Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Grenzbaum, § 923 BGB, Miteigentum oder vertikal geteiltes Eigentum. ► Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB. ► Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich eines Baumes im bewohnten Bereich. ► Mitverschulden, § 254 BGB
BGH Urteil vom 2. 7. 2004 (V ZR 33/04) NJW 2004, 3328
Fall (Umgestürzte Steineiche auf der Grenze)
Frau K und Frau B sind Eigentümer benachbarter, mit Wohnhäusern bebauter Grundstücke. Genau auf der Grundstücksgrenze stand eine alte Steineiche. Schon seit längerem zeigte sie eine verringerte Belaubung, und es setzte sich totes Holz in der Krone ab. Rings um den Stamm hatte sich ein Pilz, ein Riesenporling, gebildet. 1998 ließ der inzwischen verstorbene Ehemann der B durch eine Fachfirma das Holz aus der Krone entfernen, das sich über dem Grundstück der B befand. Weitere Baumpflegearbeiten erfolgten weder durch B noch auf Seiten der K. Im Dezember 2003 stürzte die Eiche ohne Sturmeinwirkung um, fiel auf das Haus der K und richtete einen Schaden an, dessen Reparatur 100.000 € kostete. Kann K Ersatz dieses Betrages von B verlangen?
I. Anspruchsgrundlage kann § 823 I BGB sein.
1. Eine Eigentumsverletzung liegt in der Beschädigung des Hauses der K durch die Eiche.
2. Für diese müsste B verantwortlich sein.
a) Ein positives Tun der B, das zu der Eigentumsverletzung geführt hat, lässt sich nicht feststellen.
b) Ein Unterlassen begründet eine Haftung, wenn eine Pflicht zum Handeln bestand und verletzt wurde. Hier kommt eine Verkehrssicherungspflicht der B in Betracht. BGH S. 3328 unter a): Der Eigentümer eines Grundstücks hat im Rahmen des Möglichen dafür zu sorgen, dass von dort stehenden Bäumen keine Gefahr für andere ausgeht, der Baumbestand vielmehr so angelegt ist, dass er im Rahmen des nach forstwissenschaftlichen Erkenntnissen Möglichen gegen Windbruch und Windwurf, insbesondere aber auch gegen Umstürzen auf Grund fehlender Standfestigkeit gesichert ist (BGH NJW 2003, 1732 [1733]). Vgl. auch BGH NJW 2004, 1381 zur Verkehrssicherungspflicht bei Straßenbäumen.
aa) B müsste Eigentümerin des Baumes gewesen sein. Dabei kommt es auf die genauere Bestimmung der Eigentumsverhältnisse an, weil bei Miteigentum möglicherweise nur eine gemeinschaftliche Verkehrssicherungspflicht besteht, die im Verhältnis der Miteigentümer untereinander nicht eingreift (so das OLG im vorliegenden Fall, vgl. BGH S. 3328/9 unter aa).
bb) Der umgestürzte Baum war ein Grenzbaum i. S. des § 923 BGB, weil sein Stamm dort, wo er aus dem Boden heraustrat, von der Grundstücksgrenze durchschnitten wurde (vgl. BGH LS 1). § 923 bestimmt aber nichts unmittelbar über das Eigentum an einem noch stehenden Baum. Die eigentumsmäßige Beurteilung ist deshalb streitig.
(1) Nach der einen Auffassung haben die beiden Grundstückseigentümer gemeinschaftliches (Mit-) Eigentum i. S. der §§ 741 ff., 1008 ff. BGB (MünchKomm/Säcker § 923 Rdnr. 1).
(2) Der BGH folgt der anderen, wohl herrschenden Auffassung, nach der ein solcher Baum real und vertikal geteilt wird. BGH S. 3329 unter (2): Das heißt, dass jedem Grundstückseigentümer der Teil des Baums gehört, der sich auf seinem Grundstück befindet. Zur Begründung verweist der BGH auf die Regelung in § 923 I, wonach erst der gefällte Baum den Nachbarn zu gleichen Teilen gehört. Diese Regelung wäre überflüssig, wenn dieselbe Rechtslage bereits vorher bestünde. Auch entspricht diese Beurteilung dem § 94 BGB. Somit war B Eigentümerin des Baumteils, der auf ihrem Grundstück stand und von diesem auf das Haus der K gestürzt ist.
cc) BGH S. 3329 unter cc): Als Eigentümerin eines Teils des Grenzbaums war die Bekl. für diesen Teil in demselben Umfang verkehrssicherungspflichtig wie für einen vollständig auf ihrem Grundstück stehenden Baum.
c) Zum Umfang dieser Verkehrssicherungspflicht im Einzelnen und zur Frage ihrer Verletzung führt der BGH S. 3329 unter cc) aus: B war verpflichtet, den Grenzbaum in angemessenen Abständen auf Krankheitsbefall zu überwachen (BGH VersR 1974, 88 [89])… Werden dabei Anzeichen erkannt, die nach der Erfahrung auf eine besondere Gefahr durch den Baum hinweisen, ist eine eingehende Untersuchung vorzunehmen; solche Anzeichen können trockenes Laub, dürre Äste oder verdorrte Teile, Pilzbefall, äußere Verletzungen oder Beschädigungen, hohes Alter des Baums, sein Erhaltungszustand, die Eigenart seiner Stellung und sein statischer Aufbau sein (BGH NJW 1965, 815). Das haben die Bekl. und ihr Ehemann nicht beachtet, obwohl die Eiche seit mehreren Jahren eine Fruchtkörperbildung des Riesensporlings rings um den Stamm, verringerte Belaubung sowie Totholz in der Krone zeigte. Damit war für die Bekl. und ihren Ehemann eine Erkrankung des Baums erkennbar. Die Entfernung des Totholzes reichte als Schutz gegen Umstürzen nicht aus. B hat somit ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt.
3. Aus den Überlegungen zur Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ergibt sich weiterhin auch, dass diese Verletzung schuldhaft, und zwar fahrlässig erfolgte.
B ist der K dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet.
4. K könnte aber ein Mitverschulden treffen, das nach § 254 I BGB den Schadensersatzanspruch mindert.
a) BGH S. 3330 unter bb): Indem die Kl. den für sie ebenfalls erkennbaren Krankheitsanzeichen an dem ihr gehörenden Baumteil keine Beachtung geschenkt und damit letztlich die Beschädigung ihres Hauses in Kauf genommen hat, trifft sie eine Mitverantwortung für den eingetretenen Schaden. In welchem Umfang sich das auf ihren Ersatzanspruch gegen die Bekl. auswirkt, ist nach § 254 BGB zu beurteilen. Da die Rechtsordnung eine Selbstgefährdung und Selbstbeschädigung nicht verbietet, geht es im Rahmen dieser Vorschrift nicht um eine rechtswidrige Verletzung einer gegenüber einem anderen oder gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht, sondern nur um einen Verstoß gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung, der Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden „Obliegenheit“; sie beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die nach der Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss, weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert (BGHZ 135, 235 [240]).
b) Was das Maß der Mitverantwortung betrifft, hat K das Umstürzen der Eiche durch Unterlassen von Kontrollen und sich daran anschließende Maßnahmen in gleichem Umfang verursacht wie B. Insbesondere hätte K das rechtzeitige Fällen der Eiche verlangen können (§ 923 II 1 BGB). K trifft deshalb ein hälftiges Mitverschulden, so dass sie von B nur Ersatz des Schadens in Höhe von 50.000 € verlangen kann (BGH S. 330 unter cc: Schadensteilung).
II. Ein Ausgleichsanspruch analog § 906 II 2 BGB – eine unmittelbare Anwendung scheidet aus, weil weder eine Immission vorliegt noch eine Duldungspflicht der K besteht – ist nach bisheriger Rspr. gegenüber § 823 BGB subsidiär (BGHZ 120, 239, 249; NJW 2004, 603; vgl. aber auch BGH NJW 2004, 3701 unter II 1; Wenzel NJW 2005, 243) und kommt deshalb hier nicht mehr zur Anwendung (K. Schmidt JuS 2005, 73/4).
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Zusammenfassung