Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Vertrag über Sachverständigengutachten als Werkvertrag, § 631 BGB. Schadensersatzanspruch wegen Mängeln des Werkes, §§ 634 Nr. 4, 280 I BGB. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Einbeziehung von Anlegern in den Schutzbereich eines Gutachtensvertrages

BGH Urteil vom 20. 4. 2004 (X ZR 250/02) NJW 2004, 3035

Fall (Wertgutachten für Immobilienprojekt)

Die G-GmbH wollte von Eigentümer E ein 27.500 m 2 großes Grundstück mit einer alten Bebauung erwerben und darauf bauliche Anlagen mit Büros, Geschäften und Wohnungen errichten. Die Finanzierung war so geplant, dass eine Anleihe aufgelegt und von privaten Investoren gezeichnet werden sollte; die Restfinanzierung sollte über eine Bank erfolgen. Unter Hinweis darauf ließ G von S, einem privaten Sachverständigen für die Bewertung von Grundvermögen, ein Gutachten über den Verkehrswert des Grundstücks erstellen. Bei seiner Bewertung führte S aus, eine Wertbestimmung nach dem Vergleichswertverfahren sei nicht möglich gewesen, weil die hierfür erforderlichen fünf Vergleichsgrundstücke nicht zur Verfügung gestanden hätten. Die Wertbestimmung habe er deshalb nach dem Ertragswertverfahren vorgenommen. Der sich daraus ergebende Verkehrswert betrage 6 Mio. Euro. Dabei legte S die Erträge zu Grunde, die nach Verwirklichung der beabsichtigten Bebauung voraussichtlich erzielt werden könnten, was aus dem Gutachten aber nicht erkennbar war. In den dem Gutachten vorangestellten Allgemeinen Bemerkungen wird ausgeführt: „Das Wertgutachten ist für Planungs- und Finanzierungszwecke und nur für den Auftraggeber und den angeführten Zweck bestimmt.“ Nach Vorlage des Gutachtens wurde auf dem Grundstück des E zu Gunsten der G eine Grundschuld über 5 Mio. € eingetragen. In einem Emissionsprospekt verwies G auf den in dem Gutachten ausgewiesenen Verkehrswert von 6 Mio. € sowie auf die Grundschuld und warb um die Zeichnung von Obligationsscheinen. Zu den zahlreichen Zeichnern gehörte K, der Obligationsscheine in Höhe von 15.000 € erwarb. Der weitere Vertrieb der Scheine wurde aber vom zuständigen Bundesaufsichtsamt untersagt, weil dies nur Banken gestattet sei und G keine Bankerlaubnis habe. G musste sich zur Rückzahlung der Zeichnungsbeträge verpflichten, wodurch das Bauprojekt zum Erliegen kam. G und E hatten bereits so hohe Verpflichtungen übernommen, dass sie Insolvenz anmelden mussten. K erhielt eine Rückzahlung in Höhe von 5.000 €, für weitere Zahlungen war kein Geld mehr da. Die Verwertung des Grundstücks erbrachte nur einen weit unter 6 Mio. € liegenden Erlös, weil die Realisierung der Bebauung nicht erfolgt war. K verlangt von S Erstattung von 10.000 €, weil das Gutachten zumindest irreführend gewesen sei. Zu Recht ?

I. § 839a BGB scheidet aus, weil diese Vorschrift einen vom Gericht ernannten Sachverständigen zur Voraussetzung hat.

II. Anspruchsgrundlage können §§ 634 Nr. 4, 280 I BGB sein. Ein Gutachten, das den Wert eines Grundstücks feststellen soll, ist ein durch Leistung herbeizuführender Erfolg und damit ein Werk i. S. des § 631 I, II BGB. Jedoch ist ein Vertrag nur zwischen der G-GmbH und S und nicht zwischen K und S geschlossen worden.

III. K könnte einen Anspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter haben, wobei als Vertrag mit Schutzwirkung für K der zwischen G und S geschlossene Werkvertrag in Betracht kommt.

1. Zur Herleitung dieses Rechtsinstituts:

a) BGH auf S. 3036 unter a) bezieht sich auf die st. Rspr. und führt aus: Diese Rspr. beruht auf einer maßgeblich durch das Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) geprägten ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB). Ihr liegt zu Grunde, dass der Vertragsschuldner die Leistung nach dem Vertrag so zu erbringen hat, dass bestimmbare Dritte nicht geschädigt werden. Das hat zur Folge, dass einem einbezogenen Dritten im Falle der Schädigung ein eigener Ersatzanspruch als sekundärer vertraglicher Leistungsanspruch gegen den Schuldner zusteht. § 328 (analog), auf den der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte früher gestützt wurde, wird vom BGH nicht mehr erwähnt.

b) Dem Wortlaut nach kommen auch §§ 311 III, 241 II in Betracht. So wird vertreten, § 311 III sei nunmehr Grundlage für das Rechtsverhältnisses mit Schutzwirkung für Dritte (Schwab JuS 2002, 873 m. w. Nachw. Fn. 11). Demgegenüber erwähnt der BGH § 311 III nicht. Emmerich JuS 2004, 1102 führt bei der Behandlung des vorliegenden Falles zwar § 311 in der Überschrift auf, wendet ihn aber nicht an. Auch Hk-BGB/Schulze § 328 Rdnr. 12 erwähnt bei der Behandlung des Vertrages mit Schutzwirkung § 311 nicht. Palandt/Heinrichs, 64. Aufl. 2005, stellt bei § 311 Rdnr. 60 ausdrücklich fest: „Der Sachverständige haftet Dritten für ein von ihm erstattetes unrichtiges Gutachten…nicht auf Grund von III, sondern nach den von der Rspr. entwickelten Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter.“ Dementsprechend wird hier nicht von § 311 III ausgegangen, was sich aber nicht auf das Ergebnis auswirkt, weil auch auf dessen Grundlage die gleichen Überlegungen wie im Folgenden anzustellen wären.

2. K müsste in den Schutzbereich des Vertrags zwischen G und S einbezogen worden sein.

a) Für die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich einer Rechtsbeziehung werden allgemein die folgenden Voraussetzungen aufgestellt (Hk-BGB/Schulze, 3. Aufl., § 328 Rdnr. 15 ff.):

b) Der BGH geht bei der hier gegebenen Fallgruppe, der Erstellung von Gutachten oder der Abgabe von Testaten, nicht im Einzelnen von diesen Voraussetzungen aus, sondern betont, dass es sich um eine Auslegungsfrage handelt, und wendet die spezielleren Grundsätze der sog. Berufshaftung an (S. 3036 unter a). Klassische Fallgruppe der Berufshaftung ist die Haftung von Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und ähnlichen Sachverständigen für unrichtige Testate und Wertgutachten gegenüber Anlegern und Kreditinstituten (Emmerich JuS 2004, 1102).

aa) Nach diesen Grundsätzen besteht ein Wille zur Einbeziehung, wenn eine Person, die über besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt, auftragsgemäß ein Gutachten oder Testat abgibt, das erkennbar zum Gebrauch gegenüber Dritten bestimmt ist und deshalb in der Regel nach dem Willen des Bestellers mit einer entsprechenden Beweiskraft ausgestattet sein soll (folgen Nachw.)… Dabei ist entscheidend, ob der Sachverständige nach dem Inhalt des Auftrags damit rechnen musste, sein Gutachten werde gegenüber Dritten verwendet und von diesen zur Grundlage einer Entscheidung über Vermögensdispositionen gemacht. (Würde im vorliegenden Fall von § 311 III 1 ausgegangen – vgl. oben 1b –, könnten diese Überlegungen auch auf § 311 III 2 gestützt werden.) Allerdings kann dem Sachverhalt nicht entnommen werden, dass S ein öffentlich bestellter Gutachter (§ 36 GewerbeO) ist.

bb) Darüber hinaus ist anerkannt, dass auch solche Sachverständige, die ohne staatliche Anerkennung gutachterlich tätig werden, nach den für Verträge mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter aufgestellten Grundsätzen jedenfalls dann nicht nur gegenüber ihrem Vertragspartner haften, sondern auch Dritten für die Richtigkeit ihres Gutachtens einstehen müssen, wenn der Auftrag zur Erstattung des Gutachtens nach dem zu Grunde zu legenden Vertragswillen der Parteien den Schutz Dritter umfasst (BGH NJW 2001, 514 [516]…). Ein Gutachten, das Dritten als Grundlage für Vermögensdispositionen insbesondere im Verhältnis zu dem Auftraggeber dienen soll, erfasst grundsätzlich auch den Schutz dieser Dritten; ein entgegenstehender Wille der Vertragsparteien mit dem Ziel einer Täuschung des Dritten wäre treuwidrig und daher unbeachtlich.

c) Ob das Gutachten im vorliegenden Fall zur Verwendung gegenüber Dritten bei Vermögensdispositionen bestimmt war, ergibt sich aus den Vorstellungen der Parteien, für die die Angaben im Gutachten selbst ein wesentliches Indiz sind (BGH LS 1). Nach den Allgemeinen Bemerkungen im vorliegenden Gutachten diente das Gutachten auch Finanzierungszwecken. Diese Angabe reicht nach BGH S. 3037 unter bb) zwar noch nicht aus, weil damit auch die betriebsinterne Vorbereitung der Finanzierung gemeint sein kann. Da G den S laut Sachverhalt aber darüber informiert hatte, dass das Bauprojekt durch private Investoren finanziert werden sollte, und es zudem der Regelfall ist, dass eine weitere Finanzierung durch eine Bank erfolgt, ist anzunehmen (BGH S. 3037 unter cc), dass der Bekl. nicht nur ausweislich der Zweckangabe in seinem Gutachten, sondern auch ausweislich dessen Inhalts mit einer Verwendung des Gutachtens bei Verhandlungen über ein Kreditgeschäft, bei dem der Grundstückswert als Sicherheit dienen sollte, gerechnet hat oder hat rechnen müssen. Dass nach den Allgemeinen Bemerkungen das Gutachten nur für den Auftraggeber bestimmt war, ändert daran nichts, weil die Vorlage des Gutachtens zu Zwecken der Geldbeschaffung gerade eine Verwendung durch den Auftraggeber ist, für die das Gutachten erstellt wurde.

d) Anschließend berücksichtigt der BGH (S. 3037/8 unter c) noch den den Voraussetzungen oben a 1)-3) zu Grunde liegenden Gedanken, dass der Kreis der von den Schutzpflichten eines Gutachtensauftrags erfassten Personen nicht uferlos ausgeweitet werden darf (BGH NJW 1998, 1059 [1062]; 1987, 1758 [1760]). Diesem Zweck diente die ursprüngliche Begrenzung der Schutzwirkung auf Personen, denen gegenüber der Vertragspartner eine besondere Fürsorgepflicht etwa aus einer familienrechtlichen, arbeitsrechtlichen oder mietvertraglichen Beziehung hat. Tragender Gesichtspunkt für die Beschränkung des Kreises der einbezogenen Dritten ist…das Anliegen, das Haftungsrisiko für den Schuldner kalkulierbar zu halten. Der Schuldner soll die Möglichkeit haben, sein Risiko bei Vertragsschluss zu kalkulieren und gegebenenfalls zu versichern… Einer Beschränkung des Kreises der in den Vertrag einbezogenen Dritten bedarf es dagegen nicht, wenn durch ihre Einbeziehung eine Ausweitung des Haftungsrisikos nicht eintritt… Im vorliegenden Fall wusste S, dass sich möglicherweise ein Kreditgeber auf den im Gutachten angegebenen Wert verlässt. S ging das Risiko ein, dass das Grundstück bis zu dem im Gutachten angegebenen Wert belastet wird und dass er haften muss, wenn der tatsächliche Wert des Grundstücks niedriger ist und der Kreditgeber dadurch einen Ausfall erleidet. Tritt an die Stelle eines Kreditgebers eine Vielzahl von Anlegern, wird das Haftungsrisiko lediglich auf diese aufgeteilt…

e) Somit sind die Anleger, zu denen K gehört, in den Schutzbereich des Werkvertrages über die Erstellung des Wertgutachtens einbezogen. K hat gegen S einen vertraglichen Anspruch aus §§ 634 Nr. 4, 280 I, wenn deren weitere Voraussetzungen vorliegen.

3. Eine Pflichtverletzung des S liegt vor, wenn das Gutachten mangelhaft i. S. des § 633 II war, was der Fall ist, wenn es falsch oder irreführend war.

a) Die Auswahl der Bewertungsmethode ist nicht zu beanstanden. Die Bestimmung des Verkehrswerts eines Grundstücks kann nach Vergleichswerten, dem Sachwert oder dem Ertrag erfolgen (BGH NJW 2004, 2672). Wenn die primär vorzugswürdige Vergleichswertmethode an dem Mangel an Vergleichsobjekten scheitert, ist auch die Ertragswertmethode zulässig, insbesondere wenn ein Projekt auch der Kapitalanlage dient.

b) Jedoch ist S dadurch zu dem Verkehrswert von 6 Mio. Euro gekommen, dass er den Wert der Immobilie im Zeitpunkt nach der Verwirklichung der beabsichtigten Bebauung zu Grunde gelegt hat. Die Anleger durften das Gutachten aber so verstehen, dass der gegenwärtige Verkehrswert sich auf 6 Mio. beläuft, weil sie für ihre noch vor der Verwirklichung des Projekts zu zahlenden Gelder Sicherheit benötigten. Zumindest wäre geboten gewesen, auf diesen nicht zu erwartenden Blickwinkel des Gutachtens deutlich hinzuweisen, was nicht geschehen ist. Die Vernachlässigung des Interesses der Anleger, sie über den gegenwärtigen Wert zu informieren und nicht über einen von einer noch ungewissen Entwicklung abhängigen zukünftigen Ertragswert, macht das Gutachten fehlerhaft (vgl. BGH S. 3039 re. Sp., 2. Abs.). Die Erstellung eines in dieser Weise fehlerhaften Gutachtens durch einen Sachverständigen bedeutet eine schuldhafte Pflichtverletzung.

4. Weitere Voraussetzungen für den Schadensersatzanspruch dem Grunde nach bestehen nicht. Insbesondere bedurfte es keiner Fristsetzung nach §§ 634 Nr. 4, 281, weil K keinen Schadensersatz statt der Leistung verlangt, sondern nur – als Dritter – sein Integritätsinteresse in Form eines Mangelfolgeschadens geltend macht.

5. Der Schaden des K ergibt sich daraus, dass im Falle einer zutreffenden Bewertung der Verkehrswert deutlich niedriger gelautet hätte. Da die Firma G sich offenbar den Anlegern gegenüber korrekt verhalten wollte, hätte sie auch nur eine niedrigere Grundschuld eintragen lassen und nur in deren Höhe Gelder eingeworben. K hätte sich dann entweder nicht beteiligt oder hätte die volle Summe zurückerhalten. In beiden Fällen hätte er die 10.000 € nicht eingebüßt. Diese sind deshalb der Schaden, den K von S ersetzt verlangen kann.

IV. Der BGH prüft außerdem § 826 BGB.

1. S. 3038 unter a): Nach der Rspr. des BGH ist Voraussetzung für die Haftung eines Gutachters wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung eines Dritten durch ein fehlerhaftes Gutachten, dass der Sachverständige bei Erstellung des Gutachtens leichtfertig oder gewissenlos und zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat. Dass der Sachverständige ein falsches Gutachten erstellt hat, reicht dazu nicht aus.

2. Im Originalfall war der Sachverhalt insoweit noch nicht genügend aufgeklärt, so dass der BGH auf S. 3039 vor III mit der Feststellung, eine derartige Haftung sei nicht ausgeschlossen, den Fall an das OLG zurückverwiesen hat. Nach obigem Sachverhalt hat S durch die Vermengung eines künftigen Grundstückswerts mit dem derzeitigen leichtfertig gehandelt. Es handelt sich um eine prinzipielle Unklarheit, die über eine bloße Unrichtigkeit des Gutachtens hinausgeht. Auch hat S, wenn er sich insoweit nicht um die unbedingt gebotene Klarheit bemüht hat, die Schädigung der Anleger in Kauf genommen und mit Eventualvorsatz gehandelt. Damit lässt sich auch ein Anspruch aus § 826 bejahen.

Zu den Voraussetzungen für § 826 bei der Schädigung von Kapitalanlegern vgl. auch BGH NJW 2004, 2668, Infomatec II. Im dortigen Fall hatten Vorstandsmitglieder einer AG den Börsenkurs durch wissentlich unrichtige ad hoc-Mitteilungen kurzfristig „hochgejubelt“ und dadurch Anleger zum Kauf von Aktien veranlasst, die später stark an Wert verloren. Die Vorstandsmitglieder wurden vom BGH persönlich nach § 826 haftbar gemacht. – Zur Kausalität zwischen vorsätzlich sittenwidrigem Handeln und Schaden in derartigen Fällen vgl. BGH NJW 2004, 2666/7, Infomatec I (dort verneint).

Zusammenfassung