Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Fernabsatzvertrag und Widerrufsrecht bei kommerzieller Versteigerung über eBay, §§ 312b, 312d I BGB. Ausnahmetatbestand der Versteigerung i. S. der §§ 312d IV Nr. 5, 156 BGB

BGH Urteil vom 3. 11. 2004 (VIII ZR 375/03) NJW 2005, 53

Der Fall befasst sich mit dem Zustandekommen von Verträgen und der Bindung an geschlossene Verträge. Grundsätzlich sind Verträge für beide Parteien bindend („pacta sunt servanda“). Zu den Ausnahmen gehört das Widerrufsrecht der Verbraucher bei Fernabsatzverträgen; es ist eines der Probleme in der folgenden Entscheidung.

 Fall (Widerruf nach eBay-Auktion)

V ist Inhaber eines Geschäfts für Gold- und Silberschmuck. Er stellte am 7. 9. auf der Website der eBay International AG ein „Diamanten-Armband ab 1 Euro“ zur Versteigerung und bestimmte für die Internet-Auktion eine Laufzeit von einer Woche. K gab am 14. 9. mit 252,51 € das höchste Gebot ab. Mit Schreiben vom 16. 9. an V erklärte K den Widerruf seines Gebots und verweigerte die Zahlung und Abnahme. V verlangt von K im Klagewege Zahlung der 252, 51 € gegen Lieferung des Armbands. Wird die Klage Erfolg haben ?

Anspruchsgrundlage für den Anspruch des V gegen K ist § 433 II BGB. Zwischen V und K müsste ein Kaufvertrag geschlossen worden sein, der auch noch fortbesteht.

I. Ein Kaufvertrag könnte nach §§ 145 ff. BGB durch Angebot und Annahme (Einigung) zu Stande gekommen sein.

1. V hat ein Angebot abgegeben, als er auf der Website von eBay das Diamantenarmband anbot. Es richtete sich an denjenigen, der innerhalb der Laufzeit der Auktion ein Gebot abgab, das mindestens 1 € betrug und sich am Ende der Laufzeit als höchstes Gebot erwies. Zwar wird bei einem an einen unbestimmten Personenkreis gerichteten „Angebot“ normalerweise kein rechtsverbindliches Angebot, sondern nur eine invitatio ad offerendum angenommen. Grund ist, dass der Anbietende angesichts nur beschränkter Liefermöglichkeiten sich nicht gegenüber einem unbestimmten Personenkreis verpflichten will. Dieser Grund entfällt hier aber, weil das Angebot des V nur gegenüber demjenigen verbindlich wird, der am Ende der Laufzeit das Höchstgebot abgegeben hat. K erfüllt diese Bedingung. Somit hat V an K ein Kaufangebot gerichtet (BGH S. 54 unter aa).

2. Die Annahme des Angebots liegt in dem Gebot des K. Denn dadurch hat K erklärt, dass er für den von ihm genannten Preis das Armband käuflich erwerben will (BGH S. 54 unter bb). Somit ist ein Kaufvertrag zu Stande gekommen.

II. Der Vertrag könnte durch Widerruf des K nach §§ 312d I, 355 BGB erloschen sein.

1. Dann müsste der zwischen V und K geschlossene Vertrag ein Fernabsatzvertrag i. S. des § 312b I, II BGB sein.

a) V als Inhaber eines Geschäfts für Gold- und Silberschmuck ist Unternehmer (§ 14 BGB). K hat das Armband offenbar privat erwerben wollen, ist also Verbraucher (§ 13 BGB).

b) Es handelt sich um einen Vertrag über die Lieferung einer Ware.

c) Der Vertrag wurde unter Verwendung des Internet („online“) und ohne körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien, also ausschließlich durch Fernkommunikationsmittel (§ 312b II) geschlossen.

d) Auktionen über eBay finden im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems statt.

Somit handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag.

2. Der Widerruf des K erfolgte form- und fristgerecht, bereits zwei Tage nach Vertragsschluss, und entsprach somit §§ 355 I, 312d II.

3. Nach § 312d IV Nr. 5 BGB besteht kein Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen, „die in der Form von Versteigerungen (§ 156 BGB) geschlossen werden.“

a) BGH S. 54 unter a): Nach § 156 S. 1 BGB kommt bei einer Versteigerung der Vertrag erst durch Zuschlag zu Stande. Der Zuschlag ist die Willenserklärung des Auktionators, mit der dieser das Gebot eines Bieters annimmt (BGHZ 138, 339 [342]).

aa) An einem solchen Zuschlag fehlte es bei der auf der Website von eBay durchgeführten Internet-Auktion, die damit keine Versteigerung i. S. des § 156 BGB darstellte. Der bei der Internet-Auktion geschlossene Kaufvertrag der Parteien kam nicht nach § 156 BGB durch den Zuschlag eines Auktionators zu Stande, sondern durch Willenserklärungen – Angebot und Annahme – der Parteien gem. §§ 145 ff. BGB (vgl. BGHZ 149, 129 [133 ff.]). Die zitierte Entscheidung BGHZ 149, 129 ist der in JurTel 2002 Heft 7 S. 133 behandelte Grundsatzfall „ricardo.de“.

bb) Im BGH-Fall hatte V geltend gemacht, es habe sich deshalb um eine Versteigerung gehandelt, weil der Vertrag im Wege eines „Zuschlags durch Zeitablauf“ zu Stande gekommen sei. BGH S. 54 unter bb) knüpft daran an, dass der Zuschlag eine Willenserklärung des Auktionators ist, und folgert daraus: Der bloße Zeitablauf, mit dem die Internet-Auktion endet, ist keine Willenserklärung und vermag eine solche auch nicht zu ersetzen. Mit der Festlegung der Laufzeit der Internet-Auktion bestimmte der Kl. gem. § 148 BGB eine Frist für die Annahme seines Angebots durch den Meistbietenden. Die vertragliche Bindung der Parteien beruht nicht auf dem Ablauf dieser Frist, sondern auf ihren – innerhalb der Laufzeit der Auktion wirksam abgegebenen – Willenserklärungen.

b) Internet-Auktionen, so wie sie hier durchgeführt wurden, lassen sich als Versteigerungen verstehen. Der BGH überlegt deshalb auf S. 54 ff. unter b), ob § 312d IV Nr. 5 auch auf solche Versteigerungen angewendet werden kann, verneint das aber. Dabei zieht er die Auslegungselemente Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte (unter Heranziehung der EU-Richtlinie = richtlinienkonforme Auslegung) sowie Sinn und Zweck der Vorschrift heran:

(1) Einer Anwendung des § 312d IV Nr. 5 auf Internet-Versteigerungen steht zunächst der Wortlaut entgegen, weil dieser sich ausdrücklich auf den Fall des § 156 bezieht. Allerdings wird damit eine erweiternde (extensive) Interpretation noch nicht unbedingt ausgeschlossen; dann müssen aber die weiteren Auslegungselemente hinreichend gewichtige Argumente dafür liefern.

(2) Nach seiner systematischen Stellung ist § 312d IV Nr. 5 eine Ausnahme von dem in § 312d I BGB geregelten Grundsatz, dass dem Verbraucher…das Widerrufsrecht zusteht. Die Stellung der Norm als Ausnahme von dem gesetzlichen Grundsatz spricht für eine restriktive Handhabung der Vorschrift und damit gegen eine erweiternde Auslegung…

(3) Weiterhin untersucht der BGH die Entstehungsgeschichte der auf europarechtliche Vorgaben – die Fernabsatz-Richtlinie – zurückgehenden Norm und leitet daraus ebenfalls Argumente gegen eine erweiternde Auslegung her.

(4) Der Schutzzweck des in § 312d I BGB geregelten Widerrufsrechts und die Interessenlage sprechen ebenfalls nicht für, sondern gegen eine erweiternde Auslegung des § 312d IV Nr. 5 BGB. Das gesetzliche Widerrufsrecht soll den Verbraucher vor den Risiken von Fernabsatzgeschäften schützen, bei denen er die Ware vor Vertragsschluss in der Regel nicht hat in Augenschein nehmen können. Ein solches Schutzbedürfnis besteht auch bei Internet-Auktionen der vorliegenden Art.

Dem stehen schutzwürdige Interessen von eBay und der anbietenden Unternehmer nicht entgegen, was der BGH u. a. mit dem Hinweis darauf begründet, dass die AGB von eBay die anbietenden Unternehmer ausdrücklich verpflichtet, auf das gesetzliche Widerrufsrecht hinzuweisen. Unternehmer können und müssen sich bei ihrer Entscheidung, ob sie diesen Vertriebsweg des Fernabsatzgeschäfts nutzen und ihre Ware über die Internet-Auktionen von eBay anbieten wollen, darauf einstellen. – Die Interessen von privaten eBay-Anbietern brauchen nicht berücksichtigt zu werden, weil diesen gegenüber das Widerrufsrecht nach § 312d nicht gilt. (Allerdings könnte die danach für das Widerrufsrecht zentrale Abgrenzung zwischen Unternehmern und Privatanbietern künftig zu Problemen führen.)

§ 312d IV Nr. 5 in unmittelbarer Anwendung steht dem Widerrufsrecht nicht entgegen.

4. Während die bisherigen Überlegungen sich im Rahmen einer Gesetzesauslegung bewegten, prüft BGH S. 56 unter c) noch eine analoge Anwendung des § 312d IV Nr. 5 auf Internet-Auktionen, verneint diese aber: Voraussetzung für die analoge Anwendung einer Rechtsnorm ist, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält (BGHZ 155, 380 [389])… Der Gesetzgeber hat, wie aus den Materialien zum Fernabsatzgesetz ersichtlich ist, den Abschluss von Fernabsatzverträgen bei Internet-Auktionen gesehen und dafür bewusst eine Regelung getroffen, die lediglich solche Verträge von dem gesetzlichen Widerrufsrecht des Verbrauchers ausnimmt, die durch Gebot und Zuschlag gem. § 156 BGB zu Stande kommen. Für alle hiervon abweichenden Formen des Abschlusses von Fernabsatzverträgen bei Internet-Auktionen steht dem Verbraucher, wie im vorliegenden Fall, gegenüber dem Unternehmer das Widerrufsrecht gem. § 312d I BGB zu.

Dieses Recht hat K wirksam ausgeübt. V hat deshalb seinen Anspruch aus § 433 II BGB verloren. Die Klage des V wird keinen Erfolg haben.

Zusammenfassung