Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Verschulden bei Vertragsverhandlungen, §§ 311, 241 BGB. ► Drohung eines Rechtsanwalts mit Mandatsniederlegung als rechtswidrige Drohung, § 123 BGB. ► Beratungs- und Vertretungsvertrag mit Rechtsanwalt als Vertrauensverhältnis. ► Einredeweise Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs
BGH Urteil vom 7. 2. 2013 (IX ZR 138/11) NJW 2013, 1591
Fall (Haftungsübernahme abgepresst)
Frau B, die spätere Beklagte, ist eine von zwei Gesellschaftern der G-GmbH und Geschäftsführerin der GmbH. G wird anwaltlich von der K-Anwaltsgesellschaft beraten, u. a. in einem Prozess mit der Firma F. Aus vergangenen und laufenden Beratungen und Prozessvertretungen hatte K gegen G offene Honorarrechnungen in Höhe von ca. 50.000 Euro, die G bisher wegen Zahlungsschwierigkeiten nicht beglichen hatte. K forderte B und ihren Mitgesellschafter auf, für die bestehenden und die zukünftigen Honorarrechnungen zugunsten der K die persönliche Haftung zu übernehmen und zu diesem Zweck eine vorbereitete Haftungsübernahmeerklärung zu unterzeichnen. B und der andere Gesellschafter unterzeichneten die Erklärung nicht.
Bei einem Gerichtstermins vor dem Landgericht in der Sache F gegen G wurde G von der Anwaltsgesellschaft K vertreten, für die Rechtsanwalt R den Termin wahrnahm. Vor der Verhandlung legte R der anwesenden B erneut das Formular für die Haftungsübernahme vor und erklärte, wenn B nicht unterzeichne, werde er in dem Termin nicht auftreten. B nahm daraufhin die Unterzeichnung vor. Einige Zeit später mahnte K erneut die Bezahlung der Honorarrechnungen an und wies auch auf die persönliche Haftung der B hin. Nachdem K keine Zahlung erhalten hatte und seit der Unterzeichnung zwei Jahre vergangen waren, erhob K gegen B Klage auf Zahlung von 50.000 Euro. B verweigert die Zahlung mit der Begründung, die Unterzeichnung sei ihr abgepresst worden und deshalb nicht verbindlich. Ist die Klage begründet?
I. Anspruchsgrundlage kann ein Schuldbeitritt sein. Dieses auch als Schuldmitübernahme bezeichnete Rechtsinstitut ist - anders als die befreiende Schuldübernahme, §§ 414 ff. BGB - gesetzlich nicht geregelt, aber kraft Vertragsfreiheit möglich (§ 311 I BGB).
1. Die von B unterschriebene „Haftungsübernahme“ kann nur so verstanden werden, dass B, die weder als Gesellschafterin noch als Geschäftsführerin der GmbH für die Honorarverpflichtungen der G persönlich haftete, zusätzlich zur GmbH eine solche Haftung übernehmen sollte und wollte. Darin liegt ein Schuldbeitritt.
2. Dieser begründet einen Anspruch des Gläubigers, wenn die Schuld, zu der beigetreten wurde, auch besteht. Das Bestehen der Schuld ergibt sich aus den Honorarforderungen der K gegen G.
Die Voraussetzungen eines Schuldbeitritts liegen somit vor.
II. Ob die Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB) vorliegen, kann offen bleiben. Denn nach § 124 I BGB muss die Anfechtungserklärung innerhalb eines Jahres abgegeben werden. Die Frist beginnt nach § 124 II mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört. Eine Zwangslage der B konnte nur insoweit bestanden haben, als zu befürchten war, dass R in dem bevorstehenden Gerichtstermin nicht auftrat. Diese Zwangslage war nach dem Termin entfallen. Also begann die Frist praktisch am Tage der Unterzeichnung der Erklärung zu laufen und war bei Beginn des Prozesses der K gegen B zwei Jahre nach der Unterzeichnung abgelaufen. Über § 123 lässt sich die Verpflichtung aus dem Schuldbeitritt nicht beseitigen.
III. Der Schuldbeitritt könnte nach § 138 I BGB sittenwidrig und folglich nichtig sein. Die Sittenwidrigkeit könnte sich aus einer widerrechtlichen Drohung ergeben.
1. BGH [8]: Eine - widerrechtliche - Drohung macht ein Rechtsgeschäft lediglich nach § 123 BGB anfechtbar. Nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist es nur dann, wenn besondere Umstände hinzukommen, die das Geschäft nach seinem Gesamtcharakter als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH NJW 2008, 982 Rn. 11… ). Dies gilt auch für die Beurteilung einer in Aussicht gestellten Mandatskündigung durch den Rechtsanwalt (BGH NJW 2002, 2774, 2775; BGHZ 184, 209 Rn. 43).
2. Solche besonderen Umstände liegen hier nicht vor. Insbesondere ist keine Überrumpelung der B erfolgt, denn ihr wurde das Verlangen der K nach einer Haftungsübernahme vorher angekündigt. Auch wurde keine Geschäftsunerfahrenheit ausgenutzt, denn B war Geschäftsführerin und daher mit derartigen Geschäften vertraut. Somit war der Schuldbeitritt nicht nach § 138 I nichtig.
IV. B könnte gegen K einen Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss oder bei Vertragsverhandlungen haben (§§ 280 I, 311 II, 241 II BGB, auch: culpa in contrahendo, c. i. c.). Dieser könnte K dazu verpflichten, B von der Verbindlichkeit aus dem Schuldbeitritt freizustellen, und der B eine Einrede gewähren, kraft derer sie die Leistung aus dem Schuldbeitritt verweigern kann.
1. Dann müssten die Vorschriften über das Verschulden bei Vertragsverhandlungen neben einem - möglichen - Anfechtungsrecht nach § 123 BGB anwendbar sein. BGH [9]: Nach gefestigter Rechtsprechung begründet der Tatbestand einer rechtswidrigen Drohung oder arglistigen Täuschung außer der Anfechtungsmöglichkeit auch einen Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (§ 311 Abs. 2 BGB), der dem Bedrohten oder Getäuschten das Recht gibt, auch ohne Ausübung eines Gestaltungsrechts Befreiung von der eingegangenen Verbindlichkeit zu verlangen (BGH NJW 1979, 1983 f; WM 1999, 1034, 1035; NJW-RR 2002, 308, 309 f), sofern dem Betroffenen durch den Vertragsschluss ein Schaden entstanden ist (…). Auf einen derartigen Schadensersatzanspruch findet die Jahresfrist des § 124 BGB weder direkt noch entsprechend Anwendung (BGH NJW-RR 2002, 308, 310).
2. K könnte durch das Verhalten des R den Tatbestand der §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB erfüllt haben.
a) Zwischen K und B persönlich bestanden vor der Unterzeichnung der Haftungsübernahme keine vertraglichen Beziehungen. Durch die Forderung der K, B solle die Haftungsübernahme unterzeichnen, hat K Vertragsverhandlungen mit B aufgenommen (§ 311 II Nr. 1). Diese verpflichteten K nach § 241 II zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen der B.
b) B hatte das Interesse, nicht durch eine rechtswidrige Drohung zu einer Haftungsübernahme veranlasst zu werden. Eine dieses Interesse verletzende rechtswidrige Drohung könnte in der Ankündigung des R zu sehen sein, ohne Unterzeichnung der Haftungsübernahme in dem Gerichtstermin nicht aufzutreten. B persönlich war zwar nicht Mandantin der K. Als Geschäftsführerin der G hatte sie aber auch die Interessen der G wahrzunehmen, so dass eine rechtswidrige Drohung zum Nachteil der G auch als Drohung gegenüber B zu werten wäre.
Zum Vorliegen einer rechtswidrigen Drohung BGH [10 - 16]:
aa) In der Ankündigung eines Rechtsanwaltes, das Mandat niederzulegen, um hierdurch eine günstigere Vergütungsabrede durchzusetzen, kann ausnahmsweise eine rechtswidrige Drohung liegen (…). Ob eine Drohung in einem solchen Fall rechtswidrig ist, hängt von dem Verhältnis zwischen dem verfolgten Zweck und dem dazu eingesetzten Mittel ab. Entscheidend ist, ob der Drohende an der Erreichung des Zwecks ein berechtigtes Interesse hat und die Drohung nach Treu und Glauben als ein angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks anzusehen ist (…).
bb) So ist aufgrund der Mittel-Zweck-Relation eine widerrechtliche Drohung gegeben, wenn der Verteidiger unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung erstmals seinen Mandanten mit dem Hinweis, anderenfalls das Mandat niederzulegen, zur Unterzeichnung einer Gebührenvereinbarung veranlasst (…). Unter derartigen Gegebenheiten missbraucht der Verteidiger die Zwangslage seines Mandanten, der sich in der unmittelbar bevorstehenden Hauptverhandlung seines vertrauten Wahlverteidigers bedienen möchte, in verwerflicher Weise zur Durchsetzung von Gebühreninteressen. Unterrichtet dagegen der Anwalt längere Zeit vor Beginn der Hauptverhandlung den Mandanten über den Inhalt der von ihm gewünschten Gebührenvereinbarung als Voraussetzung für die Fortsetzung der weiteren Verteidigung, so wird dieser in der Lage sein, die ihn angesonnene Gebührenvereinbarung zurückzuweisen und rechtzeitig vor Beginn der in Rede stehenden Verhandlung auf der Grundlage einer ihm genehmen Gebührenabrede andere Wahlverteidiger einzusetzen (…).
cc) Diese Grundsätze sind auch auf die Prozessvertretung im Zivilrechtsstreit übertragbar. Nicht nur der Strafprozess wird durch ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Mandanten und Verfahrensbevollmächtigten gekennzeichnet, sondern dies gilt auch für Mandate in zivilgerichtlichen Verfahren. Ohnehin ist der Anwaltsvertrag in besonderer Weise durch gegenseitiges Vertrauen geprägt (…). Dass auch im Zivilprozess von einem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt auszugehen ist, zeigt die vorliegende Fallgestaltung. Wird unmittelbar vor dem anberaumten Verhandlungstermin der Mandant mit der Ankündigung des Prozessbevollmächtigten überrascht, er werde das Mandat unverzüglich niederlegen, wird der Mandant im Anwaltsprozess nur selten in der Lage sein, einen neuen Prozessanwalt für diesen Termin zu stellen. Da sich die Partei die Mandatsniederlegung selbst dann als eigenes Verschulden zurechnen lassen muss, wenn der Anwalt die Kündigung zur Unzeit ausspricht (…BGH NJW 2006, 2334 Rn. 16; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 85 Rn. 24), liegt es nicht fern, dass im anberaumten Termin gegen die nicht vertretene Partei Versäumnisurteil ergehen wird. Der Grundsatz, dass der Anwalt seinen Mandanten nicht im Stich lassen darf, erfährt daher im Zivilprozess besondere Bedeutung. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze ist die erstmalige Androhung einer Mandatsniederlegung kurz vor Aufruf der Sache im Zivilprozess zur Durchsetzung einer günstigeren Vergütungsabrede oder einer entsprechenden Haftungsübernahme kein angemessenes Mittel zur Erreichung des an sich berechtigten Anliegens, eine beträchtliche, offenstehende Vergütung zu erhalten oder zu sichern.
dd) Für diese Beurteilung spricht auch, dass es nach § 627 II 1 BGB dem Dienstpflichtigen verwehrt ist, die Kündigung des Dienstvertrages zur Unzeit auszusprechen. Eine derartige Kündigung liegt bei einem Anwaltsvertrag vor, wenn sie zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der Mandant nicht in der Lage ist, sich die notwendigen Dienste eines anderen Anwalts zu besorgen (MünchKomm-BGB/Henssler, 6. Aufl., § 627 Rn. 33; … Vollkommer/Greger/ Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 3. Aufl., § 6 Rn. 6). Daher ist es dem Anwalt verwehrt, das Mandat im oder unmittelbar vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung niederzulegen… Ebenso, wie es dem Anwalt grundsätzlich verwehrt ist, unmittelbar vor einem Verhandlungstermin das Mandat aus Gebühreninteresse niederzulegen, darf er eine solche Maßnahme auch zur Unzeit nicht androhen.
ee) Erst recht darf der Rechtsanwalt die Terminswahrnehmung nicht davon abhängig machen, dass ein Dritter, der ein Interesse an der weiteren Durchführung des Prozesses hat, eine Haftung für Gebühren übernimmt. Folglich war die Drohung des R gegenüber B widerrechtlich. Soweit B dadurch zur Unterzeichnung der Haftungsübernahme veranlasst wurde, hat K, für die R gehandelt hat, ihre Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Interessen von B und G schuldhaft verletzt.
3. Der Schaden, der nach § 280 I BGB erforderlich ist, besteht in der Begründung der Haftung zu Lasten der B. Ein Mitverschulden (§ 254 BGB) kann B nicht vorgeworfen werden. Sie war berechtigt, durch die Unterzeichnung das drohende Nicht-Auftreten des R zu verhindern.
4. Es bleibt noch zu klären, ob der Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen dem Anspruch der K gegen B aus dem Schuldbeitritt entgegensteht.
a) Bei wörtlicher Auslegung des vorstehend begründeten Ergebnisses müsste B den Schadensersatzanspruch gegen K geltend machen und Aufhebung der Verpflichtung aus dem Schuldbeitritt verlangen. Erst danach würde sie von ihrer Verpflichtung aus dem Schuldbeitritt befreit.
b) Es greift jedoch der Grundsatz ein, dass derjenige gegen § 242 BGB verstößt, der etwas verlangt, das er sogleich wieder zurückgeben müsste („ dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“). Diesen Grundsatz kann B als Einrede gegenüber dem Anspruch aus dem Schuldbeitritt geltend machen. B hat diese Einrede erhoben, indem sie sich darauf berufen hat, die Haftungsverpflichtung sei ihr abgepresst worden und sie begründe deshalb keine Verpflichtung.
Ergebnis: Dem Anspruch der K aus dem Schuldbeitritt steht die Einrede der B aus ihrem Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens der K bei Vertragsverhandlungen entgegen. B braucht die 50.000 Euro nicht zu zahlen. Die Klage ist nicht begründet.
Zusammenfassung