Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Arglistige Täuschung (§ 123 BGB) beim Gebrauchtwagenkauf durch Zusicherung der Unfallfreiheit „ins Blaue hinein“. Sachmangel, § 434 BGB. Mängelbeseitigung durch Nacherfüllung in Form der Ersatzlieferung auch bei Stückschuld, § 439 BGB. Einschränkung der Ersatzlieferung beim Gebrauchtwagenkauf; Unmöglichkeit der Ersatzlieferung, §§ 275, 326 V BGB. Gegenrechte des Verkäufers bei Rücktritt des Käufers, §§ 346, 348 BGB

BGH Urteil vom 7. 6. 2006 (VIII ZR 209/05) NJW 2006, 2839

 Fall (Schlecht reparierter Gebrauchtwagen)

K kaufte von der Firma V, einem Autohändler, einen gebrauchten Mercedes zum Preise von 29.000 €. Das Fahrzeug war im Internet angeboten worden. K war zu der in dem Angebot angegebenen Niederlassung L der V gefahren und hatte das Fahrzeug besichtigt. Er wurde von dem im Verkauf tätigen Angestellten B beraten. Auf die Frage des K, ob das Fahrzeug unfallfrei sei, antwortete B mit „ja“. Das Fahrzeug war allerdings nicht auf Unfallfreiheit untersucht worden, auch hatte B keine sonstigen Informationen darüber eingeholt. In dem schriftlichen Kaufvertrag trug B ein: „Zahl, Art und Umfang von Unfallschäden laut Vorbesitzer: keine.“ K zahlte den Kaufpreis und übernahm das Fahrzeug. Kurz darauf brachte er es in eine Werkstatt, um noch eine Einstellung am Motor ändern zu lassen. Dabei teilte ihm der Monteur mit, das Fahrzeug sei ein Unfallwagen und schlecht repariert worden. Die von K damit konfrontierte Firma V ließ das Auto von einem Sachverständigen untersuchen. Dieser bestätigte, dass das Auto deutliche Spuren eines erheblichen und nicht sachgemäß reparierten Unfallschadens aufweist. Auch stellte sich heraus, dass die Reparatur in einer anderen Niederlassung der Firma V – Niederlassung M – vorgenommen worden war, wovon B allerdings nichts gewusst hatte. K erklärte die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung und will, nachdem V die Rückabwicklung des Vertrages verweigert hat, Klage gegen V auf Rückzahlung des Kaufpreises erheben. Mit Aussicht auf Erfolg ?

I. Anspruchsgrundlage kann § 812 I 1 BGB sein. K hat den Kaufpreis in Höhe von 29.000 E an V geleistet. Diese Leistung ist ohne Rechtsgrund erfolgt, wenn K den Kaufvertrag wirksam nach § 123 I BGB angefochten hat. Voraussetzung hierfür ist, dass durch den für V handelnden Verkäufer B eine arglistige Täuschung des K bewirkt wurde.

1. Rein tatsächlich spricht der Sachverhalt zunächst dagegen, dass B arglistig getäuscht hat, da er von dem Unfallschaden nichts gewusst hat. Das OLG hat gleichwohl eine arglistige Täuschung bejaht, indem es ein Organisationsverschulden der Firma V darin gesehen hat, dass das in M vorhandene Wissen um den Unfallschaden nicht an die Niederlassung L weitergeleitet worden war. Deshalb sei der Fall so zu behandeln, als hätte B von dem Unfallschaden gewusst.

2. Dem folgt der BGH im Ergebnis, allerdings mit einer einfacheren Begründung. BGH Rdnr. 13: Entgegen der Auffassung des BerGer. ist dem Verkäufer B selbst arglistiges Handeln vorzuwerfen. Arglistig handelt, wer unrichtige Erklärungen in Kenntnis ihrer Unrichtigkeit abgibt; bedingter Vorsatz reicht hierfür aus (vgl. BGH NJW 1998, 2360 [unter II 1b] m. w. Nachw.). Nach der st. Rspr. des Senats handelt ein Verkäufer bereits dann arglistig, wenn er zu Fragen, deren Beantwortung erkennbar maßgebliche Bedeutung für den Kaufentschluss seines Kontrahenten hat, ohne tatsächliche Grundlagen „ins Blaue hinein“ unrichtige Angaben macht (BGHZ 63, 382 [388] m. w. Nachw.). Nach den tatsächlichen Feststellungen des BerGer. hat der Verkäufer B die Unfallfreiheit „ohne hinreichende Erkenntnisgrundlage“ (BGH NJW 1998, 3197), somit „ins Blaue hinein“ zugesichert…Wie der BGH unter Rdnr. 15 ausführt, hätte B deutlich machen müssen, dass er über die Unfallfreiheit keine eigenen Erkenntnisse hatte und auch die ihm vorliegenden Akten darüber nichts aussagten.

Somit hat B dem K gegenüber eine arglistige Täuschung begangen. Die Anfechtungserklärung des V hat zur Nichtigkeit des Kaufvertrages von Anfang an geführt (§ 142 I BGB). K hat den Kaufpreis ohne Rechtsgrund geleistet. Der Rückforderungsanspruch des K aus § 812 I 1 ist begründet.

II. OLG und BGH haben offenbar die Begründung des Anspruchs über §§ 123, 812 nicht als vollständig überzeugend angesehen und deshalb eine Hilfsbegründung auf der Basis der Tatsache vorgenommen, dass eine arglistige Täuschung durch B nicht festgestellt werden kann. In diesem Fall scheidet ein Anspruch aus § 812 aus. In Betracht kommt ein Anspruch nach Rücktritt wegen eines Sachmangels (§§ 346 I, 437 Nr. 2, 326 V, 275, 323 BGB).

1. Ein Kaufvertrag ist zwischen K und V zu Stande gekommen. Da von einer wirksamen Anfechtung in diesem Zusammenhang nicht ausgegangen wird, ist er auch nicht nach § 142 BGB erloschen.

2. K müsste eine Rücktrittserklärung abgegeben haben. Ausdrücklich hat er lediglich die Anfechtung erklärt. Ist diese Erklärung aber mangels eines Anfechtungsgrundes nicht wirksam, kann sie nach § 140 BGB in eine Rücktrittserklärung umgedeutet werden (BGH Rdnr. 16). Entscheidende Frage ist nunmehr, ob ein Rücktrittsgrund vorliegt. Ein Rücktrittsgrund ergibt sich aus §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 326 V, 275 I, wenn ein Sachmangel vorliegt, der nicht behebbar ist und es der Fa. V unmöglich macht, ihre Verpflichtung zur Leistung einer mangelfreien Kaufsache (§ 433 I 2) zu erfüllen.

3. Ob ein Sachmangel vorliegt, richtet sich nach § 434 BGB. Das von K gekaufte Auto war mangelhaft, wenn Unfallfreiheit vereinbart war (§ 434 I 1).

a) Mündlich hat B mit Wirkung für V (§ 164 BGB) eine solche Vereinbarung getroffen.

b) Der schriftliche Kaufvertrag enthält allerdings nur noch eine eingeschränkte Vereinbarung. Dadurch wird die mündliche Vereinbarung aber nicht abgeändert. BGH Rdnr. 12: Rechtsfehlerfrei hat das BerGer. angenommen, K habe die Angabe im Bestellformular „Zahl, Art und Umfang von Unfallschäden laut Vorbesitzer: keine“ nicht als (Teil-)Widerruf der zuvor erhaltenen Auskunft über die Unfallfreiheit auffassen müssen, weil Standardformeln solcher Art nicht besagen, dass weitergehende Erklärungen im Vorfeld des Vertrages unrichtig seien.

Somit war uneingeschränkte Unfallfreiheit zugesichert. Das Fahrzeug war aber nicht unfallfrei, somit war es mangelhaft.

4. Grundsätzlich hat der Käufer bei einem Sachmangel vorrangig einen Anspruch auf Nacherfüllung durch Beseitigung des Mangels oder durch Ersatzlieferung (§§ 437 Nr. 1, 439). Er kann nach §§ 437 Nr. 2, 323 I zurücktreten, wenn er dem Verkäufer erfolglos eine Frist zur Erfüllung dieser Verpflichtung gesetzt hat, was im vorliegenden Fall aber nicht geschehen ist. Somit ist der Rückzahlungsanspruch des K nur begründet, wenn dem V beide Arten der Nacherfüllung unmöglich sind (§§ 326 V, 275 I).

a) BGH Rdnr. 17: Eine Nacherfüllung durch Beseitigung des Mangels (§ 439 I, Alt. 1 BGB) kommt nicht in Betracht, weil sich der Charakter des Fahrzeugs als Unfallwagen nicht durch Nachbesserung korrigieren lässt…

b) Es bleibt die Mangelbeseitigung durch Ersatzlieferung (§ 439 I Alt. 2). Sie ist in der Regel möglich und geschuldet, wenn es sich um eine Gattungsschuld handelt. Die Leistung eines Gebrauchtwagens ist jedoch eine Stückschuld.

aa) Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung soll (so BGH Rdnr. 18) eine Ersatzlieferung beim Stückkauf in jedem Fall unmöglich sein (folgen Nachw. u. a. auf Tiedtke/Schmidt JuS 2005, 583 [586]). Zur Begründung wird ausgeführt, dass sich die Leistungspflicht des Verkäufers beim Stückkauf nur auf die verkaufte Sache bezieht und somit jede andere Sache von vornherein untauglich ist, den vertraglich geschuldeten Zustand herbeizuführen…

bb) Dem folgen BGH und h. M. jedoch nicht. BGH Rdnr. 19, 20 (mit Nachw.): Eine einschränkende Auslegung des § 439 I BGB dahin, dass der Käufer einer Stücksache eine Ersatzlieferung in keinem Fall verlangen kann, findet im Wortlaut des § 439 I BGB keine Stütze und ist mit dem aus den Gesetzesmaterialien hervorgehenden Willen des Gesetzgebers nicht vereinbar; sie würde dazu führen, dass der Vorrang des Anspruchs auf Nacherfüllung, der den §§ 437 ff. BGB zu Grunde liegt (…), beim Stückkauf von vornherein entfiele. Das widerspräche dem Willen des Gesetzgebers… Die nach früherem Recht bestehende Unterscheidung zwischen Stück- und Gattungskauf…ist im neuen Recht aufgegeben worden (vgl. BT-Dr. 14/6040, S. 230). Somit wird die grundsätzliche Obliegenheit des K, zunächst seinen Anspruch auf Ersatzlieferung geltend zu machen, noch nicht dadurch ausgeschlossen, dass es sich um einen Stückkauf gehandelt hat.

cc) Im Einzelfall kann bei einem Stückkauf aber anders zu entscheiden sein; das gilt insbesondere beim Kauf gebrauchter Sachen. Hierzu bedarf es einer Auslegung nach dem Willen der Vertragsparteien. BGH Rdnr. 23: Möglich ist die Ersatzlieferung nach der Vorstellung der Parteien dann, wenn die Kaufsache im Falle ihrer Mangelhaftigkeit durch eine gleichartige und gleichwertige ersetzt werden kann.

 Beim Kauf gebrauchter Sachen ist das in der Regel aber nicht anzunehmen, wie das BerGer. im vorliegenden Fall mit Billigung durch den BGH dargelegt hat. BGH Rdnr. 24: Die Auslegung des BerGer. beruht auf der Überlegung, dass beim Kauf eines Gebrauchtwagens, auch wenn es dem Käufer…auf einen bestimmten Typ und eine bestimmte Ausstattung des Fahrzeugs ankommt, in der Regel erst der bei einer persönlichen Besichtigung gewonnene Gesamteindruck von den technischen Eigenschaften, der Funktionsfähigkeit und dem äußeren Erscheinungsbild des individuellen Fahrzeugs ausschlaggebend für den Entschluss des Käufers ist, das konkrete Fahrzeug zu kaufen, das in der Gesamtheit seiner Eigenschaften dann nicht gegen ein anderes austauschbar sein soll. Diese Sichtweise des BerGer. liegt nicht nur beim Gebrauchtwagenkauf nahe, sondern ist beim Kauf gebrauchter Sachen in der Regel sachgerecht. Würde man anders entscheiden, müssten sich die Parteien erst darüber auseinandersetzen, wie die Ersatzsache beschaffen sein darf oder muss. Angesichts des naturgemäß unterschiedlichen Erhaltungszustands gebrauchter Sachen und der damit verbundenen Schwierigkeit, eine in jeder Hinsicht gleichwertige Ersatzsache zu beschaffen, wäre häufiger Streit über die Gleichwertigkeit der angebotenen oder zu beschaffenden Ersatzsache absehbar…Dies liefe den Interessen beider Kaufvertragsparteien zuwider. Das wollte auch der Gesetzgeber vermeiden, indem er zum Ausdruck brachte, dass beim Kauf einer bestimmten gebrauchten Sache eine Ersatzlieferung „zumeist von vornherein ausscheiden“ werde (BT-Dr 14/6040).

Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen derartigen typischen Gebrauchtwagenkauf. Insbesondere hat K das Auto erst nach einer persönlichen Besichtigung gekauft. Auch der für einen Gebrauchtwagen verhältnismäßig hohe Preis von 29.000 € spricht dafür, dass K gerade nur dieses individuelle Fahrzeug erwerben wollte. Somit schied eine Sachmängelbeseitigung durch Ersatzlieferung hier aus.

Dem V war die Erfüllung des ursprünglichen Kaufvertrages unmöglich (§ 275 I). K konnte ohne Fristsetzung nach §§ 362 V, 323 I zurücktreten. Ein Rücktrittsgrund ist gegeben.

III. Der Fa. V könnten Gegenrechte zustehen, die nur zu einer eingeschränkten Verurteilung führen.

1. K hat das Auto zurück zu geben, d. h. zurück zu übereignen und der V wieder den Besitz daran zu verschaffen. Das hat Zug-um-Zug gegen die Rückzahlung des Kaufpreises durch V zu geschehen. Das ergibt sich für den Bereicherungsanspruch aus der Anwendung der Saldotheorie oder aus § 273 BGB (so BGH Rdnr. 29), für den Anspruch nach Rücktritt aus §§ 346 I, 348, 322 BGB.

2. Außerdem muss K der V die gezogenen Nutzungen ersetzen (§ 818 II, § 346 I). Diese Nutzungsentschädigung kann V vom Kaufpreis abziehen, so dass K nur den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung von V verlangen kann.

3. Im Prozess werden diese Gegenrechte, sofern nicht bereits der Kl. eine nur eingeschränkte Verurteilung des Bekl. verlangt, vom Bekl. in aller Regel ausdrücklich geltend gemacht. Das war im Fall des BGH aber nicht geschehen. Das OLG hatte deshalb die Fa. V uneingeschränkt verurteilt. Dem widerspricht der BGH unter Rdnr. 30: Eine Zug-um-Zug-Verurteilung setzt keinen formellen Antrag des Bekl. voraus; vielmehr reicht es aus, wenn der Bekl. einen uneingeschränkten Klageabweisungsantrag stellt, sofern der Wille, die eigene Leistung im Hinblick auf das Ausbleiben der Gegenleistung zurückzubehalten, eindeutig erkennbar ist (BGH NJW 1999, 53 [unter II 2}). Letzteres war hier der Fall, insbesondere weil das LG einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, dort die Gegenrechte des Bekl. aufgenommen und V diesem Vergleichsvorschlag zugestimmt hatte (offenbar war der Vergleich aber an K gescheitert).

Somit hat K gegen V einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung und Zug um Zug gegen Rückgabe des Autos.

Zusammenfassung