Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Verfassungsmäßigkeit der automatischen Erfassung von Kfz.-Kennzeichen. ► Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG. ► Bestimmtheitsgebot bei Rechtsnormen. ► Verhältnismäßigkeit; Schutz der Bürger vor zu weitgehender Überwachung durch den Staat
BVerfG Urteil vom 11. 3. 2008 (1 BvR 2074/05) www.bundesverfassungsgericht.de
Fall (Nummernschilder-Scanning)
In das Gesetz des Landes H über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) wurde folgende Vorschrift eingefügt:
„§ 14. Datenerhebung und sonstige Datenverarbeitung an öffentlichen Orten und besonders gefährdeten öffentlichen Einrichtungen
(1) - (4) ...
(5) Die Polizeibehörden können auf öffentlichen Straßen und Plätzen Daten von Kraftfahrzeugkennzeichen zum Zwecke des Abgleichs mit dem Fahndungsbestand automatisiert erheben. Daten, die im Fahndungsbestand nicht enthalten sind, sind unverzüglich zu löschen.“
Zur praktischen Handhabung dieser Befugnis BVerfG Rdnr. 2: Bei der automatisierten Kennzeichenerfassung werden die Fahrzeuge nach der derzeit eingesetzten Technik zunächst von einer Videokamera optisch erfasst. Mit Hilfe von Software wird aus dem Bild die Buchstaben- und Zeichenfolge des Kennzeichens ausgelesen. Das so ermittelte Kennzeichen wird automatisch mit polizeilichen Fahndungsdateien abgeglichen. Ist das Kennzeichen in diesen Dateien enthalten, wird eine Treffermeldung ausgegeben. Es werden dann das Kennzeichen sowie weitere Informationen festgehalten, etwa Ort und Zeit der Treffermeldung, und es können sich polizeiliche Maßnahmen anschließen, wie das Anhalten des Fahrzeugs. Ist das Kennzeichen nicht im Fahndungsbestand enthalten, werden das Bild und das erfasste Kennzeichen umgehend gelöscht.
Bf. befährt regelmäßig die Bundesstraßen und Autobahnen im Lande H mit seinem Auto. Er sieht in der automatischen Überwachung seines Fahrverhaltens einen Eingriff in seine Grundrechte. Er kann nicht ausschließen, dass er schon einmal zu schnell gefahren ist und deshalb in einer polizeilichen Datei geführt wird; nähere Angaben hierzu möchte er nicht machen. Er hat fristgemäß Verfassungsbeschwerde (VfB) gegen das Gesetz erhoben. Wie ist über die VfB zu entscheiden ? (Eine ähnliche Vorschrift enthielt auch das Landesrecht von Schleswig-Holstein. Sie wurde ebenfalls mit der VfB angegriffen. Dieser Teil der Entscheidung wird hier außer Betracht gelassen, auch in den Originalzitaten.)
A. Zulässigkeit der VfB (§§ 90 ff. BVerfGG)
I. Der Hoheitsakt, gegen den sich die VfB richtet, ist § 14 V HSOG.
II. Bf. kann geltend machen, in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG) verletzt zu sein.
III. Eine Rechtswegerschöpfung ist nicht erforderlich, weil es gegenüber einem formellen Gesetz keinen fachgerichtlichen Rechtsweg gibt (vgl. § 93 III BVerfGG). Jedoch setzt eine unmittelbar gegen ein Gesetz gerichtete VfB voraus, dass der Bf. durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen ist.
1. Zur Voraussetzung der eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit BVerfG Rdnr. 59: Der Beschwerdeführer ist auch selbst und gegenwärtig betroffen. Erfolgt die konkrete Beeinträchtigung - wie hier - zwar erst durch die Vollziehung des angegriffenen Gesetzes, erlangt der Betroffene jedoch in der Regel keine Kenntnis von den Vollzugsakten, reicht es für die Möglichkeit der eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit aus, wenn der Beschwerdeführer darlegt, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die auf den angegriffenen Rechtsnormen beruhenden Maßnahmen in seinen Grundrechten berührt wird (vgl. BVerfGE 67, 157 [169 f.]; 100, 313 [354]; 109, 279 [307 f.]; 113, 348 [363]). Der geforderte Grad der Wahrscheinlichkeit wird davon beeinflusst, welche Möglichkeit der Beschwerdeführer hat, seine Betroffenheit darzulegen. So ist bedeutsam, ob die Maßnahme auf einen tatbestandlich eng umgrenzten Personenkreis zielt oder ob sie eine große Streubreite hat und Dritte auch zufällig erfassen kann. Darlegungen, durch die sich der Beschwerdeführer selbst einer Straftat bezichtigen müsste, dürfen zum Beleg der eigenen gegenwärtigen Betroffenheit nicht verlangt werden (vgl. BVerfGE 109, 279 [308]; 113, 348 [363]).
Betroffener einer Überwachung ist jeder, in dessen Persönlichkeitsrechte durch die Maßnahme eingegriffen wird (vgl. BVerfGE 109, 279 [308]; 113, 348 [363]). Der Beschwerdeführer trägt vor, Halter eines Personenkraftwagens zu sein und mit ihm regelmäßig auf Straßen in dem Bundesland unterwegs zu sein. Dies reicht für die Annahme einer eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit aus. Die Möglichkeit, einer Kennzeichenerfassung unterzogen zu werden, besteht praktisch für jeden Kraftfahrzeughalter, dessen Fahrzeug auf den Straßen des betroffenen Bundeslandes unterwegs ist. Ein weitergehender Nachweis, etwa dahingehend, dass die Kennzeichen des Beschwerdeführers darüber hinaus in polizeilichen Datenbeständen verzeichnet sind, ist bereits deshalb nicht zu verlangen, weil sich der Beschwerdeführer dadurch unter Umständen selbst einer Straftat bezichtigen müsste (vgl. BVerfGE 109, 279 [308]; 113, 348 [363]).
2. Unmittelbare Betroffenheit ist gegeben, wenn die angegriffenen Bestimmungen den Bf. ohne weiteren Vollzugsakt belasten. Ergeht noch ein Vollzugsakt, soll dieser abgewartet und gegen ihn erst der zulässige Rechtsweg beschritten werden. Im vorliegenden Fall bedarf § 14 V HSOG noch eines Vollzugs durch die Polizei, was normalerweise der unmittelbaren Betroffenheit entgegen steht. In solchem Fall lässt das BVerfG aber eine Ausnahme zu, Rdnr. 57, 58: Eine Verfassungsbeschwerde kann sich ausnahmsweise unmittelbar gegen ein vollziehungsbedürftiges Gesetz richten, wenn der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht beschreiten kann, weil er keine Kenntnis von der Maßnahme erlangt (vgl. BVerfGE 30, 1 [16 f.];…113, 348 [362 f.]). Gleiches gilt, soweit eine nachträgliche Bekanntgabe zwar vorgesehen ist, von ihr aber aufgrund weitreichender Ausnahmetatbestände auch langfristig abgesehen werden kann. Unter diesen Umständen ist effektiver fachgerichtlicher Rechtsschutz ebenfalls nicht gewährleistet (vgl. BVerfGE 109, 279 [307]; 113, 348 [362 f.]).
Die Informationserhebungen gemäß § 14 Abs. 5 HSOG können heimlich erfolgen… Zwar ist unter gewissen Voraussetzungen eine nachträgliche Benachrichtigung vorgesehen. Jedoch ist eine zeitnahe Kenntnis von der Maßnahme und eine daran anknüpfende Möglichkeit zur Überprüfung im gerichtlichen Verfahren nicht gewährleistet, weil diese Regelung umfangreiche Ausnahmetatbestände enthält. Nach dieser Vorschrift unterbleibt die Benachrichtigung, soweit dies im überwiegenden Interesse der Person liegt, gegen die sich die Maßnahme gerichtet hat, oder wenn die Ermittlung der betroffenen Person oder deren Anschrift einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand erfordern würde (§ 29 Abs. 6 Satz 3 HSOG)… Insbesondere durch § 29 Abs. 6 Satz 3 HSOG (unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand) kann die Mitteilung an die Betroffenen dauerhaft ausgeschlossen sein.
In solchem Fall ist von einer unmittelbaren Betroffenheit des Bf. auszugehen.
IV. Da Bf. die VfB auch innerhalb der Jahresfrist des § 93 III BVerfGG erhoben hat, ist die VfB zulässig.
B. Begründetheit der VfB
Die VfB ist begründet, wenn Bf. in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt ist. Dieses Recht wurde als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG) entwickelt. Grundsätzlich zu diesem Recht BVerfG Rdnr. 63, 64:
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rechnung, die sich für den Einzelnen, insbesondere unter den Bedingungen moderner Datenverarbeitung, aus informationsbezogenen Maßnahmen ergeben (vgl. BVerfGE 65, 1 [42]; 113, 29 [46]; 115, 166 [188]; 115, 320 [341 f.]; BVerfG NJW 2007, 2464 [2465 f.]). Dieses Recht flankiert und erweitert den grundrechtlichen Schutz von Verhaltensfreiheit und Privatheit; es lässt ihn schon auf der Stufe der Persönlichkeitsgefährdung beginnen.
Eine derartige Gefährdungslage kann bereits im Vorfeld konkreter Bedrohungen von Rechtsgütern entstehen. Mittels elektronischer Datenverarbeitung sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer Person unbegrenzt speicherbar und jederzeit und ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar. Sie können darüber hinaus mit anderen Datensammlungen zusammengefügt werden, wodurch vielfältige Nutzungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten entstehen (vgl. BVerfGE 65, 1 [42]; 115, 320 [342])… Eine weitere Besonderheit des Eingriffspotentials von Maßnahmen der elektronischen Datenverarbeitung liegt in der Menge der verarbeitbaren Daten, die auf konventionellem Wege gar nicht bewältigt werden könnte. Der mit solchen technischen Möglichkeiten einhergehenden gesteigerten Gefährdungslage entspricht der hierauf bezogene Grundrechtsschutz (vgl. BVerfGE 65, 1 [42]; 113, 29 [45 f.]; 115, 320 [342]).
I. Eine Verletzung setzt zunächst einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Rechts voraus.
1. Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung sind personenbezogene Daten, also Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer Person.
a) BVerfG Rdnr. 71, 72: Mit der Kennzeichenerfassung soll mindestens die Information erhoben werden, dass das Fahrzeug mit dem erfassten Kennzeichen im Zeitpunkt der Erfassung den Standort des Aufnahmegeräts passiert hat… Die Information, dass sich ein Fahrzeug mit einem bestimmten Kennzeichen zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort befunden hat, hat einen Bezug zu der Person desjenigen Kraftfahrzeughalters, auf den das Fahrzeug zugelassen oder an den es veräußert wurde. Die Information, dass ein Fahrzeug mit einem bestimmten Kennzeichen den Erfassungsstandort passiert hat, enthält ferner, etwa wenn das Fahrzeug in der Folge angehalten wird und die Insassen kontrolliert werden, einen Bezug zu derjenigen Person, die das Fahrzeug im Erfassungszeitpunkt gefahren hat sowie gegebenenfalls zu den weiteren Fahrzeuginsassen.
b) Rdnr. 66, 67: Der Schutzumfang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt sich nicht auf Informationen, die bereits ihrer Art nach sensibel sind und schon deshalb grundrechtlich geschützt werden. Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommen nur geringen Informationsgehalt haben, kann, je nach seinem Ziel und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen haben. Insofern gibt es unter den Bedingungen der elektronischen Datenverarbeitung kein schlechthin, also ungeachtet des Verwendungskontextes, belangloses personenbezogenes Datum mehr (vgl. BVerfGE 65, 1 [45]; BVerfG NJW 2007, 2464 [2466]).
c) Auch entfällt der grundrechtliche Schutz nicht schon deshalb, weil die betroffene Information öffentlich zugänglich ist - wie es für Kraftfahrzeugkennzeichen, die der Identifizierung dienen, sogar vorgeschrieben ist (§ 23 Abs. 1 Satz 3 StVO). Auch wenn der Einzelne sich in die Öffentlichkeit begibt, schützt das Recht der informationellen Selbstbestimmung dessen Interesse, dass die damit verbundenen personenbezogenen Informationen nicht im Zuge automatisierter Informationserhebung zur Speicherung mit der Möglichkeit der Weiterverwertung erfasst werden.
2. Ein Eingriff liegt vor, wenn der Staat personenbezogene Daten erhebt, speichert, verarbeitet oder weiterleitet.
a) Im vorliegenden Fall werden die personenbezogenen Daten erfasst und in bestimmten Fällen gespeichert und verwendet.
b) BVerfG Rdnr. 68: Allerdings begründen Datenerfassungen keinen Gefährdungstatbestand, soweit Daten unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder spurenlos, anonym und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, ausgesondert werden (vgl. auch BVerfGE 100, 313 [366]; 107, 299 [328]; 115, 320 [343]). Zu einem Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kommt es daher in den Fällen der elektronischen Kennzeichenerfassung dann nicht, wenn der Abgleich mit dem Fahndungsbestand unverzüglich vorgenommen wird und negativ ausfällt (sogenannter Nichttrefferfall) sowie zusätzlich rechtlich und technisch gesichert ist, dass die Daten anonym bleiben und sofort spurenlos und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, gelöscht werden.
c) Rdnr. 69 - 74: Demgegenüber kommt es zu einem Eingriff in das Grundrecht, wenn ein erfasstes Kennzeichen im Speicher festgehalten wird und gegebenenfalls Grundlage weiterer Maßnahmen werden kann. Darauf vor allem ist die Maßnahme gerichtet, wenn das Kraftfahrzeugkennzeichen im Fahndungsbestand aufgefunden wird (sogenannter Trefferfall). Ab diesem Zeitpunkt steht das erfasste Kennzeichen zur Auswertung durch staatliche Stellen zur Verfügung und es beginnt die spezifische Persönlichkeitsgefährdung für Verhaltensfreiheit und Privatheit, die den Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung auslöst.
d) Im Hinblick auf die betroffenen Personen greift bereits die zur Speicherung und Auswertung vorgenommene Kennzeichenerfassung in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, weil durch sie Daten personenbezogen für die Behörden verfügbar gemacht werden, die eine Basis für mögliche weitere Maßnahmen bilden können. Der mit der automatisierten Kennzeichenerfassung verbundene Eingriff erhält sein besonderes Gepräge dadurch, dass die Maßnahme nicht nur eine technische Erleichterung bei der Überprüfung im Einzelfall bietet, sondern die Möglichkeit der seriellen Erfassung einer Vielzahl von Kennzeichen in kürzester Zeit schafft.
Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird erweitert, wenn zusätzliche Informationen gespeichert werden, etwa Daten über den Standort oder die Fahrtrichtung des Kraftfahrzeugs. Der Eingriff wird vertieft, wenn die Kennzeichenerfassung zur Gewinnung weiterer Informationen genutzt wird, etwa für Bewegungsbilder einer Person.
e) Folglich liegt bei einem sog. Trefferfall ein Eingriff in das Grundrecht vor. Da im Falle des Bf. nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei ihm ein Trefferfall stattfindet, wird in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen.
II. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.
1. Art. 2 I steht unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, die - weit - als verfassungsmäßige Rechtsordnung verstanden wird, was einem Gesetzesvorbehalt gleichkommt. BVerfG Rdnr. 75: Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne muss jedoch nur solche Beschränkungen seines Rechts hinnehmen, die auf einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage beruhen.
2. Dementsprechend prüft das BVerfG die formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit des § 14 V HSOG. In dieser Prüfung liegt der Schwerpunkt bei einer gegen ein Gesetz gerichteten VfB.
a) Die Gesetzgebungskompetenz liegt nach Art. 70 I GG grundsätzlich bei den Ländern. § 14 V HSOG ist als Vorschrift des allgemeinen Polizeirechts konzipiert, für das der Bund keine Gesetzgebungszuständigkeit hat. Somit hatte das Land die Gesetzgebungskompetenz.
b) § 14 V könnte gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen.
aa) BVerfG Rdnr. 94: Das Bestimmtheitsgebot soll sicherstellen, dass der demokratisch legitimierte Parlamentsgesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über Grundrechtseingriffe und deren Reichweite selbst trifft, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und dass die Gerichte eine wirksame Rechtskontrolle durchführen können. Ferner erlauben die Bestimmtheit und Klarheit der Norm, dass der betroffene Bürger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen kann (vgl. BVerfGE 110, 33 [52 ff.]; 113, 348 [375 ff.]). Der Gesetzgeber hat Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise und normenklar festzulegen (vgl. BVerfGE 100, 313 [359 f., 372]; 110, 33 [53]; 113, 348 [375]; BVerfG NJW 2007, 2464 [2466]).
Rdnr. 96: Ermächtigt eine gesetzliche Regelung zu einem Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, so hat das Gebot der Bestimmtheit und Klarheit auch die spezifische Funktion, eine Umgrenzung des Anlasses der Maßnahme und auch des möglichen Verwendungszwecks der betroffenen Informationen sicherzustellen (vgl. BVerfGE 65, 1 [46]; 110, 33 [70]; 113, 29 [51]; 115, 320 [365]). Dadurch wird das verfassungsrechtliche Gebot der Zweckbindung der erhobenen Information verstärkt, das sonst ins Leere laufen könnte (vgl. BVerfG, NJW 2007, S. 2464 [2466 f.]).
bb) § 14 V HSOG bezeichnet die Voraussetzungen für die Kennzeichenerfassung durch die Worte „auf öffentlichen Straßen und Plätzen Daten von Kraftfahrzeugkennzeichen zum Zwecke des Abgleichs mit dem Fahndungsbestand erheben“. Dazu BVerfG Rdnr. 98 99: In den angegriffenen Bestimmungen fehlt es an näheren Voraussetzungen für die Maßnahme, insbesondere an einer hinreichenden bereichsspezifischen und normenklaren Bestimmung des Anlasses und des Verwendungszwecks der automatisierten Erhebung. Die angegriffenen Vorschriften erlauben die Kennzeichenerfassung "zum Zwecke" des Abgleichs mit dem Fahndungsbestand (§ 14 Abs. 5 Satz 1 HSOG). Damit wird jedoch weder der Anlass noch…der Ermittlungszweck benannt, dem sowohl die Erhebung als auch der Abgleich letztlich dienen sollen. Erwähnt wird lediglich das Mittel, mit dem ein Ermittlungszweck nach der Erhebung weiter verfolgt werden soll. Welcher Zweck das sein soll, bleibt jedoch offen… Ob die Bezugnahme auf den Fahndungsbestand hinreichend einengende Hinweise auf Anlass und Zweck der Maßnahme gibt, hängt von der Art der im Fahndungsbestand vorhandenen Daten und den Anforderungen an ihre Aufnahme ab. Wäre gesichert, dass die Aufnahme in den Fahndungsbestand nur aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Anlasses erfolgt, der zugleich automatisierte Informationserhebungen und -verwertungen rechtfertigen könnte, dies eine hinreichende Zweckbindung bewirken. Ist dies jedoch nicht gesichert, lassen sich auch Anlass und Verwendungszweck der Erfassung nicht hinreichend aus der gesetzlichen Bezugnahme auf den Fahndungsbestand erschließen. Die Anforderungen, die bei Grundrechtseingriffen an die Bestimmtheit von Anlass und Grenzen zu stellen sind, werden dabei nicht gewahrt.
cc) Unter Rdnr. 100 - 135 versucht das BVerfG, den Fahndungsbestand näher aufzuklären, und verwendet dabei die Begriffe Fahndungsdateien, Fahndungshilfsmittel (u. a. Schengener Informationssystem SIS, INPOL), Fahndungsnotierung, ohne dass dabei aber eine Präzisierung gelingt. Vielmehr erweist sich die Verweisung auf den „Fahndungsbestand“ als zu unbestimmt.
dd) Das BVerfG beanstandet weitere Unbestimmtheiten. Rdnr. 105: Nicht geklärt ist weiter, ob und inwieweit der Einsatz der automatisierten Kennzeichenerfassung zur Erstellung von Bewegungsbildern im Rahmen einer polizeilichen Beobachtung oder längerfristigen Observation dienen soll und darf.
Rdnr. 131: Die Begriffe des Fahndungsbestands und der Fahndungsnotierung haben den Charakter einer dynamischen Verweisung, durch die insbesondere nicht ausgeschlossen wird, dass sich der Umfang der einbezogenen Datenbestände laufend und in gegenwärtig nicht vorhersehbarer Weise verändert.
Rdnr. 136: Die gesetzlichen Ermächtigungen sind so unbestimmt gefasst, dass sie es nicht ausschließen, auch Ausschreibungen zur polizeilichen Beobachtung als Bestandteil des Fahndungsbestands anzusehen mit der Folge, dass mit Hilfe der automatisierten Kennzeichenerfassung auch die polizeiliche Beobachtung durchgeführt werden kann. Damit ändert sich die Qualität der Kennzeichenerfassung, die nunmehr über die Erlangung von Informationen über die Person des Halters oder Fahrers hinausgeht.
ee) Auch eine verfassungskonforme einengende Auslegung ist nicht möglich. BVerfG Rdnr. 15: Soll eine verfassungskonforme Einengung eines an sich verfassungswidrig weit gefassten Verwendungszwecks möglich sein, muss eine methodengerechte Auslegung zumindest Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der enger gefasste Zweck der maßgebliche sein sollte. Fehlt es daran, kann es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, die vom Gesetzgeber weit gefasste Eingriffsnorm auf das verfassungsgemäße Maß zurückzuschneiden.
Somit ist § 14 V HSOG aus mehreren Gründen zu unbestimmt und deshalb verfassungswidrig.
c) § 14 V HSOG könnte gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
BVerfG Rdnr. 163: Dieses verlangt, dass der Staat mit dem Grundrechtseingriff einen legitimen Zweck mit geeigneten, erforderlichen und angemessenen Mitteln verfolgt (vgl. BVerfGE 109, 279 [335 ff.]). Bestimmtheitsmängel können die Beachtung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots beeinträchtigen, da sie die Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme erschweren und das Risiko einer Unangemessenheit des Eingriffs erhöhen (vgl. BVerfGE 110, 33 [55]). Ist die Ermächtigung unklar, weil sie eine Auslegung, nach welcher auch eingriffsintensive Zwecksetzungen zugelassen sind, nicht hinreichend deutlich ausschließt, ist auch für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit das dadurch ermöglichte weite Verständnis ihrer Zwecksetzung und Reichweite zugrunde zu legen.
aa) Rdnr. 164: Wie ausgeführt, kann der Eingriff, zu dem die angegriffene Bestimmung des § 14 Abs. 5 HSOG ermächtigt, zwar zu höchst unterschiedlichen, aber jeweils legitimen Zwecken des Schutzes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eingesetzt werden. Auch die Einsatzzwecke im Bereich der Strafverfolgung wären, wenn sie von der Regelung gedeckt sein sollten, legitim. Diese Schutzgüter besitzen grundsätzlich ein hohes verfassungsrechtliches Gewicht.
bb) Rdnr. 165: Das Mittel der Kennzeichenerfassung ist zur Verfolgung präventiver und gegebenenfalls repressiver Zwecke jedenfalls insoweit geeignet, als die Erfassung des Kennzeichens die Durchführung weiterer auf die Zweckverfolgung bezogener Maßnahmen ermöglicht oder erleichtert.
cc) Rdnr. 166: Ob es jeweils mildere Mittel gibt, die Zweifel an der Erforderlichkeit begründen können, lässt sich mangels Konkretisierung der Zwecke nicht umfassend klären. Da die automatisierte Kennzeichenerfassung aufgrund der möglichen Zahl der Erfassungsvorgänge eine neuartige Reichweite der Beobachtung ermöglicht, ist anzunehmen, dass für eine Reihe polizeilicher Maßnahmen mildere Mittel nicht ersichtlich sind.
dd) Die Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit i. e. S. sieht das BVerfG aber nicht mehr als gewahrt an. Rdnr. 167 - 178:
Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verlangt, dass die Schwere der gesetzgeberischen Grundrechtsbeschränkung bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe steht (st. Rspr.; vgl. BVerfGE 109, 279 [349 ff.]). Die Schwere der hier ermöglichten Grundrechtseingriffe hat das BVerfG vorab unter Rdnr. 77 - 92 dargestellt. Es folgen die Überlegungen, die das Ergebnis der Entscheidung tragen:
Die angegriffene Vorschrift hat den Verwendungszweck so weit gefasst, dass sie erhebliche Grundrechtseingriffe bis hin zur Nutzung der Kennzeichenerfassung für Zwecke der Observation ebenso wenig ausschließen wie den routinehaften und flächendeckenden Einsatz der Erfassungsgeräte. Der Gesetzgeber hat es unterlassen, tatbestandliche Eingrenzungen vorzusehen und, soweit Maßnahmen der automatisierten Kennzeichenerfassung grundsätzlich unbedenklich sind, auf sie abgestimmte materielle Anforderungen zu normieren und gegebenenfalls ergänzende verfahrensrechtliche Sicherungen vorzusehen. Dies führt zur Unverhältnismäßigkeit der Bestimmung, weil durch sie unangemessene Grundrechtseingriffe ermöglicht werden.
Mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist es insbesondere nicht vereinbar, dass die angegriffene Vorschrift aufgrund ihrer unbestimmten Weite anlasslos erfolgende oder flächendeckend durchgeführte Maßnahmen der automatisierten Erfassung und Auswertung von Kraftfahrzeugkennzeichnen ermöglichen.
Eine automatisierte Kennzeichenerfassung, die unterschiedslos jeden nur deshalb trifft, weil er mit einem Fahrzeug eine ohne besonderen Anlass oder gar dauerhaft eingerichtete Stelle zur automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen passiert, vermittelt im Übrigen den Eindruck ständiger Kontrolle. Das sich einstellende Gefühl des Überwachtwerdens kann zu Einschüchterungseffekten und in der Folge zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten führen. Hierdurch sind nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen betroffen, sondern auch das Gemeinwohl, weil die Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist (vgl. BVerfGE 65, 1 [43]; auch BVerfGE 100, 313 [381]).
Der Gesetzgeber hat die Zulässigkeit der Kennzeichenerfassung weder auf die Abwehr einer konkreten Gefahr noch auf Örtlichkeiten mit gesteigertem Risiko beschränkt. Dadurch hat er Eingriffe ermöglicht, bei denen die Grundrechtsbeschränkungen nicht durch Gründe mit hinreichendem Gewicht gerechtfertigt werden.
Auch ist gesetzlich nicht ausgeschlossen worden, dass die automatisierte Kennzeichenerfassung erfolgt, obwohl der ursprüngliche Anlass für die Aufnahme in den Fahndungsbestand entfallen ist. Ferner ist die Zweckbindung bei der Datenverwertung nicht hinreichend gesichert.
Weil in den gesetzlichen Regelungen eine Bindung der Kennzeichenerfassung und -verwendung an einen bestimmten Zweck oder auch nur den Zweck, für den das Kennzeichen in den Fahndungsbestand aufgenommen worden ist, fehlt, ist insbesondere nicht ausgeschlossen, dass gespeicherte Treffermeldungen bestehen bleiben und weiterverwendet werden, wenn der ursprüngliche Anlass für die Fahndungsausschreibung oder die Kennzeichenerfassung zwischenzeitlich entfallen ist… Eine Regelung, die auf diese Weise den Grundsatz der Zweckbindung verfehlt oder gar zu "vagabundierenden" Informationen führen kann, entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nicht.
3. Somit ist § 14 V HSOG zu unbestimmt und unverhältnismäßig. Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt. Das Recht des Bf. auf informationelle Selbstbestimmung ist verletzt. Die VfB ist begründet. Das BVerfG hat § 14 V HSOG für nichtig erklärt (im Tenor und unter Rdnr. 180).
Zusammenfassung