Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

► Rechtscharakter und Bedeutung des Kraftfahrzeugbriefs.Schlüssiger Eigentumsvorbehalt, § 449 BGB. ► Vorlage des Kraftfahrzeugbriefs als Voraussetzung für einen gutgläubigen Erwerb, § 932 II BGB. ► Abgeleitetes Besitzrecht, § 986 I 1, 2. Alt. BGB

BGH Urteil vom 13. 9. 2006 (VIII ZR 184/05) NJW 2006, 3488

 Fall (Einbehaltener Fahrzeugbrief)

K, der spätere Kläger, verkaufte am 20. 11. sein gebrauchtes Auto Ford Focus zu einem Preis von 10.000 € an die W-GmbH, einen regional bekannten Autohändler mit einem umfangreichen Geschäftsbetrieb. Es wurde der von der W-GmbH vorgelegte Formularvertrag ohne Zusätze unterschrieben. W versprach die baldige Überweisung des Kaufpreises. K übergab ihr das Fahrzeug, nicht aber den Kfz.-Brief. Am 25. 11. verkaufte W das Fahrzeug für 11.560 € weiter an B. Dieser zahlte den Kaufpreis in bar und erhielt das Auto übergeben. Der Kaufvertrag zwischen W und B enthielt den Vermerk: Der Kfz.-Brief befindet sich noch bei der Bank und wird unverzüglich per Einschreiben übersandt. Eine Übersendung erfolgte aber nicht, weil sich der Brief noch bei K befand. K stellte fest, dass die W-GmbH in finanzielle Schwierigkeiten geraten war und sich, auch nachdem K der W eine Frist gesetzt hatte, zur Zahlung des Kaufpreises nicht in der Lage sah. K stellte Ermittlungen nach dem verkauften Ford Focus an und fand diesen bei B. Kann K von B Rückgabe des Ford Focus an sich verlangen, ggfs. unter welchen weiteren Voraussetzungen ?

I. Da zwischen K und B keine vertraglichen Beziehungen bestehen, kann Anspruchsgrundlage für den Herausgabeanspruch nur § 985 BGB sein. B ist (unmittelbarer) Besitzer des Pkw. K müsste Eigentümer sein. Ursprünglich, vor dem Verkauf an W, war K Eigentümer des Pkw. K könnte das Eigentum aber durch Veräußerung an W (dazu 2.) oder durch Weiterveräußerung von W an B (dazu 3.) verloren haben.

1. Zunächst ist festzustellen, dass ein Kfz. auch ohne Übergabe des Kfz.-Briefes veräußert werden kann. Anders wäre es, wenn der Kfz.-Brief ein Traditionspapier wäre (wie der Ladeschein und das Konnossement). Dann würde primär der Brief übereignet, und das Eigentum an dem Fahrzeug würde dem Eigentum am Brief folgen. Da solches aber nicht bestimmt ist, bleibt es bei der Anwendung des § 929 BGB auf das Fahrzeug. Es gilt dann umgekehrt (analog § 952 BGB): Das Eigentum am Brief folgt dem Eigentum am Fahrzeug.

2. K könnte das Fahrzeug nach § 929, 1 BGB an W übereignet haben. Dass K Eigentümer war und das Fahrzeug an W übergeben hat, ist ohne weiteres zu bejahen. Fraglich ist, ob K die zur Einigung erforderliche Übereignungserklärung abgegeben hat.

a) Eine ausdrückliche Übereignungserklärung des K ist nicht erfolgt, sie wäre allerdings auch ganz unüblich. Normalerweise liegt in der Übergabe von Fahrzeug und Schlüsseln eine stillschweigende Einigung.

b) Hier könnte sich etwas anderes daraus ergeben, dass K den Kfz.-Brief zurückbehalten hat. Das darin liegende Verhalten war gemäß §§ 133, 157 BGB nach dem Empfängerhorizont der W auszulegen. Dabei kommt eine Auslegung dahin in Betracht, dass K sich das Eigentum hat vorbehalten wollen und deshalb nur eine durch die Zahlung des Kaufpreises aufschiebend bedingte Einigungserklärung abgegeben hat (§ 449 BGB, Eigentumsvorbehalt).

BGH Rdnr. 10: Mit Rücksicht darauf, dass sie dem Kl. den Kaufpreis nicht gezahlt hatte, konnte die W-GmbH das Einbehalten des Fahrzeugbriefs auch ohne entsprechende Erläuterung redlicherweise nur dahin verstehen, dass der Kl. seine Kaufpreisforderung sichern und sich deshalb das Eigentum an dem Fahrzeug bis zur Zahlung des Kaufpreises vorbehalten wollte. Mit der Entgegennahme des Fahrzeugs hat die W-GmbH dieses nur bedingte Übereignungsangebot des Kl. angenommen.

 Rdnr. 11: Dieser Auslegung des Verhaltens der Parteien steht nicht entgegen, dass sich aus der Kaufvertragsurkunde vom 20. 11. keine Anhaltspunkte für die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts ergeben. Vorbehaltseigentum kann auch nachträglich dadurch begründet werden, dass der Verkäufer - unter Umständen sogar vertragswidrig - die dingliche Einigungserklärung nur unter der Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung abgibt und der Käufer dies hinnimmt.

Rdnr. 12: Jedenfalls beim Autokauf kann der Käufer, der den Kaufpreis noch nicht gezahlt hat, die Einbehaltung des Fahrzeugbriefs bei der Übergabe des Fahrzeugs regelmäßig nur dahin verstehen, dass der Verkäufer ihm das Eigentum am Fahrzeug zur Sicherung seiner Kaufpreisforderung nur unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Zahlung des Kaufpreises übertragen will…

Denkbar wäre allerdings auch, das Verhalten des K als bloßes Geltendmachen eines Zurückbehaltungsrechts am Kfz.-Brief auszulegen. Jedoch ergäbe sich daraus kein ausreichender Schutz des K. BGH Rdnr. 14: Allein durch das Zurückbehalten des Fahrzeugbriefs kann der Verkäufer nicht verhindern, dass der Käufer das Eigentum am Fahrzeug auf einen Dritten überträgt. Denn ist der Käufer bereits Eigentümer geworden, kann er als Berechtigter auch ohne Vorlage des Fahrzeugbriefs wirksam über das Fahrzeug verfügen. Nur wenn der Verkäufer…sich auch das Eigentum am Fahrzeug vorbehält, kann er eine Übertragung des Eigentums auf einen Dritten verhindern und damit einem Verlust der dinglichen Sicherung seiner Kaufpreisforderung vorbeugen.

c) Somit hat K lediglich eine aufschiebend bedingte Übereignungserklärung abgegeben. Bedingung war die vollständige Zahlung des Kaufpreises durch W. Diese ist nicht eingetreten. Somit ist eine wirksame Einigung zwischen K und W über den Übergang des Eigentums nicht erfolgt. K hat das Eigentum an dem Pkw nicht durch Veräußerung an W verloren.

3. K könnte das Eigentum aber dadurch verloren haben, dass B es von W im Zusammenhang mit dem Vertrag vom 25. 11. erworben hat. Eine Einigung und Übergabe gemäß § 929, 1 BGB ist zwischen W und B erfolgt. Firma W war jedoch nicht Eigentümerin. B könnte das Eigentum an dem Pkw somit nur vom Nichtberechtigten im Wege des gutgläubigen Erwerbs erlangt haben. Dies richtet sich nach § 932 BGB.

 a) Die Veräußerung von W an B war ein Verkehrsgeschäft.

b) Veräußerungstatbestand war § 932. In diesem Fall tritt grundsätzlich ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten ein.

b) Dem Erwerb des B steht aber entgegen, wenn dieser bösgläubig war (§ 932 I 1, II: bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit). Das könnte sich hier daraus ergeben, dass B sich den Kfz.-Brief nicht hat übergeben lassen.

BGH Rdnr. 17: Beim Kauf eines gebrauchten Kfz. begründet der Besitz desselben [durch den Veräußerer] allein nicht den für einen Gutglaubenserwerb nach § 932 BGB bzw. § 366 HGB erforderlichen Rechtsschein. Der Bekl. kann sich…nicht mit Erfolg darauf berufen, er sei hinsichtlich des Eigentums und der Verfügungsbefugnis der W-GmbH gutgläubig gewesen, weil es sich bei der W-GmbH um eine überregional bekannte Autohändlerin mit großem Geschäftsbetrieb und repräsentativen Büroräumen gehandelt habe… Es gehört zu den Mindestvoraussetzungen gutgläubigen Erwerbs eines gebrauchten Kfz., dass sich der Käufer den Kfz.-Brief vorlegen lässt, um die Berechtigung des Verkäufers überprüfen zu können (BGH NJW 2226; 1965, 687). Dies ist vorliegend nicht geschehen. Indem der Bekl. sich nicht anhand des Briefs über das Eigentum oder die Verfügungsbefugnis der W-GmbH vergewisserte, handelte er grob fahrlässig i. S. des § 932 II BGB.

Im Fall des BGH hatte sich B noch darauf berufen, nach § 1006 II BGB werde das Eigentum der W als des früheren Besitzers vermutet, was auch ihm, dem B zugute kommen müsse und ihm den gutgläubigen Erwerb ermögliche. BGH Rdnr. 18: Die Vermutung des § 1006 BGB greift hier hinsichtlich eines Eigentumserwerbs der W-GmbH jedoch nicht ein, weil feststeht, dass der Kl. das Fahrzeug nur aufschiebend bedingt an die W-GmbH übereignet hat und mangels Bedingungseintritts Eigentümer desselben geblieben ist. Einen feststehenden Nichterwerb der W kann eine bloße Eigentumsvermutung nicht ausräumen.

Folglich hat B das Eigentum an dem Kfz. nicht erworben, K hat sein fortbestehendes Eigentum nicht verloren, sondern ist Eigentümer geblieben. Die Voraussetzungen des § 985 liegen vor.

II. Gleichwohl könnte B die Herausgabe des Autos nach § 986 BGB verweigern, wenn ihm ein Recht zum Besitz zustehen würde.

1. Da B seine Rechtsstellung aus seinem Rechtsverhältnis zu W ableitet, könnte sich auch ein Recht des B zum Besitz aus einem von W abgeleiteten Recht gemäß § 986 I 1 2. Alt. ergeben.

BGH Rdnr. 20: Der Besitzer kann die Herausgabe der Sache verweigern, wenn der mittelbare Besitzer, von dem er sein Recht zum Besitz ableitet, dem Eigentümer gegenüber zum Besitz berechtigt ist (§ 986 I 1 Alt. 2 BGB). Diese Regelung ist über ihren Wortlaut hinaus auch dann anwendbar, wenn - wie im Streitfall - zwischen dem Besitzer und dem Vorbesitzer kein Besitzmittlungsverhältnis besteht und der unmittelbare Besitzer daher nicht Fremdbesitzer, sondern Eigenbesitzer ist (statt aller: Staudinger/Gursky, BGB, Neubearb. 2006, Rdnr. 37 m. w. Nachw.).

a) Somit hat B ein Recht zum Besitz gegenüber K, wenn W ein solches Recht gegenüber K hat. Ursprünglich ergab sich ein solches Recht der W gegenüber K aus dem Kaufvertrag vom 20. 11. Dieser verpflichtete K dazu, der W Eigentum und Besitz zu verschaffen (§ 433 I 1 BGB).

b) Dieses Recht der W könnte jedoch durch Rücktritt erloschen sein. Die sich aus der Nichtzahlung des Kaufpreises gemäß § 323 I BGB ergebenden Rücktrittsvoraussetzungen einschließlich der Fristsetzung hat K erfüllt. Es fehlt aber noch die Rücktrittserklärung gemäß § 349 BGB. Diese muss K noch abgeben, dann entfällt wegen des wirksamen Rücktritts das Besitzrecht der W und zugleich auch das abgeleitete Besitzrecht des B.

2. Als eigenes Besitzrecht des B (§ 986 I 1 1. Alt.) zieht der BGH ein Anwartschaftsrecht in Betracht.

a) Rdnr. 21: Als eigenes Besitzrecht des Bekl. käme - dies ist umstritten (vgl. zum Meinungsstand Staudinger/Gursky § 986 Rdnr. 13 m. w. Nachw.) - ein dingliches Anwartschaftsrecht am Fahrzeug in Betracht. Der Kl. hat der W-GmbH durch die aufschiebend bedingte Eigentumsübertragung ein dingliches Anwartschaftsrecht am Fahrzeug verschafft. In der fehlgeschlagenen Übertragung des Eigentums von der W-GmbH auf den Bekl. liegt zugleich eine wirksame Übertragung dieses Anwartschaftsrechts (BGH LM § 929 BGB Nr. 11a unter 1; Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung, Bd. I, 1963, S. 257). Diese Übertragung des Anwartschaftsrechts lässt sich als ein „Minus“ der Vollrechtsübertragung verstehen. Ob dieser vom BGH aufgezeigten Möglichkeit aber zu folgen ist, lässt der BGH letztlich offen. Denn es kommt darauf nicht an:

b) Auch dieses Anwartschaftsrecht wäre durch einen Rücktritt des Kl. vom Kaufvertrag mit der W-GmbH hinfällig.

Würde K dagegen nicht vom Kaufvertrag zurücktreten, hätte B bereits ein abgeleitetes Besitzrecht (oben II 1), so dass es der Herleitung eines Besitzrechts aus dem zweifelhaften Aspekt des Anwartschaftsrechts nicht bedürfte.

Ergebnis: Erklärt K noch den Rücktritt vom Kaufvertrag mit W, ist sein Anspruch aus § 985 begründet. Erklärt er den Rücktritt nicht, steht § 986 seinem Anspruch entgegen.

Ergänzender Hinweis: Kann K von B Herausgabe des Kfz. verlangen, so steht ihm außerdem ein Anspruch auf Nutzungsersatz in Form des Wertes der von B mit dem Auto gefahrenen Kilometer zu. Anspruchsgrundlage sind §§ 987 I, 990 I 1 BGB, weil B sich grob fahrlässig nicht den Kfz.-Brief hat vorlegen lassen und deshalb hinsichtlich seines Besitzrechts bösgläubig war.

Zusammenfassung