Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
Im folgenden Fall hat der BGH bereits zum zweiten Mal eine Revisionsentscheidung getroffen. Um eine vollständige Lösung des Falles anzubieten, wird die erste Entscheidung (BGH NJW 2000, 1188) mit einbezogen.
► Reisemangel bei Leistung eines Dritten, § 651 c I BGB. ► Schadensersatzanspruch nach § 651 f I BGB. ► Widerlegung des nach § 651 I f I 2. Halbs. BGB vermuteten Verschuldens des Reiseveranstalters, §§ 276, 278 BGB. ► Mitverschulden, § 254 BGB
BGH Urteil vom 9. 11. 2004 (X ZR 119/01) NJW 2005, 418 unter Einbeziehung von BGH NJW 2000, 1188
Fall (Wildgewordener Hengst Mistral)
K buchte bei T, einem großen Touristikunternehmen, eine Urlaubsreise für sich und seine Familie in der Ferienanlage C-Club in Tunesien. Der Buchung lag ein Prospekt zu Grunde, in dem auch eine Reihe von Sportmöglichkeiten angeboten wurden, die vor Ort gegen ein zusätzliches Entgelt gebucht werden konnten. Insbesondere wurde auf einen Reitstall auf dem Clubgelände hingewiesen, der Gelegenheit zu Reitausflügen und Reitkursen bot. Der Reitstall wurde von dem Reitlehrer R betrieben. K, ein geübter Reiter, meldete sich für einen Reitausflug an und bezahlte diesen bei der Verwaltung des Clubs. Der Ausflug wurde von R geführt, der für die sechs Kunden Hengste einsetzte. Nach etwa einer halben Stunde wurde das von einem 13-jährigen Mädchen gerittene Pferd „Mistral“ unruhig. Nach Absprache zwischen R und K erklärte sich K bereit, das Pferd zu übernehmen. Nach dem Aufsitzen des K wurde dieses erneut unruhig, so dass K wieder abstieg und das Pferd am Zügel festhielt. In diesem Augenblick sprang das Pferd mit allen vier Beinen gleichzeitig in die Luft und traf K am Knie, so dass dieser eine Fraktur erlitt. Sie führte zu schwerwiegenden Komplikationen mit der Folge längerer Arbeitsunfähigkeit des K.
K verlangt von T im Wege der Klage Ersatz des ihm durch den Unfall entstandenen Vermögensschadens und erhob zur Begründung die folgenden Vorwürfe: R habe nicht mehrere Hengste zugleich einsetzen dürfen. Was gerade die Verwendung von Mistral betraf, hätten andere Reisende berichtet, Mistral sei bereits bei einem früheren Ausflug abrupt stehen geblieben und sei in einem anderen Fall gestolpert. Nachdem das Pferd unruhig geworden war, habe R es nicht K übergeben dürfen, sondern hätte sich zumindest vorübergehend selbst darum kümmern müssen. Demgegenüber wendet T ein, gegen den Einsatz mehrerer Hengste gebe es reitsportlich keine Bedenken; dazu möge ein Sachverständiger gehört werden. Bei den anderen Vorkommnissen habe es sich nicht um Mistral, sondern um andere Pferde gehandelt, was Zeugen bestätigen könnten. Eine Übernahme von Mistral durch R selbst sei deshalb nicht nötig gewesen, weil K als geübter Reiter mit der Übernahme durch ihn einverstanden gewesen sei und dadurch das damit verbundene Risiko freiwillig und bewusst eingegangen sei. Welche Aussichten bestehen für eine positive Entscheidung über den von K geltend gemachten Anspruch ?
Im Originalfall war es nach mehreren Operationen des K zu so schweren Komplikationen (u. a. einer Thrombose) gekommen, dass K daran verstorben war. Der Schadensersatzprozess wurde von seiner Ehefrau und den Kindern geführt. Im Interesse der Vereinfachung wird hier von dem tödlichen Verlauf abgesehen und davon ausgegangen, K verlange selbst Schadensersatz. Dem werden auch die Originalzitate angepasst.
Anspruchsgrundlage ist, ebenso wie im Fall vorher, § 651 f BGB, wobei hier dessen Absatz 1 ausreicht.
I. Zwischen K und T ist ein Reisevertrag geschlossen worden. Bei der Durchführung der Reise müsste ein Reisemangel (§ 651 c I) aufgetreten sein.
1. BGH NJW 2000 auf S. 1189 unter 3: Das … für den Reitausflug zur Verfügung gestellte Pferd „Mistral“ war für den Ausritt nicht geeignet, weil es nervös wurde. Für sich genommen ist ein Pferd, das in die Luft springt und dabei dem Reisenden schwere Verletzungen zufügt, fehlerhaft.
2. Dieser Umstand kann aber nur dann als fehlerhafte Leistung dem Reisevertrag zwischen K und T zugerechnet werden, wenn der von dem selbstständigen Unternehmer R veranstaltete Reitausflug Gegenstand des Reisevertrages zwischen K und T war und zu den Verpflichtungen der T gehörte. Das ist vom BGH in dem ersten zu diesem Fall ergangenen Urteil bejaht worden (NJW 2000, 1189):
a)Bei Pauschalreisen ist zur Bestimmung der Leistungsverpflichtungen des Reiseveranstalters neben der Reisevertragsbestätigung auch der von diesem herausgegebene Reiseprospekt heranzuziehen … Bei der aus der Sicht des durchschnittlichen Reiseinteressenten vorzunehmenden Auslegung ergibt sich zunächst die Verpflichtung, dass die in dem Prospekt beschriebenen Sportmöglichkeiten … tatsächlich vorhanden sind und die Bekl. als Veranstalterin die Möglichkeit bietet, sich gegen ein weiteres Entgelt in diesen Sportarten zu betätigen.
b) Darüber hinaus ist der Prospekt auch dahin zu verstehen, dass die Angebotegeeignet sind und dass der Interessent sich bei Mängeln allein mit dem Reiseveranstalter … auseinander zu setzen haben wird. Dem steht weder entgegen, dass ein zusätzliches Entgelt zu zahlen ist, noch dass ein weiterer Leistungserbringer, der den Reitstall betreibt, tätig wird (BGH S. 1189 unter 2c).
Demgegenüber hat LG Frankfurt NJW-RR 2005, 131, LS NJW 2005, 516 („Safariausflug während Pauschalreise“) einen von einem Drittanbieter durchgeführten Ausflug nicht als Leistung des Veranstalters angesehen, wenn ein ausdrücklicher Hinweis in dem Reiseprospekt enthalten ist und auf dem Ausflugticket wiederholt wird, dass es sich um eine Fremdleistung handelt.
Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine Leistung der T, so dass ein Reisemangel vorliegt.
II. BGH NJW 2005, 419 unter 1: Nach § 651 f I kann der Reisende Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, es sei denn, der Mangel der Reise beruht auf einem Umstand, den der Reiseveranstalter nicht zu vertreten hat. Dass der Reiseveranstalter den Mangel zu vertreten hat, wird also vermutet. Dem Reiseveranstalter steht jedoch der Entlastungsbeweis offen. (Diese Beweislage gilt nach § 280 I 2 generell für Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen, so dass die Ausführungen des BGH hierzu allgemeine Bedeutung haben.) Will sich der Schuldner von dem vermuteten Verschulden entlasten, muss er darlegen und im Bestreitensfalle beweisen, dass der Mangel auf einem Umstand beruht, den er nicht und den auch keiner seiner Erfüllungsgehilfen…zu vertreten hat (Palandt/Sprau, BGB, 63. Aufl., § 651 f Rdnr. 4; Staudinger/Eckert, BGB [Neubearb. 2003], § 651 f Rdnr. 13)… Zu vertreten hat der Reiseveranstalter nach der Legaldefinition des § 276 I 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 II BGB).
Im vorliegenden Fall hat R als Erfüllungsgehilfe für T (§ 278 BGB) gehandelt (BGH S. 421 unter II 2), so dass bei der Frage des Verschuldens und der Entlastung auf R abzustellen ist.
1. Obwohl die Darlegungslast insoweit bei T liegt, wird, wie meist bei negativen Voraussetzungen, faktisch zunächst von dem (positiven) Vorbringen der anderen Partei, hier des K, ausgegangen. Dieser erhebt drei Vorwürfe, die T, wenn sie sich entlasten will, widerlegen müsste. Hinsichtlich der ersten beiden (Verwendung von Hengsten; negative Erfahrungen mit Mistral) hat T entlastende Behauptungen aufgestellt und Beweis angetreten. Ob insoweit die Entlastung gelingt, lässt sich zur Zeit nicht beurteilen.
2. Ein weiterer Vorwurf des K geht dahin, R habe ihm das Pferd nicht zuweisen dürfen.
a) BGH S. 420 unter (2): Der Schuldner muss, wenn mehrere Ursachen ernstlich in Betracht kommen, für jede den Entlastungsbeweis erbringen (vgl. BGH NJW 1980, 2186 [unter II 2 b bb]). Es genügt also, wenn der Schuldner nachweist, dass er die als Ursachen in Betracht kommenden Umstände nicht zu vertreten hat (mit Nachw.). Bleibt hingegen die ernstliche Möglichkeit des Vertretenmüssens bestehen, und sei es auch nur hinsichtlich einer der in Betracht kommenden Ursachen, so ist der Schuldner beweisfällig (vgl.…BGHZ 100, 185 [189];…Ernst, in: MünchKomm, 4. Aufl., § 280 Rdnrn. 37 f.). Somit muss T, wenn es nicht haften will, ein Verschulden des R bei der Zuweisung des Pferdes an K ausräumen.
b) Nach Auffassung des BGH reicht der Vortrag der T hierfür nicht aus. S. 421 unter bb): Die Bekl. hat nicht erklärt, dass und weshalb es der von einem Reitlehrer geschuldeten Sorgfalt entsprach, ein unruhiges Pferd, das von der bisherigen Reiterin nicht mehr beherrscht werden konnte, ohne weiteres einem anderen Mitglied der Gruppe zuzuweisen. Sie hätte sich zu der nahe liegenden Frage äußern müssen, ob die Schutzpflichten des Reitlehrers gegenüber den Teilnehmern des Ausritts es nicht erfordert hätten, dass er das unruhige und damit gefährliche Pferd entweder selbst übernahm oder doch wenigstens kurz selbst beritt und dadurch beruhigte und zur Ordnung rief, ehe er es dem Kl. übergab. Die Bekl. hat auch nicht etwa vorgetragen, dass der Reitlehrer sich in einer Notlage befand, die ihn an solchen Vorsichtsmaßnahmen hinderte…
cc) Allein deshalb, weil die Bekl. nicht dargelegt hat, dass der Reitlehrer das unruhige Pferd dem Kl. zuweisen durfte, hat sie sich nicht entlastet. Deshalb kommt es auf die anderen Umstände (oben 1) nicht mehr an.
c) Dass K ein geübter Reiter war, rechtfertigte nicht, ihn in diese, offenbar auch für einen geübten Reiter gefährliche Lage zu bringen. Die Frage einer freiwilligen Übernahme des Risikos behandelt der BGH S. 421 unter II 2 als solche des Mitverschuldens (§ 254 BGB) und verneint dieses: Die sich im Gelände befindliche Gruppe der Reiter war dadurch, dass das 13-jährige Mädchen den Hengst „Mistral“ nicht weiterreiten konnte, in Schwierigkeiten geraten. Wenn der Reitlehrer in dieser Situation den Kl. fragte, ob er „Mistral“ übernehmen wolle, so handelte es sich um ein Hilfeersuchen und bei der Einverständniserklärung des Kl. um einen Akt der Hilfeleistung gegenüber dem für die Gruppe verantwortlichen Reitlehrer. Da dieser ein Erfüllungsgehilfe der Bekl. war, kam die Hilfsbereitschaft des Kl. auch ihr zugute. Deshalb widerspricht es Treu und Glauben, wenn die Bekl. aus der Hilfsbereitschaft des Kl. nunmehr einen Verschuldensvorwurf herleitet. Wer eine freiwillige Hilfeleistung erbittet, bei welcher der Helfer dann zu Schaden kommt, handelt widersprüchlich, wenn er anschließend allein aus dem Umstand, dass der Helfer seiner Bitte nachgekommen ist und sich dadurch in Gefahr begeben hat, den Vorwurf des Mitverschuldens herleitet.
d) Somit hat sich T bezüglich des Verhaltens ihres Erfüllungsgehilfen R, das als letztes Ursache zu dem Unfall geführt hat, bisher nicht entlastet. Dass T noch entlastende Umstände anführen kann, ist nicht ersichtlich. Somit ist von einem Vertretenmüssen der T auszugehen. Der Anspruch des K gegen T aus § 651 f I auf Schadensersatz ist begründet.
Zusammenfassung