Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Behandlungsvertrag, §§ 630 a - h BGB. ►Wirtschaftliche Aufklärungspflicht des Arztes, § 630 c III BGB; Schadensersatzanspruch bei Verletzung, § 280 I BGB. ► Schaden infolge unterlassener Information. ► Darlegungs- und Beweislast für Schaden; Beweislastumkehr. ► Vorteilsausgleichung. ► Zivilprozessuale Nebenintervention, §§ 66, 68 ZPO
BGH Urteil vom 28.1.2020 (VI ZR 92/19) JZ 2020, 468 (für BGHZ vorgesehen)
Fall (Neuartige Therapie)
Patientin P hatte im Venenzentrum des Dr. B eine Krampfadernbehandlung durchführen lassen. Die Praxis des B ist auf die ambulante Behandlung von Venenleiden spezialisiert und führt diese nach der VenaSeal closure genannten Methode durch. Bei dieser neu entwickelten Methode wird ein Bio-Klebstoff über eine kleine Eintrittsstelle mittels eines Katheters nach und nach in die Vene eingeführt. Eine Narkose ist nicht erforderlich. Der Eingriff erfolgt minimalinvasiv und hinterlässt keine bleibenden Narben. P, die privat krankenversichert ist, hatte vor der Behandlung eine „Einverständniserklärung für neues Therapieverfahren" unterschrieben, in der es u.a. hieß: „Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient, vor Beginn der therapeutischen Behandlung bitten wir Sie um Ihr Einverständnis zu der nicht in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) gelisteten Therapie. Darin erklären Sie: Ich bin mit der Durchführung des Therapieverfahrens“, das näher beschrieben wurde, „einverstanden. Ich bin zahlungswillig und zahlungsfähig. Ich wurde darüber aufgeklärt, dass das Therapieverfahren in der gegenwärtigen Fassung der GOÄ nicht gelistet ist und deshalb eine Analogabrechnung, angelehnt an die GOÄ-Ziffern, erfolgt. Ich wurde darüber aufgeklärt, dass die private Krankenversicherung (PKV) unter Umständen nicht alle Gebührenziffern der analogen GOÄ-Rechnung anerkennt.“
P zahlte die ihr für die Behandlung in Rechnung gestellten 3.500 Euro. Die private Krankenversicherung K der P lehnte aber eine Kostenerstattung mit der Begründung ab, die anerkannte Methode für die Krampfadernbehandlung sei das Venenstripping, dessen Kosten sie übernommen hätte. Dagegen könne die Methode des B mangels ausreichender Langzeiterfahrungen nicht anerkannt werden; auch eine medizinische Notwendigkeit dafür habe nicht bestanden. In dem daraufhin von P gegen K auf Kostenübernahme angestrengten Klageverfahren erklärte B den Beitritt auf Seiten der Klägerin P. Das Gericht folgte der Argumentation der K und wies die Klage mit rechtskräftig gewordenem Urteil ab. Nunmehr verlangt P von B Rückzahlung der 3.500 Euro mit der Begründung, nach den für den Behandlungsvertrag geltenden Vorschriften hätte B sie davor warnen müssen, dass die PKV die Kosten nicht übernimmt. B selbst habe anlässlich der Veröffentlichung einer von ihm früher durchgeführten Studie die Verweigerung der Kostenübernahme durch die PKV beklagt; diese Sachlage hätte er nicht verschweigen dürfen. Wahrscheinlich hätte sie dann die Behandlung bei B nicht durchführen lassen. B erklärt demgegenüber, er halte daran fest, dass K die Kosten übernehmen müsse. Auch könne nach seinen Erfahrungen davon ausgegangen werden, dass P die Behandlung wegen der damit verbundenen Vorteile auch dann hätte vornehmen lassen, wenn sie gewusst hätte, dass sie die Kosten selbst tragen müsse. P räumt ein, dass sie das nicht ausschließen könne. Ist der Anspruch der P gegen B auf Rückzahlung der 3.500 Euro begründet, wenn es keine weitere Möglichkeit gibt, festzustellen, wofür P sich im Falle einer Aufklärung durch B entschieden hätte?
Lösung
Vorbemerkungen: Dem Abdruck des BGH-Urteils in der JZ ist auf S. 472 eine Anmerkung von Katzenmeier/Voigt angefügt. Der Beitrag von Deuring JuS 2020, 489 ff. behandelt das Arzthaftungsrecht.
I. Ein Anspruch auf Rückzahlung nach einem Rücktritt vom Vertrag (§ 346 I BGB) steht P nicht zu, weil weder ein vertragliches noch ein gesetzliches Rücktrittsrecht zugunsten der P eingreift.
II. P könnte gegen B ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht zustehen (§ 280 I BGB; zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf den ärztlichen Behandlungsvertrag Deuring JuS 2020, 489).Die Aufklärungspflicht könnte sich aus § 630 c III BGB ergeben.
1. Zwischen B und P ist ein Behandlungsvertrag (§ 630 a I BGB) geschlossen worden. B war ein zur medizinischen Behandlung der P verpflichteter Behandelnder, P war Patientin. Als Privatpatientin war sie auch selbst zur Zahlung der Vergütung verpflichtet und hat dementsprechend die 3.500 Euro gezahlt. Während bei der gesetzlichen Krankenversicherung der Vertragsarzt seine Vergütung von der Krankenversicherung erhält, hat der Arzt bei Privatpatienten keinen Anspruch gegen deren Krankenversicherung, sondern nur gegen den Patienten.
2. B könnte eine Pflicht zur Aufklärung nach § 630 c III BGB verletzt haben (zu den verschiedenen Aufklärungspflichten des Arztes Deuring JuS 2020, 490).
Als erste Aufklärungspflicht enthält § 630 c Absatz 2 BGB die therapeutische Aufklärungspflicht. § 630 c Abs. 3 BGB normiert eine wirtschaftliche Aufklärungspflicht: Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren. BGH [13] Die in § 630 c Abs. 3 Satz 1 BGB kodifizierte Pflicht zur wirtschaftlichen Information soll den Patienten vor finanziellen Überraschungen schützen und ihn in die Lage versetzen, die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung zu überschauen (vgl. BT-Drucks. 17/10488, S. 22 li. Sp.). Sie zielt allerdings nicht auf eine umfassende Aufklärung des Patienten über die wirtschaftlichen Folgen einer Behandlung (MünchKommBGB/Wagner, 8. Aufl., § 630c Rn. 57; vgl. BT-Drucks. 17/10488, S. 22 re. Sp.; BeckOK BGB/Katzenmeier, § 630c Rn. 19 [Stand: 1. November 2019]). Den Grund für die wirtschaftliche Informationspflicht sieht der Gesetzgeber in einem Wissensvorsprung des Behandlers gegenüber dem Patienten (vgl. BT-Drucks. 17/10488, S. 22 li. Sp.).
a) Voraussetzung für eine einen Schadensersatzanspruch auslösende Pflichtverletzung ist, dass eine Übernahme der Behandlungskosten durch die Krankenversicherung nicht erfolgt. Im Verhältnis zwischen P und K steht das aufgrund des im Vorprozess ergangenen Urteils fest. Allerdings vertritt B weiterhin die Auffassung, dass K zur Kostenübernahme verpflichtet sei. Dieser Einwand könnte ihm nach §§ 66, 68 ZPO versagt sein. §§ 66, 68 ZPO stehen in dem Abschnitt der ZPO, der die „Beteiligung Dritter am Rechtsstreit“ regelt.
aa) Hat eine Person ein rechtliches Interesse daran, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit eine der Parteien obsiegt, kann nach § 66 I ZPO der Dritte der Partei zum Zwecke ihrer Unterstützung beitreten (Nebenintervention). B hatte das Interesse, dass P in dem Vorprozess gegen ihre Krankenversicherung ein obsiegendes Urteil erzielt. Dieses Interesse ergab sich zunächst daraus, dass durch eine Zahlung der K die Deckung der Kosten der P gegenüber B gesichert war. Dass P den Betrag bereits gezahlt hatte, ändert daran nichts, da diese Zahlung in der Erwartung erfolgte, dass K den Betrag erstattete. Außerdem hätte eine Verurteilung der privaten Krankenkasse zur Übernahme der Kosten für eine VenaSeal-closure-Behandlung eine positive Wirkung für künftige gleichliegende Fälle. Deshalb ist B der P in ihrem Prozess zur Unterstützung beigetretenen. (Möglich wäre das auch aufgrund einer Streitverkündung der P gegenüber B nach § 72 ZPO gewesen, mit der sie ihre Rechtsstellung bei dem nachfolgenden Prozess gegenüber B hätte verbessern können.)
bb) Rechtsfolge der Nebenintervention ist nach § 68 ZPO, dass d er Nebenintervenient im Verhältnis zu der Hauptpartei mit der Behauptung nicht gehört wird, dass der Rechtsstreit, d. h. der Vorprozess, unrichtig entschieden worden sei. Deshalb steht auch im Verhältnis der P zu B fest, dass K nicht zur Kostenübernahme verpflichtet ist; der gegenteilige Einwand ist B versagt. (Zur Erstattungspflicht der privaten KV in einem solchen Fall genauer Katzenmeier/Voigt JZ 2020, 473 und Fn. 10.)
b) Weitere Voraussetzung ist, dass d er Behandelnde wusste, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder dass sich hierfür hinreichende Anhaltspunkte ergeben haben.
aa) BGH [14, 15] Dabei ist zwischen gesetzlich und privat versicherten Patienten zu differenzieren. Ein Vertragsarzt wird regelmäßig wissen, ob er für die eigenen Leistungen von der zuständigen Krankenkasse eine Vergütung erhält oder nicht. Denn er kennt die für den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung maßgeblichen Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses (§ 92 SGB V) aus seiner Abrechnungspraxis, da diese für die Leistungserbringer gemäß § 91 Abs. 6 SGB V verbindlich sind und gemäß § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB V bekannt gemacht werden (…). Demgegenüber stellt sich die Situation bei Patienten mit privater Krankenversicherung anders dar. Hier liegt die Kenntnis vom Umfang des Versicherungsschutzes grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Patienten. Der Deckungsschutz privat krankenversicherter Patienten ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Entscheidend sind vielmehr die Bedingungen des konkreten Versicherungsvertrags und die Regulierungspraxis des im Einzelfall zuständigen Versicherers, zu dem allein der Patient in einer vertraglichen Beziehung steht und bei dem dieser vorab eine vorherige Erstattungszusage einholen kann … Deshalb ist bei der Annahme einer Informationspflicht in diesem Bereich grundsätzlich Zurückhaltung geboten.
bb) Im vorliegenden Fall war wesentlich, dass die von B angewendete Behandlungsmethode nicht allgemein anerkannt war und B das wusste. BGH [18] Der Arzt, der eine neue, noch nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode anwendet, muss die Möglichkeit in den Blick nehmen, dass der private Krankenversicherer die dafür erforderlichen Kosten nicht in vollem Umfang erstattet. Schon deshalb musste B die Patientin über die Kostenfrage informieren. Darüber hinaus hat B der Behauptung der P, B selbst habe anlässlich der Veröffentlichung einer von ihm früher durchgeführten Studie die Verweigerung der Kostenübernahme durch die PKV beklagt, nicht widersprochen. Daraus könnte sogar auf Kenntnis des B davon, dass die Kostenübernahme nicht gesichert war, geschlossen werden. Zumindest bestanden aber hierfür hinreichende Anhaltspunkte. B war somit aufklärungspflichtig.
c) B könnte seiner Aufklärungspflicht durch die der P vorgelegten Einverständniserklärung nachgekommen sein. Jedoch konnte P allein aus der Erklärung, dass die neuartige Therapie nicht in der Gebührenordnung gelistet ist, nicht auf eine fehlende Erstattungspflicht der K schließen. Denn die Gebührenordnung betrifft nur das Verhältnis zwischen dem Arzt und dem Patienten; demgegenüber betrifft die Erstattungsfrage das Verhältnis der P zu K. Auch dass die „ PKV unter Umständen nicht alle Gebührenziffern der analogen GOÄ-Rechnung anerkennt“, war für P kein Anlass zu der Annahme, dass K überhaupt keine Kosten übernimmt; eher konnte P daraus schließen, dass eine Erstattung dem Grunde nach zu erwarten war und nur Teilposten von P selbst zu tragen waren.
In der Einverständniserklärung der P lag auch kein nach § 630 c IV BGB möglicher Verzicht auf die Aufklärung. BGH [21] Gemäß § 630 c Abs. 4 BGB führt nur ein ausdrücklicher Verzicht zum Entfallen der Informationspflicht. Um eine Umgehung der Informationspflicht zu vermeiden, hat der Gesetzgeber einen stillschweigenden Verzicht nicht als ausreichend angesehen. Vielmehr sind an das Vorliegen eines Verzichts strenge Anforderungen zu stellen. Der Patient muss den Verzicht deutlich, klar und unmissverständlich geäußert haben (vgl. BT-Drucks. 17/10488, S. 22 f.; Spickhoff/Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl., BGB § 630c Rn. 44…). Diesen Anforderungen genügt die von der Patientin unterzeichnete Erklärung nicht.
d) BGH [22] Folglich hat B die ihm obliegende Pflicht zur wirtschaftlichen Information der Patientin verletzt. Er hat es unterlassen, ihr die voraussichtlichen Behandlungskosten in der gebotenen Form mitzuteilen.
3. B hat auch schuldhaft i. S. der §§ 280 I 2, 276 BGB gehandelt. Da ihm zumindest hinreichende Anhaltspunkte dafür bekannt waren, dass K die Kosten nicht übernehmen könnte, ist ihm der Vorwurf zu machen, dass er P darüber nicht informiert hat.
4. Einschränkungen oder weitere Voraussetzungen aus § 280 II, III BGB ergeben sich nicht. Weder macht P einen Verzugsschaden geltend (§§ 280 II, 286 BGB) noch verlangt sie Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 III, 281 BGB).
III. Die Pflichtverletzung müsste zu einem Schaden der P in Höhe von 3.500 Euro geführt haben. Nach § 249 I BGB hat, wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Danach ist der derzeit bestehende Zustand mit dem Zustand zu vergleichen, in dem sich P befinden würde, wenn B seine Aufklärungspflicht erfüllt hätte (Differenzbetrachtung).
1. Derzeit hat P die Kosten für die Venenbehandlung in Höhe von 3.500 Euro allein getragen. Insoweit hat sich ihr Vermögen um diesen Betrag vermindert. BGH [23] Der Schaden der Patientin liegt darin, dass die Kosten der ärztlichen Behandlung trotz der von der Patientin abgeschlossenen Krankenversicherung von ihr selbst zu tragen waren und nicht von ihrem Krankenversicherer übernommen wurden (…).
2. Ein durch die Pflichtverletzung verursachter Schaden liegt vor, wenn ohne die Pflichtverletzung diese Kosten der P nicht entstanden wären. Nicht entstanden wären sie, wenn B die P informiert hätte und P danach die Behandlung nicht hätte vornehmen lassen. Also hängt die Frage, ob die Kosten von 3.500 Euro ein durch Nichtaufklärung verursachter Schaden sind, vom hypothetischen Verhalten der P im Falle ihrer Aufklärung durch B ab.
a) Für die zur Bejahung des Schadens erforderliche Feststellung, dass P im Falle der Aufklärung die Behandlung nicht hätte vornehmen lassen, reicht ihr Wahrscheinlichkeitsurteil in Verbindung mit ihrer Erklärung, dass sie eine andere Entscheidung nicht ausschließen will, nicht aus. Andererseits lässt sich der abweichenden Aussage des B, die nur auf Erfahrung gegründet und nicht näher abgesichert ist, auch nicht das Gegenteil entnehmen. Objektive Umstände, aus denen sich auf das hypothetische Verhalten der P schließen lässt, gibt es nicht. Nach der Aufgabenstellung besteht auch keine weitere Möglichkeit, festzustellen, wofür P sich im Falle einer Aufklärung entschieden hätte.
b) In solchem Fall hängt die Entscheidung über das Bestehen eines Schadens davon ab, welche Partei die Darlegungs- und Beweislast für die Frage trägt, ob P nach erfolgter Aufklärung von der Behandlung abgesehen hätte - was dem Interesse der P entspricht – oder ob sie - der Vermutung des B zufolge - die Behandlung gleichwohl hätte vornehmen lassen. Es ist zum Nachteil der Partei zu entscheiden, der die Darlegungs- und Beweislast obliegt und die die sich daraus ergebenden Anforderungen nicht erfüllt.
aa) BGH [25] Besteht die Pflichtverletzung - wie im Streitfall - in einem Unterlassen, ist dieses für den Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte (BGHZ 192, 298 Ls. und Rn. 10). Die Beweislast hierfür trägt regelmäßig der Anspruchsteller (BGHZ 192, 298 Rn. 10). Denn nach allgemeinen Regeln ist es grundsätzlich seine Sache, die Entstehungsvoraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus § 280 Abs. 1 BGB - mithin auch den Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden - darzulegen und zu beweisen (BGHZ 64, 46, juris Rn. 14; MünchKommBGB/Wagner, 8. Aufl., § 630 c Rn. 68, § 630 h Rn. 7). Da P Anspruchstellerin ist, obliegt ihr danach die Darlegungs- und Beweislast.
bb) Für das Recht des Behandlungsvertrages gibt es spezielle Beweislastregeln in § 630 h BGB. Sie betreffen Behandlungsfehler, die hier nicht vorliegen, und einen Aufklärungsfehler, der ebenfalls nicht gegeben ist.
cc) Weiterhin gelten Abweichungen von der Regel aa) in den Fällen, in denen eine Beweislastumkehr stattfindet. Da im vorliegenden Fall zwei konkrete Fallgruppen in Betracht kommen, kann dieser Begriff in einem weiteren Sinn verstanden und auf eine genauere Aufgliederung verzichtet werden.
(Genauer zu Beweislastregeln, Beweislastumkehr, Vermutungen, Anscheinsbeweis und sekundärer Beweislast Kalbfleisch JuS 2020, 722; Katzenmeier/Voigt JZ 2020, 475; zur sekundären Beweislast Laumen MDR 2019, 193. Bei Kalbfleisch a. a. O. S. 725 findet sich der wichtige Hinweis, dass in einer Klausur solche Rechtsfiguren nur heranzuziehen sind, wenn nicht zu klären ist, ob ein für die Lösung wesentlicher Umstand vorliegt. Es ist deshalb verfehlt, über die in § 280 I 2 BGB steckende Beweislastregelung zu lösen, wenn sich das Verschulden des Schuldners aus dem Sachverhalt ergibt. Vgl. dazu oben II 3.)
In den Fällen fehlender oder fehlerhafter Information kommen die folgenden Fallgruppen in Betracht.
(1) Es kann die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens eingreifen (BGH NJW 2017, 2403 [27-29]) . Zum vorliegenden Fall [27]: Der BGH hat mehrfach entschieden, dass derjenige, der vertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, abweichend von den allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass sich der Geschädigte bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht „aufklärungsrichtig" verhalten, den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte (BGHZ 89, 95, juris Rn. 17…; vgl. auch OLG Koblenz, GesR 2010, 199 Rn. 18; OLG Köln, VersR 2013, 237 Rn. 35 - jeweils zur therapeutischen Aufklärungspflicht). Dabei wurde die Beweislastumkehr aber von der Voraussetzung abhängig gemacht, dass es um einen auf eine bestimmte Verhaltensweise ausgerichteten Rat oder Hinweis ging und es für den anderen Teil vernünftigerweise nur eine bestimmte Möglichkeit gab, sich „aufklärungsrichtig" zu verhalten (BGH VersR 1989, 700, juris Rn. 16… ). Dagegen wurde eine Beweislastumkehr verneint, wenn es für den anderen Teil vernünftigerweise mehrere Möglichkeiten der Reaktion auf die erforderliche Aufklärung gegeben hätte (vgl. BGH VersR 1989, 700 juris Rn. 16; MünchKommBGB/Wagner, 8. Aufl., § 630 h Rn. 57; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Rn. 170; Geigel/Wellner, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kapitel 14, Rn. 215 - jeweils zur therapeutischen Aufklärungspflicht).
[28] Im vorliegenden Fall einer Verletzung der wirtschaftlichen Informationspflicht gibt es kein aufklärungsrichtiges Verhalten des Patienten. Der Behandler schuldet hier nicht einen auf eine bestimmte Verhaltensweise ausgerichteten Rat, über den sich der Patient nur unvernünftigerweise hinwegsetzen kann, sondern eine Information über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung. Die Information…ist nicht darauf gerichtet, den Patienten von einer beabsichtigten medizinischen Behandlung abzuhalten. Dementsprechend ist es nicht als unvernünftige Missachtung der geschuldeten Information anzusehen, wenn sich ein Patient durch die Mitteilung der voraussichtlichen Kosten nicht von der ihm vorgeschlagenen und von ihm ins Auge gefassten Behandlung abbringen lässt. Hierfür kann er abhängig von seinen persönlichen Vorstellungen und Prioritäten unterschiedliche Gründe haben (vgl. OLG Köln VersR 2009, 405; Geigel/Wellner, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kapitel 14, Rn. 215). Also tritt eine Beweislastumkehr wegen aufklärungsrichtigen Verhaltens nicht ein.
(2) BGH [30] In Kapitalanlagefällen, in denen ein Beratungsfehler zu einem Vermögensschaden geführt hat, hat der BGH entschieden, dass bereits bei feststehender Aufklärungspflichtverletzung - unabhängig davon, ob es für den Anleger vernünftigerweise nur eine oder mehrere Handlungsalternativen gab - eine Beweislastumkehr eintritt (…vgl. BGHZ 193, 159 Rn. 28, 30, 33 f.; WM 2016, 780 Rn. 17…). Er hat dies mit dem besonderen Schutzzweck der Aufklärungspflicht gerechtfertigt, dem Anleger eine sachgerechte Entscheidung über den Abschluss bestimmter Anlagegeschäfte zu ermöglichen. Dieser werde nur erreicht, wenn Unklarheiten, die durch eine Aufklärungspflichtverletzung bedingt seien, zu Lasten des Aufklärungspflichtigen gingen, dieser die Nichtursächlichkeit seiner Pflichtverletzung also zu beweisen habe.
[31] Diese Grundsätze können auf die Haftung des Behandlers wegen Verletzung der Pflicht zur wirtschaftlichen Information des Patienten nicht übertragen werden. Die Interessenlage in der vorliegenden Fallgestaltung ist mit derjenigen in Kapitalanlagefällen und ähnlichen vermögensrechtlich geprägten Fallgestaltungen nicht vergleichbar. Die Entscheidung des Patienten zielt nicht auf die sachgerechte Investition verfügbarer Geldmittel ab, sondern bezieht sich auf die Durchführung einer medizinischen Behandlung, d.h. auf Maßnahmen und Eingriffe am Körper eines Menschen, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern (…). Bei dieser Entscheidung steht nicht die wirtschaftliche Disposition im Vordergrund, sondern die von einer Vielzahl von Faktoren abhängige und nur von jedem Patienten individuell unter Berücksichtigung seiner persönlichen Vorstellungen, Wünsche und Prioritäten zu beantwortende Frage, ob ihm die ins Auge gefasste Behandlung so viel wert ist, dass er sie trotz des Umstands in Anspruch nehmen möchte, dass eine Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist… Angesichts dieser höchst individuellen Prägung der Entscheidung ist es dem Patienten - anders als in den Kapitalanlagefällen - nicht typischerweise unmöglich, darzulegen und zu beweisen, wie er auf die geschuldete Information reagiert hätte.
Der Behandelnde ist auch nicht - anders als der vom BerGer. herangezogene Versicherungsmakler (BGHZ 94, 356, juris Rn. 20) - Sachwalter der wirtschaftlichen Interessen des Patienten. Er ist insbesondere nicht dazu verpflichtet, den Patienten umfassend wirtschaftlich zu beraten (…). Ihn trifft die Pflicht zur wirtschaftlichen Information des Patienten nur als Nebenpflicht.
Also tritt eine Beweislastumkehr auch nicht aufgrund der Grundsätze zu den Kapitalanlagefällen und zu einer ähnlichen Vermögensberatung ein.
dd) Es bleibt deshalb bei dem Ergebnis oben aa), dass die Darlegungs- und Beweislast bei P lag (zustimmend Katzenmeier/Voigt JZ 2020, 474, 476).
c) Dieser Darlegungs- und Beweispflicht ist P nicht nachgekommen. Ihre nur auf eine Wahrscheinlichkeit gestützte Erklärung ermöglicht, wie bereits ausgeführt wurde (oben III 2 a), nicht die zur Bejahung des Schadens erforderliche Feststellung, dass sie im Falle der Aufklärung die Behandlung aus Kostengründen nicht hätte vornehmen lassen. Solange sie ausdrücklich die Möglichkeit offenhält, dass sie auch im Falle einer Aufklärung den Eingriff nach der Methode des B und durch diesen hätte vornehmen lassen, sind die 3.500 Euro kein durch den Aufklärungsmangel verursachter Schaden.
Somit scheitert der Anspruch der P gegen B aus § 280 I BGB daran, dass die 3.500 Euro nicht als ein durch den Aufklärungsmangel verursachter Schaden feststehen.
3. Möglicherweise entfällt ein Anspruch der P aber auch dann, wenn - abweichend von vorstehend c) - die Zahlung der 3.500 Euro als Folge der fehlenden Information und damit zunächst als ein Schaden anerkannt würde. Da der P die ärztliche Behandlung nach der von ihr ursprünglich gewünschten Methode zugute gekommen ist, könnte der Wert dieser Behandlung im Wege einer Vorteilsausgleichung anzurechnen sein und den Schaden entfallen lassen.
a) Nach dem auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot zurückgehenden Grundsatz der Vorteilsausgleichung sind Vorteile, die dem Geschädigten im Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind, anzurechnen, es sei denn, dass die Anrechnung dem Zweck der Schadensersatzleistung widerspricht oder der Schädiger durch sie unbillig entlastet wird (BGHZ 136, 52, 54 ff.; 77, 151, 154). P hat wegen der unterlassenen Information nicht von der Behandlung durch B Abstand genommen, sondern sich wegen ihres Venenleidens behandeln lassen. Da P die Rechnung des B bezahlt hat, ist davon auszugehen, dass die Behandlung erfolgreich war. Ihr Wert kann deshalb mit den in Rechnung gestellten und bezahlten 3.500 Euro angesetzt werden. Dieser Wert ist P zugeflossen. Seiner Anrechnung steht weder der Zweck des Schadensersatzes wegen fehlender Aufklärung entgegen noch wird B durch eine Anrechnung unbillig entlastet, vielmehr erhält er die Gegenleistung für die von ihm gegenüber P erbrachte Leistung. Demzufolge könnte der Verlust der 3.500 durch den Wert der erlangten ärztlichen Leistung in gleicher Höhe ausgeglichen sein und ein Schaden entfallen (vgl. Katzenmeier/Voigt JZ 2020, 474 und Fn. 25).
b) Jedoch ist noch der Umstand zu berücksichtigen, dass P den Wert der Krampfadernbehandlung bei erfolgter Aufklärung durch eine Leistung der K erlangt hätte. Hätte P ihre Krankheit nicht nach der Methode B behandeln lassen, hätte sie, da sie diese nicht unbehandelt gelassen hätte, ein Venenstripping vornehmen lassen. Dessen Kosten wären von ihrer Krankenkasse übernommen worden. Folglich hätte sie eine Venenbehandlung auch ohne Zahlung von 3.500 Euro erlangt, was eine Anrechnung der vollen 3.500 Euro als Wert der Behandlung ausschließt. Es wäre zu einem Austausch der Leistungen unter Vermeidung einer Zahlung von 3.500 Euro gekommen, so dass ein Behandlungswert von 3.500 Euro nicht zu Lasten der P anzurechnen ist. Eine wesentliche Minderung des Schadens erfolgt deshalb nicht. Anzurechnender Vorteil könnte lediglich ein eventueller Mehrwert sein, den das neue Verfahren im Vergleich zum Venenstripping bietet, dessen Höhe sich aber nicht bestimmen lässt. Folglich ist Ergebnis in dem Fall, dass die Zahlung der 3.500 Euro als Folge der fehlenden Information anerkannt wird, nicht der Wegfall des Schadens infolge einer Vorteilsausgleichung, sondern allenfalls eine Minderung des Schadensersatzes in dem Umfang, in dem das neuartige Verfahren zu einem vermögensmäßig berechenbaren Vorteil geführt hat und der im Prozess nach § 287 ZPO geschätzt werden könnte (Rosenberg/Nober, ZPO, 78. Aufl. 2020, § 287 Rdnr. 23 „Vorteilsausgleichung“). Jedenfalls dem Grunde nach ließe eine Vorteilsausgleichung den Schaden nicht entfallen.
4. Die Lösung des Falles beruht deshalb weiterhin auf dem unter III 2 gefundenen Ergebnis, wonach P ihrer Darlegungslast nicht ausreichend nachgekommen ist und den Schaden nicht wie erforderlich dargelegt hat. Für die Prüfung eines Mitverschuldens der P (§ 254 BGB), das darin liegen könnte, dass sie bei K keine Auskunft über die Kostenübernahme eingeholt hat (vgl. Katzenmeier/Voigt JZ 2020, 476 und Fn. 60), besteht mangels eines Schadens kein Grund.
Ergebnis: Der Anspruch der P gegen B auf R ückzahlung der 3.500 Euro ist nicht begründet.
Zusammenfassung