Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Kaufrecht, Sachmangel, §§ 433 I 2, 434 BGB. Neuwagenkauf, Fabrikneuheit. Nachbesserungsverlangen, § 439 I BGB. Rechte des Käufers vor Übergabe der Kaufsache. Rücktritt nach § 323 I BGB. Unerheblichkeit i. S. des § 323 V 2 BGB.

BGH
Urteil vom 6. 2. 2013 (VIII ZR 374/11) NJW 2013, 1365

Fall (Lackoberfläche milchig blass)

Im November 2012 bestellte K bei der B-GmbH, einem Autohändler, einen fabrikneuen Pkw eines bestimmten Typs zum Preise von 39.000 Euro. K leistete eine Anzahlung in Höhe von 10.000 Euro. Der verbleibende Teil des Kaufpreises sollte durch einen Kredit beglichen werden. Am 29. Dezember 2012 wollte B das Fahrzeug dem K übergeben. K stellte fest, dass das Fahrzeug Beschädigungen aufwies. Ein Sachverständigengutachten bestätigte, dass die linke hintere Seitenwand im Radbogenbereich verformt und die Stoßstange im linken hinteren Flankenbereich angeschlagen war sowie dass Motorhaube und Kofferraumdeckel an der Lackoberfläche milchig blass waren und leichte Kratzspuren aufwiesen. K verweigerte die Entgegennahme, verlangte eine „makellose Nachbesserung“ und setzte dafür eine Frist bis zum 15. Januar 2013. Am 14. Januar 2013 kam es zu einem zweiten Übergabeversuch. K stellte fest, dass die hintere Seitenwand und die Stoßstange handwerklich ordentlich bearbeitet worden waren, dass sie aber nicht den Zustand erreichten, den ein vom Hersteller ausgeliefertes Fahrzeug aufweist. Die Mängel der Lackierung waren nicht beseitigt.

Nachdem K den Zustand des Fahrzeugs erneut beanstandet und einen Rücktritt vom Vertrag angekündigt hatte, machte B geltend, die Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeugs sei in keiner Weise beeinträchtigt, vielmehr handele es sich nur um optische Unebenheiten, die auf den ersten Blick überhaupt nicht zu sehen seien. Da K eine Nachbesserung gefordert habe, könne er nur einen Zustand verlangen, der sich mit den Mitteln eines Autohändlers erreichen lasse. Zumindest sei ein Rücktritt bei derart geringfügigen Mängeln unangemessen.

K erklärte am 16. Januar den Rücktritt vom Vertrag und verlangt die 10.000 Euro erstattet. Zu Recht?

I. K könnte einen Rückzahlungsanspruch wegen Rücktritts vom Vertrag nach §§ 433, 323, 346 I BGB haben.

1. K und V haben im November 2012 einen wirksamen Kaufvertrag über einen fabrikneuen Pkw eines bestimmten Typs geschlossen. Es handelte sich um einen Neuwagenkauf als Gattungskauf (Lorenz NJW 2013, 1343), der ein gegenseitiger Vertrag i. S. der §§ 320 ff., 323 BGB ist.

2. K müsste wirksam vom Vertrag zurückgetreten sein. Eine Rücktrittserklärung des K liegt vor. Ein Rücktrittsgrund könnte sich aus § 323 I BGB ergeben.

a) Fraglich ist, ob § 323 I nur über § 437 Nr. 2 BGB oder ob er direkt angewendet werden kann. Die Sachmangelregelung der §§ 434, 437 BGB hat, wie sich aus § 434 I ergibt, zur Voraussetzung, dass ein Sachmangel bei Gefahrübergang gegeben ist. Der Gefahrübergang tritt nach § 446 Satz 1 BGB mit Übergabe der Kaufsache ein. Im vorliegenden Fall ist diese Übergabe nicht erfolgt. In solchem Fall richten sich die Rechtsbehelfe des Käufers nicht nach deren besonderer Ausgestaltung in §§ 437 ff. BGB, sondern es gelten die allgemeinen Vorschriften: der Käufer kann Erfüllung verlangen und hat die Rechtsbehelfe nach §§ 320 ff., 323 BGB (Lorenz NJW 2013, 1343; Palandt/Weidenkaff, BGB, 72. Aufl., § 437 Rdnr. 49; MüKo/Westermann, BGB, 5. Aufl. 2008, § 434 Rdnr. 45). § 323 ist deshalb direkt anwendbar.

b) Verkäufer B müsste eine fällige Leistung nicht vertragsgemäß erbracht haben. Nach § 433 I 2 BGB hat der Verkäufer dem Käufer die Kaufsache frei von Sachmängeln zu verschaffen. Im Zusammenhang mit § 433 I 2 ist § 434 als Definitionsnorm für einen Sachmangel auch bereits vor dem Gefahrübergang anwendbar (vgl. BGH [12]).

aa) Bei einem Neuwagenkauf wird von den Parteien konkludent eine Vereinbarung i. S. des § 434 I 1 BGB getroffen, dass der zu liefernde Pkw fabrikneu ist. Das ist auch der gewöhnliche Zustand i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB. Wird die Kaufsache vom Käufer bei einem ersten Übergabeversuch zurückgewiesen und vom Verkäufer ein zweites Mal angeboten, kommt es auf den Zustand beim zweiten Übergabeversuch an, der im vorliegenden Fall am 14. 1. stattgefunden hat.

bb) BGH [10]: Das BerGer. hat…festgestellt, dass an dem als Neuwagen verkauften Fahrzeug auch bei dem zweiten Übergabeversuch noch Oberflächenverkratzungen und Lackschäden vorhanden waren, die von dem zu erwartenden gewöhnlichen Zustand eines Neufahrzeugs abweichen… Damit fehlte dem Fahrzeug die mit dem Vertragsschluss konkludent vereinbarte, dem Begriff „Neuwagen" innewohnende Beschaffenheit „fabrikneu". Denn Fabrikneuheit verlangt, dass sich das Fahrzeug bei Übergabe an den Käufer in dem unbenutzten und unbeschädigten Zustand befindet, wie es vom Hersteller ausgeliefert worden ist (…). Dieser Zustand war nach den festgestellten Oberflächenverkratzungen und Lackschäden nicht mehr gegeben. Zudem waren die am linken hinteren Radlauf ausgeführten Reparaturarbeiten…lediglich von „handwerklicher" und damit nicht von solcher Qualität, wie sie für einen werksseitigen Herstellungszustand bei Auslieferung des Fahrzeugs in unbeschädigtem Zustand zu erwarten war.

Wird allein von §§ 433 I 2, 434 I ausgegangen, war das Fahrzeug mangelhaft, und B hat nicht die geschuldete Leistung angeboten.

c) Der für die Frage des Mangels zugrunde gelegte Maßstab könnte sich dadurch geändert haben, dass K Nachbesserung durch B verlangt hat und B durch eine Reparatur nicht den Zustand herbeiführen kann, den ein Fahrzeug bei Auslieferung durch den Hersteller aufweist. Eine dahingehende Auffassung hatte das BerGer. vertreten. Danach [so BGH [6]) könne die fehlende Neuwagenqualität nicht mehr als Mangel gewertet werden; nachdem der Käufer die Verkäuferin zur Nacherfüllung aufgefordert hatte. Er könne deshalb nicht nachträglich geltend machen, dass die von ihm verlangte Reparatur keine Neuwagenqualität herbeigeführt habe. Der BGH folgt dieser Auffassung aber nicht und bezieht sich dabei auf den Begriff der in § 439 I BGB geregelten Nachbesserung.

aa) BGH [12]: Die in § 439 Abs. 1 BGB als eine der Modalitäten der Nacherfüllung geregelte Nachbesserung zielt darauf ab, die gekaufte Sache in einen vertragsgemäßen Zustand zu versetzen, wie er nach § 433 Abs. 1 Satz 2, § 434 Abs. 1 BGB geschuldet ist. Der Verkäufer schuldet deshalb nicht nur bloße Verbesserungen eines bestehenden Mangelzustands, sondern eine vollständige und nachhaltige Beseitigung des Mangels (BGHZ 163, 234, 242 f.; Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl., § 439 Rn. 2; jurisPK-BGB/Pammler, 6. Aufl., § 439 Rn. 13 f.). Zwar steht es einem Käufer frei, Nachbesserung auch dann zu verlangen, wenn eine Behebung des Mangels nicht vollständig möglich ist und er - wenn auch gegebenenfalls unter Ausgleich eines dadurch verbleibenden Minderwerts - bereit ist, sich mit einem Zustand der Sache im Umfang einer möglichen Nachbesserung zu begnügen (vgl. Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2004, § 439 Rn. 38). Dass er bei Stellung eines Nachbesserungsverlangens aber bereit ist, einen Nachbesserungserfolg unterhalb des Möglichen als noch vertragsgerecht hinzunehmen und dadurch auf einen Teil der zu beanspruchenden Leistung zu verzichten, kann - da ein Verzicht auf Rechte im Allgemeinen nicht zu vermuten ist, sondern eindeutiger Anhaltspunkte bedarf (BGH NJW 2012, 2270 Rn. 26 m. w. N.) - nicht ohne Weiteres angenommen werden.

bb) BGH [13, 14]: K konnte also auch nach seinem Nachbesserungsverlangen erwarten, dass ihm ein einem Neuwagen entsprechendes mangelfreies Fahrzeug übergeben würde, der herbeizuführende Nachbesserungserfolg also jedenfalls in technischer Hinsicht den Fahrzeugzustand wiederherstellen würde, wie er werksseitig bei Auslieferung des Fahrzeugs in unbeschädigtem Zustand vorgelegen hätte. Das gilt umso mehr, als der Kläger bei seinem Nachbesserungsverlangen auf die ihm zustehende Fabrikneuheit des Fahrzeugs hingewiesen und das Erfordernis einer Makellosigkeit der Lackierung noch einmal eigens hervorgehoben hatte. Den danach …geschuldeten „ fabrikneuen" Fahrzeugzustand hat die Beklagte auch bei ihrem zweiten Übergabeversuch durch die von ihr vorgenommenen Nachbesserungsarbeiten nicht erreicht.

Somit hat sich die Rechtsstellung des K, die sich für ihn aus §§ 433 I 2, 434 BGB ergab, durch das Nachbesserungsverlangen nicht geändert. B hat i. S. des § 323 I BGB die von ihm geschuldete Leistung nicht vertragsgemäß erbracht.

d) K hat B eine angemessene Frist für die Erbringung der Leistung gesetzt. Die Fristsetzung war nicht nach § 326 V BGB entbehrlich. Denn da eine Gattungsschuld vorlag, war für B die Leistung schon deshalb nicht unmöglich, weil B ein anderes fabrikneuen Fahrzeug hätte liefern können (zur Abhängigkeit der rechtlichen Beurteilung von der Frage, ob eine Gattungs- oder Stückschuld vorliegt, vgl. Lorenz NJW 2013, 1343/1344). Die gesetzte Frist ist am 15. 1. abgelaufen, ohne dass B seiner Leistungspflicht nachgekommen ist.

e) Ein Rücktritt des K könnte nach § 323 V 2 BGB ausgeschlossen sein.

aa) BGH [16]: Nach dieser Vorschrift ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn die in der Mangelhaftigkeit der Kaufsache liegende Pflichtverletzung unerheblich ist, das heißt, wenn der Mangel geringfügig ist (BGH WM 2011, 2149 Rn. 19). Die Beurteilung, ob eine Pflichtverletzung unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ist, erfordert nach der Rechtsprechung des Senats eine umfassende Interessenabwägung, in deren Rahmen ein Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung aber die Erheblichkeit der Pflichtverletzung in der Regel indiziert (BGH NJW-RR 2010, 1289 Rn. 23 m. w. N.).

bb) Nach der im vorliegenden Fall getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung sollte der Pkw fabrikneu sein (oben I 2b aa). Dagegen hat B verstoßen. Damit wird die Erheblichkeit des Mangels indiziert und ist nicht widerlegt. BGH [17]: Hieran gemessen erweist sich die Erwägung des BerGer., sämtliche Mängel seien … geringfügig im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB, weil sie lediglich optischer Natur und auch für den sorgfältigen Betrachter kaum wahrnehmbar seien, als rechtsfehlerhaft. Abgesehen davon, dass mit der Entscheidung für den Kauf eines Neuwagens für den Käufer gerade typischerweise auch optische Gesichtspunkte, insbesondere eine verarbeitungstechnische Makellosigkeit der Karosserie, eine zumindest mit entscheidende Rolle zu spielen pflegen, kommt dieser Kaufentscheidung zugleich eine wirtschaftliche Bedeutung zu. Denn Fahrzeuge, die diesen Karosseriestandard - wie hier - nicht oder nicht mehr annähernd aufweisen, werden üblicherweise mit deutlichen Preisabschlägen gehandelt, da sie in der Wertschätzung des Verkehrs nur noch zweite Wahl sind und deshalb allenfalls noch als bereits in Gebrauch genommene Vorführwagen abgesetzt werden können (…).

§ 323 V 2 BGH steht somit dem Rücktrittsrecht des K nicht entgegen.

II. K hatte folglich ein Recht zum Rücktritt und hat dieses wirksam ausgeübt. Er kann nach § 346 I BGB Erstattung der gezahlten 10.000 Euro verlangen.


Zusammenfassung