Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Zustandekommen eines Vertrages über Mobilfunkleistungen, §§ 145 ff. BGB. ► Anspruch eines Verbraucherschutzverbandes auf Belehrung über das Widerrufsrecht nach §§ 312d, 312c II BGB. ► Begriff des Fernabsatzvertrages, § 312b BGB. ► Ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln bei Einschaltung eines Boten
BGH Urteil vom 21. 10. 2004 (III ZR 380/03) NJW 2004, 3699
Der Fall befasst sich mit dem Zustandekommen von Verträgen und der Bindung an geschlossene Verträge. Grundsätzlich sind Verträge für beide Parteien bindend („pacta sunt servanda“). Zu den Ausnahmen gehört das Widerrufsrecht der Verbraucher bei Fernabsatzverträgen; es ist eines der Probleme in der folgenden Entscheidung.
Fall (Multimedia-Paket mit Postident-Versendung)
Die Mobilfunkfirma F vertreibt Mobiltelefone und bietet Telefondienstleistungen an, beides in einem „Multimedia-Paket“. Der Telefonvertrag läuft über mindestens 24 Monate. F wirbt für ihr Angebot in Anzeigen und verweist auf eine „Bestell-Hotline“, über die das Multimedia-Paket angefordert werden kann. Auf den entsprechenden Anruf eines Interessenten (= Kunde) bereitet F einen schriftlichen Vertrag vor und fügt diesem ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei. Vertrag, Telefon und Chipkarte werden an den Kunden versandt, wobei das Postident 2 - Verfahren Verwendung findet. Bei diesem Verfahren identifiziert der Postzusteller den Kunden an Hand seines Personalausweises, notiert dessen Nummer, lässt den Kunden das Vertragsformular unterschreiben und händigt diesem K das Paket aus. Anschließend benachrichtigt er F davon, die sodann den Anschluss freischaltet.
V ist ein anerkannter Verbraucherschutzverband, der in der Liste des Bundesverwaltungsamtes geführt wird. Er verlangt von F, dass diese bei ihrem Vertragsangebot darauf hinweist, dass die Kunden ein Widerrufsrecht haben. F weist das mit der Begründung zurück, dass es sich um kein Fernabsatzgeschäft handele. Darauf hin hat V Klage gegen F erhoben. Mit Aussicht auf Erfolg ?
I. Es handelt sich um eine Verbandsklage nach dem Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (UKlaG; vgl. dazu JurTel 2005 Heft 2 S. 24).
1. V ist eine „qualifizierte Einrichtung“ i. S des § 4 UKlaG, d. h. ein rechtsfähiger Verband, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen.
2 V müsste einen Anspruch nach §§ 1, 2 oder 2a UKlaG geltend machen.
a) § 1 greift ein, wenn der Kläger behauptet, dass der Beklagte unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) verwendet. V behauptet das nicht, sondern rügt das Unterlassen einer Belehrung über ein Widerrufsrecht (das Muster dafür findet sich in der Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht – BGB-InfoV, Schönfelder Nr. 22, Anlage 2). Eine solche Belehrung kann zwar auch in AGB eingefügt werden, jedoch führt das Fehlen nicht dazu, dass AGB unwirksam sind.
b) Vielmehr beruft V sich auf § 2 UKlaG, wonach ein Klagerecht besteht, wenn der Beklagte in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von AGB gegen ein Verbraucherschutzgesetz verstößt. V kann geltend machen, dass F Fernabsatzverträge (§ 312b BGB) schließt und deshalb die Kunden über ein Widerrufsrecht zu informieren hat (§ 312c II BGB i. V. mit § 1 I Nr. 9 BGB-InfoV: „Der Unternehmer muss den Verbraucher…vor Abschluss eines Fernabsatzvertrages mindestens informieren über… 9. das Bestehen eines Widerrufs- oder Rückgaberechts…“).
Somit kann V gegen F einen Anspruch auf Information der Kunden über ein Widerrufsrecht geltend machen.
II. Der Anspruch aus §§ 312c II BGB, 1 I Nr. 9 BGB-InfoV besteht, wenn die Kunden ein Widerrufsrecht haben. Dieses kann sich aus §§ 312d I 1, 355 BGB ergeben. Dann müsste ein Fernabsatzvertrag vorliegen. Dafür ist nach § 312b I wesentlich, dass es sich um einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (Verbrauchervertrag, vgl. § 310 III BGB) unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln handelt (die vollständige Prüfung eines Fernabsatzvertrages folgt noch im folgenden Fall unter II 1).
1. Hierfür muss zunächst bestimmt werden, in welchem Vorgang das Zustandekommen des Vertrages zu sehen ist. Denn nur dann kann entschieden werden, ob dabei ausschließlich Fernkommunikationsmittel Verwendung finden. Für einen Vertragsschluss ist eine Einigung der Parteien erforderlich, die nach §§ 145 ff. BGB durch Angebot und Annahme des Angebots erfolgt sein kann.
a) Das Inserat der F gibt zwar den Anstoß für den Abschluss eines Vertrages, enthält aber noch keine Erklärung im Hinblick auf einen Vertrag zwischen bestimmten Personen, mithin kein Angebot.
b) Das OLG hatte den Vertragsschluss in der telefonischen Bestellung des Kunden als Angebot und dem anschließenden Übersenden der Vertragsunterlagen durch F als Annahme gesehen. Dem widerspricht der BGH aus zwei Gründen (S. 3699 unter a):
aa) Dagegen, die telefonische Bestellung durch den Kunden als Vertragserklärung auszulegen, spricht, dass die Erklärung des Kunden, zu den in der Anzeige der Bekl. genannten Bedingungen das sogenannte Multimedia-Paket bestellen zu wollen, aus Sicht eines objektiven Empfängers nicht mit dem für das Vorliegen eines Vertragsangebots (§ 145 BGB) erforderlichen Rechtsbindungswillens abgegeben werden dürfte. Dem durchschnittlich informierten und aufmerksamen Verbraucher ist, für einen objektiven Empfänger erkennbar, bewusst, dass es sich bei einem auf mindestens 24 Monate Laufzeit angelegten Telefondienstleistungsvertrag um ein Rechtsverhältnis handelt, dem typischerweise ein detailliertes Regelungswerk zu Grunde liegt, dessen Bedingungen in der Anzeige nicht erschöpfend aufgeführt sein können. Er stellt sich deshalb darauf ein, von dem Anbieter noch ein Vertragsformular mit weiteren Regelungen zu erhalten. Solange er das nicht in Händen hat, will er sich nicht binden. Danach ist die telefonische Bestellung kein Angebot. Das Übersenden der Unterlagen durch F kann dann auch keine Annahme sein.
bb) Selbst wenn man in der telefonischen Bestellung des Kunden ein Angebot sieht, kommt kein Vertrag zu Stande, weil es an einer Annahme durch F fehlt. Als Annahmeerklärung gegenüber dem Kunden kann das Übersenden von Unterlagen, in denen noch eine Unterschrift des Kunden vorgesehen ist, nicht ausgelegt werden. Der BGH erörtert, ob § 151 BGB vorliegt, verneint das aber. S. 3699 unter bb): Auch bei § 151 bedarf es für das Zustandekommen eines Vertrages der Annahme, das heißt eines als Willensbetätigung zu wertenden, nach außen hervortretenden Verhaltens des Angebotsempfängers, aus dem sich dessen Annahmewillen unzweideutig ergibt (z. B. BGHZ 111, 97 [101]; NJW 2000, 276 [277] m. w. Nachw.…). Dabei ist mangels Empfangsbedürftigkeit der Willensbetätigung nicht auf den Empfängerhorizont (§ 157 BGB) abzustellen, sondern darauf, ob das Verhalten des Angebotsadressaten vom Standpunkt eines unbeteiligten objektiven Dritten auf Grund aller äußeren Indizien auf einen wirklichen Annahmewillen (§ 133 BGB) schließen lässt (BGHZ 111, 97; NJW 2000, 276…). Ein solcher wirklicher Annahmewille ist der Versendung der Unterlagen durch F nicht zu entnehmen. Im Gegenteil gibt die Bekl.…dadurch, dass sie der Sendung den schriftlichen Vertragstext unter Einschluss ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Unterschrift des Kunden beifügt, zu erkennen, dass sie hierzu nicht bereit ist. Vielmehr geht ihr nach außen zu Tage getretener Wille dahin, den Vertrag nur unter Einbeziehung der in den Unterlagen enthaltenen zusätzlichen Bedingungen zu schließen.
c) BGH S. 3700 unter b): Hiernach gibt die Bekl. durch die Versendung des Mobilfunkgeräts und des Vertragstextes ein Angebot auf Abschluss eines Telefondienstleistungs- und Kaufvertrags ab… Der Vertrag kommt durch die Annahme des jeweiligen Kunden zu Stande, die er mit der von dem Postmitarbeiter eingeholten Unterschrift auf dem Vertragsformular der Bekl. erklärt.
2. Dieser Vertragsschluss müsste unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln i. S. des § 312b II zu Stande gekommen sein. Die Formulierung in § 312b II zeigt, dass darunter nicht nur moderne Verfahren wie E-Mails fallen, sondern auch traditionelle wie Briefe und Telefonanrufe.
a) Im vorliegenden Fall ist das Angebot brieflich erfolgt. Die Annahme wird auf denselben brieflichen Unterlagen erklärt und mit der Post zurückgesandt. Insoweit kommen nur Fernkommunikationsmittel zum Einsatz.
b) Ihr Einsatz muss „ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien“ erfolgen (§ 312 b II). Der Kunde ist körperlich anwesend. Fraglich ist, ob der Postmitarbeiter als Bote der F die Bejahung einer körperlichen Anwesenheit auch auf Seiten der F rechtfertigt. Entgegen einer Tendenz in der Lit., nach der in solchen Fällen angenommen wird, dass ein Repräsentant des Unternehmens handelt und körperlich anwesend ist (Nachw. bei BGH S. 3700 unter bb), verneint der BGH diese Frage: Der Schutzzweck der §§ 312b bis 312d BGB gebietet es, es als Einsatz von Fernkommunikationsmitteln zu bewerten, wenn bei Vertragsschluss oder –anbahnung ein Bote beauftragt wird, der zwar dem Verbraucher in unmittelbarem persönlichen Kontakt gegenübertritt, jedoch über den Vertragsinhalt und insbesondere über die Beschaffenheit der Vertragsleistung des Unternehmers keine näheren Auskünfte geben kann und soll. Anlass für die Vorschriften über den Fernabsatz war, dass der Verbraucher in der Praxis keine Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen. Die Fernabsatzvorschriften sollen dementsprechend zwei für Distanzgeschäfte typische Defizite ausgleichen (BGHZ 154, 239 [242 f.]…): Der Verbraucher kann vor Abschluss des Vertrags die Ware oder die Dienstleistung nicht prüfen, und er kann sich an keine natürliche Person wenden, um weitere Informationen zu erlangen (Schmidt-Räntsch, in: Bamberger/Roth, BGB, § 312b Rdnr. 24). Diese Defizite vermag eine Person, deren Rolle sich auf die Botenfunktion…beschränkt, trotz ihrer körperlichen Anwesenheit nicht zu beheben… Etwas anderes dürfte gelten, wenn die eingeschaltete Person nicht darauf beschränkt ist, Willenserklärungen und Waren zu überbringen oder entgegenzunehmen, sondern in der Lage und damit beauftragt ist, dem Verbraucher in einem persönlichen Gespräch nähere Auskünfte über die angebotene Ware oder Dienstleistung zu geben. Dies kann zum Beispiel bei Vermittlern, Verhandlungsgehilfen oder sonstigen Repräsentanten des Unternehmens…der Fall sein. Anschließend führt der BGH genauer aus, dass der Aufgabenbereich der Postmitarbeiter beim Postident 2 - Dienst eng begrenzt ist. Zum Leistungsumfang gehört nicht die Abgabe von Erklärungen rechtlicher oder tatsächlicher Natur für den Auftraggeber gegenüber dem Empfänger der Sendung. Hierfür haben die Postmitarbeiter weder die Zeit noch die Kenntnisse. Somit kommt der Vertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu Stande.
c) § 312b I Halbsatz 2 steht der Annahme eines Fernabsatzvertrages nicht entgegen, weil F ein organisiertes und eingespieltes Vertriebssystem verwendet (BGH S. 3700/1 unter c).
3. Folglich handelt es sich um Fernabsatzverträge, bei denen den Verbrauchern ein Widerrufsrecht zusteht. F muss sie darüber belehren. Das Unterlassen bedeutet einen Verstoß gegen Verbraucherschutzvorschriften, der den Anspruch aus § 2 UKlaG, §§ 312b, 312d, 312c II BGB i. V. mit § 9 I Nr. 9 Info-V auslöst. Die Klage des V gegen F ist begründet.
Zusammenfassung