Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Dingliches Wohnungsrecht, § 1093 BGB; Unterschied zum Nießbrauch. § 812 I BGB, Eingriffskondiktion


BGH Urteil vom 13. 7. 2012, AZ V ZR 206/11

Fall (Wohnrecht und Vermietung)

Frau K war Eigentümerin eines Bauernhofes. Sie war alleinstehend und kinderlos und nahm Frau B und ihren Ehemann E bei sich auf. E und B renovierten den Wohn- und den Betriebsteil des Bauernhofes. K setzte E als ihren Alleinerben ein und übertrug ihm schon zu Lebzeiten das Eigentum an dem Grundstück. K erhielt ein Wohnungsrecht an den Räumen im Erdgeschoss und einen Anspruch auf eine monatliche Rente. Das Wohnungsrecht und eine Reallast wurden im Grundbuch eingetragen. Später übertrug E das Eigentum an dem Grundstück unentgeltlich auf Frau B. Zwei Jahre danach verstarb E.

Als K pflegebedürftig wurde, übersiedelte sie in ein Pflegeheim. B wurde zur Betreuerin bestellt. B vermietete die Räume im Erdgeschoss zu einem monatlichen Mietzins von 250 Euro. Als K davon erfuhr, verweigerte sie die Zustimmung und verlangt von B, die inzwischen als Betreuerin entlassen wurde, Auszahlung der vereinnahmten Mieterlöse. Sie begründet ihre Forderung damit, die Mieterlöse seien das wirtschaftliche Entgelt dafür, dass sie das Wohnrecht nicht mehr nutzen könne, und stünden ihr deshalb zu; auch brauche sie diese Beträge demnächst zur Bezahlung der Pflegekosten. Ist der Anspruch der K gegen B begründet ?

I. Ein Anspruch könnte sich aus dem Wohnungsrecht ergeben.

1. Das Wohnungsrecht, in § 1093 BGB als Anwendungsfall der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§§ 1090 ff. BGB) geregelt, ist durch Einigung zwischen K und E und Eintragung im Grundbuch (§ 873 BGB) begründet worden und damit entstanden.

2. Durch die Übereignung des belasteten Grundstücks von E an B ist das Recht nicht verändert worden. Die Übereignung hat lediglich die Folge, dass danach die neue Eigentümerin B die Nutzung der Wohnung durch K zu dulden hat.

3. Dass K das Wohnungsrecht aus Gründen ihres Gesundheitszustandes nicht mehr nutzen kann, erfüllt keinen gesetzlichen Erlöschensgrund. Allerdings geht der BGH davon aus, dass eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit erlischt, wenn das Recht niemandem mehr einen Vorteil bietet. Das Übersiedeln in ein Pflegeheim reicht hierfür aber nicht aus, denn die Inhaberin des Wohnungsrechts könnte die Wohnung mit Zustimmung des Eigentümers vermieten (§ 1092 I 2 BGB) und damit nutzen.

BGH [4, 5]: Zwar erlischt eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit dann, wenn das Recht niemandem mehr einen Vorteil bietet. Für ein Wohnungsrecht hat der Senat dies aber auch dann verneint, wenn der Berechtigte an der Ausübung aus subjektiven Gründen dauerhaft gehindert ist. Dabei hat er sich auf die Erwägung gestützt, der Wohnungsberechtigte könne die Räume mit Gestattung des Eigentümers vermieten (§ 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB; BGH NJW 2007, 1884 Rn. 13 m. w. N…). Dem kann nicht entgegengehalten werden, im vorliegenden Fall habe die Eigentümerin B durch die eigene Vermietung zu erkennen gegeben, dass sie einer Vermietung durch K nicht zustimmen würde. Insoweit kommt es auf die abstrakte Möglichkeit der Gestattung an (…Mayer, DNotZ 2008, 672, 674 f.). Das ergibt sich schon daraus, dass die Versagung der Gestattung einen etwaigen Rechtsnachfolger des Eigentümers nicht bindet und deshalb die wirtschaftliche Nutzung nicht, wie es erforderlich wäre, dauerhaft und zweifelsfrei ausschließt (….). Somit besteht das Wohnungsrecht fort (ebenso BGH NJW 2009, 1348 [8]).

4. Jedoch ergibt sich aus dem Wohnungsrecht kein Anspruch auf die Auszahlung von Mieterlösen. BGH NJW 2009, 1348 [9]: Als Recht, ein Gebäude oder den Teil eines solchen unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung zu benutzen (§ 1093 Abs. 1 Satz 1 BGB), verpflichtet es den Eigentümer lediglich, diese Nutzung zu dulden. Geldersatzansprüche des Berechtigten begründet ein Wohnungsrecht nicht…

II. Ein Anspruch könnte sich aus oder im Zusammenhang mit dem Bestellungsvertrag ergeben.

1. Der dinglichen Einräumung des Wohnungsrechts an dem Grundstück liegt ein schuldrechtlicher Bestellungsvertrag zugrunde. Dieser hatte jedoch keinen inhaltlichen Bezug zu der späteren Vermietung, regelt insbesondere nicht die Herausgabe späterer Mieterlöse.

2. Da die Vermietung mit dem Umzug der K ins Pflegeheim zusammenhängt, könnte erwogen werden, in dem Wegfall der Nutzungsmöglichkeit durch K einen Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zu sehen. Jedoch fehlt es an der Unvorhersehbarkeit dieser Entwicklung. BGH NJW 2009, 1348 [11]: Bei der Vereinbarung eines lebenslangen Wohnungsrechts muss jeder Vertragsteil grundsätzlich damit rechnen, dass der Berechtigte sein Recht wegen Krankheit oder Pflegebedürftigkeit nicht bis zu seinem Tod ausüben kann. Der Umzug in ein Pflegeheim ist daher in aller Regel kein Grund, den der Bestellung eines lebenslangen Wohnungsrechts zugrunde liegenden Vertrag nach § 313 BGB anzupassen….

3. In der vorstehend zitierten Entscheidung hat der BGH so entschieden, wie nachfolgender LS ausdrückt: Enthält die schuldrechtliche Vereinbarung über die Bestellung eines Wohnungsrechts keine Regelung, wie die Wohnung genutzt werden soll, wenn der Wohnungsberechtigte sein Recht wegen Umzugs in ein Pflegeheim nicht mehr ausüben kann, kommt eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht.

Im vorliegenden Fall scheitert diese Auslegung aber daran, dass B nicht Vertragspartnerin der K war. Der Bestellungsvertrag wurde nur zwischen E und K geschlossen. Dass K als Erbin in die Verpflichtungen des E aus dem Bestellungsvertrag eingetreten ist, lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, da dieser über die Erbfolge nach dem Tode des E keine Angaben enthält. - Dieser Umstand steht auch zusätzlich den vorstehend unter 1. und 2. erörterten Ansprüchen entgegen, weil auch diese zur Voraussetzung haben, dass B Vertragspartnerin der K ist, was aber nicht der Fall ist.

III. Folgende Anspruchsgrundlagen werden vom BGH im Urteil vom 13. 7. 2012 nur kurz angesprochen und verneint.

1. BGH [16]: Aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 687 Abs. 2, § 681 Satz 2, § 667 BGB folgt ein Anspruch nicht, weil die Vermietung kein Geschäft der Klägerin war.

2. Auf § 816 Abs. 2 BGB kann er nicht gestützt werden, weil die Beklagte keine Verfügung über das Wohnungsrecht vorgenommen hat; einer entsprechenden Anwendung der Norm steht entgegen, dass der Eigentümer den Mietzins nicht anstelle des Wohnungsberechtigten vereinnahmt.

3. Schließlich scheiden Ansprüche gemäß § 990 i. V. m. § 987, § 99 Abs. 3 BGB schon deshalb aus, weil es an einer Vindikationslage zwischen Eigentümer und Wohnungsberechtigtem fehlt.

IV. Es bleibt als Anspruchsgrundlage § 812 I 1 BGB wegen Bereicherung in sonstiger Weise.

1. B hat die Mieteinnahmen erlangt und damit ihr Vermögen vermehrt.

2. Durch Leistung der K hat B die Mieteinnahmen nicht erlangt. Sie könnte sie aber in sonstiger Weise auf Kosten der K erlangt haben.

a) BGH [9]: Nach den Grundsätzen der Eingriffskondiktion (auch: Nicht-Leistungs-Kondiktion) erlangt der Bereicherungsschuldner nur dann im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB etwas auf Kosten des Bereicherungsgläubigers, wenn er in eine Rechtsposition eingegriffen hat, die nach der Rechtsordnung dem Gläubiger zu dessen ausschließlicher Verfügung und Verwertung zugewiesen ist (vgl. nur BGHZ 107, 117, 120 f.). Insoweit ist es nicht, wie das BerGer. meint, entscheidend, ob der Bereicherungsschuldner bei redlichem Vorgehen etwas für die erlangte Position hätte zahlen müssen (…). Vielmehr kommt es darauf an, ob der Bereicherungsgläubiger nur die Unterlassung der unerlaubten Nutzung des Rechtsguts verlangen kann oder ob er darüber hinaus selbst berechtigt wäre, die Nutzungen zu ziehen.

b) Dem entspricht es, dass der BGH dem Vermieter in st. Rspr. einen Anspruch auf Auskehrung des durch eine unberechtigte Untervermietung erzielten Mietzinses versagt, weil der Vermieter zwar Unterlassung verlangen, selbst aber keine Untervermietung vornehmen könne (vgl. nur BGHZ 131, 297, 304 ff. m. w. N.; BGH NJW-RR 2009, 1522 Rn. 30). Auch wird ein Anspruch des Eigentümers auf Auskehrung der vereinnahmten Mieten bei einer unberechtigten Vermietung der dem Wohnungsrecht unterliegenden Räume durch den Wohnungsberechtigten verneint (BGHZ 59, 51…). Letzteres Beispiel lässt sich nicht unmittelbar auf den vorliegenden Fall übertragen, weil hier nicht der Eigentümer vom Wohnungsberechtigten den Mieterlös herausverlangt, sondern – umgekehrt – der Wohnungsberechtigte vom Eigentümer.

c) Anknüpfend an den letzten Satz oben a) müsste zunächst K Unterlassung der Vermietung durch B verlangen können. Das ergibt sich aus dem – fortbestehenden – Wohnungsrecht der K. Dieses gewährt das Recht, ein Gebäude oder einen Teil davon unter Ausschluss des Eigentümers zu nutzen, und verhindert, dass der Eigentümer die Wohnung vermietet. Entscheidende Frage ist, ob K selbst zur Vernietung berechtigt wäre.

aa) BGH [13]: Das Wohnungsrecht berechtigt gemäß § 1093 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zu einer eingeschränkten, nämlich der persönlichen Nutzung der umfassten Räume durch den Wohnungsberechtigten unter Ausschluss des Eigentümers. Gestattet ist lediglich die Aufnahme der Familie des Wohnungsberechtigten und der „zur standesgemäßen Bedienung und zur Pflege erforderlichen Personen" (§ 1093 Abs. 2 BGB). Es umfasst nicht das Recht zu einer Überlassung der Räume an Dritte. Darin unterscheidet es sich von einem Nießbrauch, der ein umfassendes Nutzungsrecht gewährt (§ 1030 Abs. 1, § 1059 Satz 2 BGB). Dass die Überlassung der Wohnung an einen Dritten mit Zustimmung des Eigentümers gestattet ist (§ 1092 I 2 BGB), reicht nicht aus, sondern bestätigt, dass die Nutzung der Wohnung durch Vermietung an Dritte von der Rechtsordnung dem Wohnberechtigten nicht zu dessen ausschließlicher Verfügung und Verwertung zugewiesen ist.

bb) Die Revision im BGH-Fall hatte versucht, das Recht zur Vermietung durch K so zu begründen, dass eine Verpflichtung der B aus § 242 BGB zur Gestattung der Vermietung durch K angenommen wurde. Dem widerspricht BGH [15]: Zwar steht die Ausübung der Rechte des Eigentümers ebenso wie die Ausübung des dinglichen Rechts unter dem das gesamte Zivilrecht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben. Es fehlt aber schon an besonderen Umständen, die die Versagung der Gestattung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen ließen. Dass die Beklagte ihrerseits eine Vermietung vorgenommen hat, reicht nicht aus… Unabhängig davon kann der Grundsatz von Treu und Glauben nur die Rechtsausübung im Einzelfall beeinflussen, nicht aber die Befugnisse des Berechtigten über den Inhalt des dinglichen Rechts hinaus ausdehnen. Billigte man dem mit dem Eigentümer schuldrechtlich nicht verbundenen Wohnungsberechtigten einen Anspruch auf Gestattung der Vermietung zu, würde das dingliche Wohnungsrecht in unzulässiger Weise um Elemente eines Nießbrauchs an der Wohnung erweitert (…).

cc) BGH [11]: Die Mietzinsen werden auch nicht…deshalb auf Kosten der Klägerin erlangt, weil die Beklagte sich den Nutzungswert der Räume angeeignet hat…Entscheidend ist vielmehr, ob die Nutzungen der Klägerin deshalb zugewiesen waren, weil sie ihrerseits einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gestattung der Vermietung gehabt hätte (vgl. Brückner, NJW 2008, 1111, 1114). Daran fehlt es.

d) Vorstehende Überlegungen führen dazu, dass weder der Wohnungsberechtigte noch der Eigentümer allein die – leer stehende – Wohnung vermieten kann. BGH [17]: Dieses Ergebnis mag wirtschaftlich unbefriedigend erscheinen. Es ist aber Folge der Bestellung eines auf die persönliche Ausübung beschränkten lebenslänglichen Wohnungsrechts. Bei dieser Sachlage kann das Betreuungsgericht im Einzelfall sogar eine Aufgabe des Wohnungsrechts durch den Betreuer genehmigen (BGH NJW 2012, 1956 f.; Zimmer, NJW 2012, 1919 ff.).

Ergebnis: B hat die Mieterlöse nicht auf Kosten der K erlangt. K hat keinen Anspruch aus § 812 I BGB: Der von K geltend gemachte Anspruch ist unbegründet.


Zusammenfassung