Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Rechtsweg bei Rückforderung einer Leistung, §§ 13 GVG, 40 I VwGO. Ungerechtfertigte Bereicherung, § 812 I 1 BGB. Vorrang der Leistungsbeziehung. Leistung bei divergierenden Vorstellungen der an einer Vermögensverschiebung Beteiligten. Bestimmung der Leistung nach dem Empfängerhorizont

BGH Urteil vom 21. 10. 2004 (III ZR 38/04) NJW 2005, 60

Fall ( Dirnenlohn aus der Bundeskasse)

R war als Regierungsobersekretär im Berufsförderungsdienst der Bundeswehr tätig. Dieser hat die Aufgabe, den aus der Bundeswehr ausgeschiedenen Zeitsoldaten die Eingliederung in einen zivilen Beruf zu erleichtern (§§ 3 ff. SoldatenversorgungsG). Hierfür werden Maßnahmen der Aus- und Fortbildung gefördert. R hatte als sog. Kostenfestsetzer die von den früheren Soldaten und den Bildungsträgern eingereichten Rechnungen zu prüfen und die entsprechenden Beträge anzuweisen, damit sie von der Bundeskasse überwiesen wurden. Diese Möglichkeit nutzte er dazu, Verwandte und Bekannte als Empfangsberechtigte zu bezeichnen und ihnen im Laufe der Zeit insgesamt mehr als 1 Mio. Euro zukommen zu lassen. Auf den Überweisungsträgern ließ er jeweils „Gebuehr“ als Zahlungsgrund vermerken. Zu den Zahlungsempfängern gehörte auch Frau B, die dem R als Prostituierte sexuelle Dienste geleistet hatte. Das dafür zu zahlende Entgelt – 800 € für eine Nacht, 125 € für eine Stunde – hatte R nicht bar entrichtet, sondern es war Begleichung durch Überweisung vereinbart worden (wobei das Empfängerkonto auf einen Kontoinhaber mit einem männlichen Namen lief). Auf diese Weise erhielt B insgesamt 8.191 € von der Bundeskasse überwiesen. Nachdem diese Vorgänge aufgedeckt wurden, verlangt die Bundesrepublik Deutschland (BRD) diesen Betrag von B erstattet. B verweigert die Rückzahlung mit der Begründung, auf Grund der Erklärungen des R habe sie davon ausgehen können, R habe seine Gehaltszahlung so aufgeteilt, dass er an sich selbst eine gerade Summe und die verbleibenden ungeraden Restbeträge an sie haben überweisen lassen. Damit, dass dahinter eine Veruntreuung stecke, habe sie nicht zu rechnen brauchen. Die BRD bittet um eine gutachtliche Stellungnahme zu den Fragen, in welchem Rechtsweg eine Klage zu erheben wäre und ob sie Aussicht auf Erfolg hätte.

A. Rechtsweg

Fraglich ist, ob der Zivilrechtsweg (§ 13 GVG) oder der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 I VwGO) eröffnet ist. Das hängt davon ab, ob eine privatrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, was sich nach der Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses richtet, aus dem der Anspruch hergeleitet wird.

I. Bei der Rückforderung einer Leistung kommt der Rückforderung die gleiche Rechtsnatur zu wie der Leistung („Kehrseitentheorie“ oder Lehre vom „actus contrarius“). Wurde also die Leistung privatrechtlich erbracht, kann sie auch privatrechtlich zurückgefordert werden; bei öffentlich-rechtlicher Leistung erfolgt die Rückforderung öffentlich-rechtlich (durch VA – Leistungsbescheid – oder durch verwaltungsgerichtliche Klage).

II. Somit kommt es im vorliegenden Fall darauf an, ob B das Geld von der BRD privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich erhalten hat. Da die Zahlung von Geld für sich genommen neutral ist, ist auf die Rechtsgrundlage für die Zahlung abzustellen. Allerdings ist hier fraglich, welcher Art von Rechtsgrundlage die Zahlungen zuzuordnen sind.

1. Aus der Sicht der B handelte es sich eindeutig um Zahlungen innerhalb eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses. Dass die Zahlung über die Bundeskasse lief, steht dem nicht entgegen, weil auch aus öffentlichen Kassen privatrechtliche Verpflichtungen erfüllt und privatrechtliche Zahlungen geleistet werden können.

2. Aus der Sicht der BRD erfolgen Leistungen des Berufsförderungsdienstes zwar generell öffentlich-rechtlich, weil sie im Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Soldatenverhältnis stehen und ihre Rechtsgrundlage in §§ 3 ff. SoldatenversorgungsG haben. Im konkreten Fall bestand jedoch kein solches Verhältnis. Die BRD ist auch nicht davon ausgegangen, dass ein solches Verhältnis zu B besteht. Vielmehr erhielt B die Zahlungen lediglich unter missbräuchlicher Ausnutzung der mit den Befugnissen des Berufsförderungsdienstetes verbundenen Möglichkeiten. Dieser Zusammenhang reicht nicht aus, um ein öffentlich-rechtliches Leistungsverhältnis zwischen der BRD und B anzunehmen und B öffentlich-rechtlichen Befugnissen wie insbesondere der Rückforderungsmöglichkeit durch Verwaltungsakt zu unterwerfen.

Somit ist die Leistung privatrechtlich erfolgt, was zur Zulässigkeit des Zivilrechtsweges führt (§ 13 GVG). Die Klage ist vor dem örtlich zuständigen Landgericht (§§ 71 I; 23 Nr. 1 GVG) zu erheben.

B. Begründetheit der Klage

I. Da zwischen der BRD und B keine vertraglichen Beziehungen bestehen, kommt ein Anspruch aus § 812 I 1 BGB in Betracht.

1. B hat Geldzahlungen über 8.191 € und damit einen Vermögensvorteil, ein „etwas“ i. S. des § 812 I 1 erlangt.

2. Die Beträge wurden aus der Bundeskasse, also aus dem Vermögen der BRD als Bereicherungsgläubigerin gezahlt.

BGH S. 60 unter 1: Die Bekl. hat durch die Überweisungen der Bundeskasse auf Kosten der Kl. Gutschriften in Höhe von insgesamt 8.191 Euro auf ihrem…Konto erlangt. Diesem Vermögensvorteil der Bekl. stand ein entsprechender Vermögensnachteil der Kl. gegenüber.

Der BGH verzichtet also an dieser Stelle noch auf die Einordnung in die Zuwendungsarten „Leistung“ und „in sonstiger Weise“ und spricht nur von „Vermögensverschiebung“ (vgl. das Zitat nachfolgend unter 3). Ob diese Methode angesichts der heute strikt auf die Unterscheidung von „Leistung“ und „sonstiger Weise“ abstellenden h. M. grundsätzlich zulässig ist, ist zweifelhaft (K. Schmidt JuS 2005, 179, 180 hält sie allerdings für „ganz schulmäßig“). Hier erscheint ein solches Vorgehen aber zumindest im Hinblick darauf als vertretbar, dass zunächst nur die Beziehungen zwischen BRD und B betrachtet werden. Bei diesen kommt es auf die nähere Einordnung nicht an, weil B unzweifelhaft die Geldbeträge von der BRD erlangt. Bedeutsam wird die Zuwendungsart erst, wenn auch R als Dritter in das Blickfeld tritt, was erst unter II der Fall ist. Der Aufbau des BGH ermöglicht also, die Frage der Leistung dort zu prüfen, wo das Ergebnis davon abhängt.

3. BGH: Für die Vermögensverschiebung gab es im Verhältnis zwischen den Parteien auch keinen rechtlichen Grund; die Bekl. hatte keinen Anspruch auf Leistungen des Berufsförderungsdienstes der Bundeswehr.

II. Gleichwohl könnten die Voraussetzungen des § 812 I 1 für einen Anspruch der BRD dann zu verneinen sein, wenn B das Geld durch Leistung des R erhalten hat.

1. Nach den Grundsätzen über Leistungen innerhalb von Rechtsverhältnissen, an denen drei Personen beteiligt sind (Mehrpersonenverhältnisse), kann nach BGH S. 60 unter 2 der Empfänger einer Leistung mit einer Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Alt. 1 BGB) allenfalls von seinem Vertragspartner belangt werden, und zwar nur dann, wenn nach den zwischen diesen beiden bestehenden Beziehungen die Leistung grundlos ist. Ein Anspruch wegen Bereicherung in sonstiger Weise (§ 812 I 1 Alt. 2 BGB) kann nur dann entstehen, wenn der Bereicherungsgegenstand dem Empfänger überhaupt nicht, also von niemandem geleistet worden ist (Grundsatz des Vorrangs der Leistungskondiktion, vgl. BGHZ 40, 272 [278]; 56, 228 [240]; 69, 186 [189]; NJW 1999, 1393 [1394]).

2. Einem so begründeten Anspruchsausschluss steht nicht etwa die Eigenart der zwischen B und R bestehenden Rechtsbeziehung entgegen. Denn nach § 1 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG, BGBl I 2001, 3983, Schönfelder Ergänzungsband Nr. 29a) begründet die Vereinbarung eines Entgelts für sexuelle Handlungen einen Anspruch auf das Entgelt. Würde es sich bei den hier streitigen Zahlungen um Leistungen des R handeln, hätte B darauf einen Anspruch gehabt und könnte diese Beträge behalten.

3. Entscheidend ist somit, ob eine Leistung des R an B vorgelegen hat.

a) BGH S: 60 unter a): Unter Leistung i. S. des § 812 I 1 Alt. 1 BGB ist die bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zu verstehen. Zweck könnte hier die Erfüllung der Verbindlichkeit des R gegenüber B sein. Dieser Zweck müsste der Vermögensverschiebung zwischen BRD und B zu Grunde liegen.

aa) BGH S. 60 unter a): Dabei kommt es in erster Linie auf die der Zuwendung gegebene Zweckbestimmung, also zunächst darauf an, welchen Zweck die Beteiligten nach ihrem zum Ausdruck gekommenen Willen verfolgt haben. Die BRD und B haben bezogen auf die Zahlung keinen übereinstimmenden Willen zum Ausdruck gebracht oder sonst gebildet. Vielmehr hatten die BRD und B unterschiedliche Vorstellungen über den Zweck der Zahlung.

bb) BGH: Stimmen die Vorstellungen der Beteiligten nicht überein, ist nach gefestigter Rspr. des BGH…eine objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers geboten (BGHZ 105, 365 [369]; 122, 46 [50 f.]; NJW 1999, 1393). Es kommt darauf an, wie eine vernünftige Person in der Lage des Empfängers die Zuwendung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste und durfte.

b) Das OLG hatte die Sicht der B für vertretbar gehalten und daraus gefolgert, nach der Lehre vom Empfängerhorizont sei eine Leistung des R an B anzunehmen. Da es den Anspruch der BRD aber für berechtigt gehalten hat, wollte es die Lehre vom Empfängerhorizont aufgeben. Das hält der BGH jedoch für unnötig und kommt auch auf der Grundlage der Lehre vom Empfängerhorizont zu dem Ergebnis, dass eine Leistung des R an B nicht vorliegt:

aa) Der BGH stellt maßgeblich darauf ab, dass eine objektive Betrachtung aus der Sicht eines vernünftigen Empfängers geboten ist. S. 61 unter b): Die angebliche Vorstellung der Bekl., R habe ihr Teile seines Gehalts angewiesen oder anweisen lassen, entbehrte jeder vernünftigen Grundlage. Ein Beamter kann sich – was allgemein bekannt ist – nicht sein Gehalt selbst auszahlen oder seine Dienststelle entsprechend „anweisen“. Auch der auf den Überweisungsträgern angegebene Zahlungsgrund „Gebuehr“ spricht dagegen, dass B annehmen durfte, R habe ihr einen Teil seines Gehalts überweisen lassen.

bb) Leistungen des R an B könnten auch nur angenommen werden, wenn die Zahlungen bestimmten Prostitutionsleistungen zugeordnet werden könnten. Hierfür wären glatte Beträge, so wie R sie schuldete, erforderlich gewesen. Überwiesen wurden aber ungerade Beträge. BGH: Die überwiesenen ungeraden Beträge können bestimmten Prostitutionsleistungen demnach nicht zugeordnet werden.

c) Somit enthielten die Zahlungen aus der Bundeskasse keine Leistung des R an B. Es handelte sich insbesondere nicht um eine Zahlung der Bundeskasse auf Anweisung (vgl. §§ 783 ff. BGB), weil R nicht zu Anweisungen an die Bundeskasse berechtigt war und B von einer Befugnis des R zu Anweisungen auch nicht ausgehen konnte.

Folglich steht dem Tatbestand des § 812 I 1 nicht entgegen, dass B die Zuwendung als Leistung des R erhalten hat.

III. Es bleibt somit bei dem oben I festgestellten Anspruch der BRD gegen B aus § 812 I 1. Allerdings wurde bisher nicht entschieden, ob es sich um den Fall einer Leistungskondiktion oder einer Nichtleistungskondiktion handelt. Dass eine Leistung des R an B nicht vorliegt, lässt noch nicht den Schluss zu, dass es sich im Verhältnis der BRD zu B um eine Leistungskondiktion handelt. Obwohl die nähere Einordnung der Zuwendung der BRD an B für das Ergebnis nicht mehr relevant ist, soll hier auf diese Frage im Interesse dogmatischer Klarheit und weil diese Frage normalerweise bereits oben bei I hätte behandelt werden müssen, noch eingegangen werden. Es könnte eine Leistung der BRD an B erfolgt sein.

1. Eine zur Annahme einer Leistung führende übereinstimmende Zweckvereinbarung zwischen der BRD und B liegt nicht vor.

2. Es kommt also auch im Verhältnis der B zur BRD auf eine vernünftige Betrachtung aus der Sicht der B an. Da B nicht annehmen konnte, dass die Zahlung eine solche des R war, musste sie davon ausgehen, dass die BRD (irrtümlich) eine eigene Verpflichtung begleichen wollte; denn eine andere vernünftige Begründung für die Zahlungen gab es nicht. Ein redlicher Empfänger einer solchen Zahlung hätte sich bei der Bundeskasse erkundigt, welchem Zweck die Zahlung dient. Bedenkt man weiterhin, dass einer der typischen Fälle einer Nichtleistungskondiktion (vgl. JurTel 2004 Heft 10 S. 201):

nicht vorliegt, lässt das den Schluss zu, dass im Verhältnis der BRD zu B eine Leistung anzunehmen ist. Das dürfte auch Auffassung des BGH sein, wenn dieser auf S. 61 unter c) ausführt, dass hier aus objektiver Empfängersicht nur eine – rechtsgrundlose – Leistung der Bundeskasse an die Bekl. in Betracht kam. (In diesem Sinne auch K. Schmidt JuS 2005, 180.)

Folglich steht der BRD gegen B ein Bereicherungsanspruch aus § 812 I 1 in der Form der Leistungskondiktion zu. Er ist, da ein Wegfall der Bereicherung nicht ersichtlich ist, auf Rückzahlung der 8.191 € gerichtet. Eine Klage der BRD wäre begründet.

Zusammenfassung