Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
Im Fall BAG NJW 2004, 3508 („Reiseleiter-Fall“) ging es um die außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers wegen ► sexueller Belästigung einer Untergebenen. A war in der Touristikfirma F als Schwerpunktreiseleiter für eine bestimmte Region und dort für die Steuerung der Aktivitäten der einzelnen Reiseleiter zuständig. Zu den von ihm zu beaufsichtigenden Mitarbeiterinnen gehörte Frau N. Auf einer Dienstfahrt kam es zu von A aktiv veranlassten sexuellen Kontakten zwischen A und N. Auch später noch hat A einige Male sexuelle Kontakte zu N gesucht. F nahm diese Vorfälle zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung des A.
1. BAG S. 3509 unter a): Im Ausgangspunkt zutreffend sieht das LAG in einer sexuellen Belästigung einer Arbeitnehmerin an ihrem Arbeitsplatz durch einen Vorgesetzten einen „an sich“ wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses i. S. von § 626 I BGB i. V. mit § 4 I Nr. 1 BeschSchG (= Gesetz zum Schutze der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz; BAG NZA 1986, 467…). Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz stellt nach § 2 III BeschSchG eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar… Ob die sexuelle Belästigung dann zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt, hängt von ihrem Umfang und von ihrer Intensität ab.
2. BAG S. 3509 unter aa): Nach § 2 II 1 BeSchSchG ist eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt. Nach § 2 II 2 BeSchSchG gehören dazu sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind (Nr. 1), sowie sonstige sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden (Nr. 2).
a) Sexuelle Handlungen wurden zwischen A und N vorgenommen. Sie hatten auch erhebliche Intensität.
b) Entscheidende Frage ist – wie häufig in solchen Fällen – ob diese von N erkennbar abgelehnt wurden. BAG S. 3509 unter (2): Die Voraussetzung der „erkennbaren Ablehnung“ hat die Funktion, den Belästigungstatbestand einzuschränken. Mit diesem Tatbestandsmerkmal wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass die Annahme einer sexuellen Belästigung auf die Fälle beschränkt bleibt, in denen jemand einem anderen ein nicht erwünschtes sexuelles Verhalten aufdrängt (BT-Dr. 12/5468, S. 47). Die Unerwünschtheit des fraglichen sexuellen Verhaltens muss daher nach außen in Erscheinung getreten sein.
aa) Das war im vorliegenden Fall von den Vorinstanzen aus Indizien geschlossen worden. Deren Überlegungen werden vom BAG S. 3509 unter (3) wie folgt wiedergegeben: Neben der generellen Situation und dem Altersunterschied habe der Kl. aus der Nichterwiderung eines Zungenkusses, dem Hinweis auf ihren Freund…sowie dem Entziehen ihrer bzw. dem Wegschieben seiner Hände erkennbar auf ihre Ablehnung eines sexuellen Kontakts schließen müssen.
bb) Andererseits konnte aber nicht festgestellt werden, dass N versucht hat, sich den Attacken des A zu entziehen. Sie war ihm einmal in ein Waldstück gefolgt, hatte dort auf seinen Wunsch ihre Bluse ausgezogen und sich an den sexuellen Handlungen beteiligt. Erst über ein Jahr später hatte sie der Firma F davon berichtet. Unter diesen Umständen hält das BAG die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung für nicht hinreichend sicher festgestellt und hat das Verfahren an das LAG zurückverwiesen. S. 3510 unter 1: Das LAG wird näher ermitteln und prüfen müssen, ob unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände der Kl. auf eine „erkennbare Ablehnung“ sexueller Kontakte und Belästigungen durch Frau N habe schließen müssen. Auch wird es näher aufzuklären haben, ob es sich bei dem Verhalten des Kl. gegenüber Frau N um einen Einzelfall gehandelt hat oder es vielmehr weitere sexuelle Handlungen und Aufforderungen des Kl. gegenüber anderen Mitarbeiterinnen der Bekl gab (was von F behauptet, aber noch nicht festgestellt worden war).
Zusammenfassung
zu den beiden vorangegangenen Fällen.