Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Der nachfolgend zu behandelnde Fall betrifft die Zwangsvollstreckung nach der ZPO (8. Buch, §§ 704 bis 915 h). Beim Vollstreckungsverfahren auf Herausgabe von Grundstücken oder Wohnungen durch Räumung kann sich die Frage stellen, inwieweit auch andere Personen als der Schuldner, die sich in der Wohnung aufhalten, von Vollstreckungsmaßnahmen betroffen sein können.

1. Eine solche Person kann ein Untermieter sein, der in der Wohnung wohnt, die an den Eigentümer auf Grund eines Räumungstitels herauszugeben ist (Vollstreckung nach § 885). Dazu hat der BGH in NJW-RR 2003, 1450 = JurTel 2004, 141 = JuS 2004, 349 entschieden, dass aus einem Titel gegen den Hauptmieter nicht zugleich gegen den Untermieter vollstreckt werden kann, dass es vielmehr eines gegen den Untermieter gerichteten Titels bedarf, wobei dies unabhängig davon ist, ob der Untermieter seine Stellung mit oder ohne Zustimmung des Eigentümers erlangt hat.

2. Die folgende Entscheidung betrifft Wohnungen, deren Räumung der Eigentümer = Vermieter betreibt und in denen auch Ehepartner wohnen. Sind beide Ehepartner Mieter, wird der Eigentümer die Klage gegen beide richten und auch den Titel gegen beide erwirken; dann ist die Vollstreckung unproblematisch. Anders ist es, wenn nur ein Ehegatte Mieter ist und der Vermieter nur diesen verklagt hat. Dazu kann es leicht kommen, weil ein Mieter berechtigt ist, seinen Ehepartner auch ohne Zustimmung des Vermieters in die Wohnung aufzunehmen; insbesondere ist der Ehepartner nicht Dritter i. S. des § 540 BGB (Palandt/Weidenkaff, BGB, 64. Aufl. 2005, § 540 Rdnr. 5; vgl. auch BGHZ 157, 1 = JurTel 2004 Heft 5 S. 92 „Einzug des Lebensgefährten“). In der nachfolgenden Entscheidung setzt der BGH die in NJW-RR 2003, 1450 (vgl. oben 1.) begonnene Rspr. fort.

Vollstreckungsvoraussetzungen bei Räumung einer Wohnung, § 885 ZPO. Rechtsstellung des die Wohnung mitbewohnenden Ehepartners, §§ 854, 855 BGB. Notwendigkeit der Bezeichnung der Person, gegen die sich die Vollstreckung richtet, § 750 I 1 ZPO

BGH Beschluss vom 25. 6. 2004 (IXa ZB 29/04) NJW 2004, 3042

Frau M hatte von der Vermieterin V eine Drei-Zimmer-Wohnung gemietet, in der sie mit ihrem Ehemann E und ihrer 14jährigen Tochter T wohnt. V hatte den Mietvertrag wirksam gekündigt und, nachdem M nicht freiwillig ausgezogen war, gegen M einen rechtskräftigen Räumungstitel erwirkt. V übersandte den Titel der zuständigen Gerichtsvollzieherin G mit der Bitte um Durchführung der Vollstreckung. Als G der M die Durchführung der Zwangsräumung ankündigte, erfuhr sie, dass auch E und T in der Wohnung wohnen und nach Aussage der M nicht bereit sind, auszuziehen. G verweigerte daraufhin gegenüber V die Durchführung der Vollstreckung. Wie ist über die von V dagegen erhobene Erinnerung zu entscheiden ?

Die Erinnerung (§ 766 ZPO) hat Erfolg, wenn G verpflichtet ist, den Vollstreckungsauftrag durchzuführen und die Räumung vorzunehmen.

I. V begehrt die Vollstreckung wegen einer Forderung auf Herausgabe einer unbeweglichen Sache nach § 885 ZPO. Diese Vorschrift bezieht sich auch auf Teile eines Grundstücks, zu denen eine Wohnung gehört (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 885 Rdnr. 1). Die Vollstreckung erfolgt durch Räumung der Wohnung und Einweisung des Gläubigers in den Besitz. Voraussetzungen für jede Vollstreckung und damit auch für § 885 ZPO sind Titel, Klausel und Zustellung des Titels (§§ 704, 725, 750 I 1 ZPO). Soweit V die Vollstreckung gegenüber ihrer Mieterin M verlangt, verfügt V über den nötigen Titel. Von der Erteilung einer Vollstreckungsklausel und der Zustellung ist auszugehen. Insoweit liegen die Voraussetzungen vor.

II. Fraglich ist, ob die Voraussetzungen auch gegenüber E vorliegen müssen.

1. Das könnte sich daraus ergeben, dass sich die Vollstreckung auch gegen E richtet.

a) Dafür, dass sich die Vollstreckung auch gegen eine Person richtet, die sich in der Wohnung aufhält, spricht, wenn diese Mitbesitzer ist (§ 854 BGB) bzw. Mitgewahrsam hat. Denn dann muss ihr der Mitbesitz durch die Vollstreckung entzogen werden. Anders wäre es aber bei Besitzdienerschaft (§ 855 BGB). Erst recht könnte ein bloßer Besucher der Wohnung bei der Vollstreckung mit entfernt werden.

b) BGH S: 3041 unter b) stimmt dem Berufungsgericht darin zu, dass der Ehemann der Schuldnerin Mitgewahrsam an der Wohnung hat. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, dass der Mietvertrag allein zwischen der Gläubigerin und der Schuldnerin abgeschlossen worden ist. Denn aus dem Gebot der ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 I BGB) folgt die Pflicht der Ehegatten, sich gegenseitig die Benutzung der ehelichen Wohnung zu gestatten. Regelmäßig sind daher beide Ehegatten Mitbesitzer der ehelichen Wohnung. Es würde der Stellung des jeweils anderen Ehepartners nicht entsprechen, ihm jede selbstständige Nutzungsbefugnis der Wohnung zu versagen und ihn im Sinne einer Besitzdienerschaft (§ 855 BGB) von den Weisungen des Ehepartners, der Partei des Mietvertrags geworden ist, abhängig sein zu lassen…

Somit richtet sich die Vollstreckung auch gegen E als Mitbesitzer der Wohnung.

2. Daraus ergibt sich aber noch nicht zwingend, dass auch gegenüber E sämtliche Vollstreckungsvoraussetzungen selbstständig vorliegen müssen. Vielmehr ist umstritten, ob auch gegenüber dem Ehepartner ein Titel vorliegen muss.

a) Zunächst liegt auf der Hand, dass es für den Vermieter eine erhebliche praktische Erschwernis sein kann, wenn er einen zusätzlichen Titel braucht, etwa weil der Ehegatte erst nach dem Ende des Räumungsprozesses eingezogen oder beispielsweise nach einer zwischenzeitlichen Trennung wieder zurückgekehrt ist. Auch wäre ein Räumungsprozess gegen den anderen Ehegatten vorwiegend von lediglich formaler Bedeutung, weil dieser ohne Weiteres zum Verlassen der Wohnung zusammen mit seinem Mieter-Ehepartner verpflichtet ist. Im Interesse des Vermieters könnte argumentiert werden, dass das Besitzrecht des anderen Ehegatten aus der Ehe abgeleitet ist, sich deshalb nur gegen den Mieter-Ehegatten richtet und keine Außenwirkung gegenüber dem Vermieter hat. Der andere Ehegatte könne deshalb bei der Vollstreckung „mit vertrieben werden“. Diese Auffassung wird in Teilen der Rspr. (OLG Frankfurt MDR 1969, 853) und Lit. (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl. 2003, § 885 Rdnr. 10) vertreten (w. Nachw. bei BGH S. 3042 unter d und K. Schmidt JuS 2004, 1115 Fn. 9).

b) Demgegenüber ist eine andere Auffassung im Vordringen (Nachw. bei BGH S. 3042 unter d und JuS 2004, 1115 Fn. 10), der auch der BGH folgt. S. 3041 unter c): Nach § 885 I ZPO findet die Räumungsvollstreckung in der Weise statt, dass der Gerichtsvollzieher den (Vollstreckungs-) Schuldner aus dem Besitz setzt und den Gläubiger in den Besitz einweist. Wer Vollstreckungsschuldner im Sinne der genannten Vorschrift ist, beurteilt sich nach § 750 I ZPO. Danach kann die Zwangsvollstreckung nur gegen eine Person begonnen werden, die im Titel und in der Vollstreckungsklausel als Vollstreckungsschuldner bezeichnet ist. Damit wird gewährleistet, dass staatlicher Zwang nur zur Durchsetzung eines urkundlich bereits ausgewiesenen Anspruchs erfolgt, und zwar für und gegen die im Titel genannten Personen. Diese allgemeine Voraussetzung jeder Zwangsvollstreckung, an der es hier gegenüber dem Ehemann der Schuldnerin fehlt, kann nicht durch materiell-rechtliche Erwägungen außer Kraft gesetzt werden. Es ist daher ohne Bedeutung und bedarf keiner näheren Prüfung, ob der Ehemann nach materiellem Recht zur Herausgabe der Mietsache an die Gläubigerin verpflichtet wäre; denn diese Fragen gehören in das Erkenntnisverfahren und nicht in das formalisierte Zwangsvollstreckungsverfahren (vgl. BGH NJW-RR 2003, 1450).

c) Es ist erwogen worden, ob zu Gunsten des Vermieters § 885 II ZPO erweiternd ausgedehnt werden kann. Danach werden bei der Räumungsvollstreckung bewegliche Sachen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind, vom Gerichtsvollzieher weggeschafft und dem Schuldner oder bei dessen Abwesenheit einem Bevollmächtigten oder einem Familienmitglied übergeben. BHG S. 3042 unter e): Das besagt nichts darüber, ob die zur Familie gehörige Person, sofern sie Mitbesitz hat, gem. § 885 I ZPO gegebenenfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwanges aus dem Besitz gesetzt werden darf. Die Vorschrift bestimmt nur das „Wie“ und nicht das „Ob“ der Zwangsvollstreckung. Es geht allein darum, was mit den vom Gerichtsvollzieher vorgefundenen…beweglichen Sachen des Schuldners zu geschehen hat, wie also die Zwangsvollstreckung im Einzelnen abzuwickeln ist. Rückschlüsse über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung als solche und das Erfordernis eines Titels können aus der Vorschrift nicht gezogen werden.

d) Sollte der Gesetzgeber bei Schaffung des § 885 ZPO davon ausgegangen sein, insbesondere die Ehefrau des Schuldners sei regelmäßig Besitzdienerin statt Mitbesitzerin, wäre dies unerheblich. Denn entscheidend ist, dass nach Absatz 1 der Vorschrift der jeweilige Besitzer zugleich der im Titel ausgewiesene Vollstreckungsschuldner sein muss. Wer Besitz hat, bestimmt sich nach den §§ 854 ff. BGB. Ist danach der Ehegatte als Mitbesitzer anzusehen, hat der Gläubiger…einen Titel gegen ihn zu erwirken…

3. Somit bedurfte es eines Titels auch gegenüber E. Dieser lag jedoch nicht vor. Die Gerichtsvollzieherin hat deshalb den Auftrag zu Recht abgelehnt. Die Erinnerung der V ist unbegründet.

Ergänzende Hinweise:

(1) In obigem Fall war bereits vor der Vollstreckung bekannt, dass E mit in der Wohnung wohnt. Den Fall, dass die Gerichtsvollzieherin erst während der Vollstreckung davon erfährt, spricht der BGH am Ende seiner Entscheidung insoweit an, als er darauf hinweist, dass sie den E dann „zu seiner Herausgabebereitschaft hätte befragen können.“ Ist er allerdings nicht zum Verlassen der Wohnung bereit, ist die Vollstreckung mit der Begründung einzustellen, dass ein weiterer Vollstreckungsschuldner vorhanden ist und diesem gegenüber kein Titel vorliegt.

(2) Minderjährige Kinder sind nach wie vor keine Vollstreckungsschuldner, sondern haben als bloße Besitzdiener die Wohnung mit ihren Eltern zusammen zu verlassen (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 885 Rdnr. 7). Deshalb war in obigem Fall gegenüber T kein Titel nötig. Nach Zöller/Stöber a. a. O. gilt das auch für ein erwachsenes Kind, das wie bisher in einem eigenen Zimmer in der elterlichen Wohnung wohnt, weil sich allein durch das Älterwerden die Besitzverhältnisse nicht ändern.

(3) Nichteheliche Lebensgefährten werden hinsichtlich der Besitzverhältnisse wie Eheleute behandelt (Zöller/Stöber § 885 Rdnr. 10; K. Schmidt JuS 2004, 1115).

Zusammenfassung