Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Arbeitsrecht; Arbeitsvertrag, § 611 BGB. ► Außerordentliche, fristlose Kündigung, § 626 BGB. ► Wichtiger Grund und Interessenabwägung nach falscher Überstundenabrechnung. ► Kündigungsschutzklage, §§ 4, 7, 13 KSchG. ► Fristen für Kündigung (§ 626 II BGB) und Klage (§ 4 KSchG)
BAG Urteil vom 13.12.2018 (2 AZR 370/18) NJW 2019, 1161
Fall (Überstunden statt Zulage)
Der verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige K war seit 2005 als Angestellter der Stadt S im Bereich Fahr- und Sonderdienste des Nationaltheaters tätig. Nach seinem Arbeitsvertrag erhielt er neben seinem Gehalt Vergütungen für Überstunden und eine Erschwerniszulage. Die Überstunden wurden von K in Forderungsnachweisen ohne Zuordnung zu Tagen und Uhrzeit eingetragen, mit der Erklärung „sachlich und rechnerisch richtig“ versehen und von seinem fachlichen Vorgesetzten T, dem technischen Leiter des Nationaltheaters, mit „gesehen und anerkannt“ abgezeichnet. Die Theaterleitung akzeptierte dieses Verfahren und kontrollierte nur, ob die Unterschriften vorlagen. Im Jahre 2013 wurde K zum Abteilungsleiter der mit acht Mitarbeitern besetzten Abteilung Fahr- und Sonderdienste ernannt. Er erhielt ein höheres Grundgehalt; Überstunden und Erschwerniszulage wurden zunächst weiterbezahlt. Anfang 2015 teilte die Personalreferentin P dem K mit, als Abteilungsleiter stünde ihm keine Erschwerniszulage zu. K empfand das als ungerecht und als Missachtung. Bei einem Gespräch zwischen K, P und T am 2.3.2015 erklärte P in Gegenwart des T, die weggefallene Zulage entspräche sieben Überstunden, und machte den Vorschlag, K könne übergangsweise in diesem Umfang zusätzliche Überstunden abrechnen; sie werde versuchen, eine Höhergruppierung des K zu erreichen. Vertretungsmacht für eine Änderung des Arbeitsvertrages hatten P und T nicht.
Ab März 2015 stellte K monatlich sieben zusätzliche Überstunden in Rechnung. Ende Februar 2020 kam bei der Leitung L des Theaters der Verdacht unkorrekter Abrechnung auf, und sie besprach die Angelegenheit am 3. März mit K. Dieser nahm wahrheitsgemäß Stellung. L ging von ca. 385 bezahlten, aber nicht geleisteten Überstunden im Wert von 6.500 Euro aus und hielt eine außerordentliche Kündigung für unvermeidbar. Eine ordentliche Kündigung des K war wegen der langen Betriebszugehörigkeit nach dem Tarifvertrag nicht mehr möglich. L legte den Fall dem Personalrat vor, der am 13.3. darüber beriet und die Zustimmung zur Kündigung verweigerte. Mit Schreiben vom 16.3., das K am selben Tage zuging ist, kündigte L das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos. Zur Begründung wurde auf „die dem K bekannten Vorgänge“ verwiesen.
K hält die Kündigung für unberechtigt und beruft sich darauf, dass er weiterhin einen Anspruch auf die Erschwerniszulage gehabt habe. Wegen des von der Personalreferentin P ausgegangenen Vorschlags und dessen Billigung durch den direkten Vorgesetzten T, der die Forderungsnachweise laufend abgezeichnet hat, habe er davon ausgehen können, dass seine Arbeitgeberin mit der Bezahlung von sieben Überstunden als Ausgleich für die vorenthaltene Erschwerniszulage einverstanden war. Sollte sein Verhalten pflichtwidrig gewesen sein, habe zunächst eine Abmahnung erfolgen müssen; er hätte dann das beanstandete Verhalten sofort eingestellt. Eine fristlose Kündigung sei nur bei einem schwerwiegenden Verschulden zulässig. Für dieses seien, wie sich aus § 46 Abs. 2 StGB ergebe, Beweggründe und Ziele des Handelnden wesentlich. Er habe die Verweigerung der Erschwerniszuschläge als in hohem Maße ungerecht empfunden und sich lediglich dem von seinem Vorgesetzten T gebilligten Vorschlag der Personalreferentin P angeschlossen; daraus ergebe sich allenfalls ein geringes Verschulden.
Auf welchem Wege kann K sich gegen die Kündigung wehren? Wird er damit Erfolg haben?
Lösung
A. K könnte Klage vor dem Arbeitsgericht erheben.
I. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten folgt aus § 2 I Nr. 3 b) Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Danach sind die Arbeitsgerichte zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Die Streitigkeit zwischen K und der Stadt S ist eine „bürgerliche“, d. h. privatrechtliche Rechtsstreitigkeit, weil K als Angestellter einen privatrechtlichen Dienstvertrag (§ 611 BGB) mit der Stadt geschlossen hatte; er war nicht Beamter. Deshalb handelt es sich auch um eine Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber. Da die Stadt von der Rechtswirksamkeit der Kündigung ausgeht und K diese bestreitet, betrifft die Klage eine Streitigkeit über das Bestehen oder Nichtbestehen des Arbeitsverhältnisses.
II. Es ist die statthafte Klageart zu bestimmen. Nach § 46 II ArbGG gilt im arbeitsgerichtlichen Verfahren, soweit es keine spezielleren Regelungen gibt, die ZPO. Danach sind Leistungs- und Feststellungsklagen die regelmäßigen Klagearten. Bei Kündigungsschutzklagen könnte aber das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) eine speziellere Regelung enthalten.
1. Nach § 4 I 1 KSchG muss der Arbeitnehmer, der geltend macht, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Das gilt sowohl nach einer ordentlichen Kündigung als auch nach einer außerordentlichen Kündigung (§ 13 I 2 KSchG), also auch im vorliegenden Fall.
2. Die Feststellungsklage nach § 4 I 1 KSchG ist fristgebunden und muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung erhoben werden. Wird sie nicht fristgemäß erhoben, gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam (§ 7 KSchG; materielle Präklusion). Das gilt auch im Fall einer außerordentlichen Kündigung (§ 13 I 2 KSchG). Also muss K innerhalb von drei Wochen nach dem 16.3.2020 Klage erheben mit dem Antrag, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 16. März 2020 aufgelöst worden ist.
3. Das im Falle einer Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) ergibt sich bei der Kündigungsschutzklage bereits daraus, dass nur so die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht werden kann (§§ 4, 7 KSchG). Im Übrigen ist die außerordentliche Kündigung regelmäßig und auch im Fall des K beruflich und persönlich schwer belastend, woraus sich ebenfalls ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung ergibt.
III. Die formellen Voraussetzungen für die Klage können erfüllt werden. Eine arbeitsgerichtliche Klage wäre zulässig.
B. Erfolg hat K mit der Klage, wenn sie auch begründet ist. Nicht aufgelöst wurde das Arbeitsverhältnis zwischen K und S, wenn die Kündigung unwirksam ist. Nach § 626 I BGB kann das sich aus einem Dienstvertrag ergebende Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
I. Erforderlich ist eine wirksame und fristgemäße Kündigungserklärung.
1. Das Schreiben vom 16.3. an K enthielt die Erklärung, dass das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos gekündigt wurde. Die in § 623 BGB vorgeschriebene Schriftform wurde beachtet.
2. Eine Begründung als formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigungserklärung ist nicht vorgeschrieben. § 626 II 3 BGB bestimmt lediglich, dass d er Kündigende dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen muss.
3. § 626 II 1 BGB enthält eine Frist von zwei Wochen, innerhalb deren die Kündigung erklärt werden muss (Kündigungserklärungsfrist).
a) Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 626 II 2 BGB). Nach BAG 2 AZR 611/17 [50] ist das der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Eine fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang, selbst nicht eine grob fahrlässige. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände.
b) Ende Februar 2020 war bei der Leitung L des Theaters lediglich ein Verdacht aufgetreten. Kenntnis gewann L erst in der Besprechung mit K am 3. März. An diesem Tag begann die 2-Wochen-Frist zu laufen und war zum Zeitpunkt des Eingangs des Kündigungsschreibens am 16.3. noch nicht abgelaufen. Die Kündigungserklärung erfolgte somit fristgemäß.
II. Es kommen Beteiligungen als Verfahrensanforderungen in Betracht.
1. Ebenso wie in der Privatwirtschaft der Betriebsrat - falls es einen gibt - vor einer Kündigung anzuhören ist (§ 102 Betriebsverfassungsgesetz, BetrVerfG), ist im öffentlichen Dienst der Personalrat zu beteiligen. Für den Bund ist das in § 79 III Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) bestimmt. Die Länder haben gleichlautende Vorschriften (z. B. § 74 Landespersonalvertretungsgesetz NRW). Es ist deshalb davon auszugehen, dass eine solche Regelung auch im Lande L gilt. Der Personalrat ist aber nur anzuhören; er hat kein Vetorecht. Im vorliegenden Fall ist die Anhörung am 13.3.2020 erfolgt.
2. Nach der Rspr. des BAG (2 AZR 611/17 [31]) muss der Betroffene bei einer Verdachtskündigung angehört werden, nicht jedoch wie im vorliegenden Fall bei einer Tatkündigung. Im vorliegenden Fall war die Anhörung am 3. März zur Aufklärung des Sachverhalts geboten.
III. In materieller Hinsicht müssen ein wichtiger Grund und die weiteren Voraussetzungen des § 626 I BGB vorliegen.
Nach der Rechtsprechung ist § 626 I BGB zweigeteilt zu prüfen, BAG [15] Zunächst ist zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Ist das zu bejahen, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile…zumutbar ist oder nicht (…BAGE 161, 198).
1. Die festgestellten Tatsachen müssten „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet sein. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer schuldhaft eine schwerwiegende Verletzung des Arbeitsvertrages begangen hat.
a) Die Stadt S, vertreten durch die Theaterleitung, hatte die Dokumentation der Überstunden primär K übertragen. Danach war K verpflichtet, die Forderungsnachweise richtig auszufüllen. Diese Pflicht hat er vorsätzlich (§ 276 I BGB) verletzt, indem er über fünf Jahre jeden Monat - von der Urlaubszeit abgesehen - sieben Überstunden zu viel angeschrieben hat. Typischerweise wird das Anschreiben nicht geleisteter Arbeitsstunden als Arbeitszeitbetrug betrachtet.
b) Eine Berechtigung dazu hatte K nicht. Eine Änderung des Arbeitsvertrages dahin, dass K nicht geleistete Überstunden anschreiben durfte, war von den Beteiligten am Termin vom 2.3.2015 bereits nicht gewollt. Außerdem hatten P und T keine Vertretungsmacht (§ 164 I 1 BGB) für Änderungen des Arbeitsvertrages. Als Führungskraft war das K bekannt, so dass er sich auch nicht auf eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht berufen kann (BAG [23]). BAG [24] K unterlag auch keinem unverschuldeten Rechtsirrtum (vgl. dazu BAGE 161, 198). Er musste vielmehr nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage damit rechnen, dass er nicht anstelle der Erschwerniszuschläge monatlich sieben, tatsächlich nicht geleistete Überstunden abrechnen darf. Insbesondere konnte er nicht darauf vertrauen, dass die Theaterleitung entsprechende Vereinbarungen schließen oder billigen würde.
c) Der behauptete Anspruch auf die Erschwerniszulage berechtigte K nicht zu den falschen Angaben. Dass K einen solchen Anspruch hatte, lässt sich nicht feststellen. Die Erklärung der P und das eigene Vorbringen des K, der sich nur darauf beruft, die Verweigerung sei ungerecht und eine Missachtung, aber nicht auf bestimmte Erschwernisse verweist, sprechen gegen einen solchen Anspruch. Selbst wenn der Anspruch bestehen würde, hätte ihn K nicht eigenmächtig mit Hilfe falscher Überstunden-Aufzeichnungen durchsetzen dürfen. BAG [52] Die bloß subjektive Auffassung des K rechtfertigte nicht, die Zuschläge eigenmächtig und außerhalb jeglicher arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen „auszugleichen“.
d) BAG [17] Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) gegenüber dem Arbeitgeber (BAGE 146, 161; 2 AZR 381/10 Rn. 14 m. w. N).
2. BAG [28, 29] Bei der weiteren Prüfung des § 626 I BGB ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Bestand abzuwägen (BAGE 161, 198; 159, 267). Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen… Zu berücksichtigen sind das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung…scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck…zu erreichen (BAG 2 AZR 235/18 Rn. 40; BAGE 159, 267).
Eine Heranziehung des § 46 II StGB, wie K sie vorschlägt, ist abzulehnen. BAG [38] Dabei würde verkannt, dass es bei der Frage der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nicht um eine repressive Strafzumessung oder Sanktion für begangenes Unrecht in der Vergangenheit geht, sondern um die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses (BAGE 159, 267) sowie um die Abwägung von Interessen im Zusammenhang mit der Frage, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Dauerschuldverhältnisses für die Zukunft zumutbar ist.
a) BAG [30, 33] Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aber dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar ist (BAGE 159, 267; 150, 109). Letzteres ist hier der Fall, weil K die Stadt S über Jahre hinweg monatlich um bis zu sieben Stunden über die erbrachte Arbeitsleistung täuschte und sie dadurch zu Zahlungen veranlasste, auf die er keinen Anspruch hatte… Reicht eine Abmahnung zur Ahndung des Fehlverhaltens nicht aus, braucht sie vor einer Kündigung auch nicht ausgesprochen zu werden. Somit ist der Einwand des K, es habe zunächst eine Abmahnung erfolgen müssen, unberechtigt.
b) BAG [48] Bei der Abwägung sind zulasten des K die Schwere und Folgen seiner Pflichtverletzung sowie der Grad des ihn treffenden Verschuldens zu berücksichtigen. In seinem Verhalten lag ein schwerer Vertrauensmissbrauch. Er verletzte seine Verpflichtung zur korrekten Dokumentation der geleisteten Arbeitszeit vorsätzlich und erheblich… Durch die lange Dauer der Pflichtverletzung entstand auch ein beträchtlicher Schaden. Da die Berechnung der L zugrunde gelegt werden darf, handelt es sich um zu viel bezahlte 385 Stunden im Wert von 6.500 Euro.
c) Zugunsten des K könnten Ablauf und Ergebnis der Besprechung zwischen K, P und T am 2.3.2015 zu berücksichtigen sein.
aa) Motiv für K war die Durchsetzung eines vermeintlich sachlich berechtigten Anspruchs auf die Erschwerniszulage. P und T haben dieses Motiv unterstützt, und P hat den Vorschlag gemacht, monatlich sieben zusätzliche Überstunden zum Ausgleich aufzuschreiben. Dadurch unterscheidet sich der Fall des K von einem normalen, rein auf Bereicherung gerichteten Arbeitszeitbetrug. Diese Umstände sind deshalb zugunsten des K zu berücksichtigen. (Im Originalfall haben die Vorinstanzen ArbG und LAG eine Abwägung zugunsten des K vorgenommen und der Klage stattgegeben.)
bb) Andererseits hatte P die Überstundenlösung nur „übergangsweise“ vorgeschlagen. K hat sie aber auf Dauer praktiziert und hätte sie auch fortgesetzt, wenn sie nicht entdeckt worden wäre. BAG [39] Bei einer Entlastung des K durch das Verhalten von P und T wird verkannt, dass dieses allenfalls zu Beginn des pflichtwidrigen Verhaltens des K eine Rolle spielte. Es geht vorliegend nicht um ein einmaliges Fehlverhalten, zu dem K überredet worden wäre. Vielmehr handelte K über einen Zeitraum von fünf Jahren jeden Monat durch bewusst falsches Ausfüllen der Forderungsnachweise erneut pflichtwidrig. Er mag zu Beginn durch die Personalreferentin auf den Gedanken gebracht worden sein. Er hätte in den folgenden Jahren aber jederzeit - insbesondere ohne sich gegenüber der Stadt offenbaren zu müssen - zu einem rechtstreuen Verhalten zurückkehren können. Das ist nicht geschehen. Auch nach der Aufklärung hat K keine Einsicht in sein Fehlverhalten gezeigt, sondern hat darauf bestanden, dass er ein Recht auf die Erschwerniszulage in der geschehenen Weise habe durchsetzen dürfen. Bereits deshalb ist der Stadt S eine weitere Zusammenarbeit mit K nicht zuzumuten.
cc) BAG [49, 50, 53] Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei der Pflichtverletzung um ein Verhalten handelte, das auf Heimlichkeit angelegt war (…). Aus den Forderungsnachweisen war in der Regel nur der monatliche Umfang an Überstunden ohne nähere Zuordnung nach Tagen und Uhrzeiten ersichtlich. Eine Kontrolle und Rückverfolgung der einzelnen Überstunden war dadurch kaum möglich. K nutzte diese Umstände im Zusammenspiel mit der Personalreferentin und seinem Vorgesetzten gezielt aus, wobei die Wahrscheinlichkeit gering war, dass die Theaterleitung aus den angegebenen die fingierten Überstunden würde herausfiltern können… Das bewusste, kollusive Zusammenwirken mit diesen Mitarbeitern zum Nachteil der S verstärkte das Gewicht der Pflichtverletzung, da der ihr gegenüber begangene Vertrauensmissbrauch durch diese Vorgehensweise vergleichsweise sicher vor Entdeckung umgesetzt werden konnte… Weiterhin spricht gegen K seine Vorbildfunktion als Vorgesetzter. Als Abteilungsleiter der Fahr- und Sonderdienste im Nationaltheater oblag ihm die Mitarbeiterführung und Personalplanung…
dd) BAG [55, 56] Die Dauer des Arbeitsverhältnisses der Parteien wirkt sich nicht entscheidend zugunsten des K aus… Die letzten fünf Jahre bleiben wegen des Fehlverhaltens des K ohnehin unberücksichtigt… Auch soziale Belange rechtfertigen kein Überwiegen des Interesses des K… Zwar sind das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des K grundsätzlich zu berücksichtigen (vgl. BAGE 142, 351). Angesichts des schwerwiegenden, systematischen und vorsätzlichen Fehlverhaltens des K treten sie im Streitfall aber in den Hintergrund.
d) In einer Anmerkung von Köck zu dem BAG-Urteil (NJW 2019, 1165) folgert dieser aus dem Umstand, dass P und S nicht gekündigt wurden, dass der S die Fortsetzung auch des Arbeitsverhältnisses mit K zumutbar war. Jedoch ist die mildere Behandlung von P und T im Vergleich zu K deshalb vertretbar, weil P und T keinen finanziellen Vorteil aus dem Vorgang gezogen haben und P überdies nur am Anfang beteiligt war und die Überstundenlösung nur „übergangsweise“ vorgeschlagen hat.
Ergebnis: K hat einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung verwirklicht. Die weitere Abwägung hat keine überwiegenden Interessen des K erkennen lassen, vielmehr ist der Stadt S die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten. Die Kündigung ist nach § 626 I BGB gerechtfertigt. Die zulässige Feststellungsklage ist unbegründet, so dass K damit keinen Erfolg hat.
Zusammenfassung