Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Im Folgenden geht es um ein ungeschriebenes Rechtsinstitut des allgemeinen Schadensrechts: die Vorteilsausgleichung. Dabei unterscheidet der BGH auf S. 2528 unter a) zwischen

Schadenszurechnung bei Doppelkausalität im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität. Vorteilsausgleichung durch Abzug „neu für alt“

BGH vom 7. 5. 2004 (V ZR 77/03) NJW 2004, 2526

Fall (Grundstück doppelt kontaminiert)

K hat von V ein früher gewerblich genutztes Grundstück gekauft. Dieses Grundstück hatte V zuvor von E erworben. In früherer Zeit waren auf dem Grundstück asphalthaltige Materialien gelagert worden, so dass dieses großflächig und mehrere Meter tief mit polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) verseucht war. Davon hatte V aber keine Kenntnis, so dass insoweit der zwischen V und K vereinbarte Gewährleistungsausschluss eingriff. Weiterhin waren während der Besitzzeit des V 10 000 l Heizöl (Mineralölkohlenwasserstoffe = MKW) aus einem schadhaften Tank in das Erdreich ausgelaufen. Das hatte V gewusst und dem K bei Abschluss des Kaufvertrages verschwiegen. Als K davon erfuhr, hat er V auf Schadensersatz verklagt und ein rechtskräftig gewordenes Grundurteil des Landgerichts erlangt, wonach V dadurch, dass er bei Abschluss des Kaufvertrages die Verunreinigung des Grundstücks mit MKW verschwiegen hat, eine schuldhafte Vertragsverletzung begangen und den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen hat. K ließ das Grundstück sanieren, indem das Erdreich teils gereinigt, teils ausgetauscht wurde, und verlangt von V Ersatz der ihm dadurch entstandenen Kosten in Höhe von 613.000 €. V beruft sich darauf, dass bei der Sanierung auch die Verseuchung durch PAK beseitigt wurde.

I. Nach dem Grundurteil des Landgerichts steht bindend fest (vgl. BGH S. 2527 unter 1), dass V durch den Verkauf des mit MKW verunreinigten Grundstücks und das Verschweigen dieser Verunreinigung eine schuldhafte Vertragsverletzung begangen hat. Damit ist die sog. haftungsbegründende Kausalität des Verhaltens des V festgestellt.

II. Weiterhin legt das Grundurteil fest, dass V dem K den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen hat. Diese sog. haftungsausfüllende Kausalität (BGH S. 2527/8 unter a) entscheidet darüber, ob K von V die 613.000 € als Schaden ersetzt verlangen kann. K berechnet den Schaden in zulässiger Weise so, dass er das Grundstück behält und die Sanierungskosten geltend macht („kleiner Schadensersatz“, BGH S. 2527 unter 1). Die Sanierungskosten kann K von V ersetzt verlangen, wenn und soweit sie eine Folge der Vertragsverletzung des V sind. Dabei bezieht sich die Vertragsverletzung, die in dem Grundurteil festgestellt wurde, nur auf die MKW-Verunreinigung. Diese müsste für die Sanierungskosten in Höhe von 613.000 € ursächlich sein.

1. Zur Feststellung der Kausalität ist von der Äquivalenztheorie und der sie ausfüllenden conditio-sine-qua-non-Formel auszugehen. Denkt man danach die MKW-Verunreinigung hinweg, so bleibt gleichwohl der Sanierungsbedarf wegen der PAK-Verseuchung bestehen und hätte infolge der großflächigen und tiefgehenden Kontamination bei K vermutlich Kosten in etwa gleicher Höhe verursacht. Danach wäre die MKW-Verunreinigung nicht kausal. Andererseits wäre auch die PAK-Verseuchung nicht kausal, weil das Grundstück wegen der MKW-Verunreinigung saniert werden musste. Man kann also jedes Ereignis für sich hinwegdenken, ohne dass der Sanierungsschaden entfällt, nicht jedoch beide Kontaminationen.

2. Zu diesem Fall der sog. Doppelkausalität BGH S. 2527/ unter 2a): Ist ein bestimmter Schaden durch mehrere gleichzeitig wirkende Umstände, etwa durch mehrere Mängel einer Sache, verursacht worden und hätte, wie hier, jede dieser Ursachen für sich allein ausgereicht, um den ganzen Schaden herbeizuführen, dann sind sämtliche Umstände als rechtlich ursächlich zu behandeln, obwohl keiner von ihnen als „conditio sine qua non“ qualifiziert werden kann (BGH, NJW 1988, 2880 [2882]; MDR 1983, 1001…; vgl. auch…BGHSt 39, 195 [198]). In diesen Fällen der so genannten Doppelkausalität bedarf es einer entsprechenden Modifikation der Äquivalenztheorie (vgl. hierzu BGH, NJW 1995, 126 [127] m. w. Nachw.), weil der eingetretene Schadenserfolg ansonsten auf keine der tatsächlich wirksam gewordenen Ursachen zurückgeführt werden könnte. Aus diesem Grund kann die Verursachung eines Schadens durch die MKW-Kontamination nicht mit dem Hinweis darauf verneint werden, dass eine Sanierung des Grundstücks wegen der Verunreinigung mit PAK ohnehin erforderlich gewesen sei. Ebenso ließe sich argumentieren, eine Dekontamination sei schon wegen der Verunreinigung mit MKW notwendig, so dass sich die PAK-Kontamination nicht nachteilig auswirke, womit im Ergebnis beide Sachmängel als Schadensursachen ausscheiden würden, obwohl sie tatsächlich zu einer Wertminderung des Grundstücks geführt haben.

Somit ist die MKW-Verunreinigung für die Sanierungskosten ohne Rücksicht darauf ursächlich, dass eine Sanierung auch wegen der PAK-Verseuchung hätte erfolgen müssen. Die Sanierungskosten fallen grundsätzlich unter den von V zu ersetzenden Schaden.

3. Zur Abgrenzung weist der BGH auf S. 2528 unter 2b) noch darauf hin, dass es sich hier nicht – wie das OLG angenommen hatte – um das Problem einer Reserveursache handelt. Diese ist nur hypothetisch und hätte, denkt man die reale Ursache hinweg, den Schaden auch sonst herbeigeführt. Demgegenüber hat hier die PAK-Verseuchung den Schaden real, wenn auch in Konkurrenz mit der MKW-Kontamination, herbeigeführt. Damit liegt ein Fall der entlastenden Reserveursache nicht vor (vgl. BGH, MDR 1983, 1001).

III. K könnte sich anrechnen lassen müssen, dass durch die MKW-Sanierung zugleich die PAK-Verseuchung mit beseitigt worden ist und K deshalb die Kosten gespart hat, die er sonst bei der Beseitigung der PAK-Verseuchung hätte aufwenden müssen. Dadurch könnte der zu ersetzende Schaden i. S. des § 249 I gemindert sein oder ganz entfallen.

1. BGH S. 2528 unter a): Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung im engeren Sinne betreffen die Anrechnung positiver Auswirkungen auf das Vermögen der Geschädigten, welche durch das zur Haftung führende Ereignis und die nachfolgende Schadensentwicklung adäquat kausal verursacht werden (im vorangegangenen Fall: der Zufluss eines Umsatzsteuerbetrages an den geschädigten Bund im Zusammenhang mit der Reparatur der Leitplanke). Darum geht es hier nicht. Die PAK-Belastung ist nicht durch die MKW-Kontamination verursacht worden. Dabei ist wohl zu ergänzen: Auch die Entlastung von der PAK-Verseuchung (als möglicherweise anzurechnender Vorteil) ist keine Folge des in der Vertragsverletzung durch V liegenden Haftungsereignisses, sondern ist erst von K im Zusammenhang mit der Schadensbeseitigung herbeigeführt worden.

2. Vermögensvorteile, die erst durch die Ersatzleistung des Schädigers entstehen, also auf der Ebene der Schadensbeseitigung liegen, werden demgegenüber nach den Regeln über einen Abzug „neu für alt“ ausgeglichen. Obwohl sich dies der Vorteilsausgleichung im weiteren Sinne zuordnen lässt (mit Nachw.), handelt es sich um einen eigenständigen rechtlichen Gesichtspunkt (Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., § 6 V 3, und § 9 I 3…).

a) Die geschuldete Ersatzleistung geht insbesondere bei der Verpflichtung zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands (§ 249 BGB) häufig über die Beseitigung des effektiv verursachten Schadens hinaus und führt so zu ausgleichsbedürftigen Wertzuwächsen bei dem Geschädigten (vgl. Oetker, in: MünchKomm, § 249 Rdnr. 333). Solche infolge der Art des Ausgleichs entstehenden Vorteile werden durch einen Abzug „neu für alt“ berücksichtigt. BGH S. 2528 unter b): Steht der zu Schadensersatz wegen Nichterfüllung berechtigte Gläubiger infolge der Ersatzleistung besser, als er bei ordnungsgemäßer Erfüllung der nicht erbrachten Leistung stünde, so ist diese Differenz grundsätzlich auszugleichen (BGHZ 136, 52 [54]). Theoretischer Grundfall ist, dass die Schadensersatzleistung durch Lieferung einer neuen statt der beschädigten gebrauchten Sache erfolgt.

b) Das gilt allerdings nicht ausnahmslos. Der Schadensersatzanspruch strebt zwei nicht immer restlos zu vereinbarende Ziele an. Er soll dem Geschädigten einerseits vollen Ausgleich verschaffen, ihn andererseits aber nicht bereichern. Dieses zweite Ziel gebietet einen Abzug „neu für alt“, wenn damit nicht in unzumutbarer Weise in das erste eingegriffen wird (Lange/Schiemann, § 6 V 3; vgl. auch Oetker, in: MünchKomm, § 249 Rdnr. 333, sowie BGH NJW 1997, 520).

Im vorliegenden Fall liegt die Besonderheit darin, dass V grundsätzlich auch für den aus der PAK-Verseuchung herrührenden Mangel verantwortlich war (§ 433 I 2 BGB), auch wenn insoweit die Gewährleistung wirksam ausgeschlossen worden ist. BGH: Die ursprüngliche vertragliche Leistungspflicht der Bekl. beinhaltete die Lieferung eines vertragsgerechten und damit auch nicht mit PAK kontaminierten Grundstücks. Der Ausschluss der Sachmängelgewährleistung hatte diese Verpflichtung bis zum Gefahrübergang nicht eingeschränkt… K hätte deshalb das Grundstück, falls er vor dessen Übertragung von der Kontamination erfahren hätte, als nicht vertragsgerecht zurückweisen können. War die Bekl. aber zur Lieferung eines schadstofffreien Grundstücks verpflichtet, so ist eine Ersatzleistung, die über die Beseitigung eines arglistig verschwiegenen Mangels hinaus auch die Herstellung dieses ursprünglich geschuldeten Zustands ermöglicht, nicht als ungerechtfertigter Vermögenszuwachs der Käuferseite anzusehen. Es besteht also kein Grund, von einer durch die Schadensbeseitigung eingetretenen ungerechtfertigten Bereicherung des K auszugehen und diese auszugleichen.

Würde man anders entscheiden, wäre das Ergebnis offensichtlich untragbar: V wäre von der Haftung frei, weil das von ihm gelieferte Grundstück noch an einem weiteren schwerwiegenden Mangel litt, während er haften müsste, wenn das Grundstück im Übrigen vertragsgemäß gewesen wäre. BGH: Andernfalls stünde die Bekl. infolge des…weiteren Fehlers besser, als sie auf Grund der Arglist bei Lieferung eines im Übrigen fehlerfreien Grundstücks stünde…

Somit erfolgt weder eine Vorteilsausgleichung i. e. S. noch ein Abzug „neu für alt“. K kann von V Ersatz der 613.000 € verlangen.

Zusammenfassung