Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

Unterlassungsanspruch aus UWG, §§ 8 I, 3 UWG. Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses. §§ 119, 120 OWiG als Vorschriften, die das Marktverhalten regeln i. S. des §§ 4 Nr. 11 UWG. Einengende Auslegung des die Werbung für Prostitution verbietenden § 120 I Nr. 2 OWiG

BGH Urteil vom 13. 7. 2006 (I ZR 241/03) NJW 2006, 3490

 Fall (Werbung für sexuelle Dienstleistungen)

K, der spätere Kläger, betreibt in der Stadt S eine Bar. Dort nehmen - neben dem Konsumieren der von K angebotenen Getränke - Prostituierte Kontakt mit Kunden auf und begeben sich anschließend mit den Kunden in von K vermietete Zimmer. B ist Herausgeberin einer Zeitung, die auch in S verbreitet wird. Die Zeitung enthält eine Rubrik, in der in Anzeigen sexuelle Kontakte angeboten werden. Ganz überwiegend handelt es sich um Kleinanzeigen mit dem bei solchen Inseraten üblichen kurzen Text. K steht auf dem Standpunkt, die Anzeigen seien nach §§ 119, 120 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) unzulässig, weil sich bereits aus dem Anbieten sexueller Kontakte ergebe, dass es sich um belästigende (§ 119 I Nr. 1), grob anstößige (§ 119 I Nr. 2) und entgeltliche sexuelle Handlungen anbietende Schriften (§ 120 I Nr. 2) handle; die darin liegende Konkurrenz brauche er sich nicht gefallen zu lassen. Er verlangt von B Unterlassung. B weist das zurück und führt zur Begründung an, als Herausgeberin einer Zeitung stehe sie in keinem Wettbewerb mit K bzw. den dort tätigen Prostituierten, sondern veröffentliche nur die seit längerem auch auf diesem Gebiet üblichen Kontaktanzeigen. Ist der Unterlassungsanspruch des K gegen B begründet ?

I. §§ 119, 120 OWiG sind Bußgeldtatbestände und keine Anspruchsgrundlagen. Sie können deshalb nur im Rahmen einer anderen Vorschrift, die Anspruchsgrundlage ist, mittelbare Bedeutung erhalten. Als eine solche Anspruchsgrundlage kommen §§ 8 I, 3, 4 Nr. 11 UWG in Betracht. Die formale Anspruchsgrundlage ist § 8. § 3 beschreibt das untersagte Verhalten („Unlautere Wettbewerbshandlungen…“) mit Hilfe einer Generalklausel, die durch §§ 4 - 7 konkretisiert wird. Im vorliegenden Fall ist konkretisierende Vorschrift § 4 Nr. 11 (Fallgruppe: unlauterer Wettbewerb durch Rechtsbruch), der auf eine weitere gesetzliche Vorschrift verweist; als solche kommen §§ 119, 120 OWiG in Betracht.

1. Da § 3 als Grundvorschrift „Wettbewerbshandlungen…zum Nachteil der Mitbewerber“ verlangt, muss zunächst ein Wettbewerbsverhältnis bestehen. Wettbewerbshandlungen sind nach § 2 I Nr. 1 UWG auch Tätigkeiten, die zugunsten eines fremden Unternehmens vorgenommen werden. Durch die Veröffentlichung der Inserate ihrer Anzeigenkunden fördert B deren wirtschaftliche Betätigung und handelt somit nicht nur im eigenen wirtschaftlichen Interesse, sondern auch zugunsten der Anzeigenkunden. In diesem Zusammenhang kann die Presse für eindeutig wettbewerbswidrige Inserate ihrer Anzeigenkunden verantwortlich gemacht werden. Folglich ist für die Begründung des Anspruchs erforderlich und ausreichend, dass ein Wettbewerbsverhältnis zwischen einerseits K und andererseits den in der Zeitung der B inserierenden Prostituierten und Bordellinhabern besteht.

a) Ein Wettbewerbsverhältnis besteht zunächst zwischen Unternehmen derselben Branche. Dieser Tatbestand lässt sich hier nicht ohne weiteres bejahen. Denn K erbringt keine sexuellen Dienstleistungen, sondern verkauft Getränke und vermietet Zimmer. Demgegenüber werden in den Inseraten sexuelle Dienstleistungen selbst angeboten. Unter Hinweis darauf hatte das OLG im BGH-Fall ein Wettbewerbsverhältnis verneint.

b) Der BGH ist aber weniger streng, Rdnr. 16: Auch soweit die Anzeigen nicht von Bordellbetrieben, sondern von Prostituierten aufgegeben worden sind, besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis des Kl. zu diesen Anzeigenkunden. Im Interesse eines wirksamen wettbewerbsrechtlichen Individualschutzes sind an das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses keine hohen Anforderungen zu stellen; insbesondere ist keine Branchengleichheit erforderlich (BGHZ 93, 96 [97] - DIMPLE; BGH NJW 2004, 3032 - Werbeblocker). Vielmehr reicht es aus, dass die Dienstleistungen der Prostituierten vielfach auch die Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten zur Durchführung der sexuellen Kontakte umfassen und insoweit mit derjenigen der Kl. gleichartig sind. Das Wettbewerbsverhalten dieser Anzeigenkunden der Bekl., die die Möglichkeit zu sexuellen Kontakten bewerben, ist daher geeignet, das Unternehmen des Kl. zu beeinträchtigen.

Somit besteht zwischen K und den Anzeigenkunden der B ein Wettbewerbsverhältnis.

2. Es müsste ein unlauteres Wettbewerbsverhalten der Anzeigenkunden vorliegen. BGH Rdnr. 18: Nach § 4 Nr. 11 UWG handelt unlauter i. S. des § 3 UWG, wer einer gesetzlichen Bestimmung zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Dabei gehört zum Marktverhalten nicht nur die unmittelbare Leistung, sondern auch eine vorangegangene oder damit verbundene Werbung.

a) Als solche gesetzlichen Bestimmungen kommen hier §§ 119 I Nr. 1 und 2, 120 I Nr. 2 OWiG in Betracht. Wenn dort bestimmte belästigende und grob anstößige Handlungen sowie die Werbung für Prostitution verboten und mit Bußgeld belegt wird, sollen jedenfalls in erster Linie Personen, die daran Anstoß nehmen, als Mitglieder der Öffentlichkeit geschützt werden. Nach BGH Rdnr. 18 sind die Vorschriften aber auch Schutznormen zugunsten von Wettbewerbern:Die Vorschriften sanktionieren als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße unter bestimmten Voraussetzungen das öffentliche Anbieten, Anpreisen und Ankündigen der Gelegenheit zu sexuellen Handlungen. Sie enthalten Werbebeschränkungen und haben damit einen auch unmittelbar das Marktverhalten von Unternehmen regelnden Charakter. Denn durch sie ist jede Werbung, die die Voraussetzungen der §§ 119, 120 OWiG erfüllt, untersagt und mit einer Geldbuße belegt.

Somit sind §§ 119, 120 OWiG Vorschriften, die i. S. von § 4 Nr. 11 UWG auch den Zweck haben, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.

b) Die Anzeigenkunden müssten einer dieser Vorschriften zuwidergehandelt haben.

(1) Nach § 119 I Nr. 1 OWiG handelt ordnungswidrig, wer öffentlich in einer Weise, die geeignet ist, andere zu belästigen, Gelegenheit zu sexuellen Handlungen anbietet. BGH Rdnr. 21: Die im Streitfall angegriffene Werbung war nicht geeignet, andere zu belästigen. In Anbetracht eines gewandelten Verständnisses in der Bevölkerung, wonach die Prostitution überwiegend nicht mehr schlechthin als sittenwidrig angesehen wird, kann nicht davon ausgegangen werden, dass durch die in Rede stehende Werbung das körperliche oder seelische Wohlbefinden mehr als nur geringfügig beeinträchtigt wird.

(2) Nach § 119 I Nr. 2 handelt ordnungswidrig, wer bei einer solchen Werbung grob anstößig handelt. Anhaltspunkte für ein grob anstößiges Verhalten konnte der BGH im vorliegenden Fall nicht finden und stellt deshalb nur fest: Die Werbung ist ebenfalls nicht in grob anstößiger Weise erfolgt. Gegenteiliges hat der Kl. nicht konkret dargelegt. (Selbst wenn ein grob anstößiges Verhalten bei gewissen Anzeigen bejaht werden könnte, wäre der Anspruch des K nur auf Unterlassung der Werbung in anstößiger Form gerichtet und nicht, was K aber erstrebt, auf Unterlassung schlechthin.)

(3) Nach § 120 I Nr. 2 OWiG handelt ordnungswidrig, wer durch Verbreiten von Schriften Gelegenheit zu entgeltlichen sexuellen Handlungen anbietet. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist jede Werbung für die Ausübung der Prostitution verboten und kann mit einer Geldbuße belegt werden.

aa) Dementsprechend hatte BGHZ 118, 182 noch im Jahre 1992 im Einklang mit der ganz h. M. entschieden (LS a): Ein Inserat, das nach seinem objektiv erkennbaren Inhalt Gelegenheit zu entgeltlichen sexuellen Handlungen anbietet, verstößt gegen § 120 I Nr. 2 OWiG. Danach ist § 120 OWiG ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Daraus hatte das BGH-Urteil gefolgert, dass Verträge zwischen Zeitung und Anzeigenkunden über die Veröffentlichung solcher Inserate nach § 134 BGB nichtig sind und weder Ansprüche aus Vertrag noch aus Bereicherung begründen.

bb) Ein Blick in die Anzeigenspalten insbesondere von kostenlos verteilten Anzeigenblättern zeigt aber, dass daraus keine Konsequenzen gezogen werden. Offenbar wird für die Veröffentlichung solcher Inserate das übliche Entgelt gezahlt. Vor allem werden sie nicht als Ordnungswidrigkeiten verfolgt. Praktisch ist § 120 OWiG für die Normalfälle der Werbung für Prostitution mittlerweile außer Kraft gesetzt. Die dafür bisher fehlende juristische Begründung hat der BGH jetzt geliefert. Er hat, gestützt auf das Prostitutionsgesetz von 2002 und ein gewandeltes Verständnis in der Bevölkerung, § 120 OWiG auf ein konkretes Gefährdungsdelikt zurückgeführt.

BGH Rdnr. 24: Mit dem In-Kraft-Treten des Prostitutionsgesetzes kann an der früheren Auslegung des § 120 I Nr. 2 OWiG, die eine abstrakte Gefährdung ausreichen lässt, nicht festgehalten werden. Mit dem Prostitutionsgesetz hat der Gesetzgeber einem Wandel in weiten Teilen der Bevölkerung, die die Prostitution nicht mehr schlechthin als sittenwidrig ansehen, Rechnung getragen (vgl.… BGH NJW 2002, 361;…zum Aufenthalts- und Niederlassungsrecht von Prostituierten aus anderen Mitgliedstaaten der EU EuGH Slg. 2001, I-8615 = NVwZ 2002, 326 Rdnrn. 59 f.). Die Vereinbarung zwischen Prostituierten und Kunden über die Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt unterfällt nach § 1 S. 1 ProstG nicht mehr dem Verdikt der Sittenwidrigkeit, sondern begründet eine rechtswirksame Forderung der Prostituierten.

 Rdnr. 25: Diesem gewandelten Verständnis und der geänderten Rechtslage ist, auch wenn der Gesetzgeber § 120 I Nr. 2 OWiG nicht ebenfalls novelliert hat, bei der Auslegung dieser Bestimmung Rechnung zu tragen (Malkmus, Prostitution in Recht und Gesellschaft, 2005, S. 125 ff. [138]…). Es ist deshalb nicht an einem generellen Verbot jeder Werbung für entgeltliche sexuelle Handlungen nach § 120 I Nr. 2 OWiG festzuhalten, sondern das Verbot ist auf Fälle zu beschränken, in denen durch die Werbung eine konkrete Beeinträchtigung von Rechtsgütern der Allgemeinheit, insbesondere des Jugendschutzes, eintritt…

Rdnr. 26: Eine konkrete Beeinträchtigung von Rechtsgütern, die einen Verstoß gegen § 120 I Nr. 2 OWiG darstellt, ist etwa anzunehmen, wenn die Werbung nach Aufmachung, Inhalt oder Umfang nicht in der gebotenen zurückhaltenden Form erfolgt oder nach der Art des Werbeträgers und seiner Verbreitung geeignet ist, die schutzbedürftigen Rechtsgüter zu gefährden. Nicht erforderlich für ein Eingreifen des § 120 I Nr. 2 OWiG ist, dass die Werbung geeignet ist, andere zu belästigen, oder in grob anstößiger Form erfolgt, wie dies Voraussetzung des § 119 I OWiG ist.

Rdnr. 27: Die Vorschrift des § 120 I Nr. 2 OWiG, die die Werbung für sexuelle Handlungen gegen Entgelt betrifft, greift nach ihrem Sinn und Zweckbereits unterhalb der Schwelle des § 119 I OWiG ein. Das Verbot setzt aber eine konkrete Eignung der Werbung voraus, den Schutz der Allgemeinheit, vor allem denjenigen von Kindern und Jugendlichen, vor den mit der Prostitution generell verbundenen Gefahren und Belästigungen zu beeinträchtigen.

(Wie die Ausführungen zeigen, versteht sie der BGH als Anwendungsfall einer systematisch-einengenden Auslegung des § 120 I Nr. 2; da dabei aber vom eindeutigen Wortlaut des § 120 I Nr. 2 abgewichen wird, handelt es sich wohl eher um eine systematisch-teleologische Reduktion.)

cc) BGH Rdnr. 28: Die beanstandeten Anzeigen erfüllen diese Voraussetzungen des § 120 I Nr. 2 OWiG nicht. Sie sind weder nach ihrer Gestaltung noch nach ihrem Inhalt geeignet, Belange der Allgemeinheit einschließlich des Kinder- und Jugendschutzes zu beeinträchtigen. In den Zeitungen und Zeitschriften ist diese Art der Werbung je nach Art des Mediums und seines Leserkreises nicht selten anzutreffen (vgl. Göhler/König, OWiG, 14. Aufl., § 120 Rdnr. 16).

c) Somit sind §§ 119, 120 OWiG zwar Vorschriften, die auch den Schutz der Konkurrenten vor einer gegen diese Vorschriften verstoßenden Werbung bezwecken. Jedoch haben die Anzeigenkunden der B diesen Vorschriften nicht zuwidergehandelt. Ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG liegt nicht vor. Die Anspruchsgrundlage §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG greift nicht ein.

II. Eine andere Anspruchsgrundlage für K ist nicht ersichtlich. Der Unterlassungsanspruch des K gegen B ist deshalb nicht begründet.

Zusammenfassung