Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

 

Im Fall BAG NJW 2003, 3436 („Videoüberwachte Kassiererin“) war K als Kassiererin im Getränkemarkt der Fa. B beschäftigt. Nachdem an dieser Kasse überdurchschnittlich hohe Differenzen aufgetreten waren und anderweit nicht aufgeklärt werden konnten, wurde K mittels einer heimlich angebrachten Videokamera überwacht. Die Auswertung der Aufnahmen ergab zwar keinen Beweis dafür, dass K der Kasse Geld entnommen hat, wohl aber begründeten die Bilder den Verdacht, dass K fiktive Gutschriftbons für Leergut hergestellt, diese eingescannt, den Betrag der Kasse entnommen und ihn im Gang des Getränkemarkts eingesteckt hat. Sowohl die Vorinstanzen als auch das BAG hielten die Kündigung für berechtigt.

I. Ein wichtiger Grund i. S. des § 626 BGB wäre ein Straftat (Diebstahl oder Unterschlagung), die aber nicht festgestellt werden kann. Wichtiger Grund kann aber auch bereits der Verdacht einer Straftat sein, der dann zu einer ► Verdachtskündigung führt.

1. BAG S. 3436 unter 1: Der gegen den Arbeitnehmer gerichtete dringende Verdacht eines Eigentums- oder Vermögensdelikts zum Nachteil des Arbeitgebers ist an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Dies gilt auch für den Diebstahl und die Unterschlagung von Sachen mit nur geringem Wert. Als erschwerend hat es der Senat gewertet, wenn die Straftat mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit des Arbeitnehmers zusammenhängt, der Arbeitnehmer eine sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebende Obhutspflicht verletzt und das Delikt innerhalb seines konkreten Aufgabenbereichs bei Gelegenheit der Arbeitsleistung verübt (BAGE 92, 184…).

2. Danach ist es nicht zu beanstanden, wenn das LAG in dem dringenden Verdacht, die Kl. habe mehrfach Gelder aus der Kasse entwendet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gesehen hat.

II. Im Mittelpunkt der Ausführungen des BAG steht allerdings die Frage, ob die ► heimliche Videoüberwachung zulässig war und bei Unzulässigkeit ein Beweisverwertungsverbot eingreift.

1. LS 1: Die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber stellt einen Eingriff in das durch Art. 2 I GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dar.

S. 3437 unter aa): Das durch Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ist auch im Privatrechtsverkehr und damit auch im Arbeitsverhältnis zu beachten. Es umfasst das Recht am gesprochenen Wort, das heißt die Befugnis, selbst zu bestimmen, ob es allein dem Gesprächspartner oder auch Dritten oder sogar der Öffentlichkeit zugänglich sein soll, ferner ob es auf Tonträger aufgenommen werden darf (BAGE 87, 31). Darüber hinaus gewährleisten Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG das Recht am eigenen Bild (BAGE 106, 28). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Arbeitnehmer vor einer lückenlosen technischen Überwachung am Arbeitsplatz durch heimliche Videoaufnahmen. Durch eine solche Kontrolle wird der Arbeitnehmer…einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt, dem er sich während seiner Tätigkeit nicht entziehen kann…

2. Jedoch ist das Persönlichkeitsrecht nicht unbegrenzt gewährleistet und wird durch überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers beschränkt (BAG S. 3437 unter bb und cc).

a) Bei der danach vorzunehmenden Abwägung ist im vorliegenden Fall auch zu berücksichtigen, dass die Videoüberwachung der Gewinnung von Beweismitteln und damit der Erhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege diente, die ein wichtiger Belang des Gemeinwohls ist. Danach ist die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts ausgeschöpft sind, die verdeckte Video-Überwachung praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt und insgesamt nicht unverhältnismäßig ist. (so auch LS 2.) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wurde im vorliegenden Fall bejaht (S. 3437/8 unter dd), wobei auch der Gesichtspunkt herangezogen wurde, dass die Überwachung die einzige Möglichkeit bot, die übrigen Arbeitnehmer aus dem engen Kreis der Verdächtigen auszuschließen.

b) Allerdings galt zum damaligen Zeitpunkt noch nicht § 6 b Bundes-DatenschutzG (BDSG), wonach die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume, zu denen auch Verkaufsräume zählen können, erkennbar zu machen ist. Diese Vorschrift dürfte hier aber nicht entgegenstehen, weil die Überwachung nicht die Kunden, für die der Getränkemarkt öffentlich zugänglich ist, erfasste und der Schutzzweck dieser Vorschrift deshalb nicht verletzt wurde. Kommt als geeignetes Mittel nur die heimliche Überwachung eines einzelnen Arbeitnehmers in Betracht, kann es nicht geboten sein, die Videoüberwachung öffentlich erkennbar zu machen.

c) Nach § 87 I Nr. 6 BetrVerfG bedarf die Videoüberwachung der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats. Nach BAG (LS 3) ergibt sich aus einem Verstoß aber jedenfalls dann kein Beweisverwertungsverbot, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Betriebsrat der Verwendung des Beweismittels und der darauf gestützten Kündigung zustimmt und die Beweisverwertung nach den allgemeinen Grundsätzen gerechtfertigt ist.