Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz
Gromitsaris Subjektivierung oder Objektivierung im Recht der Gefahrenabwehr in DVBl 2005, 535

Der Aufsatz betrifft eine Grundfrage, die bei allen Vorschriften auftreten kann, die das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit (oder Ordnung) zur Voraussetzung haben.Eine Gefahr ist nach h. M. eine Sachlage, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass bei ungehindertem Fortgang in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird. Ein Problem besteht darin, dass die Behörde vielfach, insbesondere wenn eine Eilentscheidung getroffen werden muss, nicht sicher feststellen kann, ob wirklich eine Gefahr vorliegt. Müsste sie warten, bis das feststeht, könnte in vielen Fällen ein Einschreiten zu spät kommen. Um in derartigen Fällen das Verhalten der Behörde nicht mit dem Verdikt der Rechtswidrigkeit zu belegen, sind die Rechtsinstitute der Anscheinsgefahr und des Gefahrenverdachts entwickelt worden (zu diesen noch unten 2).

1. Nach allgemeinen Grundsätzen müssen die Voraussetzungen einer Vorschrift objektiv feststehen. Das Risiko, dass dies möglicherweise nicht der Fall ist, trägt der, der sich auf die Vorschrift beruft. Danach müsste auch bei der Generalklausel und bei den einzelnen, eine Gefahr voraussetzenden Standardmaßnahmen die Gefahr wirklich vorliegen. Ist das nicht der Fall, wäre die Maßnahme rechtswidrig. Diese Auffassung vertritt Schlink in JURA 1999, 169 und in Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 2004, Rdnr. 39 - 79. Dazu Gromitsaris S. 536: Ausgangspunkt ist, das Rechtswidrigkeitsurteil der Rechtsbehelfsinstanzen auf einen objektiv-idealen Beobachter ex ante abzustellen. Dieser soll als Idealperson mit allem Wissen seiner Zeit im Moment des Ergreifens der Gefahrenabwehrmaßnahme ausgerüstet sein. Schon ex ante wäre dann – zwar nicht von der Polizei, deren Erkenntnismöglichkeiten begrenzt sind, – wohl aber bei Einsatz aller überhaupt vorhandenen Erkenntnismöglichkeiten feststellbar, ob eine Gefahr objektiv vorliegt oder nicht. Das richterliche Urteil solle auf dem insgesamt verfügbaren Wissensstand und nicht auf dem Wissensstand einer bestimmten Person, einer Gruppe oder eines Typs von Personen aufbauen. Anscheinsgefahr und Gefahrenverdacht sind hiernach schlicht keine Gefahren, die sich hierauf stützenden Maßnahmen sind rechtswidrig. Diese objektive Theorie ist methodisch konsequent, entspricht aber nicht den praktischen Anforderungen.

2. Demgegenüber bringt die h. M., von Gromitsaris grundsätzlich gebilligt, ein subjektives Element mit in die Auslegung des Gefahrbegriffs. Maßgebend ist (so Gromitsaris S. 535) die Einschätzung eines gewissenhaften, besonnenen und sachkundigen Amtswalters im Zeitpunkt des Handelns (ex ante). Stellt sich später (bei einer Betrachtung ex post) heraus, dass in Wirklichkeit keine Gefahr bestand – nur der Fall einer solchen Diskrepanz zwischen Einschätzung und realer Lage ist problematisch –, wird gleichwohl bejaht, dass eine Gefahr vorliegt und dass die Generalklausel eingreift. Um dieses Ergebnis zu rechtfertigen, werden zusätzlich die Rechtsinstitute der Anscheinsgefahr und des Gefahrenverdachts herangezogen und wird die Generalklausel um die damit eingeräumten Befugnisse quasi ergänzt.

a) Gromitsaris S. 535: Eine Anscheinsgefahr liegt etwa vor, wenn die Polizei im Zeitpunkt eines Sucheinsatzes davon ausgehen musste, dass in der Stadt ein gefährlicher Löwe frei herumlaufe. Stellt sich heraus, dass der Löwe jung und lammfromm war und dass die Polizei vom Alter des Löwen und von dessen Begleitung durch einen Dompteur ex ante nichts wusste, gilt ihr Einsatz als rechtmäßig und der Dompteur als Störer (OVG Hamburg NJW 1986, 2005; dazu Erichsen/Wernsmann JURA 1995, 219). Jedoch wird bei der Frage, ob der vom Einschreiten Betroffene zu den Kosten herangezogen werden kann oder ob er – umgekehrt – einen Anspruch auf Entschädigung hat (Sekundärebene), grundsätzlich auf eine Betrachtung ex post abgestellt. Danach erhält der Anscheinsstörer analog den Vorschriften über die Heranziehung eines Nichtstörers eine Entschädigung, es sei denn, er hat den Anschein der Gefahr zurechenbar verursacht (Gromitsaris S. 535; BGHZ 117, 303, 308).

Hätte die Polizei bei gewissenhafter Einschätzung erkennen müssen, dass keine Gefahr bestand, liegt keine Anscheinsgefahr, sondern nur eine sog. Putativgefahr vor, die ein Einschreiten nicht rechtfertigt.

b) Gromitsaris S. 536: Beim Gefahrenverdacht verfügt die Polizei über tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht einer Gefahr begründen; sie ist sich aber zugleich über die Unvollständigkeit ihrer vorliegenden Erkenntnisse bewusst. Dann greift die Generalklausel ein (Gromitsaris S. 541), berechtigt aber nur zur weiteren Aufklärung, zu Gefahrerforschungseingriffen und zu Maßnahmen, die den Ablauf vorläufig stoppen. Diese sind Maßnahmen der Gefahrenabwehr (Gromitsaris a. a. O.). Beispiele sind, dass jemand mit einer Waffe droht und nicht klar ist, ob es sich um eine Schusswaffe oder ein Spielzeug handelt, und neuerdings die Fälle des Terrorismusverdachts. Auf der Primärebene ist der Verdachtsbetroffene Störer. Auf der Sekundärebene hat er, wenn sich der Verdacht nicht bestätigt, einen Entschädigungsanspruch, es sei denn, ihn trifft ein Verschulden an der Entstehung des Verdachts (Gromitsaris S. 536).