Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Rechtsanwaltsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte
Im Fall BGH NJW 2004, 3630 (Urteil vom 22. 7. 2004, IX ZR 132/03) war Rechtsanwalt R Strafverteidiger des wegen Betruges in Untersuchungshaft sitzenden Beschuldigten B. R verhandelte mit dessen Schwiegereltern E wegen Stellung einer Kaution, um B frei zu bekommen. E nahmen 100.000 € auf ihr Einfamilienhaus auf und überwiesen das Geld auf ein Anderkonto des R, der den Betrag namens des B an das Gericht weiterleitete. Als die Kaution nach Ende des Strafverfahrens wieder freigegeben wurde, stellte sich heraus, dass zwischenzeitlich eine Gläubigerbank des B den Rückzahlungsanspruch zu ihren Gunsten hatte pfänden und sich überweisen lassen. An diese wurden die 100.000 € ausgezahlt; E gingen leer aus und verlangen von R Schadensersatz. Dieser hätte ihnen raten müssen, sich den Rückzahlungsanspruch abtreten zu lassen, wodurch der Zugriff der Bank verhindert worden wäre.
I. Da zwischen E und R kein Anwaltsvertrag geschlossen worden ist (dazu BGH S. 3631 unter 1), hätten E nur dann einen vertraglichen Schadensersatzanspruch aus § 280 I BGB gegen R, wenn sie als Dritte in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages zwischen B und R einbezogen worden wären. Das OLG hatte das angenommen; der BGH (S. 3632 unter 2) verneint es.
1. Was die Voraussetzung der Leistungsnähe betrifft (auf die der BGH nicht eingeht), ist festzustellen, dass E mit der eigentlichen Leistung des R als Strafverteidiger nicht in Berührung gekommen sind. Hinsichtlich der Belehrungspflicht im Zusammenhang mit der Stellung der Kaution weist der BGH im anderen Zusammenhang (S. 3631 unter 2a) darauf hin, dass zwischen dem in Haft sitzenden Mandanten und einem Dritten, der ihm das Geld für eine Kaution zur Verfügung stellt, ein Interessenwiderspruch bestehen kann und dass der Strafverteidiger in der Regel allein als Vertreter seines Mandanten handelt; das spricht bereits gegen eine Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Anwaltsvertrages.
2. Der BGH lässt den Anspruch der E an der 4. Voraussetzung für die Einbeziehung in den Schutzbereich scheitern: Für eine Einbeziehung eines Dritten ist weder Raum noch Bedürfnis, wenn die geschädigte Partei ihrerseits eigene vertragliche Ansprüche desselben Inhalts hat wie diejenigen, die sie auf dem Wege über die Einbeziehung in den Schutzbereich eines zwischen anderen Parteien geschlossenen Vertrags durchsetzen will… Den Kl. (= E) stand gegen B nicht nur ein Anspruch auf Rückzahlung der zum Einsatz als Kaution überlassenen Geldsumme nach deren Freiwerden, sondern auch ein Anspruch auf Ersatz des Schadens zu, der ihnen dadurch entstanden ist, dass B es versäumt hat, den Anspruch der Kl. vor dem Zugriff Dritter zu schützen. Ob ein solcher Anspruch mangels finanzieller Leistungsfähigkeit des Verpflichteten möglicherweise von Anfang an nicht durchsetzbar war, ist rechtlich unerheblich; denn das von der Rspr. entwickelte Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter bezweckt nicht die Absicherung des Risikos, dass die vertraglich verpflichtete Person zum Ersatz des Schadens finanziell nicht in der Lage ist.
LS 2 des BGH: Belehrt der Rechtsanwalt den Beschuldigten nicht über die Möglichkeit, den Anspruch auf Rückzahlung der Kaution durch Abtretung an den Geldgeber vor Pfändungen von Gläubigern des Beschuldigten zu schützen, kann dem Geldgeber daraus kein Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte erwachsen.
II. Im BGH-Fall hatten E weiterhin behauptet, sie hätten ihre Tochter damit beauftragt, sich bei R zu erkundigen, welches Risiko für sie mit der Gestellung der Kaution verbunden wäre. R habe geantwortet, ein Verlust der 100.000 € sei nur zu befürchten, wenn B sich dem Strafverfahren durch Flucht entziehe. BGH S. 3632 unter III 2: Hat die Tochter der Kl. den Bekl. nach den Risiken der Kautionsgestellung für ihre Eltern befragt und hat sich der Bekl. darauf eingelassen, diese Frage zu beantworten, ist zwischen den Parteien ein Auskunftsvertrag zu Stande gekommen (vgl. zu dessen Voraussetzungen BGH NJW 1992, 2080 [2082]…). Im Rahmen eines solchen Vertrags war der Bekl. verpflichtet, die Kl. auf die Gefahr der Pfändung des Rückzahlungsanspruchs durch Gläubiger des B hinzuweisen. Hat er dies, wie die Kl. behaupten, versäumt, kann die Klage begründet sein. Im BGH-Fall hatte R die Behauptung der E bestritten, das OLG hatte dazu keine Feststellungen getroffen. Der BGH hat den Fall deshalb zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen.