Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führen dazu, dass die Anforderungen an die Arbeitsleistung steigen. Arbeitnehmer sollen höhere Leistungen erbringen, auch weil Arbeitgeber sich gezwungen sehen, von ihren Mitarbeitern höhere Leistungen zu verlangen. Werden die erwarteten Leistungen nicht erbracht, stellt sich die Frage, ob einem Arbeitnehmer deshalb gekündigt werden kann. Mit dieser Frage hat sich das BAG in der nachfolgenden Entscheidung grundsätzlich befasst.

Ordentliche Kündigung wegen Minderleistung; Vergleichsmaßstab für die zu erwartende Leistung. Kündigungsschutz nach § 1 KSchG. Verhaltensbedingte und personenbedingte Kündigungsgründe

BAG Urteil vom 11. 12. 2003 (2 AZR 667/02) NJW 2004, 2545

Fall (Kommissionierer im Frischecenter)

Fa. E betreibt ein Lebensmittel-Filialunternehmen. A, im Originalfall der spätere Kläger im Kündigungsschutzprozess, arbeitet als Kommissionierer im Frischecenter des Hauptlagers und hat die Aufgabe, Warengebinde aus Regalen herauszuziehen und in Behälter zu verladen. Die bei E beschäftigten Kommissionierer erhalten eine Grundvergütung und eine Prämie. Nach dem Prämiensystem, das auf einer Betriebsvereinbarung beruht, wird die Prämie gezahlt, wenn die mit 1,0 angesetzte Normalleistung überschritten wird. Die Leistungen des A liegen seit mehreren Jahren um 40 % bis 50 % unter dieser Normalleistung. A wurde deshalb mehrfach von E abgemahnt. E legte zusätzlich Zahlen vor, nach denen die Leistungen des A um fast 50 % unter den durchschnittlichen Leistungen vergleichbarer Arbeitnehmer seiner Gruppe lagen. A beruft sich darauf, das Prämiensystem werde bei ihm bereits dadurch berücksichtigt, dass er keine Prämie erhalte. Auch würden bei den Zahlen der E überdurchschnittliche Leistungen einbezogen, auf deren Nichterbringung keine Kündigung gestützt werden könne. Nach ordnungsgemäßer Beteiligung des Betriebsrats und unter Einhaltung der Frist kündigte E dem A. Ist die Kündigung rechtswirksam ? Wie ist die Kündigung zu beurteilen, wenn A persönlich zu einer höheren Leistung nicht in der Lage ist ?

A. Rechtswirksamkeit der Kündigung

I. Ein Arbeitsverhältnis kann durch ordentliche Kündigung nach §§ 620 II, 622, 623 BGB beendet werden. Eine solche Kündigung hat E erklärt.

II. Die Kündigung ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 I KSchG, von dessen Anwendbarkeit hier auszugehen ist). Nach § 1 II 1 KSchG hängt die Sozialwidrigkeit der Kündigung davon ab, ob sie durch personenbedingte, verhaltensbedingte oder betriebsbedingte Umstände gerechtfertigt ist. Betriebsbedingte Umstände (z. B. wegen dauerhaft mangelnder Aufträge) scheiden hier aus. Es kommen verhaltensbedingte Gründe in Betracht.

1. Das BAG stellt der Entscheidung zunächst grundsätzliche Überlegungen voran.

a) S. 2546 unter a) und b): Für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen solche im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Umstände, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebs die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine rechts-(vertrags-)widrige Pflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis geeignet, wobei regelmäßig Verschulden erforderlich ist; die Leistungsstörung muss dem Arbeitnehmer vorwerfbar sein (folgen Nachw.)… Folglich sind auch auf Pflichtverletzungen beruhende Schlechtleistungen geeignet, eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen (st. Rspr. mit Nachw.).

b) Bei der nunmehr entscheidenden Frage, wann eine schuldhafte Schlechtleistung durch Minderleistung vorliegt, geht das BAG zwar von den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien aus. Meist und auch im vorliegenden Fall enthalten diese aber keine Regelung. Dann richtet sich die Leistungspflicht des Arbeitnehmers zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen (folgen Nachw.). Der Gegenmeinung, nach der der Arbeitnehmer eine „objektive Normalleistung“ schuldet, folgt das BAG nicht: Sie berücksichtigt nicht ausreichend, dass der Arbeitsvertrag als Dienstvertrag keine „Erfolgshaftung“ des Arbeitnehmers kennt. Der Dienstverpflichtete schuldet das „Wirken“, nicht das „Werk“.

c) Das darf aber nicht so weit gehen, dass der Arbeitnehmer seine Leistungspflicht rein subjektiv und damit willkürlich selbst bestimmt. BAG S. 2546 unter c): Der Arbeitnehmer muss vielmehr unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. Allerdings gibt es dafür nicht immer objektive Kriterien. Der bloße Umstand, dass der Arbeitnehmer unterdurchschnittliche Leistungen erbringt, muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft. In einer Vergleichsgruppe ist stets ein Angehöriger der Gruppe das „Schlusslicht“. Das kann seine Ursache auch darin haben, dass die übrigen Gruppenangehörigen besonders leistungsstark sind oder sich überfordern…Andererseits ist das deutliche und längerfristige Unterschreiten des von vergleichbaren Arbeitnehmern erreichten Mittelwerts oft der einzige für den Arbeitgeber erkennbare Hinweis darauf, dass der schwache Ergebnisse erzielende Arbeitnehmer Reserven nicht ausschöpft, die mit zumutbaren Anstrengungen nutzbar wären.

d) Angesichts dieser widerstreitenden Gesichtspunkte entwickelt das BAG das Verfahren einer abgestuften Darlegungslast (S. 2546/7 unter d). Danach ist es

2. Diese Grundsätze sind im vorliegenden Fall anzuwenden.

a) Vortrag der E zu einer schuldhaften Minderleistung des A:

aa) Die Bezugnahme auf das Prämiensystem und dessen Normalwert „1,0“ genügt zur Darlegung einer schuldhaften Minderleistung nicht. Das BAG folgt insoweit auf S. 2547 unter aa) der Auffassung des LAG, der im Prämiensystem als Normalleistung ausgewiesene Leistungsgrad „1,0“ stelle nicht ohne weiteres das von der Bekl. nach § 315 BGB durch Ausübung des Direktionsrechts festgelegte verbindliche Leistungsmaß dar, bei dessen Unterschreitung dem betreffenden Arbeitnehmer eine „Minderleistung“ angelastet werden könne. Zu Recht weist das LAG darauf hin, dass die Zugrundelegung dieses Maßstabs eine rein objektive und starre Bestimmung der Vertragspflicht des Arbeitnehmers bedeuten würde, die mit den oben ausgeführten Grundsätzen in Widerstreit stünde. Auch soll das Prämiensystem Anreiz für dann zusätzlich bezahlte Leistungen schaffen und gerade nicht die normale Leistung bestimmen.

bb) E hat aber außerdem Zahlen vorgelegt, nach denen die Leistungen des A um fast 50 % und damit weit mehr als ein Drittel unter den durchschnittlichen Leistungen vergleichbarer Arbeitnehmer liegen. Da das für die Dauer von mehreren Jahren festgestellt wurde, hat E ein gewichtiges Indiz für eine erhebliche Minderleistung des A vorgetragen. Ist von dieser auszugehen, erstreckt sich das auch auf das erforderliche Verschulden (BAG S. 2547 unter 2).

b) Widerlegung durch A:

Soweit A sich gegen das Prämiensystem wendet, ist sein Vortrag ohne Bedeutung, weil dieses keine Grundlage für die Feststellung einer schuldhaften Minderleistung ist (oben aa). Dagegen will A mit dem Einwand, es würden zu Unrecht auch überdurchschnittliche Leistungen einbezogen, die Aussagekraft der die durchschnittliche Leistung bestimmenden Zahlen erschüttern. Dem hält das BAG auf S. 2547 unter cc) aber entgegen, dass der Durchschnitt üblicherweise durch das Mittel aus über- und unterdurchschnittlichen Werten gebildet wird. Ließe man alle überdurchschnittlichen Werte unberücksichtigt, so entspräche der Durchschnitt stets dem niedrigsten Wert. Das aber würde dem Wesen eines Durchschnittswerts widersprechen.

c) Somit hat A das von E vorgebrachte Indiz nicht widerlegt. Es ist von einer schuldhaften Minderleistung des A auszugehen. Die Kündigung durch E ist verhaltensbedingt gerechtfertigt i. S. des § 1 II KSchG, nicht sozialwidrig und rechtswirksam.

Im Fall des BAG hatte das LAG angenommen, der Vortrag des Arbeitgebers reiche zur Darlegung einer Minderleistung nicht aus, und hatte der Klage ohne weitere Prüfung stattgegeben. Wie ausgeführt, ist das BAG dem nicht gefolgt. Es musste dann den Fall zur weiteren Aufklärung insbesondere der Einwände des Arbeitnehmers zurückverweisen. Vorsorglich ist es auch noch auf den Aspekt der personenbedingten Gründe eingegangen, die nachfolgend im Zusammenhang mit der zweiten Frage behandelt werden.

B. Rechtswirksamkeit der Kündigung, wenn A zu einer höheren Leistung nicht in der Lage ist

I. In diesem Fall scheidet eine verhaltensbedingte Kündigung aus, weil für diese Verschulden erforderlich ist, A aber nicht schuldhaft handelt. A arbeitet unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit, er arbeitet so gut er kann.

II. Es kommt eine personenbedingte Kündigung (§ 1 II 1. Fall KSchG) in Betracht.

1. Grundsätzliche Erwägungen:

a) BAG S. 2548 unter a) und b): Als personenbedingte Gründe, die eine ordentliche Kündigung nach § 1 II KSchG sozial rechtfertigen können, sind nur solche Umstände anzuerkennen, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden „Störquelle“ beruhen (BAGE 54, 248). Eine personenbedingte Kündigung kann sozial gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Sphäre liegen, jedoch nicht von ihm verschuldet sein müssen, zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Arbeitsleistung ganz oder teilweise nicht in der Lage ist.

Als Beispiele für personenbedingte Kündigungen verweist das BAG (S. 2548 unter b mit Nachw.)

b) Ein solcher Fall kann auch bei einer deutlichen Minderleistung anzunehmen sein. Eine Vertragsverletzung braucht in diesem Fall nicht vorzuliegen. Das BAG behandelt diesen Fall als Wegfall der Geschäftsgrundlage. S. 2548 unter c): Die Parteien des gegenseitigen Vertrages gehen typischerweise davon aus, dass die Leistung des anderen Teils der eigenen (mindestens) gleichwertig ist (BGHZ 77, 359). Die Vorstellung der Parteien von der annähernden Gleichwertigkeit (Äquivalenz) der beiderseitigen Leistungen ist bei gegenseitigen Verträgen regelmäßig Geschäftsgrundlage. BAG unter b): Unterschreitet der Arbeitnehmer diese Erwartung deutlich, liegt in der Regel eine schwere und dauerhafte Störung des Austauschverhältnisses vor…

c) Vor der Kündigung ist allerdings zu prüfen, ob auch für die Zukunft nicht mit einer Wiederherstellung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung zu rechnen ist (BAGE 101, 39) und ob ein milderes Mittel in Betracht kommt, das ggfs. durch Änderungskündigung geltend zu machen ist. Ein solches kann sein (S. 2548 unter d): eine Beschäftigung zu anderen Arbeitsbedingungen, an einem anderen Arbeitsplatz, eine Reduzierung der Vergütung. Auch eine Interessenabwägung kann geboten sein Insbesondere muss dem Schutz älterer, langjährig beschäftigter und unverschuldet – womöglich durch betriebliche Veranlassung – erkrankter Arbeitnehmer Rechnung getragen werden (LAG Köln NZA-RR 2000, 25).

2. Im vorliegenden Fall war der Sachverhalt für eine Entscheidung durch das BAG noch nicht genügend aufgeklärt. S. 2548 unter e): Allerdings spricht viel dafür, dass die Bekl. durch die Darlegung seit längerem anhaltender, erheblich unterdurchschnittlicher Leistungen des Kl. eine schwerwiegende Störung des Vertragsgleichgewichts dargetan hat. Geht man davon aus und nimmt man weiterhin an, dass es einen anderen Arbeitsplatz für A im Betrieb der E nicht gibt, ist die Kündigung aus einem personenbedingten Grund rechtswirksam.

Zusammenfassung

 

Als Ergänzung wird auf das Urteil BAG vom 3. 6. 2004 (2 AZR 386/03) verwiesen. Dem dort für ein hohes Gehalt und zusätzliche Provisionszahlungen im Außendienst beschäftigten Mitarbeiter war es in einem Zeitraum von mehr als anderthalb Jahren nicht gelungen, auch nur einen einzigen Auftrag zu akquirieren. Das rechtfertigt eine ordentliche Kündigung wegen völliger Erfolglosigkeit der Arbeit.