegen der geschriebenen Voraussetzung, dass die Religionsgemeinschaft durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bietet, ist auszugehen. Es ist bekannt, dass Zeugen Jehovas während der NS-Diktatur verfolgt und in KZs gesperrt wurden, so dass sie bereits damals in Deutschland und seitdem dauerhaft tätig sind.

2. Da die Religionsgemeinschaft als KdöR zwar nicht Teil des Staates ist, aber über hoheitliche Befugnisse verfügt, wird von ihr Rechtstreue als ungeschriebene Voraussetzung des Art. 137 V 2 WRV verlangt. (Im KörperschaftsstatusG NRW § 1 I Nr. 2 ist Rechtstreue als Voraussetzung für eine KdöR ausdrücklich aufgeführt.) BVerfG [94] Insbesondere muss die antragstellende Religionsgemeinschaft die Gewähr dafür bieten, dass ihr künftiges Verhalten die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des GG nicht gefährdet (vgl. BVerfGE 102, 370, 388, 390 f., 392 ff.). Im Bremer Verfahren ist die Rechtstreue der Zeugen Jehovas aus den im Sachverhalt wiedergegebenen Gründen bezweifelt worden. Jedoch bedeutet die Ablehnung einer Teilnahme an Wahlen nicht zugleich eine Ablehnung der Demokratie durch Zeugen Jehovas, sondern beruht darauf, dass ihr Glaube eine eigene politische Einflussnahme nicht zulässt. Die Verweigerung von Bluttransfusionen kann zwar in Ausnahmefällen gesundheitlich nachteilig sein, was aber nicht ausreicht, um eine Gefährdung von Grundrechten anzunehmen. Für die Rechtstreue der Zeugen Jehovas spricht auch, dass in den meisten Bundesländern die Prüfung zu einem für Zeugen Jehovas positiven Ergebnis geführt hat (vgl. BVerfG [20-28]).

Folglich haben Zeugen Jehovas auch in Bremen einen Anspruch auf Verleihung der Rechte nach Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 V 2 WRV.

II. Um die Verleihung zu erreichen, muss der Anspruch auch durchgesetzt werden können.

1. Zeugen Jehovas haben den nach Art. 137 V 2 WRV erforderlichen Antrag gestellt. Der Antrag ist nicht erledigt. Die Mitteilung von der Ablehnung des Gesetzes hat daran nichts geändert. Sie hat als bloße Information keine regelnde Wirkung. Gegen sie braucht kein Rechtsbehelf eingelegt zu werden, ein solcher wäre auch nicht zulässig.

2. Wird der Antrag nicht positiv beschieden, kommt eine verwaltungsgerichtliche Klage in Betracht.

a) Hierfür müsste der Verwaltungsrechtsweg gegeben sein (§ 40 I VwGO). Die auf Art. 137 V 2 WRV gestützte Klage ist öffentlich-rechtlicher Natur. Sie ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art, weil die für eine verfassungsrechtliche Streitigkeit erforderliche doppelte Verfassungsunmittelbarkeit dran scheitert, dass die klagenden Zeugen Jehovas kein Verfassungsorgan sind. Die Streitigkeit ist auch keinem anderen Gericht zugewiesen, so dass der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist.

b) Der Klageart nach könnte es sich um eine Verpflichtungsklage (§ 42 I VwGO) handeln. Die erstrebte Verleihung ist ein VA (§ 35 VwVfG). Sie ist eine auf die öffentlich-rechtliche Vorschrift des Art. 137 V 2 WRV gestützte Entscheidung, hat als Verleihung der Rechtsstellung als KdöR Regelungswirkung und betrifft einen Einzelfall. Da das Land Bremen die durch VA vorzunehmende Verleihung nicht abgelehnt hat, handelt es sich um eine Klage gegen einen unterlassenen VA (Untätigkeitsklage). Die Dreimonatsfrist des § 75, 2 VwGO ist abgelaufen.

c) Dass nach Art. 61, 2 BremVerf über die Verleihung durch Gesetz zu entscheiden ist, steht der Annahme eines VA und der Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage nicht entgegen.

aa) Wird die Frage 4 so verstanden, dass - wie im Originalfall - ein VfB-Verfahren vorangegangen ist, steht fest, dass Art. 61, 2 BremVerf nichtig ist und außerdem, dass die Verleihung durch VA zu erfolgen hat (vgl. Frage 2 II 3 a).

bb) Andernfalls ist das Verwaltungsgericht (zuvor auch die Verwaltungsbehörde) befugt und verpflichtet, Art. 61, 2 BremVerf für nichtig zu erklären und nicht anzuwenden. Eine Vorlage nach Art. 100 GG an das BVerfG ist nicht nötig und auch nicht möglich, weil Art. 61, 2 aus der Zeit vor Erlass des GG und des Zusammentritts des Bundestages stammt und Art. 100 GG auf vorkonstitutionelle Gesetze nicht anwendbar ist (BVerfGE 70, 126; Sachs/Jasper NWVBl 2016, 2/3).

d) Die Klage ist gegen das Land Bremen zu richten (§ 78 I Nr. 1 VwGO). Für dieses handelt die für Kirchenangelegenheiten zuständige Senatsverwaltung.

e) Da Zeugen Jehovas, wie unter I, dargelegt, einen Anspruch aus Verleihung haben, ist die Klage auch begründet.

Frage 4 ist folglich dahin zu beantworten, dass Zeugen Jehovas ihre Anerkennung als KdöR in Bremen erreichen können.

(Zur Rechtslage in NRW, wo über den Antrag der Zeugen Jehovas nach dem KörperschaftsstatusG zu entscheiden ist und das Verfahren noch anhängig ist: Sachs/Jasper NWVBl 2016, 9-11.)

 

Zusammenfassung