Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Sittenwidrigkeit (§ 138 I BGB) der Bürgschaft eines Arbeitnehmers für Bankkredit des Arbeitgebers

BGH Urteil vom 14. 10. 2003 (XI ZR 121/02) BGHZ 156, 302; dazu Seifert NJW 2004, 1707; Braun JURA 2004, 474

Fall (Bürgender Bauleiter)

A und G gründeten in der in Mecklenburg-Vorpommern gelegenen Stadt S ein Bauunternehmen in Form einer GmbH und stellten B als Bauleiter zu einem Gehalt von 1.112 € monatlich ein. Etwa ein Jahr später geriet die GmbH in finanzielle Schwierigkeiten. Geschäftsführer G verhandelte mit der K-Bank wegen eines Kontokorrentkredits über 100.000 €, den diese nur gegen Sicherheiten gewähren wollte. Daraufhin übernahm B – ebenso wie zwei weitere Angestellte – die Bürgschaft für den Kredit in Höhe von 100.000 € zu einem Zinssatz von 17 %. Kurz darauf musste die GmbH Antrag auf ein Insolvenzverfahren stellen, der mangels Masse abgelehnt wurde. K nimmt B aus der Bürgschaft in Anspruch.

§ 765 BGB greift als Anspruchsgrundlage ein, wenn der Bürgschaftsvertrag zwischen K und B nicht nach § 138 I BGB nichtig ist. Voraussetzung für § 138 I ist Sittenwidrigkeit. Die von der Rspr. für Familienbürgschaften entwickelten Grundsätze könnten auf den vorliegenden Fall der Arbeitnehmerbürgschaft ausgedehnt werden.

1. Zunächst müsste eine krasse finanzielle Überforderung gegeben sein. BGH S. 306/7: Das Gehalt des B in Höhe von 1.112 €, von dem B noch den Unterhalt für seine Tochter bestreiten musste, reichte bei weitem nicht aus, die von der Kl. berechneten laufenden Zinsen des verbürgten Geschäftskredits von 17 % bis zum Vertragsende allein zu tragen. Hinzu kommt, dass sein Gehalt von dem finanziellen Leistungsvermögen der Hauptschuldnerin abhängig und davon auszugehen war, dass sie bei Eintritt des Sicherungsfalles entweder zahlungsunfähig oder überschuldet sein würde… Dass der Bekl. auf Grund seiner Ausbildung als Bauleiter oder in ähnlicher Stellung bei einem anderen Bauunternehmen in absehbarer Zeit wesentlich mehr verdienen könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Somit war B mit der Bürgschaftsverpflichtung finanziell krass überfordert.

2. Da die Überforderung nicht ausreicht, um § 138 I zu bejahen, ist zu prüfen, welche weitere Voraussetzung hier bestehen muss.

a) Auch hier könnte ein Vertragsschluss aus emotionaler Verbundenheit erforderlich sein und vorliegen. Jedoch besteht nach BGH S. 307 zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer in aller Regel kein von Emotionen geprägtes, einer Ehe, einer eheähnlichen Partnerschaft oder einer engen Verwandtschaft oder Freundschaft vergleichbares persönliches Näheverhältnis. Das gilt besonders, wenn der Arbeitnehmer – wie hier der Beklagte – einer von etwa 20 und bei Übernahme der Bürgschaft für den Arbeitgeber erst seit etwa einem Jahr tätig war. Bei einem Arbeitsverhältnis stehen nicht Emotionen, die die Fähigkeit zu rationalem Handeln erheblich beeinträchtigen, sondern die beiderseitigen, häufig gegensätzlichen Interessen der Arbeitsvertragsparteien im Vordergrund.

b) BGH S. 309/310: Wenn der Bekl. die ihn krass überfordernde Bürgschaft dennoch übernahm, so geschah dies allein aus Angst um seinen Arbeitsplatz bei der Hauptschuldnerin und den Verlust seines Einkommens, mit dem er seinen Lebensunterhalt bestritt. Dafür besteht in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, wie sie seit längerer Zeit vor allem auch in den neuen Bundesländern herrscht, eine tatsächliche, widerlegliche Vermutung (vgl. KG MDR 1998, 234, 235). Diese Angst, die sich der mit den dortigen Arbeitsmarktverhältnissen vertrauten Kl. als Grund für die ersichtlich unüberlegte Übernahme der für ihn ruinösen Bürgschaft durch den Bekl. aufdrängte, hat den Bekl. daran gehindert, das Risiko…realistisch abzuschätzen, sich zu vergegenwärtigen, dass die Verpflichtung aus der Bürgschaft nicht mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der Hauptschuldnerin endet, und eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Das hat die dem Bekl. strukturell weit überlegene Kl. ausgenutzt, um das mit der Ausreichung des Geschäftskredits über 100.000 € verbundene Risiko (auch) dem Bekl. sowie zwei anderen Arbeitnehmern der nahezu illiquiden Hauptschuldnerin aufzubürden, obwohl sich die Fragwürdigkeit der Arbeitnehmerbürgschaften für sie aufdrängen musste. Sie hat damit versucht, von der aufgezeigten Zwangslage des Bekl. und seiner Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes zu profitieren. Dies gibt, wie das Bundesarbeitsgericht (NJW 1991, 860, 861) für eine Vereinbarung über die Belastung eines am Gewinn nicht beteiligten Arbeitnehmers mit dem Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers entschieden hat, dem Bürgschaftsvertrag nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu beurteilenden Gesamtcharakter das Gepräge der Sittenwidrigkeit.

Somit war der Bürgschaftsvertrag zwischen K und B nach § 138 I nichtig. K hat keinen Anspruch gegen B.

Zusammenfassung