Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Gewährleistung für Reisemängel, §§ 651 c – h BGB. Rechtslage bei Überbuchung des vereinbarten Hotels. Entschädigungsanspruch wegen vertaner Urlaubszeit, § 651 f II BGB

BGH Urteil vom 11. 1. 2005 (X ZR 118/03) NJW 2005, 1047

Fall (Überbuchtes Maledivenhotel mit Hausriff)

Zwei Urlauber, K1 und K2, buchten bei dem Touristikunternehmen T (im Originalfall: TUI) eine zweiwöchige Flugreise auf die Malediven, wo sie in einem Hotel auf der N-Insel wohnen wollten, um dort zu schnorcheln und zu tauchen. Eine Woche vor dem vereinbarten Beginn der Reise teilte T den K mit, das von ihnen gewählte Hotel sei überbucht. Ihnen könne aber ein Ausweichquartier auf der benachbarten M-Insel angeboten werden, das den gleichen Komfort biete. K lehnten das ab und kündigten den Vertrag. Sie machten geltend, das gebuchte Hotel habe ein „Hausriff“, was für die von ihnen geplanten Aktivitäten von Nutzen sei, während das Ersatzhotel nicht über ein solches verfüge. T zahlte daraufhin den Reisepreis zurück. K verlangen zusätzlich 75 € pro Tag und Person als Entschädigung für vertane Urlaubszeit, insgesamt 2.100 €. T beruft sich darauf, eine gewisse Überbuchung sei branchenüblich und auch gerechtfertigt, weil normalerweise mit Stornierungen gerechnet werden müsse und nur so Leerstände bei den Hotelzimmern vermieden werden könnten. Das Fehlen eines Hausriffs sei nur eine geringfügige Komfortminderung. Auch sollten K dazu Stellung nehmen, ob für sie die Urlaubszeit wirklich vertan war oder ob sie, was zu vermuten sei, anderweit verreist waren oder ihrer Arbeit nachgegangen sind, um den Urlaub dann noch später zu nehmen. K verweigerten hierzu eine Stellungnahme. Wie ist über den Anspruch der K gegen T zu entscheiden ?

Anspruchsgrundlage kann § 651 f Abs. 2 i. V. mit Abs. 1 BGB sein.

I. Wie der BGH auf S. 1048 unter a) ausführt, erweitert § 651 f Abs. 2 hinsichtlich des Anspruchsumfangs die Regelung des § 651 f Abs. 1 BGB, dass der Reisende unbeschadet der Minderung (§ 651 d BGB) oder der Kündigung (§ 651 e BGB) Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen kann… Der Anspruch auf eine angemessene Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit nach Absatz 2 der Vorschrift hat daher zunächst einmal dieselben Voraussetzungen wie der Schadensersatzanspruch nach Absatz 1. Somit müssen zunächst die Voraussetzungen des § 651 f Abs. 1 vorliegen.

1. Für den Schadensersatzanspruch nach § 651 f Abs. 1 ist, wie sich aus dessen Stellung und der dort enthaltenen Bezugnahme auf die Minderung und Kündigung ergibt, erste Voraussetzung, dass § 651 c I, der Grundtatbestand der Reisemängelregelung, erfüllt ist. Dieser setzt einen Reisevertrag voraus, der im vorliegenden Fall geschlossen wurde. Weiterhin muss die Verpflichtung verletzt worden sein, die Reise mit den zugesicherten Eigenschaften und ohne solche Fehler zu erbringen, die den Wert oder die Tauglichkeit der Reise zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufhebt oder mindern. Es muss also ein Mangel der Reise vorliegen.

a) Reisemängel sind alle nach dem Vertragsschluss auftretenden Störungen der Reise, soweit die Gründe dafür nicht ausschließlich in der Person des Reisenden liegen (BGHZ 97, 255, 259; Brox/Walker Rdnr. 14). Auf die Unterscheidung zwischen Nichterfüllung und Schlechterfüllung kommt es nicht an. Im vorliegenden Fall liegt ein Mangel i. e. S., beispielsweise unzulängliche Zimmer oder Verpflegung, übermäßiger Lärm, nicht vor, weil die Reise überhaupt nicht durchgeführt wurde. Nach obiger Definition und BGH S. 1048 unter b) fällt aber auch die Nichterbringung wegen ursprünglicher Unmöglichkeit oder wegen der Weigerung des Veranstalters, die Reise zur vereinbarten Zeit anzubieten, unter §§ § 651 c, f.: Nicht nur ein Mangel der Reise im werkvertraglichen Sinne, sondern auch die vollständige Nichterbringung der vertraglich geschuldeten Leistung kann einen Anspruch nach § 651 f Abs. 1 oder Abs. 2 BGB begründen. Umstände, die die gesamte Reise oder Einzelleistungen wie Beförderung, Unterbringung, Verpflegung und sonstige Betreuung ganz oder teilweise unmöglich machen, oder eine Leistungsverweigerung des Reiseveranstalters, verhindern oder mindern den nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen der Reise und werden daher vom reisevertraglichen Gewährleistungsrecht der §§ 651 c ff. BGB einschließlich des § 651 f BGB erfasst (BGH NJW 1983, 35 unter I 3 a).

b) Wenn hier die Bekl. den Klägern erklärte, dass sie sie nicht auf der Insel N. unterbringen könne, weil die dortigen Quartiere überbucht seien, so lag dem entweder die Unmöglichkeit der vertraglich geschuldeten Leistung…oder eine Leistungsverweigerung zu Grunde. Die Kl. hatten unter den ihnen angebotenen verschiedenen Malediven-Inseln eine Wahl getroffen und nach dem Inhalt des Reisevertrages einen Urlaub auf der von ihnen ausgesuchten Insel gebucht. Bei der gebuchten Reise handelte es sich deshalb nicht etwa um eine Gattungs- oder Wahlschuld der Bekl. des Inhalts, dass sie für die Kl. einen Urlaub auf irgendeiner, erst nach Vertragsschluss von ihr zu bestimmenden Insel der Malediven bewerkstelligen musste. Die Leistungspflicht der Bekl. war vielmehr auf die gebuchte Insel N. konkretisiert; nur durch die Verschaffung eines Urlaubs auf gerade dieser Insel konnte die Bekl. ihrer Leistungspflicht genügen… Spätestens mit dem Ablauf der Reisezeit war der T die Erbringung der so beschaffenen Leistung unmöglich geworden, was zur Annahme eines Mangels i. S. des § 651 c I führt.

2. Der Anspruch aus § 651 f I hat weiterhin zur Voraussetzung, dass der Reiseveranstalter den Mangel zu vertreten hat (§§ 276, 278), was vermutet wird (hierzu noch im nächsten Fall). Mit der bewusst vorgenommenen Überbuchung ist T das Risiko eingegangen, dass sie die Leistung nicht erbringen kann. Damit hat sie ihre Leistungsunfähigkeit in vorwerfbarer Weise, also schuldhaft, herbeigeführt. Dass eine Überbuchung aus rein kaufmännischer Sicht vielleicht zweckmäßig und auch üblich ist, kann die dadurch herbeigeführte Vertragsverletzung nicht entschuldigen (im Originalfall hatte die Bekl. eine „Entschuldigung“ erst gar nicht versucht, vgl. BGH unter II 2 c). Somit sind die Voraussetzungen des § 651 f I erfüllt.

3. Die von K ausgesprochene Kündigung steht dem Schadensersatzanspruch nicht entgegen, weil der Schadensersatzanspruch neben der Minderung oder der Kündigung möglich ist (§ 651 f I: „unbeschadet…“; Brox/Walker Rdnr. 23).

II. Weiterhin müssten Voraussetzungen und Rechtsfolge des § 651 f II vorliegen.

1. Als zusätzliche Voraussetzung verlangt die Vorschrift, dass die Reise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt worden ist.

a) BGH S. 1048 unter d): Kann oder will der Reiseveranstalter den Reisevertrag nicht ordnungsgemäß erfüllen, z. B. infolge einer Überbuchung, und führt dies dazu, dass der Kunde die Reise nicht antritt, so wird die Reise vereitelt.

b) Wenn T sich darauf beruft, es habe nur eine geringfügige Komfortminderung vorgelegen, so zielt sie auf die für eine Kündigung nach § 651 e I bestehenden Voraussetzungen. Der BGH hat aber unter II 2e) ausgeführt, für den Anspruch aus § 651 f brauchten die Voraussetzungen einer Kündigung nicht vorzuliegen (wie auch umgekehrt eine Kündigung den Schadensersatzanspruch nicht ausschließt; Hk-BGB/Ebert, 3. Aufl., § 651 f Rdnr. 1). Für den Anspruch aus § 651 f Abs. 2 BGB brauchen nicht die Voraussetzungen einer Kündigung vorzuliegen. Denn der Wortlaut des Abs. 1, wonach der Anspruch „unbeschadet der Minderung oder Kündigung“ gegeben ist, besagt, dass die verschiedenen Gewährleistungsansprüche unabhängig nebeneinander bestehen… Die Voraussetzung, dass eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegen muss, gilt nur für eine Kündigung, nicht aber für einen Entschädigungsanspruch wegen Vereitelung der Reise (…).

c) Das Verhalten der K war auch nicht treuwidrig oder missbräuchlich, wie der BGH S. 1048 unter (2) ausführt. Hierfür reicht aus, dass K das Ersatzangebot nicht willkürlich, sondern unter Berufung darauf abgelehnt haben, dass es nicht gleichwertig war. Deshalb beruht das Entschädigungsverlangen nicht auf einem Verstoß gegen § 242 BGB wegen unzulässiger Rechtsausübung.

2. Der Rechtsfolge nach gewährt § 651 f II wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit eine angemessene Entschädigung in Geld.

a) BGH S. 1049 unter a): Der Senat tritt nicht der im Schrifttum vertretenen Auffassung bei, dass der Entschädigungsanspruch wegen Vereitelung der Reise auch davon abhängt, wie der Kunde die für die Reise vorgesehene Zeitspanne verbracht hat (vgl. z. B.…MünchKomm/Tonner, 4. Aufl., § 651 f Rdn. 29…). Vielmehr steht mit der Vereitelung der Reise zugleich der haftungsausfüllende Tatbestand der vertanen Urlaubszeit fest.Diese, für die Reisekunden günstige Auslegung stützt der BGH auf den Wortlaut, die gesetzgeberische Begründung und Sinn und Zweck der Regelung. Die Formulierung „wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit“ gebe lediglich das gesetzgeberische Motiv wieder und enthalte keine zusätzliche Voraussetzung. Folglich beeinträchtigen Weiterarbeit und Ersatzurlaub den Entschädigungsanspruch nicht. Weder sind diese Umstände bei der Schadensberechnung einzusetzen – was zur Folge hätte, dass ein möglicher Schaden letztlich doch nicht entstanden wäre –, noch findet insoweit eine Vorteilsausgleichung statt. Denn in beiden Fällen hat der Kunde auf Grund eigener Initiative, um die Zeit seiner geplanten, aber vereitelten Reise doch noch nutzbringend zu gestalten, Anstrengungen entfaltet, zu denen er dem Reiseveranstalter gegenüber nicht verpflichtet war. K können somit Entschädigung wegen nutzlos vertaner Urlaubszeit verlangen.

b) Die Höhe der Entschädigung kann am Reisepreis ausgerichtet werden; danach haben Vorinstanz und BGH die von K verlangten Beträge für angemessen erklärt (im Einzelnen dazu BGH S. 1049/1050 unter b).

Ergebnis: Der Anspruch der K gegen T ist begründet.

Zusammenfassung