Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 I 4 VwGO. Versammlungsrecht; Gefahr für die öffentliche Sicherheit i. S. des § 15 I VersG. Verhinderungsblockade als Straftat nach § 21 VersG. Aufforderung zu Straftaten, § 111 StGB. Einfluss der Art 8, 5 I GG auf die Auslegung und Anwendung der §§ 111 StGB, 21 VersG


OVG Münster
Urteil vom 18. 9. 2012 (5 A 1701/11) NWVBl 2013, 111

Fall
(Blockadetraining)

Für den 8. April 2011 war wie alljährlich in Stolberg, Nähe Aachen (NRW), ein „ Fackelmarsch“ geplant, bei dem für eine rechtsextreme Politik demonstriert werden sollte. Hierzu wurden Teilnehmer aus ganz Deutschland und Teilen Europas erwartet. Dagegen hatte sich ein Bündnis aus Politikern, Gewerkschaftern, Verbandsvertretern, Pfarrern, Wissenschaftlern, Künstlern und zahlreichen anderen Vereinen, Gruppen und Einzelpersonen gebildet, deren Sprecher K war. In einer Pressemitteilung mit der Überschrift „Stolberg 2011 - Sie werden nicht durchkommen!“ rief K zum Widerstand auf und bezog sich dabei auch auf die von Neonazis begangenen Angriffe auf Ausländer und Linke und die Schändung des jüdischen Friedhofs in Aachen. Das Bündnis bedauerte, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch rechtsextreme Demonstrationen geschützt seien (BVerfG NJW 2000, 1406; NJW 2001, 2069; Beschluss vom 20. 12. 2012, AZ. 1 BvR 2794/10). Deshalb seien Verbote nicht zu erwarten und Gegendemonstrationen nicht ausreichend. Vielmehr sollten die gleichen Mittel eingesetzt werden, die beispielsweise in Dresden zum Erfolg geführt hatten. Dort hatten über zehntausend Personen den Aufmarsch der Neonazis erfolgreich blockiert. Auf seiner Internetseite veröffentlichte das Bündnis den Text: „Stolberg 2011 - Den Naziaufmarsch gemeinsam blockieren!“ Der „Fackelmarsch“ war bei der Polizei angemeldet worden, ohne dass die Polizei ihm gegenüber beschränkende Maßnahmen erlassen hatte.

Zur Vorbereitung auf den 8. 4. 2011 rief K im Januar zu einem öffentlichen Blockadetraining am 5. 2. 2011 auf und meldete dieses bei der Polizei als Versammlung an. In Verbindung damit sollte eine Kundgebung stattfinden und zu einer breiten Mobilisierung der Bevölkerung führen. Im Kooperationsgespräch mit der Polizei Ende Januar erklärte K zum Ablauf des Blockadetrainings, Reden seien nicht geplant. Trainer, die bereits an Blockaden teilgenommen hätten, würden deren voraussichtlichen Verlauf erklären und ggfs. durchspielen. Während der für drei Stunden angesetzten Kundgebung sei eine Trainingsdauer von etwa 1 ½ Stunden geplant. Im Vordergrund stehe das Knüpfen von Kontakten und das Kennenlernen der erwarteten etwa 100 Teilnehmer. Sie sollten erfahren, dass man sich an Spielregeln halten müsse und es nicht darum gehe, auf „Aktion" aus zu sein. Voraussichtlich werde das „Wegtragen" und das „Verhaken bzw. Verknoten" simuliert. Ziel sei, durch Menschenmassen friedlich zu blockieren. Keine Handlung des Bündnisses werde sich gegen die Polizei richten. Angesichts der von Rechts drohenden Gefahren bestehe eine Pflicht zu gewaltlosem Widerstand und zum zivilen Ungehorsam.

Mit Verfügung vom 31. 1. 2011 gegenüber K bestätigte das zuständige Polizeipräsidium die Anmeldung der Versammlung und fügte die für sofort vollziehbar erklärte „Auflage“ Nr. 4 hinzu, die wie folgt lautete: „Es ist sowohl den Trainern des Blockadetrainings als auch dem Versammlungsleiter und allen anderen Personen, die sich an die Versammlungsteilnehmer wenden, untersagt, den Versammlungsteilnehmern Taktiken und Techniken zu vermitteln, die sie befähigen sollen, nicht verbotene zukünftige Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern, zu sprengen oder zu vereiteln. Insbesondere werden das Einüben von Sitzblockaden und Wegtrageübungen untersagt." Begründet wurde das unter Hinweis auf die einschlägigen Rechtsgrundlagen im wesentlichen damit, dass die Blockade einer erlaubten Versammlung verboten sei und dass ein verbotenes Verhalten auch nicht geübt werden dürfe.

Noch im Februar hat K gegen die Verfügung vom 31. 1. 2011 verwaltungsgerichtliche Klage erhoben, über die im Juni 2011 zu entscheiden ist. Wie wird die Entscheidung lauten?

A. Zulässigkeit der Klage

I. Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges richtet sich nach § 40 I VwGO. Die streitentscheidenden Normen ergeben sich aus dem Versammlungsrecht, das zum öffentlich-rechtlichen Polizei- und Ordnungsrecht gehört, so dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art. Zwar könnte das Grundrecht der Versammlungsfreiheit die Streitigkeit mit prägen. An der Streitigkeit ist aber kein Verfassungsorgan beteiligt, so dass keine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit vorliegt. Da die Streitigkeit auch keinem anderen Gericht zugewiesen ist, ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.

 

II. Klageart könnte eine ursprüngliche Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 I 4 VwGO sein.

1. Dann müsste ursprünglich ein Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) ergangen sein. Die Verfügung vom 31. 1. 2011 erfüllt als Verbot im Einzelfall die Merkmale des VA. Es handelt sich um eine selbstständige Polizeiverfügung und entgegen ihrer, offenbar den Wortlaut des § 15 I VersG übernehmenden Bezeichnung nicht um eine Auflage i. S. des § 36 II VwVfG (Ruffert JuS 2013, 575, 576 Fn. 4, Besprechung dieser Entscheidung). Für eine Auflage fehlt es an einem begünstigenden VA, dem sie beigefügt sein könnte. Eine öffentliche Versammlung ist weder genehmigungsbedürftig noch genehmigungsfähig, sondern bedarf, wenn sie unter freiem Himmel stattfindet, lediglich einer Anmeldung.

2. Da das Verbot mit dem Ende des 5. 2., an dem das Blockadetraining stattfinden sollte, keine Rechtsfolge mehr haben konnte, hat es sich erledigt (vgl. § 43 II VwVfG: durch Zeitablauf). Somit ist nur noch eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit sinnvoll und die richtige Klageart.

III. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen für eine Fortsetzungsfeststellungsklage bestehen in zweifacher Hinsicht.

1. Da die Fortsetzungsfeststellungsklage eine - wirklich oder gedanklich - umgewandelte Anfechtungsklage ist (vgl. die Stellung des § 113 I 4 innerhalb des die Anfechtungsklage regelnden § 113 I VwGO), müsste vor Erledigung eine Anfechtungsklage zulässig gewesen sein. Das war zu bejahen. Insbesondere stand K die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) zu, weil er geltend machen konnte, in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt zu sein.

2. Spezielle Zulässigkeitsvoraussetzung bei § 113 I 4 VwGO ist ein Feststellungsinteresse. Dieses ergibt sich hier aus einer Wiederholungsgefahr, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich ein Aufmarsch von Rechtsextremisten wiederholt und auch K wiederum eine Blockadedemonstration vorbereiten will.

IV. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen, die problematisch sein könnten, sind nicht ersichtlich. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig.

B. Voraussetzung für die Begründetheit der Fortsetzungsfeststellungsklage ist die Rechtswidrigkeitdes erlassenen und erledigten VA, hier der in den Bescheid vom 31. 1. 2011 als Nr. 4 aufgenommenen „Auflage“.

I. Mögliche Ermächtigungsgrundlage für die Auflage ist die bundesrechtliche Vorschrift des § 15 I VersG. Zwar ist mit der Föderalismusreform 2006 die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht auf die Länder übergegangen. Jedoch haben von der Befugnis zum Erlass eines Landes-Versammlungsgesetzes nur die Länder Bayern, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt Gebrauch gemacht. In den anderen Ländern, zu denen NRW gehört, gilt das VersG als Bundesrecht weiter (Art. 125 a I 1 GG), so dass § 15 VersG anzuwenden ist.

II. Für den Erlass der Auflage gelten formelle Voraussetzungen.

1. Zuständig für den Vollzug des § 15 I VersG ist die Kreispolizeibehörde (§ 1 der VO GVBl NRW 1987, 62). Das sind die Polizeipräsidien der kreisfreien Städte und die Kreisverwaltungen (Der Landrat als untere staatliche Verwaltungsbehörde). Stolberg gehört jedoch zur Städteregion Aachen, so dass nach dem hierfür geltenden Gesetz (§ 3 I) die Verwaltung der Städteregion Kreispolizeibehörde ist. Bei ihr wurde ein Polizeipräsidium gebildet, das nach dem Sachverhalt gehandelt hat.

2. Nach § 28 I VwVfG war eine Anhörung des K erforderlich. Da ein Kooperationsgespräch stattgefunden hat, ist davon auszugehen, dass die Polizei davon gesprochen hat, dass gegen das Blockadetraining vorgegangen werden könnte, so dass K dazu hat Stellung nehmen können und hinsichtlich des geplanten Ablaufs der Veranstaltung auch Stellung genommen hat.

3. Die im Sachverhalt nur kurz wiedergegebene Begründung lässt den Schluss zu, dass diese den Anforderungen des § 39 I VwVfG entspricht.

4. Da die Verfügung auch schriftlich (§ 37 II VwVfG) ergangen ist, ist sie formell rechtmäßig.

III. Für die materielle Rechtmäßigkeit ist Voraussetzung, dass die Verfügung den Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage entspricht.

Nach § 15 I VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. OVG: Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerwGE 131, 216). Das für beschränkende Verfügungen vorauszusetzende Erfordernis einer unmittelbaren Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen (BVerfG NVwZ 2008, 671, 672; BVerfGE 69, 315, 353 f.).

1. K und das Bündnis beabsichtigen eine Blockade des rechtsextremen Aufmarsches, der „Zielversammlung“, durch eine „Protestversammlung“.

a) Bei Protestversammlungen durch Blockaden wird unterschieden (Dietel/Güntzel/Kniesel, VersG, 16. Aufl. 2011 § 15 Rdnr. 195/6) zwischen einer demonstrativen Blockade, durch die die Aufmerksamkeit auf einen vermeintlichen Missstand gelenkt werden soll, etwa indem die Zufahrt zu einer Atomanlage blockiert wird, und einer Verhinderungsblockade, um die es sich im vorliegenden Fall handelt. Richtet sich die Verhinderungsblockade gegen eine Zielversammlung, die, wie im vorliegenden Fall, ihrerseits als Versammlung geschützt ist, kommt als ein die unmittelbare Gefahr begründender Straftatbestand § 21 VersG in Betracht. Danach wird bestraft, wer in der Absicht, eine nicht verbotene Versammlung oder einen Aufzug zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht.

b) Durch das am 5. 2. 2011 beabsichtigte Blockadetraining wird der Tatbestand des § 21 VersG nicht erfüllt. Da der rechtsextreme Aufzug noch nicht konkret stattfindet oder auch nur bevorsteht, kann er auch noch nicht verhindert werden. Zumindest würde es an der Unmittelbarkeit der Gefahr i. S. des § 15 I VersG fehlen. Vgl. Dietel/Güntzel/Kniesel § 21 Rdnr. 7: „Wird in der Öffentlichkeit…lediglich aufgefordert, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern, zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, liegt kein Fall des § 21 vor.“ Allein mit Hilfe des § 21 VersG lässt sich somit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht begründen.

c) Auch über eine Verletzung des § 2 II VersG lässt sich die Gefahr nicht begründen. Danach hat „bei“ öffentlichen Versammlungen jedermann Störungen zu unterlassen. Der Aufzug vom 8. 4. war am 5. 2. noch mehr als zwei Monate entfernt, so dass das Verbot von Störungen bei diesem Aufzug am 5. 2. noch keine Rechtswirkung auslösen konnte. Insbesondere konnte von dem Blockadetraining am 5. 2. noch keine Störung im Sinne einer unmittelbaren Gefahr für den rechtsextremen Aufmarsch am 8. 4. ausgehen.

2. Straftat, deren Begehung bei dem Blockadetraining am 5. 2. zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit führt, könnte § 111 I StGB sein. Danach wird wegen einer öffentlichen Aufforderung zu Straftaten bestraft, „wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) zu einer rechtswidrigen Tat auffordert.“ Dabei kann die Tat, zu der aufgefordert wird, eine Versammlungsverhinderung nach § 21 VersG sein. Nicht ausreichend wäre ein Verstoß gegen § 2 II VersG, denn rechtswidrige Tat kann nur die Verwirklichung eines Straftatbestandes sein (§ 11 I Nr. 5 StGB).

a) Um eine Gefahr i. S. des § 15 I VersG zu bejahen, muss also zweierlei vorliegen: Die von K und dem Bündnis am 8. 4. geplante Verhinderungsblockade muss den Tatbestand des § 21 VersG erfüllen, und das Blockadetraining am 5. 2. muss dazu i. S. des § 111 StGB öffentlich auffordern. Was § 21 VersG betrifft, kann die Begehungsform durch „Gewalttätigkeiten“ von vornherein ausgeschlossen werden. Dieses Merkmal hat denselben Inhalt wie beim Landfriedensbruch (§ 125 StGB). Darunter fallen nur Aktivitäten von erheblicher Gefährlichkeit; erforderlich ist ein aggressives, gegen Menschen oder Sachen gerichtetes aktives Tun ( Dietel/Güntzel/Kniesel § 21 Rdnr. 8). Im vorliegenden Fall wird am 8. 4. i n erster Linie mit Sitzblockaden oder Menschenketten versucht werden, den Start des Fackelmarsches oder dessen Fortgang zu verhindern oder zu erschweren. Darin liegt noch keine Gewaltanwendung (vgl. das ähnliche Problem der Sitzblockaden bei § 240 StGB, BVerfGE 92, 1, 16 ff.; ferner auch BVerfGE 104, 92, 104 ff.). In Betracht kommt aber die Begehungsform des § 21 wer „grobe Störungen verursacht“.

b) Wird bei der Subsumtion im vorliegenden Fall allein vom Wortlaut der §§ 111 StGB, 21 VersG ausgegangen, liegt nahe, in einer Blockade des „Fackelmarsches“ ein Verhindern dieses Aufzuges durch eine grobe Störung zu sehen. Dafür sprechen die Pressemeldung „ Sie werden nicht durchkommen!“ und der Internettext „Den Naziaufmarsch gemeinsam blockieren“. Auch zielt das Blockadetraining auf ein vollständiges Verhindern, denn was blockiert wird, findet nicht statt. Schließlich hat sich das Bündnis auf die Vorgänge in Dresden bezogen; dort war der Aufmarsch der Rechten verhindert worden. Damit ließe sich der Tatbestand des § 21 VersG bejahen. Die Kundgebung am 5. 2. soll die hierfür benötigte große Zahl von Teilnehmern aktivieren, und das dabei benötigte Verhalten soll trainiert werden. Das spricht auch für ein öffentliches Auffordern zu diesem Verhalten i. S. des § 111 StGB. Hierfür ist erforderlich und ausreichend eine über eine bloße Befürwortung hinausgehende Erklärung, dass andere etwas tun sollen (Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, §111 Rdnr. 2 a). Nach den Erklärungen von K und dem Bündnis sollen möglichst viele Personen den „Fackelmarsch“ blockieren und dadurch verhindern.

Dafür, über § 21 VersG eine unmittelbare Gefahr i. S. des § 15 VersG zu bejahen, haben sich nachdrücklich ausgesprochen Schwabe/Knape DVBl 2013, 116 in einer Anmerkung zum Urteil des OVG Münster. In diesem Sinne entschieden haben auch VG Aachen als Vorinstanz des OVG, VG Dresden im Beschluss vom 1. 2. 2013, AZ. 6 L 35/13, OVG Lüneburg DVBl 2011, 1184; ähnlich VGH Mannheim DÖV 2000, 647. Auch Ehlers JK 4/13, VersG § 15/7 a. E. spricht sich dafür aus. Nach Ruffert JuS 2013, 576 „hätte es durchaus nahegelegen, eine solche Störung zu bejahen.“ Nach Dietel/Güntzel/Kniesel § 15 Rdnr. 208 sind „Verhinderungsblockaden von vornherein rechtswidrig.“

Werden die Voraussetzungen des § 15 I VersG bejaht, liegen auch die weiteren Voraussetzungen für die Auflage als Polizeiverfügung vor: K ist als Veranstalter der Versammlung der richtige Adressat. Die Auflage ist, da durch sie eine Straftat verhindert werden soll, verhältnismäßig i. S. des § 2 PolG NRW. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass die Begründung keine Ermessensfehler i. S. der §§ 3 I PolG, 114 VwGO aufweist.

c) Demgegenüber ist nach OVG Münster a. a. O. § 111 StGB unter Beachtung der Wertentscheidungen der Grundrechte, d. h. verfassungs- und grundrechtskonform auszulegen. Eine „rechtswidrige Tat“ i. S. des § 111 StGB kann nur bejaht werden, wenn eine „grobe Störung“ i. S. des § 21 VersG durch die beabsichtigte Blockade angenommen wird. Der Begriff der „groben Störung“ ist auslegungsfähig. OVG: Insoweit bedarf auch die Beurteilung, ob eine „grobe Störung“ vorliegt, entsprechend der Maßstäbe, die das BVerfG im Zusammenhang mit dem Nötigungstatbestand entwickelt hat, einer Abwägung der widerstreitenden Grundrechte.

aa) Zu berücksichtigende Grundrechte des K und des Bündnisses sind Art. 8 GG und Art. 5 I GG. Die Kundgebung und das Blockadetraining vom 5. 2. sind Versammlungen, da auf ihnen der Protest gegen den rechtsextremen Aufmarsch durch eine Mehrzahl von Personen zum Ausdruck gebracht werden soll. Darin liegen zugleich Meinungsäußerungen i. S. des Art. 5 I GG. Allerdings ist die Grundrechtsinanspruchnahme durch K und das Bündnis nicht absolut geschützt, weil beide Grundrechte unter Gesetzesvorbehalt stehen (Art. 5 II, 8 II) und §§ 15 VersG, 111 StGB, 21 VersG einschränkende Gesetze sind. Die Grundrechte sind deshalb nur unter Berücksichtigung anderer Rechtsgüter und Werte in die Abwägung aufzunehmen. Zu ihnen gehört beispielweise das Interesse des Staates, dass gegen missliebige Zielversammlungen nicht durch private Gruppen - durch „Selbstvollzug“ (vgl. Schwabe/Knape DVBl 2013, 117) - vorgegangen wird, dass das Gewaltmonopol vielmehr bei der Polizei bleibt. Dagegen ist unerheblich, dass der Aufzug unter dem Schutz des Art. 8 GG steht, weil das Blockadetraining am 5. 2. den Aufzug vom 8. 4. noch nicht gefährdet.

bb) Nach OVG Münster gestatten Art. 8 und Art. 5 I, die Blockade als Mittel einzusetzen, um das kommunikative Anliegen, öffentliche Aufmerksamkeit für einen politischen Standpunkt zu erzielen, auf spektakuläre Weise zu verfolgen und dadurch am Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilzuhaben. Den Grundrechtsträgern steht die Entscheidung darüber frei, welche Maßnahmen sie hierzu einsetzen wollen, solange sie Rechte anderer nicht beeinträchtigen…

Geplant war nach den Verlautbarungen der Veranstalter im Internet der Sache nach insbesondere ein bürgerschaftlicher Beitrag zu der die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, ob rechtsextreme Versammlungen in Deutschland stattfinden können sollen. Hierzu hielt das Bündnis, in dem weite Teile der regionalen Bevölkerung vertreten waren, Gegendemonstrationen erklärtermaßen nicht mehr für ausreichend. Vielmehr sahen ihre Vertreter in dem aktuellen Auftreten rechter Gruppen in Stolberg und in der Städteregion Aachen und den damit verbundenen realen Einschüchterungen, Bedrohungen und Verletzungen bestimmter Personen und Bevölkerungskreise eine ernste Gefahr für den freiheitlichen demokratischen Staat. Sie beanstandeten ein Untätigbleiben der Politik und hielten deshalb bürgerschaftliches Handeln für legitim, um die weitere Ausbreitung dieses Gedankenguts zu verhindern und damit die Demokratie zu schützen. Mit diesem moralischen Anspruch war es erklärtes Ziel aller im Veranstalterbündnis vertretenen Gruppen und Personen, die Anfang April 2011 in Stolberg geplanten rechten Aufmärsche mit Massenblockaden zu verhindern… Die Mitglieder des Blockadebündnisses waren nicht nur der Auffassung, dass von den alljährlichen rechtsextremen Versammlungen in Stolberg Beunruhigungen der Bürger ausgingen, die in einer Demokratie hingenommen werden müssten. Sie waren vielmehr darüber hinaus davon überzeugt, dass in Deutschland bereits das Verbreiten von rechtsradikalen und an die Ideologie der Nationalsozialisten anknüpfenden Ansichten…eine Gefahr für den inneren Frieden und den Fortbestand eines freiheitlichen Staates darstellt. Davon ausgehend war es ein zentrales Anliegen des Veranstalterbündnisses, durch spektakuläre Aktionen eine öffentliche Auseinandersetzung von Gesellschaft, Gesetzgebung und Justiz darüber anzustoßen, ob die Art. 5 und 8 GG im Sinne einer wehrhaften Demokratie zum Schutz vor menschenverachtenden Ideologien mehr als bisher nach der Rspr. des BVerfG zu begrenzen sind. Damit leistete das Bündnis im Rahmen der grundgesetzlichen Freiheitsrechte einen legitimen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung.

Aus dieser Wertung lässt sich schließen, dass die am 8. 4. beabsichtigten Blockademaßnahmen jedenfalls aus der Sicht zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung am 31. 1. 2011 keine groben Störungen i. S. des § 21 VersG waren, so dass anlässlich der Kundgebung vom 5. 2. und des damit verbundenen Blockadetrainings keine Aufforderungen zu strafbaren Handlungen i. S. des § 111 StGB vorgenommen wurden. Dann bedeutete das Blockadetraining keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Die Voraussetzungen des § 15 I VersG lagen nicht vor.

d) Folglich war nach OVG Münster die Auflage Nr. 4 rechtswidrig und verletzte K in seinem Recht aus Art. 8 GG. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet. Das VG wird die Rechtswidrigkeit der Auflage feststellen. (Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es ist also möglich, dass es durch eine Revisionsentscheidung des BVerwG korrigiert wird.)


Zusammenfassung