Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Haftung des Unternehmenserwerbers für Geschäftsschulden bei Fortführung der Firma, § 25 I HGB. Ausnahme bei Erwerb eines Unternehmens in der Insolvenz vom Insolvenzverwalter. Übergang von Rechten und Pflichten aus Arbeitsverhältnissen bei Betriebsübergang, § 613 a BGB; Ausnahme in der Insolvenz

BAG Urteil vom 20. 9. 2006 (6 AZR 215/06) NJW 2007, 942

 Fall (Ausbildungsvergütung nach Insolvenz)

A war als Auszubildender bei der Firma F-GmbH beschäftigt. Deren Geschäftsführer war B. Als monatliche Bruttovergütung waren 518 € vereinbart. Fa. F geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten und zahlte im April und Mai nicht mehr die Vergütung an A. Am 1. 6. eröffnete das zuständige Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der F-GmbH. Zum Insolvenzverwalter wurde V bestellt. Im Zuge der Abwicklung des Insolvenzverfahrens veräußerte V Betriebsausstattung und Kundenstamm der F an B, der dafür 75.000 € zahlte. B führt das Geschäft als Einzelfirma in denselben Betriebsräumen fort. A verlangt von B unter Verweis darauf, dass B die bisherige Firma fortführt, Zahlung der Vergütung für die Monate April und Mai. Zu Recht ?

Da das Ausbildungsverhältnis zwischen A und der F-GmbH und nicht zwischen A und B bestand, bedarf es für eine Haftung des B eines besonderen Grundes.

I. Ein solcher Haftungsgrund kann sich aus § 25 I HGB ergeben. BAG Rdnr. 8: Nach dieser Vorschrift haftet grundsätzlich der Erwerber eines Handelsgeschäfts für die im Betrieb dieses Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers, wenn er das Geschäft unter der bisherigen Firma fortführt.

1. Die sich aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergebenden Voraussetzungen liegen sämtliche vor: F betrieb ein Handelsgewerbe unter einer Firma. B hat das Handelsgeschäft durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben und führt es unter der bisherigen Firma fort. Die Verpflichtung zur Zahlung der Ausbildungsvergütung wurde im Zusammenhang mit dem Betrieb des Geschäfts begründet. Auch wurde eine abweichende Vereinbarung weder getroffen noch im Handelsregister eingetragen (vgl. § 25 II HGB).

2. Gleichwohl könnte § 25 HGB deshalb nicht anwendbar sein, weil B das Handelsgeschäft von Insolvenzverwalter erworben hat.

a) BAG Rdnr. 10: Die Anwendung von § 25 I HGB auch im Falle des Erwerbs vomInsolvenzverwalter stünde in Widerspruch zu den bestimmenden Grundsätzen des Insolvenzverfahrens und der dem Insolvenzverwalter darin zugewiesenen Funktionen. Die Veräußerung in der Insolvenz duldet wesensgemäß eine Schuldenhaftung des Erwerbers nach § 25 I HGB nicht (…). Aufgabe des Insolvenzverwalters ist es, die Vermögensgegenstände des Gemeinschuldners zu verwerten und dabei im Interesse der Insolvenzgläubiger den höchstmöglichen Erlös zwecks anschließender Verteilung zu erzielen. Mit dieser Aufgabe wäre es unvereinbar, wenn der Erwerber eines zur Masse gehörenden Unternehmens nach § 25 I HGB haften müsste. Eine Veräußerung des Unternehmens mit sämtlichen Schulden, die zum Zusammenbruch geführt haben, wäre in den seltensten Fällen erreichbar. Niemand würde - wie im vorliegenden Fall - 75.000 € für die Übernahme eines Unternehmens zahlen, um dann mit Schulden von vielleicht mehreren 100.000 € belastet zu sein.

b) Die Gerichte haben im vorliegenden Fall auch zutreffend darauf hingewiesen, dass bei Bejahung einer Haftung die Geschäftsgläubiger über § 25 HGB eine volle Befriedigung ihrer Forderungen erhalten würden, während die anderen Gläubiger, auf die § 25 I HGB nicht anwendbar ist, wahrscheinlich gar nichts erhalten würden. Denn der Erwerber des Handelsgeschäfts würde die auf ihn zukommende Haftung in Rechung stellen und bei Berechnung des zu zahlenden Kaufpreises in Abzug bringen (BAG Rdnr. 10, 2. Abs.). Für die anderen Gläubiger bliebe dann nichts oder jedenfalls viel weniger übrig.

 c) Unter Rdnr. 11 weist das BAG daraufhin, dass die genannte Einschränkung des § 25 I HGB auch in der Literatur vertreten wird (z. B. GK-HGB/Nickel § 25 Rdnr. 11; Roth, in: Koller/Roth/Morck, HGB, 5. Aufl., § 25 Rdnr. 4). Danach bleibt § 25 I HGB beim Erwerb vom Insolvenzverwalter trotz der Existenz des § 25 II HGB unangewendet.

d) Zur Abgrenzung verweist das BAG unter Rdnr. 12 darauf, dass bei der Übertragung eines überschuldeten Unternehmens außerhalb des Insolvenzverfahrens keine Einschränkung gilt; hier bleibt § 25 I anwendbar.

Im vorliegenden Fall hat B das Unternehmen vom Insolvenzverwalter erworben. § 25 I HGB ist nicht anwendbar und kann den Anspruch des A nicht rechtfertigen.

II. Nach § 613a BGB gehen bei Übertragung eines Betriebes auf einen anderen Inhaber die Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen mit über. Jedoch ist nach BAG Rdnr. 15 auch diese Vorschrift bei einer Betriebsveräußerung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nicht anwendbar. Insoweit haben die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens Vorrang (einhellige Meinung, vgl. zuletzt BAGE 64, 196 m. w. Nachw.; Henckel, in: Jaeger, § 35 Rdnr. 31). Nur auf Betriebsveräußerungen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist § 613a BGB uneingeschränkt anwendbar.

Methodischer Hinweis: Bei der aufgezeigten Handhabung des § 25 I HGB und des § 613a BGB handelt es sich um den - nicht häufigen - Fall, das bei einer Rechtsvorschrift vom eindeutigen Wortlaut abgewichen wird. Die Gründe hierfür sind aber so zwingend, dass diese Abweichung im Ergebnis als unbedenklich erscheint.

Gesamtergebnis: A hat gegen B keinen Anspruch auf Zahlung der rückständigen Ausbildungsvergütung. A kann seinen Anspruch nur gegenüber dem Insolvenzverwalter und mit den sich aus dem Insolvenzverfahren ergebenden Einschränkungen geltend machen..

Zusammenfassung