Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Unterlassungsanspruch analog §§ 1004 I 2, 823 I BGB zum Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. ► Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Beitrag in Internetforum. ► Voraussetzungen für Zustands-Störereigenschaft nach § 1004 I BGB durch Unterhaltung eines Internetforums. ► Haftungserleichterungen bei Medienunternehmen nach § 10 Telemediengesetz (TMG) und „medialer Privilegierung“ von TV-Liveübertragungen
BGH Urteil vom 27. 3. 2007 (VI ZR 101/06) NJW 2007, 2558
Fall (Katzenfreund und Rumtrauben)
K ist Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender eines Vereins, dessen satzungsgemäßer Zweck die Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet ist. Beruflich ist K im kaufmännischen Bereich tätig. Um die Tätigkeit des K gab es Auseinandersetzungen. B ist Internetdienstleister und betreibt u. a. ein Internetforum, das sich mit sexuellem Missbrauch und Kinderpornografie beschäftigt und in dem andere, auch anonym bleibende Personen sich mit Beiträgen beteiligen können. K stellte in das Forum einen Beitrag ein, in dem er sich gegen Vorwürfe verteidigte. Daraufhin veröffentlichte ein Unbekannter unter dem Pseudonym „Katzenfreund“ einen Beitrag, in dem er behauptete, K sei vor einiger Zeit in den Menschenhandel mit Frauen aus Osteuropa verwickelt gewesen und habe damit das Geld verdient, mit dem er jetzt seine Vereinsaktivitäten finanziere. Das war aber vollständig unzutreffend. Gleichwohl wiederholte ein Autor unter der Bezeichnung „Rumtrauben“ diese Behauptung. Auf den Protest des K hin teilte B dem K mit, er habe die beiden Beiträge vorläufig gesperrt, allerdings ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Überdies sei der Verfasser des Beitrags „Rumtrauben“ der auch K bekannte D; er stelle ihm anheim, gegen diesen vorzugehen. K ging darauf aber nicht ein, sondern verlangt von B, beide Beiträge zukünftig nicht mehr zu verbreiten. Zu Recht ?
A. Anspruchsgrundlage für den Unterlassungsanspruch könnten Vorschriften des Telemediengesetzes sein.
I. Das Telemediengesetz (TMG) wurde in BGBl I 2007, 179 verkündet und ist am 1. 3. 2007 in Kraft getreten. Es löst das frühere Teledienstegesetz (TDG) und den Medienstaatsvertrag (MDStV), soweit er sich nicht auf Rundfunk bezieht, ab. Es gilt nach § 1 I TMG grundsätzlich „für alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste…(Telemedien)“. Ausgenommen sind Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 oder 25 des - weiter geltenden (§ 1 III TMG) - Telekommunikationsgesetzes, das im wesentlichen den Telefonverkehr als Individualkommunikation regelt; ferner ist ausgenommen der Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen), für den der Medienstaatsvertrag und Landesgesetze gelten. Auf das im vorliegenden Fall von B als Internetanbieter betriebene Forum ist das TMG anwendbar. Obwohl der Originalfall des BGH sich vor dem 1. 3. 2007 ereignet hat, hatte der BGH das TMG anzuwenden, weil sich ein Unterlassungsanspruch stets nach dem im Zeitpunkt des Unterlassungsverlangens geltenden Recht richtet. Zeitpunkt des Unterlassungsverlangens war der Zeitpunkt der Entscheidung des BGH über die Revision (vgl. BGH Rdnr. 6).
2. Allerdings ergibt sich aus dem TMG keine Anspruchsgrundlage für einen Unterlassungsanspruch. BGH Rdnr. 6: Die im Telemediengesetz enthaltenen Vorschriften zur Verantwortlichkeit von Diensteanbietern (§§ 7 bis 10 TMG) haben die Regelungen des Teledienstegesetzes und die für Mediendienste bisher geltenden entsprechenden Regelungen des Medienstaatsvertrages unverändert übernommen (…). Die diesbezüglichen Vorschriften weisen keinen haftungsbegründenden Charakter auf und enthalten…keine Anspruchsgrundlagen. Wie sich aus § 7 I TMG ergibt, setzen die nachfolgenden Bestimmungen des Gesetzes …eine Verantwortlichkeit nach allgemeinen Vorschriften des Zivil- und Strafrechts voraus…
B. Speziellere Anspruchsgrundlagen für Unterlassungsansprüche sind § 12, 2 BGB für den Fall einer Verletzung des Namensrechts und § 1004 I 2 BGB, der eine Eigentumsverletzung oder auf Grund einer Verweisung (z. B. in §§ 1027, 1065, 1227 BGB) die Verletzung eines anderen dinglichen Rechts voraussetzt. Beide Fälle treffen auf die Beeinträchtigung des K nicht zu.
C. Folglich kommt für K ein Anspruch aus dem allgemeinen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch analog §§ 1004 I 2, 823 I oder II BGB wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts (dann § 823 I) oder wegen eines Beleidigungsdelikts nach §§ 185 - 187 StGB (dann § 823 II) in Betracht. Dabei scheidet die Begründung des Anspruchs gemäß § 823 II über die Verwirklichung eines Straftatbestandes durch B selbst von vornherein aus, weil eine Strafbarkeit des B zumindest nicht festgestellt werden kann. Es bleibt der Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des K.
I. Nach dem Wortlaut des § 1004 I 2, 1 ist zunächst Voraussetzung, dass das Persönlichkeitsrecht des K verletzt wurde.
1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist im BGB nicht ausdrücklich gewährleistet. Es wurde dem Art. 2 I, 1 I GG entnommen und auf das BGB übertragen so dass heute anerkannt ist, dass es als sonstiges Recht i. S. des § 823 I auch im Zivilrecht geschützt ist.
2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährt das Recht auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen in unterschiedlichen Sphären (Intimsphäre, sonstige Privatsphäre, Sozialsphäre) und unter Berücksichtung zahlreicher konkretisierender Ausprägungen (z. B. über die Darstellung einer Person in der Öffentlichkeit). Äußerungen in einem Internetforum, die zumindest auch Reaktionen auf öffentliche Aktivitäten und auf einen eigenen Beitrag in dem Forum sind, gehören zur Sozialsphäre. Diese wird zwar nur in einem engeren Bereich geschützt, beispielsweise nicht gegen öffentliche Kritik. Jedoch verstößt ein Beitrag, in dem eine Person wahrheitswidrig der Beteiligung an einer besonders üblen Art von Straftaten und dies auch noch zum Zwecke der Gewinnerzielung bezichtigt wird, gegen den zum Persönlichkeitsrecht gehörenden Achtungsanspruch. Der so Angegriffene erleidet eine wesentliche Einbuße an Ansehen und Achtung bei den Teilen der Öffentlichkeit, die davon Kenntnis erlangen. Der Vorwurf geht weit über eine sachlich vorgetragene und auf zutreffenden oder zumindest pflichtgemäß ermittelten Tatsachen beruhende Kritik hinaus. Somit enthalten beide Beiträge einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des K.
3. Das Persönlichkeitsrecht ist ein Rahmenrecht, bei dem ein Eingriff noch nicht die Rechtswidrigkeit und damit die Verletzung indiziert. Vielmehr bedarf es zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Abwägung unter Berücksichtigung gegenläufiger Interessen und Rechte.
a) Im vorliegenden Fall handelt es sich um Eingriffe durch Äußerungen. Dabei ist auch die Meinungsäußerungsfreiheit der Verfasser der den K angreifenden Beiträge zu berücksichtigen. Insoweit hat Art. 5 I 1 GG eine mittelbare Drittwirkung, die zu einer verfassungskonformen Auslegung und Anwendung des § 823 I führt (grundlegend das sog. Lüth-Urteil BVerfGE 7, 198, seitdem st. Rspr. des BVerfG und des BGH).
b) Im vorliegenden Fall rechtfertigt aber die Meinungsfreiheit die beiden Beiträge schon deshalb nicht, weil die Beiträge tatsächliche Angaben enthalten, die unwahr sind. Unwahre Tatsachenbehauptungen sind gegenüber Unterlassungsansprüchen, die sich auf die zukünftige Wiederholung beziehen, nicht über die Meinungsfreiheit geschützt. Darüber hinaus hält der BGH die Beiträge für eine nicht rechtfertigungsfähige Schmähung. Rdnr. 11: Der Kl. muss die in den beanstandeten Beiträgen enthaltene Ehrverletzung nicht nach den Grundsätzen der Meinungsäußerungsfreiheit im Rahmen einer öffentlichen Auseinandersetzung hinnehmen, bei der die Vermutung zu Gunsten der freien Rede sprechen kann (vgl. BVerfGE 7, 198 [212]…; BVerfG NJW 1990, 1980). Der Schutz von Meinungsäußerungen tritt nämlich regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrechtsschutz zurück, wenn sich die betreffenden Äußerungen - wie vorliegend - als Schmähung darstellen (vgl. BVerfGE 82, 272 [281]).
4. BGH Rdnr. 10: Dem Unterlassungsanspruch kann auch nicht entgegengehalten werden, der Kl. habe diese Äußerungen durch von ihm selbst zuvor in das Forum eingestellte eigene Beiträge provoziert. Die Teilnahme an einem Meinungsforum kann nicht als stillschweigende Erklärung der Einwilligung in Ehrverletzungen innerhalb des Forums gewertet werden. Es mag sein, dass der Teilnehmer eines Forums, in dem, wie es häufig und auch im vorliegenden Fall ist, Äußerungen unter einem Pseudonym eingestellt werden, im Einzelfall damit rechnen muss, dass er dort von anonym bleibenden Personen angegriffen und möglicherweise in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt wird. Wer dieses Risiko eingeht, verzichtet damit aber grundsätzlich nicht auf Abwehransprüche hinsichtlich künftiger Ehrverletzungen. Unterlassungsansprüche sind ihm damit nicht abgeschnitten.
5. Ein Verschulden ist nur bei einem Schadensersatzanspruch erforderlich, nicht jedoch bei einem Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch (vgl. § 1004 I 1 und 2 BGB).
Somit wurde durch die beiden Beiträge rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des K eingegriffen.
II. Eine Wiederholungsgefahr ergibt sich daraus, dass B die Beiträge nur vorläufig gesperrt hat und eine Rechtspflicht zur Löschung bestreitet. Infolgedessen nimmt er weiterhin das Recht in Anspruch, die Beiträge wieder freizugeben, was eine Wiederholungsgefahr begründet.
Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich, dass K grundsätzlich ein Anspruch auf Unterlassung zusteht.
III. Gegen B richtet sich der Anspruch aber nur, wenn B auch Störer ist (§ 1004 I BGB analog).
1. Handlungsstörer ist nur derjenige, der durch sein Handeln den störenden Zustand unmittelbar verursacht. Das trifft nur auf die Verfasser der Beiträge zu, nicht auf B.
2. Zustandsstörer ist, auf dessen Willen der störende Zustand zumindest mittelbar zurückgeht. B ist Betreiber des Internetforums und kann darüber entscheiden, welche Beiträge veröffentlicht und welche gesperrt oder gelöscht werden (BGH Rdnr. 9, wiedergegeben unten b bb). Auf der Grundlage der allgemeinen Grundsätze zu § 1004 I hatte das OLG als Vorinstanz des BGH eine Störereigenschaft des B grundsätzlich bejaht; der BGH ist dem gefolgt. Es könnten allerdings zu Gunsten des B als Internet-Diensteanbieter besondere Vorschriften eingreifen, nach denen eine Störereigenschaft ausgeschlossen ist.
a) Nach § 10 Nr. 1 TMG sind Diensteanbieter für fremde Informationen, die sie speichern, nicht verantwortlich, wenn sie die Information unverzüglich entfernen, nachdem sie von ihrer Rechtswidrigkeit erfahren haben. Jedoch greift diese Vorschrift, ebenso wie die Vorgängervorschrift § 11 TDG, gegenüber einem Unterlassungsanspruch nicht ein. BGH Rdnr. 7: Wie sich aus § 7 II TMG und dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelung ergibt, betrifft § 10 TMG lediglich die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die Schadensersatzhaftung (BGHZ 158, 236 [246 ff.], zu § 11 TDG). Unterlassungsansprüche bleiben von dieser Vorschrift …unberührt (BGHZ 158, 236 [248]).
b) Zu Gunsten von Fernsehsendern, die in Live-Diskussionen einen „Markt der Meinungen“ eröffnen, hat der BGH in der „Panorama-Entscheidung“ BGHZ 66, 182 auf S. 188 eine mediale Privilegierung anerkannt.
aa) BGH im vorliegenden Fall Rdnr. 8: Bei der Frage, ob das Fernsehen allein wegen der Ausstrahlung einer ehrverletzenden Äußerung belangt werden kann, ist den Besonderheiten Rechnung zu tragen, die sich aus seiner Rolle und den Möglichkeiten und Zwängen fernsehgerechter Darstellung ergeben. Mit Rücksicht darauf hat der erkennende Senat seinerzeit entschieden, dass eine Störerhaftung der Fernsehanstalt zu verneinen sein kann, wenn während der Liveübertragung einer Fernsehdiskussion eine ehrverletzenden Äußerung durch einen Dritten erfolgt oder wenn das Fernsehen die kritische Äußerung eines Dritten aufgreift, ohne sich mit ihr zu identifizieren.
bb) Rdnr. 9: Diese Überlegungen sind auf ein im Internet eröffnetes Meinungsforum nicht übertragbar. Die Revision weist zu Recht darauf hin, dass die für Livesendungen in Rundfunk und Fernsehen geltende mediale Privilegierung sich nicht auf Wiederholungen erstrecken kann, da dem Veranstalter hier die Möglichkeit offen steht, die (erneute) Verbreitung von Äußerungen Dritter zu verhindern (…). Entsprechendes gilt für Internetforen, sofern dem Betreiber - wie vorliegend unstreitig - die erfolgte Rechtsverletzung bekannt ist. In dem Unterlassen, einen als unzulässig erkannten Beitrag zu entfernen, liegt eine der Wiederholung einer Rundfunk- oder Fernsehaufzeichnung vergleichbare Perpetuierung der Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Der Betreiber eines Internetforums ist „Herr des Angebots“ und verfügt deshalb vorrangig über den rechtlichen und tatsächlichen Zugriff. Internetangebote sind - wie etwa auch Aufzeichnungen im Fernsehen - dem nachträglichen Zugriff des Anbieters in keiner Weise entzogen. Auch wenn von ihm keine Prüfpflichten verletzt werden, so ist er doch nach allgemeinem Zivilrecht zur Beseitigung und zur Unterlassung künftiger Rechtsverletzungen verpflichtet (…).
Damit steht fest, dass der Unterlassungsanspruch des K gegen B hinsichtlich des Beitrags „Katzenfreund“ begründet ist.
c) Beim Beitrag „Rumtrauben“ hatte das OLG als Vorinstanz des BGH angenommen, der Unterlassungsanspruch des K gegen den bekannten Autor D sei vorrangig und verdränge den Anspruch gegen den Diensteanbieter B. Dafür sieht der BGH jedoch keinen Grund. Rdnr. 13: Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Betreibers eines Internetforums für dort eingestellte Beiträge entfällt nicht deshalb, weil dem Verletzten die Identität des Autors bekannt ist. Wird ein ehrverletzender Beitrag in ein Forum eingestellt, ist der Betreiber als Störer i. S. von § 1004 I 1 BGB zur Unterlassung verpflichtet. Ebenso wie der Verleger die Quelle einer von einem Presseerzeugnis ausgehenden Störung beherrscht und deshalb grundsätzlich neben dem Autor eines beanstandeten Artikels verantwortlich ist (… BGHZ 14, 163 [174]…), kann beim Fernsehen das Sendeunternehmen als „Herr der Sendung“ zur Unterlassung verpflichtet sein (BGHZ 66, 182 [188]). Diese Grundsätze gelten auch für den Betreiber eines Internetforums, der insoweit „Herr des Angebots“ ist. Der gegen ihn gerichtete Unterlassungsanspruch des Verletzten besteht in gleicher Weise unabhängig von dessen Ansprüchen gegen den Autor eines dort eingestellten Beitrags.
Somit ist auch ein Unterlassungsanspruch des K gegen B wegen des Beitrags „Rumtrauben“ begründet.
Zusammenfassung