Reisevertrag bei Kreuzfahrt mit eigener Anreise, § 651 a BGB. Beeinträchtigung der Reise durch Unmöglichkeit der Anreise, § 651 j BGB. Rechtsfolgen: Kündigung, Wegfall der Geschäftsgrundlage


BGH
Urteil vom 18. 12. 2012 (X ZR 2/12) NJW 2013, 1647

Fall (Aschewolke)

R buchte über das Reisebüro der B-GmbH für sich und seine Ehefrau eine von der V-AG veranstaltete Karibikkreuzfahrt zum Preis von 1.680 Euro. Der Start dafür sollte am 19. April 2010 in Fort Lauderdale (Florida, USA) sein. R leistete eine Anzahlung von 420 Euro. Die Hin- und Rückflüge buchte R, wie bei der Buchung im Reisebüro der B vereinbart, gesondert. Ende März 2010 ereignete sich ein Vulkanausbrauch des auf Island gelegenen Vulkans Eyjafjallajökull („Vulkan E“), der seit 1821 nicht mehr aktiv gewesen war. Im April verstärkte sich der Ausbruch; die Aschewolke zog über den Atlantik, so dass die Luftfahrtbehörden ein Flugverbot anordneten. Die Fluggesellschaft sagte den von R gebuchten Flug am 17. April ab. Da R keine andere Möglichkeit fand, nach Fort Lauderdale zu kommen, erklärte er gegenüber V mit Schreiben vom 18. April, das V noch am selben Tag per Fax erhielt, den Rücktritt von der Kreuzfahrt. Die Kreuzfahrt fand ohne das Ehepaar R statt. Anschließend verlangte V von R „Stornokosten“ in Höhe von 90 % des ursprünglichen Preises für die Reise, abzüglich der Anzahlung. Die Forderungsberechnung hatte V entsprechend der Regelungen in den Allgemeinen Reisebedingungen vorgenommen, wonach bei einem Rücktritt am Tag vor der Abreise 90 % des Reisepreises zu zahlen sind. Als R Zahlung verweigerte, übernahm B den Betrag und zahlte ihn an V. Anschließend verlangte B diesen Betrag von R erstattet. R weigerte sich erneut und verlangt seinerseits von B Rückzahlung der Anzahlung in Höhe von 420 Euro. Sind der von B gegenüber R und der von R gegenüber B geltend gemachte Anspruch berechtigt?

Vorbemerkung: Die prozessuale Verteilung der Parteirollen im Originalfall auf Klage, Widerklage und Nebenintervention (V als Streithelferin) erschwert das Verständnis der Falllösung. In der nachfolgenden Lösung werden deshalb die Parteien nicht nach ihrer Stellung im Prozess, sondern als R, B und V bezeichnet, dies auch in den Zitaten der BGH-Entscheidung.

A. Anspruch der B gegen R auf Erstattung des an V gezahlten Betrages

I. Anspruchsgrundlage kann § 812 I 1 Fall 2 BGB sein. „In sonstiger Weise erlangt“ hat auch derjenige etwas, der durch die Zahlung eines anderen von einer Verpflichtung befreit worden ist. Es handelt sich dann um eine Rückgriffskondiktion. Hätte B den R von einer Verpflichtung gegenüber V befreit, würde es auch an einem Rechtsgrund fehlen. Denn R konnte von B nicht verlangen, dass diese die Verpflichtung des R gegenüber V ablöst. Entscheidend bleibt deshalb, ob B den R von einer Verpflichtung befreit hat.

II. B hat R durch Zahlung an V von einer Verpflichtung befreit, wenn eine solche Verpflichtung bestand. Das war der Fall, wenn V gegen R einen Anspruch auf die geltend gemachten „Stornokosten“ hatte.

1. V hat gegen R keinen, auch nicht teilweisen Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis, da R als Reisender gemäß § 651 i BGB jederzeit vom Vertrag zurückgetreten konnte und V infolgedessen gemäß § 651 i Abs. 2 S. 1 BGB den Anspruch auf den Reisepreis verliert.

2. V könnte gegen R einen Entschädigungsanspruch i. H. v. 90 % des Reisepreises entsprechend der Regelungen in den Allgemeinen Reisebedingungen haben.

Im Falle des Rücktrittes am Vortag der Abreise können von V 90 % des Reisepreises als Stornokosten geltend gemacht werden. Derartige Regelung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Reiseunternehmens sind auch wirksam, da § 651 i Abs. 3 BGB eine solche Entschädigung mit Berechnung nach einem Vomhundertsatz ausdrücklich vorsieht.

3. Der Anspruch könnte jedoch durch die Erklärung des R im Schreiben vom 18. 4. ganz oder teilweise nach § 651 j BGB erloschen sein.

a) Dann müsste R den Reisevertrag gekündigt haben. Da R in dem Schreiben jedoch den „Rücktritt“ erklärt hat, kommt auch ein Rücktritt nach § 651 i BGB in Betracht. Allerdings könnte diese Vorschrift durch § 651 j BGB verdrängt werden. Auch ohne dass der Rechtscharakter des geschlossenen Vertrages an dieser Stelle bereits feststeht, lässt sich das Verhältnis dieser beiden Vorschriften zueinander dahin bestimmen, dass § 651 j Vorrang hat. Das ergibt sich zunächst aus der Formulierung in § 651 j, dass der Vertrag, falls die Voraussetzungen der Vorschrift vorliegen, allein nach Maßgabe dieser Vorschrift gekündigt werden kann. Weiterhin geht die Befreiung des Reisenden nach §§ 651 j II, 651 e III 1, 2 weiter als nach § 651 i II 2, 3, weil nach § 651 i II 2, 3 der Reisenden eine Gegenleistung schuldet, bei der vom Reisepreis ausgegangen wird. § 651 j ist also für R günstiger. (Mäsch JuS 2013, 745: Bei einer Kündigung wegen höherer Gewalt vor Reiseantritt ist keine Entschädigung an den Reiseveranstalter zu zahlen.) Dass § 651 j zur Kündigung berechtigt, R aber den Ausdruck Rücktritt verwendet hat, steht einer vorrangigen Anwendung des § 651 j nicht entgegen. R wollte zum Ausdruck bringen, dass er sich vom Vertrag lösen wollte; das gestattet auch eine Auslegung seiner Erklärung als Kündigung.

b) Somit ist § 651 i als nachrangig zumindest zunächst nicht anzuwenden.

c) Nach § 651 j BGB können sowohl der Reiseveranstalter als auch der Reisende den Vertrag kündigen, wenn die Reise infolge einer bei Vertragsabschluss nicht voraussehbaren höheren Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird.


aa) Aus dem Zusammenhang dieser Vorschrift mit den vorausgehenden Regelungen ergibt sich, dass ein Reisevertrag nach § 651 a I BGB vorliegen muss. Voraussetzung für einen Reisevertrag ist, dass der Reiseveranstalter eine Gesamtheit von Reiseleistungen zu erbringen hat. Der Normalfall ist eine Pauschalreise, die auch die Beförderung mit umfasst, bei Fernreisen also regelmäßig die Flüge. Da das bei dem hier geschlossenen Vertrag nicht der Fall war, hatte das BerGer. keine Reise nach § 651 a angenommen. Nach BGH [14 - 16] ist diese Ansicht aber unzutreffend:

Zwischen R und V ist ein Vertrag über die Durchführung einer Kreuzfahrt zustande gekommen. Dabei handelt es sich um einen Reisevertrag im Sinne des § 651 a Abs. 1 BGB. Nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. Nr. L 158 vom 23.06.1990, S. 59-64, nachfolgend: Richtlinie) ist eine Pauschalreise die im Voraus festgelegte Verbindung von mindestens zwei Dienstleistungen wie Beförderung, Unterbringung oder anderen touristischen Dienstleistungen, die zu einem Gesamtpreis verkauft oder zum Verkauf angeboten wird, wenn eine Leistung länger als 24 Stunden dauert oder eine Übernachtung einschließt. Danach muss eine Gesamtheit oder Bündelung von Reiseleistungen vorliegen (vgl. Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2011, § 651 a Rn. 12). Dies ist bei einer Kreuzfahrt der Fall (MünchKomm.BGB/Tonner, 6. Aufl., vor § 651 a-§ 651 m Rn. 14; § 651 a Rn. 27; Führich, MDR 2011, 1209; Rodegra, NJW 2011, 1766). Der Reiseveranstalter hat im Streitfall zwar nicht die Beförderung zum Ausgangsort der Kreuzfahrt übernommen. Gleichwohl sind mehrere Reiseleistungen Bestandteil der Schiffsreise. Dazu gehören die mehrere Tage dauernde Beförderung mit dem Kreuzfahrtschiff, die Unterbringung auf dem Schiff, die Verpflegung, die unter Umständen über die übliche Verpflegung in einem Hotel und damit über eine bloße Nebenleistung hinausgeht und in der Regel weitere Leistungen wie z.B. für die Unterhaltung der Reisenden an Bord vorgesehene Veranstaltungen. Gegenstand des Vertrages zwischen R und V waren jedenfalls die Leistungen Beförderung und Unterbringung als Gesamtheit, so dass von einem Reisevertrag auszugehen ist… Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Rspr. des EuGH, der eine Frachtschiffsreise nach Fernost, die der Reisende als Tourist miterleben wollte, als Pauschalreise angesehen hat (EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2010, Rs. C-585/08 Pammer / Reederei Karl Schlüter GmbH, verb. mit Rs. C-144/09 Hotel Alpenhof GmbH / Heller, NJW 2011, 505). Die Reiseleistungen Beförderung über mehrere Tage und Unterbringung in einer Kabine an Bord des Schiffes während einer touristisch angelegten Frachtschiffsreise unterscheiden sich nicht von den entsprechenden Reiseleistungen, die bei einer Kreuzfahrt gewährt werden.

Somit lag ein Reisevertrag vor, bei dem R Reisender, V Veranstalter und B Vermittler waren.

bb) Es müsste ein Fall höherer Gewalt vorgelegen haben, der bei Vertragsschluss nicht voraussehbar war. Der von Menschen nicht beeinflusste Ausbruch des Vulkans E mit seinen weitgehenden Folgen für den Flugverkehr war ein Fall höherer Gewalt, der auch nicht vorhersehbar wir. BGH [20]: Höhere Gewalt war durch den Ausstoß der Aschewolke, die den Flugverkehr beeinträchtigte und zu einem Flugverbot geführt hatte, eingetreten.

cc) Dadurch müsste die Reise erheblich erschwert, gefährdet oder sonst beeinträchtigt worden sein. Die schwerste Form der Beeinträchtigung der Reise ist deren Unmöglichkeit (Mäsch JuS 2013, 745 m. w. N. Fn. 11). § 651 j ist also je nach den eingetretenen Voraussetzungen eine Spezialregelung entweder der Unmöglichkeit oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (zur Geschäftsgrundlage BGH [18]). Im vorliegenden Fall kommt eine Unmöglichkeit in Betracht. Eine von § 651 j erfasste Störung liegt jedenfalls dann vor, wenn die Reise selbst betroffen ist, etwa das Schiff durch ein Naturereignis oder durch einen terroristischen Anschlag an der Fahrt gehindert wird. Das trifft auf die Kreuzfahrt der V aber nicht zu; vielmehr hat diese stattgefunden. Die Störung, die R betroffen hat, lag im Vorfeld der Kreuzfahrt und betraf die Anreise, die allerdings nach dem Vertrag unverzichtbar war, wenn es zu der Reise kommen sollte. Die Anreise hatte V nicht übernommen, sondern war Sache des R geblieben. Ob eine solche Störung die Reise i. S. des § 651 j betrifft, ist zweifelhaft.

(1) BGH [20 - 22]: Infolge des ausgesprochenen Flugverbots konnten R und seine Ehefrau das Schiff nicht erreichen. Die Kreuzfahrt als solche konnte zwar durchgeführt werden, an ihr teilzunehmen war aber den Reisenden unmöglich. Eine anderweitige kurzfristige Anreise nach Fort Lauderdale war den Reisenden offensichtlich nicht möglich und hätte im Übrigen angesichts des hierfür erforderlichen Aufwands und der aufzubringenden Kosten die Teilnahme an der Kreuzfahrt zumindest erheblich erschwert, d. h. mit unzumutbaren Belastungen verbunden (Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2011, § 651 j Rn. 26; Führich, Reiserecht, 6. Aufl., Rn. 549; MünchKomm.BGB/Tonner § 651 j Rn. 13).

Die Erschwerung der individuellen Reise des Reisenden, die aufgrund des Eintritts höherer Gewalt nicht mehr wie geplant stattfinden kann, genügt für das Kündigungsrecht. Der Reisevertrag verpflichtet den Veranstalter, die Reiseleistung zu erbringen. Sie besteht bei einer Kreuzfahrt nicht in der Fahrt des Schiffes auf der vertraglich vereinbarten Route und der Bereitstellung der vom Reisenden auf dem Schiff gebuchten Unterkunft, sondern in der Beförderung des Reisenden auf dem Schiff und der Erbringung der weiteren vereinbarten Dienstleistungen gegenüber dem Reisenden. Wenn der Reisende die von ihm ausgewählten Reiseleistungen wegen des Eintritts höherer Gewalt nicht in Anspruch nehmen kann, wird seine Reise unmöglich, und der Veranstalter kann die diesem Reisenden geschuldete Leistung nicht erbringen.

Infolge der wirksamen Kündigung durch R hat V nach § 651 j Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 651 e Abs. 3 Satz 1 BGB den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verloren. Ein Entschädigungsanspruch der V nach § 651 e Abs. 3 Satz 2 BGB ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Er würde auch nicht bestehen, weil V hat noch keine Reiseleistungen erbracht und auch zur Beendigung der Reise nicht zu erbringen hat.

(2) Mäsch JuS 2013, 746 und Tonner NJW 2013, 1675 (in Besprechungen der BGH-Entscheidung) lehnen die Ansicht, die ausgefallene Anreise führe zur Störung der Reise selbst, ab; vielmehr sei die Reise möglich geblieben. Die Parteien seien aber fest davon ausgegangen, dass R die Möglichkeit der Anreise habe, so dass diese Möglichkeit Geschäftsgrundlage i. S. des § 313 BGB war. Wenn dieser Umstand nicht eingetreten sei, habe das zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage geführt. Der Vertrag sei also anzupassen. Dadurch sei eine flexiblere Lösung möglich, die eine Aufteilung des durch das Flugverbot eingetretenen wirtschaftlichen Nachteils ermögliche. Mäsch schlägt vor, die Vertragsanpassung in der Form vorzunehmen, dass der eingetretene Nachteil zwischen V und R häftig aufgeteilt wird. Eine solche Aufteilung hatte auch BGHZ 109, 224, 229 in dem Fall vorgenommen, in dem eine Reise wegen der Tschernobyl-Katastrophe zwar nicht unmöglich geworden, aber erheblich erschwert worden war. Schwerdtfeger/Voigt JA 2010, 776 schlagen eine Übertragung dieser Lösung auf den Fall des Ausbruchs des Vulkans E vor. Wenn man dem folgt, hat V einen Anspruch auf 840 Euro behalten, auf den die Anzahlung von 420 Euro anzurechnen ist, so dass ein Anspruch der V gegen R in Höhe von 420 Euro bestand. In dieser Höhe hat B den R von einer Schuld befreit. Dann ist die Rückgriffskondiktion in Höhe von 420 Euro begründet.

(3) Allerdings ist die Lösung des BGH über § 651 j im vorliegenden Fall gut vertretbar. Sie liegt stärker auf der Linie eines Verbraucherschutzes, einem Zweck, der der Regelung der §§ 651 a ff. BGB (auch) zugrunde liegt. Folgt man der Rechtsansicht des BGH, hatte V keinen Anspruch gegen R. B hat R nicht von einer Verpflichtung befreit. Der Anspruch aus § 812 I 1 BGB ist nicht begründet.

B. Anspruch des R gegen B auf Rückzahlung der Anzahlung in Höhe von 420 Euro

I. Zwischen R und der B-GmbH, die bloß Vermittler war, ist ein Reisevertrag nicht geschlossen worden. Der Reisevertrag ist zwischen R und V zustande gekommen. Eine vertragliche Anspruchsgrundlage scheidet daher aus.

II. Es bleibt daher nur § 812 I BGB als Anspruchsgrundlage. Jedoch hat R die 420 Euro an V geleistet, B war nur Vermittler und hat den Betrag an V weitergeleitet. Nach dem Prinzip vom Vorrang der Leistungsbeziehungen kann eine Rückabwicklung nur im Verhältnis R - V erfolgen. Gegen B hat R keinen Anspruch. BGH [24]: Dem R steht gegen die B kein Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung in Höhe von 420 € zu, da er diesen Betrag nicht an B, sondern über B an V geleistet hat.

(Nach Ansicht des BGH kann R diesen Betrag von V zurückverlangen, weil V wegen § 651 j BGB keinen Anspruch auf den Reisepreis hat. Zu einem anderen Ergebnis, nämlich zum Nichtbestehen des Anspruchs kommt man, wenn über Wegfall der Geschäftsgrundlage gelöst wird. Dann sind die 420 Euro Teil des Betrages, der V zusteht und bei der Berechnung des Betrages, der V zusteht, bereits abgezogen worden ist.)


Zusammenfassung