Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

Gemeindliches Einvernehmen bei Bauvorhaben außerhalb eines Bebauungsplans, § 36 BauGB. Anwendbarkeit des § 36 BauGB bei Identität von Baubehörde und Gemeinde

BVerwG Urteil vom 19. 8. 2004 (4 C 16/03) NVwZ 2005, 83 = DVBl 2005, 192

Fall (Außenaufzug an der Klostermauer)

In der kreisfreien Stadt S liegt innerhalb eines bebauten Gebiets, für das es aber keinen Bebauungsplan gibt, eine frühere Klosteranlage. Eigentümer E plant zur Verbesserung der Nutzbarkeit den Anbau eines Außenaufzugs und hat beim Bauamt der Stadt eine entsprechende Baugenehmigung beantragt. Bei der Frage, ob die beantragte technische Gestaltung in das dortige, durch das Kloster geprägte Gebiet passt, haben sich innerhalb der Stadt unterschiedliche Meinungen gebildet. Nachdem der Bauausschuss des Rates dem Vorhaben in der beantragten Form zugestimmt hat und auch das Bauamt zur Erteilung der Baugenehmigung bereit war, hat der Planungsausschuss eine transparentere Ausgestaltung der Aufzugsanlage gefordert und dem Vorhaben seine Zustimmung verweigert. Daraufhin lehnte das Bauamt den Bauantrag unter Hinweis auf die „verbindliche Planungsentscheidung des Planungsausschusses“ ab. E legte Widerspruch ein. Die Widerspruchsbehörde überzeugte sich davon, dass materielles Baurecht dem Vorhaben nicht entgegensteht, insbesondere der geplante Aufzug sich in die vorhandene Bebauung einfügt, und wies durch Widerspruchsbescheid vom 2. 5. die Stadt S an, E die beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Dagegen hat S in zulässiger Weise Anfechtungsklage erhoben. Ist die Klage begründet ?

Der Antrag ist nach § 113 I 1 VwGO begründet, wenn der Widerspruchsbescheid als VA (vgl. § 79 I Nr. 1 VwGO) rechtswidrig ist und die Stadt S in ihrem aus der Selbstverwaltungsgarantie fließenden Planungsrecht (Selmer JuS 2005, 280) verletzt. Das ist wiederum der Fall, wenn die Stadt die Baugenehmigung, zu deren Erteilung sie angewiesen wird, nach dem geltenden Baurecht nicht zu erteilen braucht. Ein Recht der S, die Erteilung der Baugenehmigung zu verweigern, könnte sich aus § 36 I BauGB ergeben.

I. Nach § 36 I BauGB, der der Planungshoheit der Gemeinde Rechnung trägt, dürfen Baugenehmigungen, denen eine planerische Entscheidung der Gemeinde durch Erlass eines Bebauungsplans nicht vorangegangen ist oder bei denen von der Planung abgewichen wird, nur im Einvernehmen mit der Gemeinde erteilt werden. Das gilt insbesondere bei Baugenehmigungen im nichtbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) und im Außenbereich (§ 35 BauGB). Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Baugenehmigung im § 34er-Bereich.

§ 36 BauGB ist zumindest primär für die Fälle gedacht, in denen Baugenehmigungsbehörde und Gemeinde auseinanderfallen, was regelmäßig auf den Verwaltungsaufbau außerhalb der kreisfreien Städte zutrifft, wo die Zuständigkeit für die Erteilung von Baugenehmigungen der Kreisverwaltung und nicht den kreisangehörigen Gemeinden zugewiesen ist. § 36 II BauGB stellt allerdings klar, dass in solchem Fall die Gemeinde ihr Einvernehmen nicht nach Ermessen verweigern darf, sondern dass sie auch bei der Entscheidung über die Erteilung des Einvernehmens an die bauplanungsrechtlichen Vorschriften, insbesondere die §§ 34, 35 BauGB, gebunden ist. Nach § 36 II 1 BauGB gilt das Einvernehmen als erteilt (Fiktion), wenn es nicht innerhalb von zwei Monaten verweigert wird (Beispiel hierfür: BVerwG NVwZ 2005, 213).

II. Innerhalb der kreisfreien Städte, so wie auch im vorliegenden Fall, sind Baugenehmigungsbehörde und Gemeinde identisch. Gemeindeintern kann jedoch auch hier zwischen der Genehmigungsentscheidung, für die das Bauamt und der Bauausschuss intern zuständig sind, und der vorgelagerten Planungsentscheidung durch den Planungsausschuss unterschieden werden. Ob in solchem Fall § 36 zur Anwendung kommt, ergibt sich nicht deutlich aus dem Gesetz und war vom BVerwG zu entscheiden.

1. BVerwG S. 84: Die in § 36 I 1 BauGB vorgesehene Mitwirkung der Gemeinde dient der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit. Die Gemeinde soll als sachnahe und fachkundige Behörde dort, wo sie noch nicht geplant hat, oder dann, wenn ein Bauvorhaben von ihrer Planung abweicht, im Genehmigungsverfahren an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens mitentscheidend beteiligt werden… Die Beteiligung der Gemeinde ist dem Umstand geschuldet, dass über den Bauantrag allein die Baugenehmigungsbehörde entscheidet. Nur ihr Bescheid wirkt unmittelbar nach außen und regelt die Rechtsverhältnisse hinsichtlich des Baugesuchs. Lediglich über den Weg der Einvernehmensversagung kann die Gemeinde verhindern, dass ein Bauvorhaben verwirklicht wird, das bauplanungsrechtlich unzulässig ist oder ihren planerischen Vorstellungen widerspricht.

2. Des Schutzes, dem § 36 I 1 BauGB zu dienen bestimmt ist, bedarf die mit der Baugenehmigungsbehörde identische Gemeinde nicht; denn sie kann den Zweck des Einvernehmenserfordernisses selbst erfüllen (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 36 Rdnr. 15). Die Gefahr, dass der zuständige Rechtsträger ein Bauvorhaben über ihren Kopf hinweg genehmigt, besteht nicht. Zwar ist vorstellbar, dass dann, wenn innerhalb der Gemeinde für die Erteilung der Baugenehmigung und die Erklärung des Einvernehmens verschiedene Organe zuständig sind, bei Wegfall des förmlichen Einvernehmens eine Koordination unterbleibt, und die Planungshoheit dadurch zu kurz kommt. Es ist aber Sache der Gemeinde selbst…, dafür zu sorgen, dass die Belange der Planungshoheit hinreichend gewahrt bleiben. Aus Sicht des Bundesgesetzgebers bestand keine Veranlassung für die Einführung eines gesonderten Verfahrens zur internen Abstimmung zwischen verschiedenen Organen der Gemeinde…

3. Diese Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass die Vorschrift des § 36 BauGB (so BVerwG S. 83) nach ihrem Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck, die gemeindliche Planungshoheit zu sichern, zwei verschiedene Willensträger voraussetzt und das Einvernehmen jedenfalls dann entbehrlich ist, wenn in der Gemeinde die Funktionen der Baugenehmigungsbehörde und des Planungsträgers in ein- und derselben Behörde gebündelt sind…

4. Somit war im vorliegenden Fall die Erteilung eines Einvernehmens nach § 36 nicht erforderlich. Mit der Versagung des Einvernehmens lässt sich die Ablehnung der Baugenehmigung nicht begründen. Da sich die Widerspruchsbehörde davon überzeugt hat, dass andere Bedenken gegen das Vorhaben nicht bestehen, hatte sie davon auszugehen, dass die Stadt S zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet war. Der darauf gerichtete Widerspruchsbescheid war rechtmäßig, die Anfechtungsklage ist unbegründet.

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Zusammenfassung

 

Planungsrechtlich besonders problematisch sind ► großflächige Einkaufszentren, insbesondere sog. Factory-Outlet-Center (FOCs), außerhalb des Innenbereichs („auf der grünen Wiese“). Sie verbrauchen viel Fläche, verursachen unerwünschte Verkehrsströme und können den innerhalb der Orte gelegenen Geschäften, die die wohnortnahe Versorgung gewährleisten, die für ihr wirtschaftliches Überleben notwendigen Kunden entziehen. Vielfach wenden sich auch Nachbargemeinden gegen solche Einrichtungen. Vgl. dazu BVerwGE 117, 25; Schröppel/Schübel-Pfister JuS 2005, 418. Grundsätzlich dürfen solche Zentren nur in Kerngebieten oder in eigens dafür geplanten und ausgewiesenen Gebieten zugelassen werden (§ 11 III BauNutzungsVO).