Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Sanierung eines verseuchten Grundstücks, §§ 2, 4, 10 BBodSchG.Verantwortlichkeit im Polizei- und Ordnungsrecht; Handlungsstörer; unmittelbare Verursachung. Ermessensfehler (§ 114 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung über eine Anfechtungsklage


OVG Münster
Urteil vom 20. 9. 2017 (16 A 1920/09) NWVBl 2018, 164

Fall (Terra Top)

In einem Betrieb in Belgien, der wasserabweisende Beschichtungen herstellte, fielen Klärschlämme an, die PFT enthielten. PFT (perfluorierte Tenside) sind giftig, führen zu Leberschäden und sind möglicherweise krebserregend. Sie kommen in der Natur nicht vor und sind nur schwer abbaubar. Die in Deutschland ansässige Firma GW beschloss, „ganz groß in das Klärschlammgeschäft einzusteigen“ und zur Vermeidung einer außerordentlich teuren ordnungsgemäßen Entsorgung wie folgt vorzugehen. Ein Abfallhändler übernahm die Schlämme und ließ sich von der zuständigen Behörde genehmigen, Schlämme „aus Betrieben, die ausschließlich pflanzliche Lebensmittel verarbeiten“, nach Deutschland auszuführen. Dort wurden die Schlämme ins Bodenmischwerk M gebracht und mit anderem Material vermischt. Das Gemisch ging an GW und wurde von diesem unter der Bezeichnung „Terra Top“ als „Bioabfall“ und „Bodenverbesserer“ kostenlos an Landwirte geliefert, die es auf ihren Äckern ausbrachten. Zusätzlich zahlte GW ihnen für jede Tonne eine „Einarbeitungsprämie“. Der zuständigen Behörde B - Umweltamt der Kreisverwaltung - teilte GW mit, es handle sich um - lediglich anzeigepflichtigen - Bioabfall. Auch die Bezirksregierung hatte Kenntnis und ging davon aus, dass lediglich Bioabfall einer Verwertung zugeführt würde. Auf diese Weise wurden über Jahre hinweg zehntausende von Tonnen PFT-haltiges Material ausgebracht.

K hatte einen Betrieb, zu dem ein Grundstück gehörte, das er von E gepachtet hatte und auf dem er Weihnachtsbäume und Mais anbaute. Er nahm von GW größere Mengen des „Bodenverbesserers Terra Top“ ab, ließ ihn durch den Lohnunternehmer L einarbeiten und erhielt von GW die Prämien. Bei einer zufälligen Kontrolle stellte sich die umfangreiche PFT-Verseuchung heraus. Dabei ging von dem Pachtgrundstück des K eine besondere Gefahr aus, weil es stark belastet war und das von ihm abfließende Wasser direkt in einen Bach gelangte, der eine Trinkwassertalsperre speiste. Die B-Behörde bemühte sich - neben zahlreichen Maßnahmen vor allem zum Schutz des Trinkwassers - um die dauerhafte Sanierung der Böden. Sie nahm die Beteiligten am Anfang der Lieferkette in Anspruch. Jedoch sind GW und M inzwischen insolvent, und auch von den belgischen Firmen sind keine Sanierungsleistungen oder Zahlungen zu erwarten.

Am 6. 2. richtete B eine formell fehlerfreie Ordnungsverfügung an K, wonach dieser zur Sanierung des Betriebsgrundstücks gemäß einem beigefügten Gutachten verpflichtet wurde. Zur Begründung verwies B auf das Bundes-Bodenschutzgesetz und führte aus, dass K für die Kontamination verantwortlich sei, weil er den Auftrag zum Einarbeiten des giftigen Materials erteilt habe. Außerdem sei er als Besitzer der Fläche verantwortlich. Die Feststellung in dem Gutachten, dass die Sanierung 2,1 Millionen Euro koste und viele Jahre dauern werde, sei derzeit nicht relevant. Denn abgesehen davon, dass die Behebung des hier eingetretenen Umweltschadens nicht an den Kosten scheitern dürfe, werde eine finanzielle Überforderung des K im weiteren Verfahren berücksichtigt, zumindest in einem Vollstreckungsverfahren. K beabsichtigt, gegen die Verfügung vom 6. 2. vor dem Verwaltungsgericht zu klagen. Hat eine Klage Aussicht auf Erfolg? Nach Erlass der Ordnungsverfügung hat K den Pachtvertrag mit E gekündigt und die Bewirtschaftung der Fläche eingestellt. - Ein Widerspruchsverfahren vor der Klage ist aufgrund Landesgesetzes nicht mehr erforderlich.

Lösung

Hinweis: Informationen zur Zulässigkeitsprüfung bei der Anfechtungsklage, aber auch der Verpflichtungs- und Fortsetzungsfeststellungsklage und des auf Verwaltungsakte bezogenen vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 123 VwGO), finden sich bei Schaks/Friedrich JuS 2018, 860-867. In JuS 2018, 954-960 folgt die Begründetheitsprüfung.

Allerdings sind nicht alle dort vorgeschlagenen „Obersätze“ empfehlenswert. So ist der auf S. 861 vorgeschlagene - zweifellos beliebte - Einstiegssatz „Die Klage hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist“ zumindest bei Fortgeschrittenen ohne Erkenntnisgewinn und deshalb entbehrlich. Auf S. 954 wird vorgeschlagen, der Begründetheitsprüfung den Satz voranzustellen „Die Klage ist begründet, soweit der VA…rechtswidrig und der Kl. dadurch in seinen Rechten verletzt ist“. Da das aber in § 113 I 1 VwGO steht, widerspricht ein solcher Satz dem Grundsatz: „Das Gesetz nicht abschreiben oder wiedergeben, sondern anwenden.“ Für die Prüfung der formellen Rechtswidrigkeit eines VA wird auf S. 956 der Obersatz vorgeschlagen: „Der VA ist formell rechtswidrig, wenn er nicht von der zuständigen Behörde oder wenn er verfahrens- oder formwidrig erlassen wurde.“ Der Sinn eines solchen selbstgebastelten Obersatzes leuchtet nicht ein. Vielmehr ist der richtige Obersatz das Gesetz, deshalb sollte sogleich anhand konkreter Vorschriften geprüft werden, ob die Behörde zuständig war, ob die Anhörung des Betroffenen nötig war und erfolgt ist, andernfalls ob der evtl. Fehler geheilt wurde oder unerheblich ist usw.

A. Zulässigkeit einer Klage

I. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 I VwGO hat eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit zur Voraussetzung. Sie liegt vor, wenn die streitentscheidende Norm zum öffentlichen Recht gehört. Die von K angegriffene Maßnahme ist auf das Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) gestützt, das in seinen wesentlichen Vorschriften Befugnisse der Verwaltungsbehörden regelt und deshalb zum öffentlichen Recht gehört. Es handelt sich somit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, die keinem anderen Gericht zugewiesen ist.

II. Statthafte Klageart könnte eine Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO) sein. Dann müsste die Verfügung vom 6. 2. ein Verwaltungsakt sein (§ 35 VwVfG; dazu Schaks/Friedrich JuS 2018, 862/3). Sie ist die Maßnahme der B-Behörde auf der Grundlage des BBodSchG, eines öffentlich-rechtlichen Gesetzes, und enthält mit dem an K gerichteten Sanierungsgebot eine Regelung mit Außenwirkung in einem Einzelfall. Die Klage ist eine Anfechtungsklage.

III. Die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) steht K zu, weil er Adressat eines belastenden VA ist (Adressatentheorie) und deshalb möglicherweise in seinem Grundrecht auf die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) verletzt ist.

IV. Nach § 68 I VwGO bedarf es vor Erhebung der Anfechtungsklage der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens, sofern nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist; dabei kann „Gesetz“ auch ein Landesgesetz sein. Nach dem Sachverhalt gibt es ein derartiges Gesetz, wonach ein Widerspruchsverfahren nicht mehr erforderlich ist (wie nach § 110 I 1 JustizG NRW).

V. Die Monatsfrist des § 74 VwGO kann eingehalten werden. Die Klage ist gegen den Kreis zu richten, für den die B-Behörde gehandelt hat (§ 78 I Nr. 1 VwGO, Rechtsträgerprinzip). Die Anfechtungsklage ist zulässig.

B. Für die Begründetheit der Klage ist Voraussetzung, dass der angegriffene VA rechtswidrig ist (und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 I 1 VwGO). Da die Ordnungsverfügung vom 6. 2. formell rechtmäßig ergangen ist, ist die materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit zu prüfen. Ermächtigungsgrundlage kann § 10 I 1 BBodSchG sein. Danach kann die zuständige Behörde - das ist im vorliegenden Fall B - die Maßnahmen treffen, die zur Erfüllung der sich aus § 4 ergebenden Pflichten notwendig sind. Nach § 4 III BBodSchG ist der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung, der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück verpflichtet, den Boden so zu sanieren, dass dauerhaft keine Gefahren, erheblichen Nachteile oder erheblichen Belästigungen für den Einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen. Aus dieser Vorschrift kann sich eine Pflicht des K ergeben, deren Erfüllung B durch die Verfügung vom 6. 2. verlangt.

I. Erste Voraussetzung für § 4 III BBodSchG ist eine schädliche Bodenveränderung. Darunter fallen nach § 2 III BBodSchG Beeinträchtigungen der Bodenfunktionen, die geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit herbeizuführen.

1. Zu den Bodenfunktionen gehört nach § 2 II Nr. 1 a) BBodSchG, dass der Bod en Lebensgrundlage und Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen ist. Die PFT-Belastung der seinerzeit von K bewirtschafteten Fläche vermindert zumindest ihre Eigenschaft, darauf Pflanzen mit der Qualität anzubauen, die für die Verwendung durch Menschen erforderlich sind. Sie bedeutet daher eine Beeinträchtigung der Bodenfunktion.

2. Da PFT giftig (toxisch) ist, führt diese Beeinträchtigung zu einer Gefahr für Menschen, die die dort gewachsenen Produkte verwenden. Ein mit Giften infizierter Weihnachtsbaum ist ebenso eine Gefahr wie Fleisch von Tieren, die mit PFT-haltigem Mais gefüttert worden sind. Eine weitere Gefahr besteht in der Verseuchung des aus der Talsperre gewonnenen Trinkwassers (im Originalfall handelte es sich um die Möhnetalsperre, deren Wasser über die Ruhr einen Großteil des Ruhrgebiets mit Trinkwasser versorgt).

Somit ist eine schädliche Bodenveränderung gegeben.

(Ein ähnlicher, noch weit schwerwiegender Fall ist die im Jahre 2017 festgestellte PFC-Verseuchung einiger Regionen in Mittelbaden, die sich vermutlich auf 3.000 ha Grundwasserflächen erstreckt und durch ausgebrachten Kompost verursacht wurde, dem Schlämme aus Papierfabriken beigemischt wurden, dazu Köck NVwZ 2018, 1831; vgl. Fn. 14: möglicherweise ein Schaden in Milliardenhöhe.)

II. Die weiteren Voraussetzungen betreffen die Verantwortlichkeit für die schädliche Bodenveränderung. K könnte als Verursacher (§ 4 III BBodSchG) verantwortlich sein. Die Verursachung ist ein im Gefahrenabwehrrecht für die Bestimmung der Handlungsverantwortlichkeit (des Handlungsstörers) grundlegender Begriff (vgl. § 17 I BPolG; §§ 17 I OBG, 4 I PolG NRW; gleichbedeutend ist „Erzeuger von Abfällen“ in § 3 Abs. 8 KreislaufwirtschaftsG, dazu OVG Münster NWVBl 2012, 140, Löschwasser als Abfall, [37-43]). Dieser Begriff gilt auch für das Bodenschutzrecht, das Gefahren von den Böden abwehren will (Hansmann/Sellner/Scherer-Leydecker, Grundzüge des Umweltrechts, 4. Aufl. 2012, Teil 9 Rdnr. 64).

1. Mindestvoraussetzung für eine Verursachung ist ein Verhalten, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfällt (conditio sine qua non; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2013, Rdnr. 241). OVG [85] Eine Inanspruchnahme als Verursacher setzt zunächst den Nachweis voraus, dass der pflichtige Handlungsstörer überhaupt einen Verursachungsbeitrag gesetzt hat. Die Verantwortlichkeit im naturwissenschaftlich-kausalen Sinn muss feststehen. K hat GW größere Mengen des PFT enthaltenden Materials „Terra Top“ abgenommen und durch den Lohnunternehmer L einarbeiten lassen. Wird dieser Vorgang hinweggedacht, wäre die Fläche des K nicht belastet worden, die Belastung würde entfallen. Das Verhalten des K war somit kausal im naturwissenschaftlichen Sinne.

2. Die einfache Kausalität reicht aus, wenn keine weiteren Ursachen in Betracht kommen. Gibt es weitere relevante Kausalbeiträge, müssen, damit die Verantwortlichkeit nicht grenzenlos wird, Kausalbeiträge ausgeschieden werden. So kann der Produzent eines Gegenstandes (z. B. eines Autos), mit dessen Hilfe der Käufer eine dritte Person schädigt (einen Unfall verursacht), für diese Schädigung nicht ohne eine weitere Begründung verantwortlich gemacht werden.

a) Die h. M. folgt der Lehre von der unmittelbaren Verursachung (Schenke, POR, 8. Aufl. 2018, Rdnrn. 241 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, 9. Aufl. 2016, Rdnr. 242/3; nach Thiel, POR, 3. Aufl. 2016, § 8 Rdnr. 92 ist das „einhellig anerkannt“). OVG [83] P ersonen, die entferntere, nur mittelbare Ursachen für den eingetretenen Erfolg gesetzt haben, also nur den Anlass für die unmittelbare Verursachung durch andere gegeben haben, sind keine Verursacher. Diese Lehre ermöglicht also, den Produzenten im vorgenannten Beispiel von der Verantwortlichkeit zu befreien. Unmittelbarer Verursacher ist in der Regel derjenige, der den letzten Kausalbeitrag vor Eintritt der Gefahr geleistet hat, der also das „letzte Glied“ in der Kausalkette war (Thiel a. a. O. § 8 Rdnr. 91). Im vorliegenden Fall hat der Lohnunternehmer L das Material eingearbeitet und damit den letzten Kausalbeitrag vor der Schädigung des Bodens geleistet. Jedoch hat dieser ausschließlich im Auftrag des K gehandelt, war ein bloßer Gehilfe des K und kann für das Ergebnis seiner Tätigkeit nicht verantwortlich gemacht werden. Damit tritt der Kausalbeitrag des K an die Stelle des letzten Glieds. Jedoch kann es selbst für eine Verantwortlichkeit des K nicht ausreichen, dass er formal betrachtet eine letzte Ursache gesetzt hat. Vielmehr sind auch die vorangegangenen, von M und GW beigesteuerten Kausalbeiträge einzubeziehen. Sie sind, obwohl sie den Erfolg nur mittelbar verursacht haben, als Zweckveranlasser verantwortlich (zum Zweckveranlasser Schenke a. a. O. Rdnr. 244). Deren Verantwortlichkeit darf bei der Prüfung der Verantwortlichkeit des K nicht außer Betracht bleiben und ist möglicher Entlastungsgrund für K.

b) Um weitere Gesichtspunkte einbeziehen zu können, wird die die Handlungsverantwortlichkeit definierende Formel durch ein eine Wertung ermöglichendes materielles Element angereichert. Handlungsstörer ist, wer die Gefahr dadurch unmittelbar verursacht, dass er durch seinen Beitrag die Gefahrenschwelle überschreitet (OVG [83]; Schenke, POR, Rdnr. 242/3 m. w. N. Fn. 52; Hansmann/Sellner, Grundzüge des Umweltrechts, Teil 9 Rdnr. 64).

OVG [96, 97] Als Bewertungskriterien dafür, ob ein Verhalten die maßgebliche Gefahrenschwelle überschreitet, ist auf die Rechtswidrigkeit der Verursachungshandlung und auf die Zuordnung von Risikosphären abzustellen. Eine Handlung überschreitet dann die Gefahrengrenze, wenn sie nicht mehr denjenigen Anforderungen entspricht, deren Einhaltung die Rechtsordnung im Interesse eines störungsfreien Gemeinschaftslebens verlangt. Umgekehrt kann nicht derjenige Störer sein, der sich den Forderungen der Rechtsordnung entsprechend verhält und lediglich die von der Rechtsordnung vorgesehene Möglichkeit der Rechtsausübung in sozialüblicher Weise wahrnimmt. Dabei kommt es im Recht der Gefahrenabwehr auf ein Verschulden der handelnden Personen nicht an, vielmehr gilt es, Verantwortungsbereiche objektiv zuzurechnen. Es ist mithin darauf abzustellen, in wessen Risiko- und Pflichtensphäre die Verantwortung für einen gefährlichen Zustand fällt (OVG Münster, Urteil vom 20. Mai 2015, 16 A 1686/09; OVG Rh.-Pf. NVwZ-RR 2009, 280 Rn. 27; Denninger, in:Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Auflage 2001, Kapitel E, Rn. 69 ff., m. w. N.).

OVG [98, 99] Ausgehend davon ist die Verunreinigung des streitgegenständlichen Grundstücks mit PFT K nicht zuzurechnen. Die Annahme des Materials und der Auftrag zur Einarbeitung stellen für sich genommen noch kein riskantes Verhalten mit der Folge dar, dass schon darin bei wertender Betrachtung ein Überschreiten der Gefahrengrenze für das spätere Schadensereignis angenommen werden kann. Diesen Handlungen haftete noch kein Risikopotential an, weil Annahme und Einarbeitung ein als Bodenverbesserer gehandeltes Material betraf, das nach Angaben des Lieferanten unter das Regelungsregime der Bioabfallverordnung fiel. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Aufbringung von Bioabfällen auf landwirtschaftliche Flächen bzw. deren Veranlassung schon für sich betrachtet ein riskantes Verhalten darstellt, das von vornherein eine im Verhältnis zum Normalmaß erhöhte Gefahrentendenz aufweist… [104] Zudem enthielt der Verursachungsbeitrag von GW für die Kontamination ein solches Risikopotential, dass das Verhalten des K…dahinter vollständig zurücktritt.

K kannte die Beschaffenheit des Materials nicht und brauchte es auch nicht untersuchen zu lassen. Es war eine Ausfuhrgenehmigung erteilt worden, und die Verwendung war dem Umweltamt der Kreisverwaltung angezeigt worden. Aus seiner Sicht war sein Verhalten wirtschaftlich und als Verwertung von Bioabfall auch ökologisch sinnvoll. OVG [118] Es war bzw. ist in der landwirtschaftlichen Branche durchaus üblich, dass Klärschlämme und Bioabfälle kostenlos abgegeben werden und Einarbeitungsprämien an Landwirte gezahlt werden. Die für den Schaden wesentlichen Handlungen gingen von GW und M aus. GW hatte durch die Lieferung des verseuchten Materials dazu beigetragen, dass zumindest der objektive Tatbestand einer Bodenverunreinigung (§ 324 a StGB), eines unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen (§ 326 StGB) und einer Freisetzung von Giften (§ 330 a StGB) verwirklicht wurde. K und die anderen Landwirte waren die Betroffenen der kriminellen Handlungen, waren also Opfer und nicht Täter. Folglich ist die Wertung gerechtfertigt, dass K nicht der Verursacher i. S. des § 4 III BBodSchG ist.

III. Nach § 4 III BBodSchG trifft die Sanierungspflicht auch den Grundstückseigentümer - das war und ist K nicht - und den Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück.

1. Da K bei Erlass der Ordnungsverfügung noch Pächter war, inzwischen aber den Pachtvertrag gekündigt und die Bewirtschaftung der Fläche eingestellt hat, ist zu klären, welcher Zeitpunkt für die Entscheidung über die Klage maßgebend ist. Während bei der Verpflichtungs-, Leistungs- und Feststellungsklage der Zeitpunkt der Urteilsfällung maßgebend ist, ist das bei der Anfechtungsklage umstritten und lässt sich nicht einheitlich entscheiden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das VG die Entscheidung der Behörde zu kontrollieren hat und dass die Behörde nur die Rechts- und Sachlage im Zeitpunktpunkt ihrer Entscheidung zugrundelegen konnte. Folglich ist die Rechtmäßigkeit des VA zum Zeitpunkt seines Erlasses erforderlich und ausreichend ist (BVerwG NVwZ 2013, 278 [12]; OVG Münster NWVBl 2018, 197; Schröder JuS 2015, 238; Muckel JA 2014, 557). OVG [68] Nach st. Rspr. richtet sich der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen VA …nach dem jeweiligen materiellen Recht. Danach ergibt sich für die Anfechtungsklage im Allgemeinen, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist… Im Fall des OVG war ein Widerspruchsbescheid ergangen, so dass dessen Erlasszeitpunkt der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung war. Im vorliegenden Fall ist danach der 6. 2. maßgebend. An diesem Tag war K noch Pächter und Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück.

2. Das materielle Recht kann aber etwas anderes bestimmen (OVG [68]) und fordern, dass spätere Änderungen der Rechts- und Sachlage zu berücksichtigen sind und auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt wird. Eine solche Rechtslage gilt allgemein im Ausländerrecht (BVerwGE 138, 371 ; N VwZ 2014, 973; Brühl JuS 2016, 23, 29 m. w. N. Fn. 36). So ist es bei einer Klage gegen eine Abschiebung nicht sinnvoll, allein danach zu entscheiden, ob die Abschiebungsanordnung bei Erlass rechtmäßig war, wenn mittlerweile Umstände eingetreten sind, nach denen der Kläger nicht mehr abgeschoben werden darf. OVG [70] Jedoch enthält das Bundes-Bodenschutzgesetz keine Vorschriften, die dahin auszulegen wären, dass es für die rechtliche Beurteilung der auf sie gestützten Maßnahmen auf einen späteren Zeitpunkt als den der letzten Behördenentscheidung ankommen soll. (so auch OVG Weimar DVBl 2013, 1055).

3. Da belastende VAe mit Dauerwirkung während ihrer gesamten Geltungszeit rechtmäßig sein müssen , s ind Änderungen der Sach- oder Rechtslage während der Zeit zwischen Erlass des VA und Urteilsfällung zu berücksichtigen (BVerwGE 122, 301 ; OVG [72]); OVG Münster NWVBl 2018, 197; zum DauerVA Kopp/Schenke. VwGO, 23. Aufl. 2017, § 113 Rn. 43).

a) Begrifflich begründet die Sanierungsverfügung eine nur einmalige Pflicht und erzeugt nicht fortlaufend neue Verpflichtungen. OVG [74-77] Jedoch ist nicht zu verkennen, dass die Herbeiführung der vorgegebenen Sanierungszielwerte für das unbehandelte Sickerwasser rein tatsächlich einen jahrelangen Betrieb der Wasserbehandlungsanlage erfordert. Demzufolge weist die Sanierungsverpflichtung bis zu ihrem endgültigen Vollzug zumindest eine (begrenzte) Dauerwirkung auf. Dies rechtfertigt es, die streitige Ordnungsverfügung…einem Dauerverwaltungsakt gleichzusetzen. Daraus wiederum folgt, dass die erlassende Behörde während der „Laufzeit“ des VA verpflichtet bleibt, diesen „unter Kontrolle“ zu halten, und etwa neueren Erkenntnissen zur Schadens- bzw. Gefahrenbeurteilung…fortlaufend Rechnung zu tragen.

b) Wird somit die Verfügung vom 6. 2. einem DauerVA gleichgestellt, ist zumindest auch auf die Rechtslage zum Zeitpunkt einer künftigen Entscheidung im Anfechtungsprozess abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt steht fest, dass K nicht mehr Inhaber der tatsächlichen Gewalt über die früher von ihm bewirtschaftete Fläche ist. Folglich ist er nicht als gegenwärtiger Besitzer zur Sanierung verpflichtet.

4. Nach § 4 III 4 letzter Satzteil BBodSchG ist zur Sanierung auch verpflichtet, wer das Eigentum an einem belasteten Grundstück aufgibt, also ein früherer Eigentümer. Der frühere Besitzer wird nicht aufgeführt. Eine analoge Anwendung des § 4 II 4 auf den früheren Besitzer ist nicht möglich, weil der Gesetzgeber das Problem des früheren Eigentümers geregelt hat und ihm bekannt gewesen sein muss, dass es auch das Problem des früheren Besitzers gibt, so dass die Nichtregelung keine planwidrige Lücke ist (vgl. OVG [140-144]). Auch spricht gegen die Verantwortlichkeit des früheren Besitzers, dass dieser nach dem Besitzverlust keinen Zugriff mehr auf das Grundstück hat und dass als Verantwortlicher der Eigentümer noch zur Verfügung steht.

Ergebnis zu II und III: K ist nicht nach § 4 III BBodSchG zur Sanierung verpflichtet. Die Voraussetzungen des § 10 I 1 BBodSchG liegen nicht vor, die Verfügung vom 6. 2. ist rechtswidrig.

IV. Die Verfügung vom 6. 2. könnte aus weiteren Gründen selbst dann rechtswidrig sein, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 10, 4 BBodSchG bejaht würde. Derartige Gründe könnten solche der Verhältnismäßigkeit sein oder das Vorliegen von Ermessensfehlern.

1. Die Verfügung müsste dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen, wie sich auch aus § 10 I 3 BBodSchG ergibt. Allerdings greift der dort geregelte Spezialfall nicht ein, weil berechtigte Nutzungsinteressen des K nach der Kündigung des Pachtvertrages nicht mehr erkennbar sind. Von den allgemeinen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit werden die Anforderungen legitimes Ziel, geeignetes und notwendiges Mittel von dem Sanierungsgebot erfüllt (vgl. die Bejahung der Verhältnismäßigkeit im Urteil OVG Münster vom 20. 5. 2015, AZ 16 A 1686/09, das dieselbe Fläche, aber einen anderen Adressaten betraf). Schwieriger zu beurteilen ist die Angemessenheit, weil einerseits die Belastung des K mit 2,1 Mio. Euro extrem hoch ist, andererseits aber auch die Bodenschädigung unbedingt bekämpft werden muss, der Nutzen der Sanierung also auch ein hohes Gewicht hat. Die nachfolgenden Überlegungen ermöglichen es, die Entscheidung über die Angemessenheit offen zu lassen.

2. Die auf die Kann-Vorschrift des § 10 I 1 BBodSchG gestützte Verfügung steht im Ermessen, ist also auf Ermessensfehler hin zu kontrollieren (§ 114 VwGO).

a) Ermessenserwägungen mussten zunächst bezüglich der Frage angestellt werden, ob K in Anspruch genommen wird. Erforderlich sind Gründe, die die Inanspruchnahme des K über das Vorliegen der Voraussetzungen hinaus rechtfertigen. Aus dem Sachverhalt ergeben sich solche Gründe nicht. Möglich wäre die Überlegung, dass K die Nutzungen an dem Grundstück einschließlich der Einarbeitungsprämien in Anspruch genommen hat und deshalb auch für die vom Grundstück ausgehenden Schäden einzustehen hat. Dabei müssten aber auch die Besonderheiten dieses Falles gewürdigt werden. Dass die B-Behörde es für sachgemäß hält, K als Opfer krimineller Aktivitäten zur Beseitigung des erlittenen Schadens zu verpflichten, ist kaum denkbar. Die Opferstellung des K spricht in so hohem Maße gegen seine Inanspruchnahme, dass das Sanierungsgebot gegenüber K nicht ermessensfehlerfrei begründet werden kann. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Verfügung auch wegen eines Ermessensnichtgebrauchs oder eines Ermessensfehlgebrauchs rechtswidrig ist.

b) Ein für die Ermessensentscheidung wesentlicher Umstand sind die Sanierungskosten über 2,1 Mio. Euro. Sie sind extrem hoch, und es steht noch nicht einmal fest, ob sie nicht noch weiter steigen. In der Verfügung wird anerkannt, dass eine finanzielle Überforderung des K vermieden werden muss. Gleichwohl hat die B-Behörde diesen Umstand für derzeit nicht relevant erklärt und die Kostenfrage in ein späteres Verfahren verwiesen. Das ist nicht zulässig. Es ist für K unzumutbar, dass über Jahre hinweg offen bleibt, ob er einen für ihn möglicherweise existenzvernichtenden Betrag aufzubringen hat. Die Frage, ob K Kosten von mehr als zwei Millionen Euro zu zahlen hat, durfte nicht offen bleiben. OVG [159-161] Eine ggf. auszusprechende Begrenzung der mit der Sanierungspflicht einhergehenden Kostenlast sowie die zugrunde liegenden Ermessenserwägungen müssen schon in der Sanierungsanordnung erfolgen. Sind der Verwaltung die dafür in den Blick zu nehmenden Aspekte im Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht oder nicht vollständig bekannt, ist die Verfügung mit dem Vorbehalt einer gesonderten Entscheidung über die Kostentragung zu verbinden. An einem solchen Vorbehalt fehlt es vorliegend.

Insoweit leidet die Begründung der Verfügung an einem Ermessensdefizit, einem Ermessensfehler, der zur Rechtswidrigkeit der Verfügung führt.

Folglich ist die Verfügung wegen fehlender Verantwortlichkeit des K und wegen Ermessensfehlers rechtswidrig. Dadurch wird K in seinem Recht auf Handlungsfreiheit in finanzieller Hinsicht verletzt (Art. 2 I GG). Die Anfechtungsklage ist begründet und führt zur Aufhebung der Verfügung vom 6. 2.

Hinweis: Welche Bedeutung Bodenkontaminationen (Altlasten) und das Bodenschutzrecht im Zusammenhang mit dem Privatrecht haben, z. B. bei Grundstückveräußerungen, behandelt Hahn MDR 2018, 1221.


Zusammenfassung