Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Verkehrsunfall mit Sachschaden, §§ 7 StVG, 823 BGB. Schadensersatz, § 249 BGB. Schadensberechnung aufgrund fiktiver Reparaturkosten; Bindung an diese Berechnung. Normative Korrektur eines nach der Differenzmethode bestimmten Schadens; Anrechnung eines Werksangehörigenrabatts


BGH
Urteil vom 18. 10. 2011 (VI ZR 17/11) NJW 2012, 50

Fall (Unfall mit dem BMW MINI)

K ist Halter eines Fahrzeugs des Modells BMW MINI. Am 23. April stieß er mit dem Pkw der Frau F zusammen. F hatte die Vorfahrt des K missachtet und war deshalb für den Unfall allein verantwortlich; auch eine mitwirkende Betriebsgefahr fiel K nicht zur Last. K beauftragte den Sachverständigen S mit der Erstellung eines Gutachtens zum Schadensumfang. Dieser schätzte die voraussichtlichen Reparaturkosten auf 3.446 €, den Wiederbeschaffungswert auf 31.500 €, die verbleibende Wertminderung auf 1.300 € und berechnete als Kosten für seine Tätigkeit 600 €. K übersandte das Gutachten der B-Versicherung, bei der F versichert ist, und bat um Erstattung von 5.346 €. B überwies den Betrag.

K ließ das Fahrzeug in einer BMW-Werkstatt reparieren. Die Reparaturkosten beliefen sich auf 4.005 €. K ist bei der BMW-AG beschäftigt und erhält als BMW-Werksangehöriger gemäß einer Betriebsvereinbarung einen Rabatt auf die Werkstattrechnung. Tatsächlich zahlte K deshalb für die entsprechend dem Sachverständigengutachten durchgeführte Reparatur nur 2.905 €. Er steht auf dem Standpunkt, er habe gegen B einen Anspruch auf Ersatz der im Vergleich zu dem Gutachten des S erhöhten Reparaturkosten in Höhe von 559 €. Zu Recht ?

I. Grundsätzlich wird, auch wenn eine Versicherung letztlich den Schaden bezahlen soll, der Schädiger in Anspruch genommen. Dieser kann dann im Innenverhältnis von seinem Versicherer den Eintritt in die Schadensabwicklung verlangen. Handelt es sich aber um eine Haftpflichtversicherung, zu deren Abschluss der Schädiger gesetzlich verpflichtet, sieht das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einen Direktanspruch gegen den Versicherer vor. Nach § 115 I Satz 1 Nr. 1, Satz 2 VVG kann ein Dritter seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegenüber dem Versicherer geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt und die Erfüllung der Schadensersatzpflicht unter die Leistungspflicht des Versicherers fällt. Schädiger und Versicherer haften als Gesamtschuldner.

1. Bei dem Versicherungsvertrag, den F bei B abgeschlossen hat, handelte es sich um eine Pflichtversicherung nach § 1 des (Bundes-)Gesetzes über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter. Die Voraussetzung des § 11 5 I 1 Nr. 1 liegt somit vor.

2. Von der weiterhin in § 115 I 2 enthaltenen Voraussetzung, dass die Erfüllung eines Schadensersatzanspruches unter die Leistungspflicht der B als Versicherer gegenüber F als Versicherungsnehmerin fällt, ist auszugehen. Die Leistungspflicht einer Kfz-Haftpflichtversicherung umfasst die Regulierung aller Ansprüche aus einem Verkehrsunfall, also auch die der Ansprüche des K aus dem Verkehrsunfall vom 23. 4.

3. Rechtsfolge des § 115 VVG ist, dass K als Dritter „seinen Anspruch auf Schadensersatz“ gegenüber B geltend machen kann. Damit ist der gegen den Versicherungsnehmer bestehende Schadensersatzanspruch gemeint. K hat also gegen B die Ansprüche, die ihm gegen F aus dem Verkehrsunfall vom 23. 4. zustehen. Sie sind auf Schadensersatz in Geld gerichtet (§ 115 I 3 VVG).

II. Der Schadensersatzanspruch des K gegen F stützt sich auf diejenigen Anspruchsgrundlagen, die normalerweise bei einem vom Schädiger verschuldeten Verkehrsunfall mit Sachschaden eingreifen.

1. Es besteht ein Anspruch aus § 7 I StVG: Bei dem Betrieb des Pkw der F wurde eine Sache, der Pkw des K, beschädigt. Mangels anderer Angaben ist davon auszugehen, dass F auch Halterin des Pkw ist. Durch höhere Gewalt (§ 7 II StVG) ist der Unfall nicht verursacht.

2. Da F Fahrerin des den Unfall verursachenden Fahrzeugs war, greifen auch §§ 18 I 1, 7 I StVG als Anspruchsgrundlage ein. Fehlendes Verschulden der F (§ 18 I 2 StVG) steht dem Anspruch nicht entgegen.

3. § 823 I BGB begründet eine weitere Anspruchsgrundlage: F hat das Eigentum des K rechtswidrig und fahrlässig-schuldhaft verletzt.

4. Schließlich ergibt sich der Anspruch auch aus §§ 823 II BGB, 8 StVO wegen der von F begangenen Vorfahrtsverletzung.

III. Als Rechtsfolge ist F aus sämtlichen vier Anspruchsgrundlagen zum Schadensersatz nach § 249 BGB verpflichtet.

1. Bei der Beschädigung einer Sache kann der Geschädigte nach § 249 II 1 statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Das sind grundsätzlich die Reparaturkosten. Anders liegt es nur bei einem technischen oder wirtschaftlichen Totalschaden, bei dem die voraussichtlichen Reparaturkosten zuzüglich des merkantilen Minderwerts über 130 % des Wiederbeschaffungswerts liegen. Auf den vorliegenden Fall, in dem der Wiederbeschaffungswert 31.500 € und die Reparaturkosten maximal 4.005 € betragen, trifft das nicht zu. K durfte also auf Reparaturkostenbasis abrechnen.

2. K verlangt zusätzliche Reparaturkosten, die über die ursprünglich zugrunde gelegten Kosten hinausgehen. An der Geltendmachung eines solchen Schadens könnte er deshalb gehindert sein, weil er mit dem Versicherer B bereits unter Zugrundelegung einer Reparaturkostenrechnung in Höhe von bloß 3.446 € abgerechnet hat, ohne dass dabei allerdings ein Vergleich geschlossen wurde.

a) Der Geschädigte hat die Wahl zwischen zwei Schadensberechnungen: Er kann auf der Basis der tatsächlich angefallenen Kosten abrechnen, was nur möglich ist, wenn er das Fahrzeug hat reparieren lassen. Er kann nach st. Rspr. (z. B. BGHZ 155, 1) und Praxis aber auch die voraussichtlichen Kosten auf der Grundlage eines Gutachtens oder Kostenvoranschlags verlangen, ohne dass das Fahrzeug repariert wird. Es handelt sich dann um eine auf der Grundlage einer fiktiven Reparatur erfolgende, abstrakte Schadensberechnung. Letztere hat K im vorliegenden Fall zunächst vorgenommen.

b) Über diese dürfte K nicht hinausgehen, wenn eine solche Abrechnung für den Geschädigten bindend ist. Hierfür besteht aber, wenn kein Vergleich geschlossen wurde, kein Grund. Vielmehr greift der Grundsatz ein, dass bei einem nachträglichen, zusätzlichen Schaden auch dieser nach § 249 BGB verlangt werden kann. BGH [4]: Zutreffend geht das BerGer. davon aus, dass der Kl. von der Bekl. Ersatz des ihm tatsächlich entstandenen Schadens verlangen kann und er nicht an die von ihm ursprünglich gewählte fiktive Abrechnung auf der Basis der vom Sachverständigen geschätzten Kosten gebunden ist. Wie der erkennende Senat für den - hier nicht gegebenen - Fall eines wirtschaftlichen Totalschadens entschieden hat, ist der durch einen Verkehrsunfall Geschädigte, der seinen Fahrzeugschaden mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers zunächst auf der Grundlage des vom Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungsaufwands abrechnet, an diese Art der Abrechnung nicht ohne Weiteres gebunden. Er kann - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - die höheren Kosten einer nunmehr tatsächlich durchgeführten Reparatur des beschädigten Fahrzeugs verlangen, sofern sich nicht aufgrund der konkreten Umstände des Regulierungsgeschehens etwas Abweichendes ergibt (vgl. BGHZ 169, 263, 265 ff.). Für den vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten. Eine Bindung an die ursprünglich gewählte Abrechnung auf der Grundlage der vom Sachverständigen geschätzten Kosten besteht grundsätzlich auch dann nicht, wenn der Geschädigte - wie hier - zunächst fiktiv auf Reparaturkostenbasis abrechnet, später jedoch zur konkreten Schadensabrechnung übergeht und nunmehr Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten verlangt (Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., 3. Kap., Rn. 38). Somit steht die vorgenommene fiktive Schadensberechnung der Geltendmachung eines weiteren Schadens nicht entgegen.

3. Die von K zugrunde gelegten Reparaturkosten in Höhe von 4.005 € sind aber keine Grundlage für die Schadensberechnung, wenn der von K in Anspruch genommene BMW-Werksangehörigenrabatt angerechnet werden muss. Denn dann lägen die Reparaturkosten mit 2.905 € noch unter dem bereits von B erstatteten Betrag von 3.446 €.

a) BGH [6, 7}: Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug reparieren, hat er - wie stets - das in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB verankerte Wirtschaftlichkeitspostulat zu beachten. Dieses gebietet dem Geschädigten, den Schaden auf diejenige Weise zu beheben, die sich in seiner individuellen Lage als die wirtschaftlich vernünftigste darstellt, um sein Vermögen in Bezug auf den beschädigten Bestandteil in einen dem früheren gleichwertigen Zustand zu versetzen (vgl. BGHZ 115, 375, 378 f.; 171, 287, 289 f. und BGHZ 181, 242, 246 f.). Verursacht von mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, so ist der Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt. Nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Herstellung erforderlich. Darüber hinaus findet das Wahlrecht des Geschädigten seine Schranke an dem Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Er soll zwar vollen Ersatz verlangen können, aber an dem Schadensfall nicht verdienen (st. Rspr., vgl. BGHZ 154, 395, 398 f.;…168, 43, 45; 171, 287, 290 und 181, 242, 247).

Nimmt der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Schadensbehebung selbst in die Hand, ist der zur Wiederherstellung erforderliche Aufwand nach der besonderen Situation zu bemessen, in der sich der Geschädigte befindet. Es ist also Rücksicht auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (…BGHZ 155, 1, 5…). Diese „subjektbezogene Schadensbetrachtung" gilt auch für die Frage, in welcher Höhe dem Geschädigten wegen der ihm in seiner individuellen Lage möglichen und zumutbaren Reparatur ein Schaden entstanden ist.

b) Für K war es objektiv und auch subjektiv, aus seiner Sicht, die wirtschaftlichste Methode, den Betriebsangehörigenrabatt in Anspruch zu nehmen. Der Rabatt hat deshalb seinen nach der Differenzmethode des § 249 BGB zu berechnenden Schaden gemindert. BGH [8): Nach diesen Grundsätzen kann der Kl. bei der hier gewählten konkreten Schadensabrechnung Ersatz der Reparaturkosten nur in Höhe der ihm tatsächlich entstandenen Kosten beanspruchen. Da er an dem Schadensfall nicht verdienen soll, muss er sich den erhaltenen Werksangehörigenrabatt anrechnen lassen.

c) Allerdings könnte der so ermittelte Schaden normativ und wertend zu korrigieren sein, insbesondere um zu verhindern, dass der Werksangehörigenrabatt F bzw. deren Versicherer B zugute kommt.

aa) BGH [8, 9]: Nach den hierzu entwickelten Grundsätzen könnte der im Wege der Differenzhypothese zu ermittelnde Schaden (…) „normativ" wertend entsprechend dem Grundgedanken des § 843 Abs. 4 BGB dahin zu korrigieren sein, dass der dem Kl. gewährte Werksangehörigenrabatt unberücksichtigt zu bleiben habe. Eine derartige Korrektur der Differenzrechnung kommt in Betracht, wenn die Differenzbilanz die Schadensentwicklung für den Normzweck der Haftung nicht zureichend erfasst. Das ist dann anzunehmen, wenn die Vermögenseinbuße durch überpflichtige Leistungen des Geschädigten oder durch Leistungen von Dritten, die den Schädiger nicht entlasten sollen, rechnerisch ausgeglichen wird (vgl. BGHZ 137, 237; NJW 2001, 1274 jeweils m. w. N.). Bei der Beurteilung der Frage, ob die von der Differenzhypothese ausgewiesenen schadensrechtlichen Ergebnisse nach Sinn und Zweck aller in Betracht kommenden Rechtsnormen nicht hinnehmbar sind, ist aber zur Vermeidung einer uferlosen Ausdehnung von Schadensersatzpflichten Zurückhaltung geboten (…). Eine normativ wertende Korrektur der Differenzrechnung ist daher nur angebracht, wenn nach einer umfassenden Bewertung der gesamten Interessenlage, wie sie durch das schädigende Ereignis zwischen dem Schädiger, dem Geschädigten und gegebenenfalls dem leistenden Dritten besteht, sowie unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck aller in Betracht kommenden Rechtsnormen die Differenzbilanz der Schadensentwicklung nicht gerecht wird…

bb) Soll die Leistung eines Dritten nach diesen Grundsätzen, insbesondere nach dem Grundgedanken des § 843 V BGB bei der Schadensberechnung außer Betracht bleiben, muss diese Leistung aus sozialen Gründen im Interesse allein des Leistungsempfängers vorgenommen werden. Das hat BGH [10] aber für die hier gegebene Interessenlage verneint: Der Werksangehörigenrabatt stellt keine Maßnahme der sozialen Sicherung und Fürsorge gegenüber dem Geschädigten dar, die einem Schädiger nach dem Rechtsgedanken des § 843 Abs. 4 BGB nicht zugute kommen soll. Die Möglichkeit, seinen Pkw im Bedarfsfall unter Inanspruchnahme des Werksangehörigenrabatts kostengünstig reparieren zu lassen, hatte der Kl. unabhängig von dem Verkehrsunfall schon allein aufgrund der bestehenden Betriebsvereinbarung. Der eingetretene Schadensfall gab lediglich den Anlass, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Der Nichtberücksichtigung des Werksangehörigenrabatts steht…auch nicht entgegen, dass es sich um einen steuerpflichtigen Vorteil, nämlich um eine vom Kläger als Einkommen zu versteuernde Leistung seines Arbeitgebers handelt. Dieser Umstand kann allenfalls einen Anspruch auf Ersatz der hierfür zu entrichtenden Steuer begründen. Dieser ist indessen nicht Gegenstand der Klage.

Folglich mindert der Werksangehörigenrabatt den durch die Reparaturkosten entstandenen Schaden des K. Dieser beträgt nur 2.905 € und liegt damit unter dem Betrag, den K von B bereits erhalten hat. K hat gegen F bzw. B keinen weiteren Anspruch auf Schadensersatz aus dem Unfall vom 23. 4.


Zusammenfassung