Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Wasserrechtliche Nachbarklage, § 42 I, II VwGO. ► Bewirtschaftung der Gewässer; Erlaubnis für Benutzung, §§ 6, 12 WHG. ► Rechtsgrundlagen für begünstigende Verwaltungsakte, Erteilungs- und Versagungsregelungen; Versagungsermessen. ► Ermessensausübung und Ermessensfehler (§ 114 VwGO); Nichtberücksichtigung wesentlicher Umstände
OVG Münster Urteil vom 9. 3. 2016 (20 A 2978/11) NWVBl 2016, 393
Fall (Mehr Brunnenwasser für Hotel )
H betreibt ein Hotel mit Sport- und Freizeiteinrichtungen im Außenbereich der nordrhein-westfälischen Stadt S. Da das Hotel nicht an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen ist, wird das Trink- und Brauchwasser aus einer Brunnenanlage am östlichen Rand des Hotelgeländes gefördert. H verfügt über eine Erlaubnis für die Entnahme einer bestimmten Menge Grundwasser pro Jahr. Vor zwei Jahren hat H den Wellnessbereich erweitert, was zu einem stark gestiegenen Wasserverbrauch geführt hat. Das zusätzlich benötigte Wasser beschaffte H sich dadurch, dass er doppelt so viel Wasser förderte, als ihm erlaubt war. Als das auffiel, stellte er bei der zuständigen Behörde der Stadt S (B-Behörde) den Antrag, ihm die Förderung zusätzlichen Grundwassers im Umfang der derzeitigen Entnahme zu gestatten.
E ist Eigentümer eines östlich an das Hotel angrenzenden Hausgrundstücks, auf dem sich ein größerer Teich inmitten eines Biotops befindet. Der Teich, über dessen Entstehung nichts bekannt ist, hat keinen oberirdischen Zufluss, sondern ist zu seiner Erhaltung auf Grund- und Regenwasser angewiesen. Auf seinen Antrag hin beteiligte B den E an dem Erlaubnisverfahren. E wandte sich gegen den Antrag des H und trug unter Vorlage eines hydrologischen Gutachtens vor: Seit der Erhöhung der Wasserförderung durch H sinken der Grundwasserspiegel unter dem Grundstück und der Wasserspiegel des Teiches kontinuierlich, weil das Abpumpen des Grundwassers einen Sog ausübt, der das Grundwasser zu der Brunnenanlage des H hin abfließen lässt, und weil die Niederschläge für einen Ersatz des abfließenden Wassers nicht ausreichen. Im Sommer fällt der Teich - anders als früher - über längere Zeit vollständig trocken. Wird die Erlaubnis erteilt, wird sich das voraussichtlich fortsetzen. E steht auf dem Standpunkt, er sei Eigentümer des Grundwassers unter seinem Grundstück und brauche sich dessen Abfließen nicht gefallen zu lassen. Auch sei der Erhalt eines natürlichen Gewässers in einer im weiteren Umkreis intensiv genutzten Umgebung von erheblichem ökologischen Wert.
Die B-Behörde erteilte H die beantragte Erlaubnis. In der Begründung verweist sie auf die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und führt aus, die Erlaubnis werde nach pflichtgemäßem Ermessen erteilt, weil H zusätzliches Wasser für den Hotelbetrieb brauche. Die Erweiterung des Wellnessbereichs sei zulässig und wirtschaftlich notwendig gewesen und habe zwangsläufig zu einem erhöhten Wasserbedarf geführt. Die Einwände des E seien bereits deshalb unerheblich, weil es für den Teich keine Genehmigung gebe. Außerdem müsse jeder Grundstückseigentümer Schwankungen des Grundwasserspiegels, auch ein Absinken und Trockenfallen eines Gewässers hinnehmen, zumal diese maßgeblich von natürlichen Vorgängen abhingen. Sollten unzumutbare Nachteile eintreten, könne die Erlaubnis widerrufen werden. E beabsichtigt eine verwaltungsgerichtliche Klage gegen die Erlaubnis. Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?
Aus dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG), ohne Gesetzesüberschriften
§ 3 Für dieses Gesetz gelten folgende Begriffsbestimmungen: …
10. Schädliche Gewässerveränderungen
Veränderungen von Gewässereigenschaften, die das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die öffentliche Wasserversorgung, beeinträchtigen…
§ 6 (1) Die Gewässer sind nachhaltig zu bewirtschaften, insbesondere mit dem Ziel,
1. ihre Funktions- und Leistungsfähigkeit als Bestandteil des Naturhaushalts und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu erhalten und zu verbessern, …
3. sie zum Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch im Interesse Einzelner zu nutzen, …
§ 8 (1) Die Benutzung eines Gewässers bedarf der Erlaubnis oder der Bewilligung,…
§ 9 (1) Benutzungen im Sinne dieses Gesetzes sind…
5. das Entnehmen und Zutagefördern…von Grundwasser, …
§ 10 (1) Die Erlaubnis gewährt die Befugnis, die Bewilligung das Recht, ein Gewässer zu einem bestimmten Zweck in einer nach Art und Maß bestimmten Weise zu benutzen.
(2) Erlaubnis und Bewilligung geben keinen Anspruch auf Zufluss von Wasser in einer bestimmten Menge und Beschaffenheit.
§ 12 (1) Die Erlaubnis und die Bewilligung sind zu versagen, wenn
1. schädliche, auch durch Nebenbestimmungen nicht vermeidbare oder nicht ausgleichbare Gewässerveränderungen zu erwarten sind oder
2. andere Anforderungen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht erfüllt werden.
(2) Im Übrigen steht die Erteilung der Erlaubnis und der Bewilligung im pflichtgemäßen Ermessen (Bewirtschaftungsermessen) der zuständigen Behörde.
§ 13 (1) Inhalts- und Nebenbestimmungen sind auch…zu dem Zweck zulässig, nachteilige Wirkungen für andere zu vermeiden oder auszugleichen.
Lösung
Vorbemerkung: Der Sachverhalt wurde gegenüber dem Originalfall vereinfacht. Die Lösung wurde auf das im Sachverhalt wiedergegebene geltende Wasserrecht umgestellt. Beiden Änderungen werden auch die Originalzitate des OVG-Urteils angepasst.
A. Zulässigkeit einer Klage
I. Die für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I VwGO erforderliche öffentlich-rechtliche Streitigkeit folgt daraus, dass die der Klage zugrunde liegende Streitigkeit nach den Vorschriften des öffentlich-rechtlichen Wasserrechts (WHG) zu entscheiden ist. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art und keinem anderen Gericht zugewiesen, so dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
II. Der Klageart nach handelt es sich um eine Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO), weil die dem H von B erteilte Erlaubnis i. S. des § 8 WHG ein VA ist und E die Aufhebung dieses VA erstrebt.
III. E müsste über die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) verfügen, was nicht ohne weiteres auf der Hand liegt, weil die Erlaubnis primär ein den H begünstigender VA ist. E müsste geltend machen können, dass er in einem Recht verletzt ist.
1. E beruft sich auf Eigentum an dem von seinem Grundstück zum Grundstück des H hin abfließenden Grundwasser. Daran steht ihm aber kein Eigentum zu, weil § 4 II WHG bestimmt: Wasser eines fließenden oberirdischen Gewässers und Grundwasser sind nicht eigentumsfähig. Deshalb kann Eigentum am Grundwasser auch nicht verletzt sein.
2. Das Abfließen des Grundwassers führt aber möglicherweise dazu, dass der Teich des E zeitweise nicht mit Wasser gefüllt ist und E deshalb sein Grundstück nicht so nutzen kann, wie es seinen Vorstellungen entspricht. Darin kann eine Verletzung des Grundstückseigentums liegen (Art. 14 GG). Auch ist möglich, dass das WHG drittschützende Normen enthält (vgl. §§ 6 I Nr. 3, 13 I WHG), deren Verletzung E geltend machen kann.
3. E steht somit eine Klagebefugnis zu. Die Klage ist eine - parallel zur baurechtlichen Nachbarklage - wasserrechtliche Nachbarklage. Die von E angefochtene Erlaubnis ist ein VA mit Doppelwirkung, der H begünstigt und E belastet (vgl. §§ 80 I 2, 80 a I VwGO).
IV. Nach § 68 I VwGO bedarf es vor Erhebung der Anfechtungsklage der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens, sofern nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist; dabei kann „Gesetz“ kann auch ein Landesgesetz sein.
1. Eine solche anderweitige Bestimmung enthält § 110 I 1 JustizG NRW, wodurch das Widerspruchsverfahren in NRW für VAe der Landes- und Kommunalbehörden grundsätzlich abgeschafft wurde (in anderen Bundesländern gibt es teilweise gleiche Regelungen).
2. Zu den Ausnahmen, bei denen es nach wie vor eines Widerspruchsverfahrens gegen den angegriffenen VA bedarf, gehört nach § 110 III JustizG der Fall, dass sich ein am Verwaltungsverfahren nicht beteiligter Dritter gegen einen VA mit Doppelwirkung wendet. Die dem H erteilte Erlaubnis ist, wie ausgeführt, ein VA mit Doppelwirkung. Jedoch ist E in dem Verwaltungsverfahren beteiligt worden, konnte seine Einwendungen vorbringen, so dass es keines Widerspruchsverfahrens bedarf.
V. Falls die Erlaubnis dem E mit Rechtsbehelfsbelehrung (§ 58 I VwGO) zugestellt worden ist, ist die Monatsfrist des § 74 VwGO für die Erhebung der Klage einzuhalten, andernfalls die Jahresfrist des § 58 II VwGO. Eine innerhalb dieser Frist formgerecht (§ 81 VwGO) erhobene Klage ist zulässig.
VI. Die Klage ist gegen die Stadt S als Trägerin der B-Behörde zu richten (§ 78 I Nr. 1 VwGO). H ist nach § 65 II VwGO notwendig beizuladen, weil die Entscheidung über die Aufhebung der Erlaubnis gegenüber E und H nur einheitlich ergehen kann.
B. Die Anfechtungsklage ist nach § 113 I 1 VwGO begründet, wenn der angefochtene VA rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Es ist die Rechtmäßigkeit der Erlaubnis zu prüfen.
I. Rechtsgrundlage für die Erlaubnis ist § 12 WHG, in dem die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung enthalten sind. Primär ist die Vorschrift die Grundlage für die Begünstigung des Antragstellers, ist also eine Begünstigungsgrundlage. Soweit die Erlaubnis kraft ihrer Doppelwirkung E belastet, hat sie die Wirkung einer Ermächtigungsgrundlage.
Eine systematische Auslegung ergibt, dass § 12 WHG nur dann anzuwenden ist, wenn eine Erlaubnis (oder Bewilligung) nach den vorangehenden Vorschriften notwendig ist. Nach § 8 I WHG bedarf die Benutzung eines Gewässers einer Erlaubnis oder Bewilligung, was dem Bewirtschaftungsgebot des § 6 I WHG entspricht. Nach § 9 I Nr. 5 WHG ist das von H geplante Entnehmen und Zutagefördern von Grundwasser eine Benutzung. Diese bedurfte folglich einer Erlaubnis, so dass über die Erteilung der Erlaubnis nach § 12 WHG zu entscheiden war.
II. Es müssen die formellen Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis vorliegen.
1. Die B-Behörde ist laut Sachverhalt die für die Erlaubniserteilung zuständige (Wasser-) Behörde.
2. E war nach § 28 I VwVfG anzuhören. Er war von der B-Behörde nach § 13 II 1 VwVfG durch Hinzuziehung beteiligt worden, war also Beteiligter. Die Erlaubnis enthält (möglicherweise) einen Eingriff in die Rechtsstellung des E, weil die Grundwasserentnahme auf das Grundstück des E einwirkt.
Die Anhörung ist erfolgt. E hat seine Einwendungen im Verfahren vorbringen können. B hat sie zur Kenntnis genommen und ist in der Begründung der Erlaubnis darauf eingegangen.
3. Auch das Begründungsgebot des § 39 I VwVfG wurde beachtet. B hat die wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen wiedergegeben, durch die sie zur Erteilung der Erlaubnis bewogen worden ist (§ 39 I 2, 3 VwVfG).
Die Erlaubnis ist formell fehlerfrei erteilt worden.
III. Bei der materiellen Prüfung ist von § 12 WHG auszugehen.
1. Um die Struktur einer Begünstigungsgrundlage richtig zu erfassen, kann es geboten sein, die hierbei bestehenden Besonderheiten in den Blick zu nehmen. Sie ergeben sich daraus, dass bei einer Begünstigungsregelung stets zwei - formalisierte und einen VA enthaltene - Entscheidungen möglich sind: der Erlass des beantragten VA oder dessen Ablehnung, wobei für den Rechtsschutz die Ablehnung im Vordergrund steht. Die gesetzliche Regelung kann sowohl auf den Erlass als auch auf die Ablehnung abstellen. Normalfall ist, dass das Gesetz Voraussetzungen für den Erlass der Begünstigung aufstellt. Liegen sie vor, kann als Rechtsfolge der zwingende Erlass des VA vorgesehen sein (Beispiel Fahrerlaubnis: § 2 II StVG; eine solche Vorschrift wird i. d. R. als Anspruchsgrundlage verstanden, so dass es bei der Verpflichtungsklage zu einer Anspruchsprüfung kommt). Die Erteilung kann aber auch in das Ermessen gestellt sein (Beispiel Einbürgerung: § 8 StAG). Die andere Möglichkeit ist, dass das Gesetz Voraussetzungen für die Ablehnung (Versagung) enthält. Dann kann Rechtsfolge sein, dass bei Nichtvorliegen eines Versagungsgrundes die Erlaubnis zu erteilen ist (Beispiel Gaststättenerlaubnis: § 4 GaststG des Bundes). Es kann aber auch geregelt sein, dass der Behörde Ermessen zusteht. Eine solche Struktur hat § 12 WHG: Abs. 1 enthält Versagungsgründe. Abs. 2 estimmt: Liegen keine Versagungsgründe vor, steht die Entscheidung im Ermessen der Behörde, so dass die Behörde trotz Fehlens von Versagungsgründen im Interesse einer sachgemäßen Gewässerbewirtschaftung die Erlaubnis versagen kann („Versagungsermessen“). Dementsprechend ist wie nachfolgend 2. und 3. zu prüfen.
2. Die dem H erteilte Erlaubnis ist rechtswidrig, wenn ein Versagungsgrund nach § 12 I WHG eingreift. „Andere Anforderungen“ nach Nr. 2 sind nicht ersichtlich. Nach Nr. 1 ist die Erlaubnis zu versagen, wenn schädliche, auch durch Nebenbestimmungen nicht vermeidbare oder nicht ausgleichbare Gewässerveränderungen zu erwarten sind. Der Begriff der schädlichen Gewässerveränderungen ist in § 3 Nr. 10 WHG dahin definiert, dass eine Veränderung von Gewässereigenschaften vorliegen muss, die das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die öffentliche Wasserversorgung, beeinträchtigt. Das trifft auf das Absinken des Grundwasserspiegels unter dem Grundstück des E und das Absinken des Wasserspiegels des Teiches nicht zu. Diese Veränderungen beeinträchtigen die öffentliche Wasserversorgung nicht und auch nicht sonstige Belange des Wohls der Allgemeinheit. Allein dass der Erhalt eines natürlichen Gewässers von ökologischem Wert ist und einen - nur begrenzten - Schaden nehmen kann, reicht für einen zur zwingenden Versagung der beantragten Erlaubnis führenden Verstoß gegen das Wohl der Allgemeinheit nicht aus.
3. Folglich hatte die B-Behörde in Anwendung des § 12 II WHG nach Ermessen zu entscheiden. Die erteilte Erlaubnis ist rechtswidrig, wenn die Erteilung auf einem Ermessensfehler (§ 114 VwGO) beruht.
a) Nicht vom Wortlaut des § 114 VwGO erfasst, aber allgemein anerkannt ist, dass eine Ermessensnorm die Behörde zur Ausübung des Ermessens verpflichtet (§ 40 VwVfG) und dass deshalb der Nichtgebrauch des Ermessens (auch: Ermessensausfall, Ermessensunterschreitung) zur Rechtswidrigkeit des VA führt. B hat in der Begründung für die Erlaubniserteilung ausdrücklich davon gesprochen, dass sie nach Ermessen entschieden habe, und hat Gründe für ihre Entscheidung angeführt. Darin ist eine Ermessensausübung zu sehen, so dass ein Nichtgebrauch des Ermessens ausscheidet.
b) Eine Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn die sich aus der Ermessensnorm oder aus anderen Vorschriften (z. B. einem Grundrecht) ergebenden äußeren Grenzen für das Ermessen nicht beachtet wurden. §§ 8 ff. WHG sehen ausdrücklich den Fall der Erteilung eines Erlaubnis vor. Die gegenüber H erfolgte Erteilung hat deshalb keine Ermessensgrenze überschritten.
c) Der weitere, in § 114 VwGO enthaltene Fall, dass von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde, wird als Ermessensfehlgebrauch bezeichnet. Dabei wird der Zweck der Ermächtigung sehr weit gefasst, so dass der Ermessensfehlgebrauch sämtliche relevanten Fehler bei der Begründung erfasst. Begründungsfehler sind: Die gegebene Begründung ist nach einer gesetzlichen Vorschrift unzulässig oder ist sachfremd; sie ist unlogisch, unschlüssig oder widersprüchlich; ist auf unzutreffende Tatsachen gestützt; lässt wesentliche Argumente unberücksichtigt oder würdigt sie nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht (Ermessensdefizit; BVerwGE 90, 300; DVBl 1997, 190: lediglich formularmäßig abgefasster Bescheid). Im vorliegenden Fall könnte B Argumente, die im Interesse des Nachbarn E gegen die Erteilung der Erlaubnis sprechen, zu Unrecht nicht in die Abwägung bei der Entscheidung über die Erteilung eingestellt haben.
aa) Zu einer Ermessensentscheidung gehört, dass die für und gegen eine mögliche Rechtsfolge sprechenden Erwägungen angestellt und dass dabei die positiv und negativ betroffenen Belange untereinander abgewogen werden. Welche Belange in die Abwägung einzustellen sind, kann sich aus der Rechtsgrundlage ergeben, aber auch aus anderen Vorschriften sowie aus Grundrechten. Bei der Entscheidung über die Benutzung eines Gewässers stehen sich zunächst die Interessen des Antragstellers und das öffentliche Interesse am Erhalt des Gewässers und an der öffentlichen Wasserversorgung (§ 6 I Nr. 1 und Nr. 4 WHG) gegenüber. §§ 6 I Nr. 3 und § 13 I WHG zeigen aber, dass das WHG auch private Dritte schützt. Zu ihnen gehören vor allem die Nachbarn, soweit diese das Gewässer, auch das Grundwasser, nutzen und von der beantragten Benutzung nachteilig betroffen sein können. Das folgt auch aus dem Schutz des Nachbareigentums durch Art. 14 GG, der zwar keinen unbedingten Schutz gewährt, weil das Eigentum einschränkbar ist (Art. 14 I 2 GG), jedoch zu einer angemessenen Berücksichtigung verpflichtet.
OVG [46, 47] Bei der Ausübung des Ermessens sind neben öffentlichen Belangen auch individuelle Interessen der von der Gewässerbenutzung nachteilig betroffenen Dritten zu berücksichtigen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 13 Abs. 1 WHG). Geschützt von diesem Erfordernis werden Dritte, die zum Kreis der rechtmäßigen Wasserbenutzer und derjenigen Personen zählen, deren private Belange nach den Umständen des Einzelfalls von der Benutzung in qualifizierter und individualisierter Weise betroffen werden. Diesem Personenkreis steht ein Anspruch auf ermessensgerechte, vor allem Rücksicht nehmende, Beachtung und Würdigung seiner Belange zu (vgl. BVerwG NVwZ 2005, 84…).
bb) Da danach nur die rechtmäßigen Wasserbenutzer geschützt werden, wäre E vom Schutz ausgeschlossen, wenn die Auffassung der B zutreffen würde, dass der Teich wegen Fehlens einer Genehmigung illegal wäre. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Teich künstlich angelegt wurde und damals schon die Verpflichtung bestand, für die Anlage eines Teiches eine Planfeststellung (§ 68 WHG) durchzuführen. Eine Verpflichtung, für ein schon lange bestehendes Gewässer eine Genehmigung einzuholen, besteht nicht.
OVG [69-72] Es fehlt an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass das Vorhandensein des Teichs gegen ein wasserrechtliches Gestattungserfordernis verstößt oder der Teich durch rechtswidrige Veränderungen die Gestalt erlangt hat, die Voraussetzung ist für Auswirkungen der dem H erlaubten Grundwasserförderung auf die Wasserführung im Teich… Ein Verstoß gegen die Planfeststellungspflicht unter dem Blickwinkel der Herstellung eines Gewässers scheidet aus, weil der Teich seit einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Wasserhaushaltsgesetzes in seiner ursprünglichen Fassung vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1110) vorhanden ist.
cc) Somit sind die Belange des E zu berücksichtigen. Sie bestehen in dem Interesse des E am Fortbestehen des Grundwasserstandes, um den Wasserspiegel des Teiches zu erhalten und die ihn umgebenden Pflanzen nicht vertrocknen zu lassen, sowie in dem Interesse, ein Austrocknen des Bodens und ein damit verbundenes Absinken zu verhindern. OVG [58-64] Zu den rechtlich erheblichen Interessen zählt…unter anderem dasjenige an der Erhaltung eines tatsächlichen Zustands hinsichtlich des Wasserstands, also an der Verhinderung ungünstiger Veränderungen insoweit faktisch bestehender Gegebenheiten. Dazu gehören nachteilige Veränderungen des Grundwasserstands und hierdurch hervorgerufene Nachteile. Die Nachteile müssen nicht wirtschaftlicher Art sein.… Der unveränderte Fortbestand des Teichs zählt zu den für E, der als Eigentümer des Grundstücks nach seinem subjektiven Dafürhalten über die Nutzung und Gestaltung des Grundstücks befinden konnte bzw. kann, wesentlichen Elementen der Verwendung des Grundstücks.
Ein zu berücksichtigender Belang ist auch die ökologische Bedeutung des Teiches. Wenn Art. 14 II GG den Eigentümer verpflichtet, auch dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen (Sozialpflichtigkeit des Eigentums), und Art. 20 a GG dies auch auf den Umweltschutz erstreckt, muss E sich auf diesen Belang auch berufen können (OVG [64]).
dd) Damit diese Belange bei der Entscheidung über den Erlaubnisantrag des H zu berücksichtigen sind, muss die von H geplante zusätzliche Wasserförderung für die von E befürchteten Nachteile kausal sein. Das bedarf der Erörterung, weil auch andere Umstände mitursächlich sein können, beispielsweise eine wegen der Klimaerwärmung zurückgehende Niederschlagsmenge. OVG [48-50] Belange sind auch dann zu berücksichtigen, wenn die zu erlaubende Gewässerbenutzung lediglich eine von mehreren Ursachen für eine Beeinträchtigung darstellt.…Allerdings ist ein solcher Ursachenbeitrag rechtlich nur relevant, wenn sein Gewicht es rechtfertigt, gerade (auch) der Gewässerbenutzung die Nachteile als Folgewirkung zuzurechnen. Die praktische Bedeutung des Ursachenbeitrags darf nicht so gering sein, dass er die Nachteile bei wertender Betrachtung nicht wirklich spürbar beeinflusst. Nach den gutachtlich abgesicherten Feststellungen im Sachverhalt besteht kein Zweifel daran, dass die bisherige erhöhte Grundwasserförderung und die dementsprechende zukünftig erlaubte Förderung wesentliche Ursache für das Absinken des Grundwasserspiegels und des Wasserspiegels des Teiches ist und die für E eintretenden Nachteile spürbar beeinflusst.
ee) Dieser Berücksichtigungspflicht ist B nicht nachgekommen. Das folgt bereits daraus, dass B das Vorbringen des E, mit dem er seine Belange geltend gemacht hat, für unerheblich erklärt hat. Auch ist die dafür gegebene Begründung, der Teich habe nicht die erforderliche Genehmigung, unzutreffend, wie oben bb) ausgeführt wurde. Weiterhin ergibt sich die Nichtberücksichtigung der Belange des E auch aus den Ausführungen, wonach jeder Grundstückseigentümer Schwankungen des Grundwasserspiegels, auch ein Absinken und Trockenfallen eines Gewässers hinnehmen müsse, was nur bedeuten kann, dass diese Belange von B bei ihrer Entscheidung keine Rolle gespielt haben.
OVG [89, 90] Die gebotene abwägende Berücksichtigung der Interessen des E ist der angefochtenen wasserrechtlichen Erlaubnis nicht zu entnehmen. Der Erlaubnisbescheid enthält keine Gegenüberstellung und erst recht keine Bewertung der widerstreitenden Interessen einerseits des E und andererseits des Adressaten der Erlaubnis.… Die von B bei Erteilung der Erlaubnis vertretene Meinung, eine nachteilige Betroffenheit des E durch die Grundwasserförderung sei jedenfalls nicht schutzwürdig und damit nicht entscheidungserheblich, schließt es von vornherein aus, dass Ermessen unter gedanklicher Einbeziehung eben dieser Belange ausgeübt wurde. Fehlt es hiernach völlig an der erforderlichen Berücksichtigung der Interessen des E,…hat die Behörde bei ihrer Entscheidung wesentliche Begründungselemente unberücksichtigt gelassen, was zu einem Ermessensfehler führt.
Für eine sachgemäße Entscheidung bei der Erteilung einer Erlaubnis zur Grundwasserentnahme unter Berücksichtigung der Interessen des E wäre notwendig gewesen, die Menge des Grundwasserdargebots, die E für eine Nutzung seines Grundstücks braucht, zu ermitteln und daran die dem H zu erlaubende Fördermenge auszurichten. Hierfür hätte B ein Gutachten entweder von H fordern oder selbst einholen müssen (§ 26 I Nr. 2 VwVfG).
Dieses Unterlassen einer sachgemäßen und vollständigen Ermessensausübung führt zur Rechtswidrigkeit der Erlaubniserteilung (§ 114 VwGO).
4. Daneben ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht mehr heranzuziehen. Es könnte nur in der Prüfung bestehen, ob die Erlaubniserteilung im Verhältnis zu E - nur insoweit wirkt sie belastend - zur Erreichung eines Zweckes geeignet, notwendig und angemessen war. Die B-Behörde hat aber gegenüber E keinen Zweck verfolgt, sondern ausschließlich bezweckt, dem H die Erlaubnis zu erteilen. Die Belastung des E ist nur eine hierbei nicht bezweckte Nebenfolge, bei der es ausreicht, dass sie im Rahmen des Ermessens berücksichtigt wird.
IV. Die rechtswidrige Erteilung der Erlaubnis verletzt E in seinen Rechten. Das ist zunächst das Recht aus § 12 II WHG darauf, dass auch seine Interessen bei der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden (oben III 3 c; insoweit ist § 12 II WHG eine Schutznorm zugunsten des E). Ferner ist es sein Eigentum an dem Grundstück und dem darauf befindlichen Teich (Art. 14 I GG). In beide Rechte wird durch die Erlaubnis eingegriffen. Da die Erlaubnis rechtswidrig war, werden die Rechte auch verletzt.
V. Somit liegen die Voraussetzungen des § 113 I 1 VwGO vor. Rechtsfolge des § 113 I 1 VwGO ist die Aufhebung des VA.
1. Dabei könnte aber noch zu berücksichtigen sein, dass bei den Überlegungen oben II 2 und 3 kein zwingender Versagungsgrund für die Erlaubnis festgestellt wurde, sondern lediglich die konkrete Ermessensentscheidung für nicht genügend begründet erklärt wurde. B könnte deshalb mit einer vollständigen, auch die Interessen des E einbeziehenden Begründung die Erlaubnis doch noch rechtmäßig erteilen, ggfs. eingeschränkt oder unter Auflagen.
2. Der hier gegebene Fall ist mit dem bei Erlass eines Bescheidungsurteils (§ 113 V 2 VwGO) vergleichbar: Denn nach einer Aufhebung der Erlaubnis ist der von H gestellte Antrag nicht beschieden und muss erneut und unter Beachtung der Rechtsauffassung des VG, d. h. ermessensfehlerfrei beschieden werden. Gleichwohl ist ein Bescheidungsurteil nicht möglich, weil § 113 V 2 VwGO nur bei Verpflichtungsklagen zur Anwendung kommt, die Klage des E aber eine Anfechtungsklage ist. Eine analoge Anwendung des § 113 V 2 VwGO scheitert am Fehlen einer Gesetzeslücke.
3. Es bleibt somit bei der Rechtsfolge des § 113 I 1 VwGO, dass die Erlaubnis durch Anfechtungsurteil. aufzuheben ist. Die Klage hat also Erfolg. Wie ausgeführt, hat dieser Erfolg für E aber nur einen begrenzten Wert, weil die Aufhebung der Erlaubnis die Erteilung der Erlaubnis nicht definitiv und endgültig verhindert.
Zusammenfassung