Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Der folgende Fall betrifft den Bereicherungsausgleich im Mehrpersonenverhältnis.

1. Klassischer Fall ist die Anweisung (Anwendungsfälle: Banküberweisung und Zahlung per Scheck):Der Anweisende (z. B. Bankkunde A, auch: Schuldner) erteilt dem Angewiesenen (z. B. der Bank B) den Auftrag, an einen Zuwendungsempfänger (Z, auch: Dritter oder Gläubiger) einen Betrag zu übermitteln. (§ 676 a BGB bezeichnet die Beteiligten als Überweisender, Kreditinstitut, Begünstigter.)

a) Mit Hilfe des Leistungsbegriffs (zu diesem noch im folgenden Fall) werden folgende Leistungsbeziehungen, innerhalb derer bei Fehlerhaftigkeit eine Rückabwicklung erfolgt, festgelegt: In erster Linie will A seine Verpflichtung gegenüber Z erfüllen. In diesem Verhältnis erfolgt eine Leistung des A an Z. Da Z hierdurch seine Valuta erhält, ist es das Valutaverhältnis. Gleichzeitig erbringt die B-Bank im Verhältnis zu ihrem Kunden A eine Leistung (und erhält in diesem Verhältnis die Deckung für die Überweisung, deshalb: Deckungsverhältnis). Also erfolgen Leistungen „über Dreieck“: von B an A und von A an Z. Innerhalb dieser Beziehungen bestehen auch die Rechtsgründe. Fehlt ein Rechtsgrund, erfolgt die Rückabwicklung innerhalb des fehlerhaften Verhältnisses, also von Z an A oder von A an B. Demgegenüber erfolgt im Zuwendungsverhältnis zwischen B und Z nur eine faktische Zahlung, jedoch keine Leistung, und kann deshalb hier auch keine Rückabwicklung verlangt werden (= kein direkter Durchgriff der B gegenüber Z).

b) Ein direkter Durchgriff der B gegenüber Z ist möglich, wenn es an einer gültigen Anweisung fehlt:

Zu erörtern, nach h. M. aber abzulehnen ist ein direkter Anspruch, wenn es innerhalb beider Beziehungen an einem Rechtsgrund fehlt (Doppelmangel.).

2. Bei anderen Mehrpersonenverhältnissen kommt es ebenfalls grundsätzlich darauf an, wo die Leistung erfolgt ist, jedoch gelten auch Überlegungen der Risikoverteilung und des Vertrauensschutzes. Die weiteren Fallgruppen der Mehrpersonenverhältnisse – neben der Anweisung – sind:

3. Zum Mehrpersonenverhältnis kommt es in dem folgenden Fall dadurch, dass ein Factoring realisiert wurde. Factoring ist eine Form der Finanzierung für die laufenden Geschäfte eines Unternehmens, bei der auch das Risiko eines Forderungsausfalles abgewälzt wird. Beteiligt sind ein Unternehmen, ein Factoringinstitut (der Factor, meist die Tochtergesellschaft einer Bank) und ein Schuldner („Drittschuldner“). Beim echten Factoring überträgt (verkauft) das Unternehmen eine Forderung, die es gegen den Drittschuldner hat, auf den Factor. Dieser schreibt – ggfs. nach Abzug eines vereinbarten Betrages – dem Unternehmen den Betrag gut, so dass dieses sofort darüber verfügen kann. Der Factor zieht dann die Forderung ein (Inkasso) und übernimmt hierfür das Ausfallrisiko. Sein Verdienst ergibt sich aus einer „Umsatzgebühr“, teilweise auch aus Zinszahlungen des Unternehmens für die Zeit bis zur Begleichung der Rechnung durch den Drittschuldner. Der Factor ist berechtigt, zuvor die Bonität des Schuldners zu prüfen. Ist diese nicht ausreichend, kann er den Ankauf ablehnen und sich ggfs. auf das reine Inkasso beschränken.

Bereicherungsanspruch aus Leistungskondiktion, § 812 I 1 BGB. Mehrpersonenverhältnis nach Zession an ein Factoring-Unternehmen. Leistungsempfänger bei Zahlung an den Zessionar

BGH Urteil vom 19. 1. 2005 (VIII ZR 173/03) NJW 2005, 1369

Fall (Nicht geliefertes Gartenzubehör)

K, die spätere Klägerin, betreibt ein Versandhandelsunternehmen. Sie stand in ständiger Geschäftsverbindung mit der F-GmbH, von der sie auf Grund eines Rahmenvertrags Gartenzubehör bezog. Unter dem 25. 1. und dem 7. 2. sandte F der K zwei Rechnungen über gelieferte Ware in Höhe von 982.428 €. F hatte mit B, der späteren Beklagten, einen Factoring-Vertrag geschlossen, auf Grund dessen F ihre Forderungen an B abgetreten hatte. Unter Bezugnahme darauf übergab F die beiden Rechnungen an B, die sie bei K einreichte und mit dem Hinweis verband, dass die Zahlung an sie mit schuldbefreiender Wirkung erfolge. K überwies den Betrag an B. Bei einer Kontrolle stellte sich heraus, dass den beiden Rechnungen keine Lieferungen zu Grunde gelegen hatten. K verlangte deshalb zunächst von F Rückzahlung. Jedoch war inzwischen über das Vermögen der F das Insolvenzverfahren eröffnet worden, eine Zahlung von F ist nicht mehr zu erwarten. K nimmt nunmehr B auf Rückzahlung in Anspruch. Zu Recht ?

Da zwischen K und B keine vertraglichen Beziehungen bestehen, kommt nur ein Bereicherungsanspruch aus § 812 I 1 BGB in Betracht.

I. Grundlage für einen Bereicherungsanspruch ist, dass der mögliche Bereicherungsschuldner etwas erlangt hat. Infolge der Überweisung eines Betrages von 982.428 € von K an B hat B diesen Betrag erlangt. Wegen Nichtbestehens der Forderung würde es hierfür auch an einem Rechtsgrund fehlen.

II. Um eine Leistungskondiktion der K gegen B zu begründen, müsste K diesen Betrag an B geleistet haben.

1. Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens (BGH NJW 2005, 60 = JurTel 2005 Heft 5 S. 98/9 „Dirnenlohn aus der Bundeskasse“). Dabei liegt eine zweckgerichtete Vermögensvermehrung insbesondere dann vor, wenn eine Verbindlichkeit getilgt werden soll. Im vorliegenden Fall wollte K die angenommenen Verbindlichkeiten aus den beiden Rechnungen vom 25. 1. und 7. 2. begleichen. K hat somit eine Leistung vorgenommen. (Da eine Leistung vorliegt, scheidet wegen des Vorrangs der Leistungsbeziehungen – dazu ebenfalls BGH NJW 2005, 60 – eine Nichtleistungskondiktion von vornherein aus. K hat somit einen Anspruch aus Leistungskondiktion gegen B oder gar keinen Anspruch gegen diese.)

2. Der Leistungsbegriff entscheidet nicht nur darüber, ob überhaupt eine Leistung erfolgt ist, sondern vor allem auch, welche Person Leistungsempfänger und Bereicherungsschuldner ist. BGH NJW 2005, 1356/7: Leistungsempfänger ist derjenige, dessen Vermögen der Leistende durch die Zahlung vermehren will. Der Zweck der Leistung ist nach objektiven Kriterien aus der Sicht des Zahlungsempfängers zu beurteilen (vgl. BGHZ 105, 365). Der Zuwendende leistet an den Zahlungsempfänger, wenn er aus der Sicht des Zahlungsempfängers diesem gegenüber einen eigenen Leistungszweck verfolgt und nicht die Schuld eines Dritten erfüllt (vgl. BGH NJW 2005, 60). Es ist nicht entscheidend, wer Gläubiger der Forderung ist, auf die eine Zuwendung erfolgt. Im vorliegenden Fall geht die entscheidende Frage dahin, ob gerade B Leistungsempfängerin war und Bereicherungsschuldnerin ist.

a) Rein begrifflich betrachtet, will der Schuldner, der den Betrag an den Abtretungsempfänger (Zessionar) zahlt, seine nunmehr diesem gegenüber bestehende Verpflichtung erfüllen (vgl. § 398 Satz 2 BGB). Das war hier auch die Sicht der B. Danach läge eine Leistung der K an B vor.

b) Jedoch ergibt sich die Forderung, auf die K gezahlt hat, aus dem – als Vertragsverhältnis fortbestehenden – Verhältnis der K zu F und ist nur durch Abtretung an B gelangt. Es handelt sich um Rechtsbeziehungen zwischen K, F und B, also um ein Mehrpersonenverhältnis. Um hier die Leistungsbeziehungen richtig zu erfassen, reicht die Anwendung des Leistungsbegriffs nicht aus, vielmehr ist eine zusätzliche Bewertung erforderlich. Im vorliegenden Fall ist wesentlich, dass der Schuldner auch nach Abtretung seine Verpflichtung gegenüber seinem ursprünglichen Vertragspartner, dem Zedenten erfüllen will, was für eine Leistung an diesen spricht. Die dahingehende Auffassung hat der BGH im Versicherungsrecht entwickelt. Im Fall BGHZ 122, 46 hatte ein Versicherungsnehmer (entspricht im vorliegenden Fall der F) seinen vermeintlichen Anspruch auf Versicherungsleistungen an einen Zessionar abgetreten (entspricht im vorliegenden Fall der Abtretung an B). Die Versicherungsgesellschaft hat an den Zessionar gezahlt (entspricht der Zahlung der K an B). Später hat sich herausgestellt, dass der Anspruch auf die Versicherungsleistung nicht bestand (weil der Versicherungsfall vorgetäuscht war). Die für diesen Fall entwickelte Begründung gibt der BGH im vorliegenden Fall wieder und überträgt sie auf den vorliegenden Fall.

aa) BGH S. 1369 unter 1: Der sachliche Grund für die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung im Verhältnis zwischen dem (vermeintlichen) Schuldner und dem Zedenten liegt darin, dass in dem Vertrag zwischen dem Schuldner und dem Zedenten der angenommene Rechtsgrund für die vermeintlich geschuldete Zahlung zu sehen ist; dies legt nach den hierfür maßgeblichen Gesichtspunkten der Risikoverteilung und des Vertrauensschutzes (BGHZ 105, 365 [370]; 122, 46 [51]) eine Leistungskondiktion in diesem Verhältnis nahe… Insbesondere spricht das für den Schuldner bei der Rückforderung bestehende Risiko der Insolvenz auf der Gläubigerseite im Regelfall für eine Inanspruchnahme des Zedenten. Zahlt der Schuldner an den Zessionar im Vertrauen darauf, dass die Angaben seines Vertragspartners (des Zedenten) über die geltend gemachte Forderung zutreffend sind, so ist es gerechtfertigt, ihm auch das Risiko der Insolvenz seines Vertragspartners [im vorliegenden Fall: der F] aufzubürden, wenn sich später herausstellt, dass das Vertrauen nicht gerechtfertigt war.

Der BGH weist auf S. 1370 darauf hin, dass diese Auffassung auch der h. M. im Schrifttum entspricht (m. Nachw.; krit. allerdings Flume AcP 199, 1 [18 ff.]) und dass die für den Fall der zu Unrecht gezahlten Versicherungsleistung entwickelte Rechtsauffassung auch auf andere Zessionsfälle übertragbar ist, fügt allerdings hinzu: …jedenfalls dann, wenn der abgetretene Scheinanspruch – wie bei einem bestehenden Versicherungsverhältnis – aus einem grundsätzlich intakten Rechtsverhältnis zwischen dem Scheinschuldner und dem Zedenten stammen soll (vgl. dazu BGH WM 2004, 1230 [unter B II 2 d bb]).

bb) BGH S. 1370 unter 2: Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, von den dargelegten Grundsätzen zum Bereicherungsausgleich in Zessionsfällen abzuweichen. Sie führen auch hier zu einer sachgerechten Risikoverteilung. Ein intaktes Rechtsverhältnis als Grundlage der (vermeintlichen) Abtretungsforderung bestand zwischen der Kl. und der F-GmbH auf Grund des die kaufvertragliche Geschäftsbeziehung regelnden Rahmenvertrags. K hat die Beträge im Vertrauen auf die Richtigkeit der von F erteilten Rechnungen bezahlt. Es ist deshalb interessegerecht, der Kl. auch das Risiko der Insolvenz ihres Vertragspartners aufzubürden, wenn sich später herausstellte, dass das Vertrauen auf die Richtigkeit der von ihrem Vertragspartner gestellten Rechnungen nicht gerechtfertigt war. Mit der Sicht der B steht das nicht in Widerspruch, zumal diese Lösung für B günstig ist.

Für eine Rückabwicklung nur im Verhältnis K – F spricht auch,

cc) Ausnahmefälle hat der BGH angenommen bei einer Überzahlung auf Grund eines Irrtums oder wenn die Zahlung auf einem besonders intensiven Verlangen des Zessionars beruhte (NJW 1997, 461, 464; 1989, 161). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor (BGH S. 1370 re. Sp. oben).

Ergebnis: K hat die Leistung an F, nicht an B erbracht. Ein Bereicherungsanspruch der K gegen B besteht nicht. K kann von B keine Rückzahlung verlangen.

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Zusammenfassung