Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
Neben der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 620 II, 622, 623 BGB, ggfs. in Verbindung mit § 1 KSchG, gibt es die außerordentliche, fristlose Kündigung nach § 626 BGB, für die es keinen Kündigungsschutz gibt (§ 13 I 1 KSchG; allerdings kann auch hier die Unwirksamkeit nur mit Kündigungsschutzklage geltend gemacht werden: § 13 I 2 KSchG). Der folgende Fall hat eine fristlose Kündigung zum Gegenstand. Der Kündigungsgrund betrifft das praktisch bedeutsame Gebiet der betrieblichen Mediennutzung (Telefon, Internet, E-Mail) zu privaten Zwecken. Weiterhin wird der Fall dadurch geprägt, dass ein Betriebsratsmitglied betroffen ist. Die ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist nicht zulässig (§ 15 I 1 KSchG), wohl aber ein außerordentliche. Wegen der in diesem Fall notwendigen Zustimmung des Betriebsrats führt die Falllösung zur Prüfung einer Vorschrift aus dem Allgemeinen Teil des BGB (§ 182).
► Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds, § 103 BetrVerfG. ► Anwendbarkeit der §§ 182 ff. BGB. ► Außerordentliche Kündigung nach §§ 626 I BGB, 15 I 1 KSchG; wichtiger Grund
BAG Urteil vom 4. 3. 2004 (2 AZR 147/03) NJW 2004, 2613
Fall (Telefongespräche nach Mauritius)
A war seit mehr als zehn Jahren bei der Immobilienverwaltungsfirma F als Organisator zu einem Jahresgehalt von 80.500 € beschäftigt. Er war Mitglied des bei F bestehenden Betriebsrats. Anlässlich einer Prüfung der von dem Mitarbeiter W von seinem Diensttelefon aus geführten Gespräche ergab sich, dass von diesem Apparat aus während mehr als 18 Stunden Telefongespräche nach Mauritius geführt worden waren, die nicht dienstlich veranlasst sein konnten. Dafür waren der F Kosten in Höhe von 1.355 € entstanden. Auch von drei weiteren Apparaten in anderen Büros aus war nach Mauritius telefoniert worden. F beabsichtigte, W deshalb zu kündigen, und hörte dazu den Betriebsrat an (§ 102 I 1 BetrVerfG). Nachdem W und die anderen Kollegen bestritten, die Telefongespräche geführt zu haben, und F weitere Ermittlungen anstellte, räumte A ein, dass er die Gespräche geführt hat. Er habe aber nicht eigennützig gehandelt, sondern einem nahen Menschen beigestanden. Auch habe er Überstunden gemacht und die Gespräche während dieser und nicht während der normalen Arbeitszeit geführt. Nachdem F unmittelbar danach den Betriebsrat um die Zustimmung zur fristlosen Kündigung des A (§ 103 I BetrVerfG) gebeten hatte, stimmte der Betriebsrat mit Schreiben von 30. 5. an die Geschäftsleitung der F zu. Entgegen der bisherigen Praxis übersandte der Betriebsrat dem A keine Kopie dieses Schreibens, weil A vor der maßgeblichen Sitzung des Betriebsrats erklärt hatte, er werde, wenn die Zustimmung erteilt wird, Selbstmord begehen. Am 31. 5. erhielt A die fristlose Kündigung der F vom selben Tage. A beanstandete sofort, dass ihm von der Zustimmung des Betriebsrats keine Mitteilung gemacht worden war, und wies die Kündigung deshalb zurück. Anschließend erhob er gegen F Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht, in der über die Wirksamkeit der Kündigung zu entscheiden ist. Ist die Kündigung vom 31. 5. rechtswirksam erfolgt ?
Die Kündigung könnte als außerordentliche, fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses (§ 626 BGB) rechtswirksam sein. Für eine solche Kündigung bestehen formelle und materielle Voraussetzungen.
A. Formelle Voraussetzungen
I. Nach § 626 II muss die Kündigung innerhalb einer Erklärungsfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von dem Kündigungsgrund erfolgen. Das gilt auch im Falle einer Beteiligung des Betriebsrates (Palandt/Putzo § 626 Rdnr. 29). F hat den Betriebsrat eingeschaltet, unmittelbar nachdem A eingeräumt hatte, dass er die Telefongespräche geführt hat. Da in der Praxis der Zeitdruck bekannt ist, unter dem das Verfahren bei § 626 steht, kann angenommen werden, dass der Betriebsrat wenige Tage danach seine Entscheidung getroffen hat. F hat noch am nächsten Tag den Zugang der Kündigung gegenüber A bewirkt, so dass von der Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist auszugehen ist.
II. Während normalerweise eine Anhörung des Betriebsrats erforderlich, aber auch ausreichend ist (§ 102 BetrVerfG), bedarf die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds der Zustimmung des Betriebsrats (§ 103 I BetrVerfG; sie kann nach § 103 II durch das Arbeitsgericht ersetzt werden). In diesem Fall entfällt auch der an sich nach § 15 I 1, 1. Satzteil KSchG bestehende Kündigungsschutz (§ 15 I 1, 2. Satzteil).
1. Im vorliegenden Fall hat der Betriebsrat die Zustimmung am 30. 5. erteilt.
2. Sie könnte aber nach §§ 182 I, III, 111, 2 BGB unwirksam sein. Dann müsste die Kündigung einer Zustimmung i. S. des § 182 (als vorherige Einwilligung oder als nachträgliche Genehmigung) bedürfen. Wäre das der Fall, würde es sich um die Zustimmung zur Kündigung als einem einseitigen Rechtsgeschäft handeln (§ 182 III), so dass A die Kündigung, der die Zustimmung nicht schriftlich beigefügt war, nach § 111, 2 zurückweisen durfte. Folge wäre ihre Unwirksamkeit. (Es handelt sich um eine ähnliche Regelung wie in § 174 BGB; allgemein zur rechtlichen Behandlung der einseitigen Rechtsgeschäfte JurTel 2004 Heft 6 S. 111.)
Entscheidende Frage ist, ob § 182 BGB auf die Zustimmungserklärung des Betriebsrats nach § 103 I BetrVerfG anwendbar ist. Da es für § 182 ausreicht, dass eine „Zustimmung“ erforderlich ist, spricht der Wortlaut für eine Bejahung (so auch die bisher h. M., vgl. BAG S. 2612 unter 1). Das BAG folgt jedoch auf S. 2613 unter 3 der verneinenden Ansicht, wobei es seinen Ausführungen die Aussage voranstellt: Ob eine gesetzliche Vorschrift den Begriff „Zustimmung“ i. S. eines Verweises auf die §§ 182 ff. BGB verwendet, ist jeweils durch Auslegung zu bestimmen (vgl. Staudinger/Gursky, Vorb. §§ 182 – 185 BGB Rdnr. 4).
a) Das BAG entnimmt zunächst dem Gesetzeswortlaut ein, allerdings schwaches, Argument: Die Zustimmung nach § 103 BetrVerfG kann nur vor der Kündigung erteilt werden. Im Sinne der §§ 182 ff. müsste es sich also um eine Einwilligung handeln. Wenn der Gesetzgeber aber in § 103 statt „Einwilligung“ von „Zustimmung“ spricht, zeigt das, dass er nicht auf §§ 182 ff. verweisen will. Systematische Argumente sind: Die Zustimmung nach § 103 kann nur dem Arbeitgeber gegenüber erteilt werden, was im Widerspruch mit § 182 I steht, wonach sie auch dem anderen Beteiligten gegenüber erklärt werden kann. Eine Anwendung der §§ 182 III, 111, 2 hätte zur Folge, dass der Arbeitgeber die Zustimmung in schriftlicher Form braucht. Dieser mittelbare Formzwang stünde in Widerspruch dazu, dass die Zustimmung nach § 103 keiner Form bedarf.
b) Letztlich entscheidend ist die Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung. BAG S. 2612 unter 2: Zustimmungen i. S. der §§ 182 ff. finden sich in Spezialregelungen, die dem Schutz von Personen dienen, welche die Tragweite ihrer Erklärungen möglicherweise nicht übersehen (vgl. z. B. §§ 106 ff., 1411, 1596 BGB) oder in deren Rechtskreis oder Interessen das beabsichtigte Rechtsgeschäft eingreift (vgl. z. B. §§ 177 I, 180 I, 185 I, 415 I, 458 I BGB…). Darunter fällt der Arbeitgeber nicht, weil er die Kündigung selbst ausspricht und auch deren Konsequenzen übersieht. BAG S. 2613 unter bb): Dagegen dient das Zustimmungserfordernis dem Schutz des zu kündigenden Betriebsratsmitglieds und dem Schutz des Betriebsrats…Jedoch wird diesem Schutzzweck durch die Sonderregelungen des kollektiven und individuellen Kündigungsschutzes bereits in größerem Umfang Rechnung getragen, als es in §§ 182 ff. BGB vorgesehen ist. § 103 BetrVG, § 626 I BGB, § 15 I KSchG enthalten sowohl eine formelle als auch eine inhaltliche Beschränkung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers: Die Kündigung ist nur wirksam, wenn sowohl der Betriebsrat zugestimmt hat oder die verweigerte Zustimmung ersetzt worden ist als auch die Kündigung materiell gerechtfertigt ist. Während das Zustimmungserfordernis i. S. der §§ 182 ff. BGB eine formelle Schranke für inhaltlich in der Regel allein durch die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften (z. B. §§ 242, 138 BGB) eingeschränkte privatautonome Willenserklärungen darstellt, ist also die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers, insbesondere gegenüber Betriebsräten vom Gesetzgeber einer strengen verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Kontrolle unterworfen. Der formellen Schranke von §§ 182 III, 111 S. 2, 3 BGB bedarf es nicht.
Somit sind §§ 182 ff. nicht anwendbar. Die Kündigungserklärung der F ist nicht nach §§ 182 I, III, 111, 2 unwirksam.
B. Materielle Voraussetzung für die außerordentliche Kündigung ist ein wichtiger Grund i. S. des § 626 BGB.
I. Der unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes wird bereits vom Gesetz selbst erläutert. Nach § 626 I müssen Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Stichworte sind also (Palandt/Putzo § 626 Rdnr. 37 ff.): Tatsachen – Umstände des Einzelfalles – Interessenabwägung – Unzumutbarkeit. Allerdings braucht zwischen diesen Gesichtspunkten nicht stets getrennt zu werden, weil sie ineinander spielen (wie gerade der vorliegende Fall zeigt); es genügt, dass sie überhaupt berücksichtigt werden.
II. Zum vorliegenden Fall:
1. BAG S. 2613/4 unter 1: Umfangreiche unerlaubt und heimlich geführte Privattelefonate auf Kosten des Arbeitgebers kommen als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht (BAG NZA 2003, 1055… ). Dies gilt umso mehr, wenn, wie hier, der Arbeitnehmer es zulässt, dass durch sein Verhalten ein Verdacht auf unschuldige Kollegen fällt. In solchem Fall ist dem Arbeitgeber eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer in aller Regel nicht zumutbar.
2. In die Interessenabwägung sind noch die folgenden Umstände dieses Falles einzubeziehen:
a) A beruft sich darauf, er habe einem nahen Menschen beigestanden. Jedoch ist nicht ersichtlich, dass dafür das Diensttelefon verwendet werden musste. Wer 80.500 € jährlich verdient, kann diesen Kontakt auch mit eigenen Mitteln herstellen. Wenn Telefonate unbedingt während der Arbeitszeit notwendig waren, musste eine Absprache mit dem Arbeitgeber gesucht und zumindest eine Kostenerstattung angeboten werden.
b) Dass A die Telefonate während der Überstunden durchgeführt hat, ändert nichts daran, dass sie unerlaubt waren, auf Kosten des Arbeitgebers stattfanden und A es zuließ, dass Kollegen in Verdacht gerieten.
c) BAG S. 2614 unter 3: Die Wertung des LAG, dass die zehnjährige unbeanstandete Tätigkeit den schweren Vertrauensbruch nicht aufwiegt, der zunächst durch die Inkaufnahme der Verdächtigung Unschuldiger erschwert und dann durch die zögerliche und unvollständige Aufklärungsbereitschaft vertieft wurde, wird auch von der Revision nicht angegriffen.
3. Somit lag ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung vom 31. 5. vor. Diese ist rechtswirksam.
Zusammenfassung
Nicht erforderlich war in vorstehendem Verfahren eine allgemeine Entscheidung darüber, ob im Betrieb eine ► private Nutzung der betrieblichen Kommunikationsmittel Telefon, E-Mail und Internet-Zugang zulässig ist. Hierzu ist eine Regelung durch den Arbeitgeber erforderlich und maßgebend. Fehlt eine ausdrückliche Regelung, kann auch eine Duldung bzw. betriebliche Übung vorliegen. Mögliche Regelungen sind (vgl. den Überblick in NJW-Spezial 2004 Heft 6 S. 273):
1. ein generelles Verbot privater Nutzung. Es hat den Vorteil, dass eine klare Regelung besteht und die Arbeitgeberinteressen gewahrt werden.
2. Allerdings gibt es berechtigte Interessen der Arbeitnehmer an einer (begrenzten) Nutzung insbesondere des Internet, auch lässt sich die Beachtung des strikten Verbots nicht durchweg kontrollieren. Es empfiehlt sich deshalb eine begrenzte, widerrufliche Gestattung unter Auflagen, wobei in Betracht kommen: