Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Quasinegatorischer Unterlassungsanspruch analog §§ 1004 I 2, 823 I BGB. ► Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. ► Betriebsbezogener Eingriff durch unverlangte Zusendung einer Werbe-E-Mail. ► Unzulässige Werbung nach § 7 II Nr. 3 UWG. ► Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft, §§ 705 BGB, 50 ZPO
BGH Beschluss vom 20. 5. 2009 - I ZR 218/07 - NJW 2009, 2958)
Fall (E-Mail-Werbung II)
Rechtsanwalt K und Partner betreiben eine Rechtsanwaltskanzlei unter der Bezeichnung „K Rechtsanwälte Gesellschaft bürgerlichen Rechts“. Unter der gemeinsamen E-Mail-Adresse erhielten sie einen Newsletter, der auf 15 Seiten Informationen für Kapitalanleger enthielt. Absender war die B-GmbH, deren Geschäftsführer G die Übersendung veranlasst hatte. Unter Berufung darauf, dass die K-GbR bisher weder mit der B-GmbH noch mit G in Geschäftsbeziehungen gestanden hat, richtete K an B und G eine Abmahnung und verlangte die schriftliche Erklärung, dass sie die Zusendung des Newsletters künftig unterlassen werde. Dies verweigerte G namens der B und im eigenen Namen. Die K-GbR will dagegen auf dem Klagewege vorgehen. Hätte eine Klage Aussicht auf Erfolg ?
A. Es kommt eine Unterlassungsklage in Betracht. Hierbei ist allein problematisch, ob die K-GbR parteifähig ist. Parteifähig ist nach § 50 I ZPO, wer rechtsfähig ist.
I. Rechtsfähig sind in erster Linie natürliche und juristische Personen. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BGB-Gesellschaft oder GbR, §§ 705 ff. BGB) ist keine natürliche Person. Sie ist mangels einer dahingehenden gesetzlichen Vorschrift auch keine juristische Person.
II. Außerdem gibt es die rechtsfähige Personengesellschaft (§ 14 I, II BGB). Früher war allgemeine Auffassung, dass die BGB-Gesellschaft nicht rechtsfähig war. Demgegenüber hatte BGHZ 146, 341 ihr die Rechtsfähigkeit und die Parteifähigkeit zuerkannt. Das ist seitdem allgemein anerkannt. Somit ist die K-GbR parteifähig und kann gegen die G-GmbH, die als juristische Person parteifähig ist (§ 13 I GmbHG), auf Unterlassung klagen.
B. Begründet ist die Unterlassungsklage, wenn der K-GbR gegen die B-GmbH ein Anspruch auf Unterlassung zusteht.
I. Ein Anspruch kann sich aus dem Wettbewerbsrecht ergeben. Anspruchsgrundlage können §§ 8 I, III Nr. 1, 7 II Nr. 3 UWG sein.
1. Danach ist eine Werbung unter Verwendung von elektronischer Post ohne (wirkliche oder mutmaßliche) Einwilligung des Empfängers unlauter und löst einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 8 UWG aus (ebenso wie Telefonanrufe gemäß § 7 II Nr. 2 UWG).
2. Ein solcher Anspruch steht aber grundsätzlich nur einem Mitbewerber zu (§§ 2 I Nr. 3, 8 III Nr. 1 UWG). Folglich müsste zwischen den Parteien K und B ein Wettbewerbsverhältnis bestehen.
BGH Rdnr. 9: Mitbewerber ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen mit der Folge, dass das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten des einen Wettbewerbers den anderen beeinträchtigen, das heißt im Absatz behindern oder stören kann (BGH GRUR 2007, 978 Tz. 16 - Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer). Hier kann nicht festgestellt werden, dass die Parteien gleichartige Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen . Vielmehr bietet K Rechtsberatungsdienstleistungen an, während B offenbar Gelegenheiten zur Anlage von Kapital vermittelt. Beides ist nicht gleichartig.
Mangels eines Wettbewerbsverhältnisses hat K keinen Anspruch gegen B aus Wettbewerbsrecht.
II. Der K-GbR könnte ein Unterlassungsanspruch wegen eines Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach §§ 823 I, 1004 I 2 BGB analog zustehen.
Durch § 1004 BGB werden zugunsten des Eigentums Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zugelassen. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche sieht das BGB auch zugunsten anderer dinglicher Rechte vor (z. B. zugunsten einer Hypothek, § 1134 BGB) und zugunsten des Namensrechts (§ 12 BGB). Darüber hinaus besteht die allgemeine Auffassung, dass Unterlassungsansprüche zugunsten eines jeden in § 823 I BGB geschützten absoluten Rechts bestehen müssen (sog. quasinegatorischer Unterlassungsanspruch, MünchKomm/Medicus, 5. Aufl. 2009, § 1004 Rdnr. 9 m. w. N.). Denn der Schutz eines Rechts durch einen nachträglichen, repressiven Schadensersatzanspruch gemäß § 823 BGB muss ergänzt werden durch einen präventiven, bereits die Entstehung der Rechtsverletzung und des Schadens verhindernden präventiven Schutz, weil ein präventiver, rechtzeitig eingreifender Schutz nicht nur im Interesse des Rechtsinhabers ist, sondern auch im Interesse des Verletzers liegt, dem dadurch eine Schadensersatzverpflichtung erspart bleibt.
1. Voraussetzung eines solchen Unterlassungsanspruchs ist die erfolgte Verletzung eines Rechts i. S. des § 823 I. Der Unterlassungsanspruch kann aber auch schon eingreifen, wenn eine Verletzung erstmals droht (bei Erstbegehungsgefahr); diese Variante braucht im vorliegenden Fall aber nicht in Betracht gezogen zu werden. Im vorliegenden Fall könnte die Zusendung des Newsletters per E-Mail das Recht der K am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzen. Dieses Recht ist als „sonstiges Recht“ i. S. des § 823 I anerkannt (Palandt/Sprau, 68. Aufl. 2009, § 823 Rdnr. 126).
a) Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb setzt eine erlaubte, selbstständige, auf Gewinnerzielung gerichtete und auf eine gewisse Dauer angelegte Tätigkeit voraus. In diesen Schutzbereich fallen auch die freien Berufe (Palandt/Thomas, 68. Aufl. 2009, § 823 Rdnr. 21). Deshalb steht dieses Recht auch einer Rechtsanwaltspraxis zu. Dass die Anwaltstätigkeit kein Gewerbe i. S. der Gewerbeordnung, sondern ein freier Beruf ist, ist demgegenüber unerheblich.
b) Eine Beeinträchtigung der durch dieses Recht geschützten Tätigkeit liegt darin, dass eine E-Mail ohne den Willen oder - wie hier - sogar gegen den Willen der K in den deren betrieblichen Bereich gelangt ist, dort zur Kenntnis genommen werden musste und eine Entscheidung verlangt hat, was mit der E-Mail geschieht.
c) Um den geschützten Bereich aber sinnvoll einzugrenzen, wird der Gewerbebetrieb nur gegenüber unmittelbaren, betriebsbezogenen Eingriffen geschützt. BGH Rdnr. 12: Von Eingriffen in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist auszugehen bei Eingriffen, die gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen sind und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen (BGHZ 29, 65, 74; 69, 128, 139; 86, 152, 156). Somit ist im vorliegenden Fall die Frage zu stellen, ob die einmalige Zusendung einer unverlangten E-Mail zu Zwecken der Werbung ein solcher unmittelbarer, betriebsbezogener Eingriff ist.
aa) BGH Rdnr. 11: In Rechtsprechung und Schrifttum ist die Frage umstritten, ob die unverlangte Zusendung von E-Mails mit Werbung an Gewerbetreibende einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt. Zum Teil wird ein rechtswidriger Eingriff in das geschützte Rechtsgut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs jedenfalls bei einer einmaligen Zusendung einer E-Mail mit Werbung verneint (AG Dresden NJW 2005, 2561; Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl., § 7 Rdn. 199; Ohly in Piper/Ohly, UWG, 4. Aufl., § 7 Rdn. 22; Baetge, NJW 2006, 1037, 1038). Die überwiegende Ansicht in der Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums bejahen dagegen auch bei einer einmaligen E-Mail-Versendung eine entsprechende Rechtsverletzung (KG MMR 2002, 685; GRUR-RR 2005, 66; OLG München MMR 2004, 324; OLG Düsseldorf MMR 2004, 820; OLG Bamberg MMR 2006, 481;…Fezer/Mankowski, UWG, § 7 Rdn. 97…).
bb) Der BGH folgt der letztgenannten, überwiegenden Ansicht. Zunächst ist festzustellen, dass die Werbe-E-Mail in den Betrieb als solchen gelangt ist und keine Rechtsposition - wie etwa Sacheigentum - betrifft, die vom Betrieb ablösbar ist. Zur Argumentation des BGH vgl. dort Rdnr. 12: Die Zusendung einer Werbe-E-Mail ohne vorherige Einwilligung des Adressaten stellt einen unmittelbaren Eingriff in den Gewerbebetrieb dar… Unverlangt zugesandte E-Mail-Werbung beeinträchtigt regelmäßig den Betriebsablauf des Unternehmens. Mit dem Sichten und Aussortieren unerbetener E-Mails ist ein zusätzlicher Arbeitsaufwand verbunden. Zudem können, soweit kein festes Entgelt vereinbart ist, zusätzliche Kosten für die Herstellung der Online-Verbindung und die Übermittlung der E-Mail durch den Provider anfallen. Die Zusatzkosten für den Abruf der einzelnen E-Mail können zwar gering sein. Auch der Arbeitsaufwand für das Aussortieren einer E-Mail kann sich in engen Grenzen halten, wenn sich bereits aus dem Betreff entnehmen lässt, dass es sich um Werbung handelt. Anders fällt die Beurteilung aber aus, wenn es sich um eine größere Zahl unerbetener E-Mails handelt oder wenn der Empfänger der E-Mail ausdrücklich dem weiteren Erhalt von E-Mails widersprechen muss. Mit der häufigen Übermittlung von Werbe-E-Mails ohne vorherige Einwilligung des Empfängers durch verschiedene Absender ist aber immer dann zu rechnen, wenn die Übermittlung einzelner E-Mails zulässig ist. Denn im Hinblick auf die billige, schnelle und durch Automatisierung arbeitssparende Versendungsmöglichkeit ist ohne Einschränkung der E-Mail-Werbung mit einem immer weiteren Umsichgreifen dieser Werbeart zu rechnen (vgl. BGH GRUR 2004, 517, 518 - E-Mail-Werbung I).
cc) Für den vorliegenden Fall bedarf es noch der Feststellung, dass der Newsletter Werbung enthielt. BGH Rdnr. 13: Werbung ist jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern (vgl. Art. 2 lit. a der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung). Dazu zählt auch die in Rede stehende E-Mail der Beklagten, mit der sie ihre Geschäftstätigkeit gegenüber der Klägerin darstellt.
Somit enthielt die Zusendung des Newsletters durch B an K einen Eingriff in das Recht der K an ihrem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
d) Eine Verletzung dieses Rechts hat weiterhin zur Voraussetzung, dass der Eingriff rechtswidrig und von K nicht zu dulden war (vgl. § 1004 II BGB). Regelmäßig indiziert die Verletzung eines Rechtsgutes i.S.d. § 823 BGB die Rechtswidrigkeit. Das Recht am Gewerbebetrieb ist aber kein Recht mit klaren Konturen, bei dem ein Eingriff die Rechtswidrigkeit indiziert. Es ist vielmehr ein bloßes Rahmenrecht - ebenso wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht -, bei dem die Rechtswidrigkeit aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung positiv festgestellt werden muss. BGH Rdnr. 14: Die insoweit erforderliche Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien geht zu Lasten der Beklagten aus. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG stellt…jede Werbung unter Verwendung elektronischer Post ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten eine unzumutbare Belästigung dar. Diese gesetzgeberische Wertung ist bei der Beurteilung der Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuches ebenfalls heranzuziehen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (vgl. Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm a. a. O. § 7 Rdn. 14; Koch in Ullmann, jurisPK-UWG a. a. O. § 7 Rdn. 189). Wegen des unzumutbar belästigenden Charakters derartiger Werbung gegenüber dem Empfänger ist die Übersendung einer Werbe-E-Mail ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung grundsätzlich rechtswidrig.
Somit bedeutete die Zusendung des Newsletters per E-Mail durch B eine Verletzung des Rechts der K an ihrem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
2. Für den Unterlassungsanspruch ist analog § 1004 I 2 BGB weiterhin erforderlich, dass weitere Verletzungen drohen. Dies wird aufgrund eines vorangegangenen Verstoßes regelmäßig vermutet (BGH NJW 2004, 1035). Hier ist von einer solchen Wiederholungsgefahr schon deshalb auszugehen,da sich der B ausdrücklich weigert, eine schriftliche Unterlassungserklärung abzugeben,
3. Somit hat die K-GbR gegen die B-GmbH einen Anspruch auf Unterlassung der Zusendung weiterer Werbe-Mails. In dem - vom BGH bestätigten - Urteil des Landgerichts wurde B verurteilt, „es zu unterlassen, die Klägerin geschäftsmäßig per E-Mail anzuschreiben, um Informationen zu Entwicklungen am Kapitalmarkt in Form eines Newsletters zu übermitteln und/oder solche Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen, ohne dass das tatsächliche oder vermutete Einverständnis der Klägerin vorhanden ist.“
C. Ein Unterlassungsanspruch könnte der K auch gegen den Geschäftsführer G persönlich zustehen.
I. Allerdings hat G nicht im eigenen Namen gehandelt, sondern den Newsletter als Geschäftsführer und damit als organschaftlicher Vertreter der B-GmbH abgesandt. Bei Rechtsgeschäften haftet der Vertreter mit Vertretungsmacht persönlich nicht für die Folgen seiner Erklärungen.
II. Das Absenden von E-Mails, das einen rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff in ein Recht i. S. des § 823 I BGB bedeutet, ist aber weder ein Rechtsgeschäft noch eine geschäftsähnliche Handlung, sondern eine reine Realhandlung. Bei dieser gibt es keine, den Handelnden freistellende Vertretung. Deshalb stellt der BGH auch nur lapidar fest, Rdnr. 15: Für die unerlaubte Handlung haftet auch der Beklagte zu 2 [das war der Geschäftsführer], weil er Absender der in Rede stehenden E-Mail auf Seiten der Beklagten zu 1 war.
Somit hat K einen Unterlassungsanspruch auch gegen G persönlich.
Zusammenfassung