Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Beförderungsvertrag mit einer Fluggesellschaft bei Buchung über das Internet, §§ 145 ff. BGB. ► Auslegung von Willenserklärungen, § 133 BGB. ► Auslegung einer Willenserklärung, die an einen Computer gerichtet wird, und einer Willenserklärung, die von einem Computer abgegeben wird. ► Rechtscharakter der Bestätigung nach § 312g I Nr. 3 BGB. ► Ausgleichsanspruch nach EU-FluggastrechteVO. ► Bereicherungsanspruch nach unberechtigter Abbuchung
BGH Urteil vom 16. 10. 2012 (X ZR 37/12) NJW 2013, 598 (für BGHZ vorgesehen)
Fall (Flugpassagier noch unbekannt)
K wollte zusammen mit einer weiteren Person von Dresden nach Larnaca auf Zypern fliegen und diese Reise über das Internetportal des Luftverkehrsunternehmens B-AG buchen. Er öffnete am 7. September die für die Buchung vorgesehene Internetseite. Dort musste er den gewünschten Flug, die Namen der Reisenden und sein Konto für die Abbuchung des Reisepreises angeben. Die Buchungsmaske enthielt den Hinweis: „Bitte beachten Sie, dass eine Namensänderung nach erfolgter Buchung nicht mehr möglich ist und dass der Name mit dem Namen in Ihrem Ausweis übereinstimmen muss." K trug unter der Rubrik „Person 1“ seinen Vor- und Nachnamen ein. In der Rubrik „Person 2“ trug er beim Vor- und Nachnamen jeweils „noch unbekannt“ ein. Am selben Tag erhielt er von B eine Buchungsbestätigung, in der als zweite Person „Mr. noch unbekannt noch unbekannt“ angegeben war. Die B-AG nimmt aus Kostengründen keine routinemäßige Überprüfung der Namensangaben vor. Am 12. September zog B den Preis für zwei Hin- und Rückflüge in Höhe von insgesamt 365,42 € per Lastschrift vom Konto des Klägers ein. Als K der B telefonisch den Namen der zweiten mit ihm reisenden Person mitteilen wollte, erklärte B, dass die Nachbenennung eine zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mögliche Namensänderung darstelle; K könne lediglich die Buchung stornieren und für die zweite Person neu buchen. K lehnte das ab und trat die Reise allein an.
Nach der Rückkehr verlangt K von B eine Ausgleichsleistung nach der EU-Fluggastrechteverordnung in Höhe von 400 Euro. Die EU-FluggastrechteVO gewährt in Art. 4 III im Falle der Nichtbeförderung eines Fluggastes einen Anspruch des Fluggastes auf eine Ausgleichsleistung. Dessen Höhe beträgt nach Art. 7 I Buchstabe b) bei einer innergemeinschaftlichen Reise über eine Entfernung von mehr als 1.500 km 400 Euro. Außerdem verlangt K den auf die zweite Person entfallenden Teil des Reisepreises in einer Höhe von 182, 71 Euro erstattet. Sind diese Ansprüche begründet ?
A. K könnte einen Anspruch aus der EU-FluggastrechteVO wegen vertragswidriger Nichtbeförderung haben.
I. Hierfür müsste ein Beförderungsvertrag über die Beförderung einer zweiten Person geschlossen worden sein. Für das Zustandekommen eines Vertrages gelten auch dann, wenn der Vertrag durch eine Buchung im Internet in einem ganz oder teilweise automatisierten Verfahren abgeschlossen werden soll, die §§ 145 ff. BGB. BGH [13]: Das Zustandekommen eines Vertrages auf elektronischem Weg richtet sich mangels einer besonderen Regelung nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 145 ff. BGB. Danach kommt der Vertrag durch Angebot und Annahme zustande.
1. Ein Angebot könnte bereits von B durch das Einstellen des Fluges auf der Internetseite abgegeben worden sein. Jedoch ergibt die Auslegung der von B auf der Internetseite enthaltenen Erklärungen nach § 133 BGB, dass darin lediglich die Aufforderung an den möglichen Kunden liegt, seinerseits ein Angebot abzugeben (invitatio ad offerendum, ebenso wie bei dem Anbieten von Ware im Schaufenster eines Ladengeschäfts). Denn die B-AG will nicht mit jedem, der eine Buchung erklärt, einen Beförderungsvertrag schließen. weil die Zahl der verfügbaren Plätze in dem Flugzeug begrenzt ist. BGH [14]: Das BerGer. ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den über die Buchungsmaske der Beklagten buchbaren Flügen nicht um ein verbindliches Angebot gemäß § 145 BGB handelt, sondern dass die Beklagte insoweit lediglich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert hat (vgl. Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1158).
2. BGH [14]: Erst in dem Ausfüllen der Buchungsmaske durch den Kläger am 7. September ist ein Angebot zum Abschluss eines Vertrages über die Luftbeförderung des Klägers und einer weiteren Person von Dresden nach Larnaca und zurück zu sehen. Somit hat K durch die Buchung ein Angebot abgegeben.
Allerdings reicht die Feststellung, dass K überhaupt ein Angebot abgegeben hat, nicht aus. Vielmehr ist der genaue Inhalt des Angebots zu bestimmen, weil sonst bei der weiteren Prüfung nicht entschieden werden kann, ob eine Annahmeerklärung der B mit dem Angebot des K übereinstimmt. Hierfür bedarf es einer Auslegung des Angebots des K, soweit es sich auf die zweite Person bezieht.
a) K hat das Angebot in einem automatisierten Verfahren gegenüber dem Computer der B abgegeben. Dieser hat die Erklärung offenbar so verstanden, dass „noch unbekannt“ entsprechend der Rubrik, in die K den Text eingefügt hat, der Vorname und der Nachname der 2. Person sind. Mit einem dahingehenden Verständnis musste K auch rechnen. Jedoch sind solche Erklärungen nicht nach den voraussichtlichen oder tatsächlichen Abläufen in dem Rechner, sondern so zu verstehen, als wäre die Erklärung gegenüber einer Person abgegeben worden. BGH [17]: Für die Auslegung dieser Erklärungen ist nicht auf die automatisierte Reaktion des Computersystems abzustellen, dessen sich die Beklagte für die Abwicklung des Buchungsvorgangs bediente. Nicht das Computersystem, sondern die Person (oder das Unternehmen), die es als Kommunikationsmittel nutzt, gibt die Erklärung ab oder ist Empfänger der abgegebenen Erklärung. Der Inhalt der Erklärung ist mithin nicht danach zu bestimmen, wie sie das automatisierte System voraussichtlich deuten und verarbeiten wird, sondern danach, wie sie der menschliche Adressat nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte verstehen darf. Allein ein solches Verständnis steht mit den §§ 133, 157 BGB und den hierzu entwickelten Auslegungsgrundsätzen in Einklang.
b) Die für Auslegung der Erklärungen von Personen geltenden Grundsätze fasst der BGH [18] so zusammen: Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen (…) und demgemäß in erster Linie dieser und der ihm zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen. Bei der Willenserforschung sind aber auch der mit der Erklärung verfolgte Zweck, die Interessenlage der Parteien und die sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen, die den Sinngehalt der gewechselten Erklärungen erhellen können (…). Dabei sind empfangsbedürftige Willenserklärungen, bei deren Verständnis regelmäßig auch der Verkehrsschutz und der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers maßgeblich ist, so auszulegen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (st. Rspr.…). Diese Auslegungsgrundsätze gelten auch, wenn bei der Abgabe und dem Empfang von Willenserklärungen elektronische Kommunikationsmittel genutzt werden. Dafür spricht auch die gesetzliche Regelung der Pflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (folgt Verweisung auf die Regelung des. § 312g Abs. 1 Nr. 3 BGB, die noch nachfolgend unter 3a behandelt wird).
c) Daraus folgt für die Auslegung der Buchung des K nach BGH [20]: Die Beklagte musste die Buchung des Klägers für einen zweiten Fluggast mit der Angabe in den Namensfeldern „noch unbekannt" dahin verstehen, dass sich der Kläger das Recht vorbehalten wollte, die mitreisende Person nachträglich zu bestimmen. Somit hat K am 7. 9. ein Angebot abgegeben, wonach sich B in dem bezeichneten Flug - neben der Beförderung des K - zur Beförderung einer von K noch zu benennenden Person verpflichten und K dafür den vorgesehenen Reisepreis bezahlen sollte.
Dieses Angebot müsste B angenommen haben (§ 147 BGB).
3. Eine Annahme könnte in der Buchungsbestätigung vom 7. 9. liegen.
a) Die primäre Bedeutung der Buchungsbestätigung könnte sich aus § 312g I Nr. 3 BGB ergeben.
aa) Danach hat ein Unternehmer, der sich zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen der Telemedien (Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr) bedient, dem Kunden den Zugang von dessen Bestellung unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen. BGH [13]: Im Streitfall sollte der Beförderungsvertrag unter Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel abgeschlossen werden. Mit der über das Internet bereitgestellten Buchungsmaske für ihr Flugangebot bedient sich die Beklagte eines Tele- oder Mediendienstes, den potentielle Kunden individuell elektronisch zum Zwecke einer Bestellung abrufen können und mit dem diese ihre Bestellung auch wiederum elektronisch an den Anbieter übermitteln können. Damit ist der Anwendungsbereich des § 312g BGB eröffnet.
bb) BGH [19]: Diese Bestätigung der Bestellung stellt in der Regel eine reine Wissens- und keine Willenserklärung dar (Staudinger/Thüsing, BGB, Neubearb. 2005, § 312e (aF) Rn. 46; MünchKomm.BGB/Wendehorst, 6. Aufl. 2012, § 312g Rn. 95; Erman/Saenger, BGB, 13. Aufl. 2011, § 312g Rn. 17). Denn sie bestätigt lediglich eine Erklärung, die ein potenzieller Kunde abgegeben hat.
b) BGH [19]: Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass der Unternehmer diese Wissenserklärung mit einer Willenserklärung, sei es mit der Annahme oder sei es mit der Ablehnung des Angebots, verbindet (Staudinger/Thüsing, aaO, § 312e (aF) Rn. 46)… Eine automatisierte Erklärung kommt daher grundsätzlich auch als Annahme des Angebots in Betracht, wenn es sich nicht nur um die Bestätigung des Eingangs einer Bestellung im Sinne von § 312g Abs. 1 Nr. 3 BGB handelt, sondern mit ihr die vorbehaltlose Ausführung der Bestellung angekündigt wird (MünchKomm.BGB/Busche, a. a. O., § 147 Rn. 4). Ebenso kann auch im elektronischen Geschäftsverkehr die Annahme konkludent erklärt werden, so wenn die gewünschte Leistung bewirkt wird oder sonstige dem Antrag entsprechende Handlungen vorgenommen werden (Erman/Armbrüster, BGB, 13. Aufl. 2011, § 147 Rn. 2).
aa) Ob die Buchungsbestätigung vom 7. 9. zugleich eine Annahme des Angebots des K enthielt, ist durch Auslegung der Buchungsbestätigung aus der Sicht des K zu bestimmen. Rein äußerlich deckte sich die Buchungsbestätigung mit dem Angebot des K, was für eine Annahme sprechen könnte. Auch hätte B, wenn sie die zweite Person nicht befördern wollte, etwa weil für sie kein Platz mehr zur Verfügung stand, kaum eine Bestätigung abgegeben. Beides spricht für eine Annahme.
bb) Jedoch sind, wie oben 2b) ausgeführt wurde, auch der mit der Erklärung verfolgte Zweck, die Interessenlage der Parteien und die sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen. Aus den Vorgaben in der Buchungsmaske, wonach der Name der zu befördernden Person anzugeben ist, dieser mit den Angaben im Ausweis übereinstimmen muss und nachträglich nicht mehr geändert werden darf, musste K erkennen, dass B für den Vertragsschluss den wirklichen Namen einer real existierenden Person für erforderlich hielt. Diese Identifikation war ein Punkt, über den nach der Erklärung der B eine Einigung getroffen werden musste und ohne die ein Vertrag nicht zustande kommen würde (§ 154 BGB). Zwar war es möglich, dass B dem K zugesteht, den Leistungsempfänger nachträglich zu bestimmen (§ 315 I BGB). K konnte aber nicht annehmen, dass dies durch eine bloße, offenbar allein auf die Programmierung des Rechners bei B zurückgehende Übernahme des Textes des K erfolgen würde.
BGH [16, 20]: Die Buchungsbestätigung der Beklagten vom 7. September bezüglich eines zweiten, für einen „noch unbekannt(en)" Fluggast gebuchten Fluges kann nicht als Annahme gemäß § 147 BGB ausgelegt werden, die zum Abschluss eines Beförderungsvertrags hinsichtlich des zweiten Fluggastes geführt hätte… Denn die Beklagte hatte die nachträgliche Bestimmungsmöglichkeit durch den Hinweis in der Buchungsmaske ausdrücklich ausgeschlossen und damit deutlich gemacht, dass für sie die Benennung der Person des Reisenden, die zudem durch Vorlage eines Ausweises identifizierbar sein sollte, ein wesentlicher Punkt des Beförderungsvertrages war, über den bei Vertragsabschluss Klarheit bestehen sollte. Davon musste auch der Kläger bei Erhalt der Buchungsbestätigung bei objektiver Betrachtung ausgehen. Er hatte keinen Anlass für die Annahme, mit der entsprechend der von ihm offenbar nicht veränderten Voreinstellung auf einen männlichen Passagier „Mr. noch unbekannt" lautenden Buchungsbestätigung nicht nur die automatisierte Reaktion des Buchungssystems, sondern die Erklärung der Beklagten zu erhalten, dass sie ihm das mit der zweckwidrigen Verwendung der Buchungsmaske nachgefragte Bestimmungsrecht tatsächlich einräumen wollte.
Somit liegt in der Buchungsbestätigung der B vom 7. 9. nur eine Empfangsbestätigung und keine Annahme des Angebots des K.
4. Eine Annahmeerklärung der B könnte in der Abbuchung des vollen Reisepreises zu sehen sein.
a) Allerdings gilt hier das Gleiche wie oben zu 3. In der Abbuchung liegt lediglich die Inanspruchnahme eines Vermögenswertes, von dem B glaubte, dass sie diesen Betrag beanspruchen könnte. Sie ist, wie für K erkenntlich war, davon ausgegangen, dass ein Vertrag geschlossen worden war, wollte ihn dabei aber nicht schließen.
b) Außerdem führte auch die Abbuchung nicht dazu, dass der von B verlangte Name eines wirklichen Reisekunden genannt wurde. BGH [22]: Der Umstand, dass die Beklagte den Reisepreis für zwei Hin- und Rückflüge vom Konto des Klägers eingezogen hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Auch die Abbuchung des Reisepreises kann jedenfalls deshalb nicht als Annahmeerklärung der Beklagten gewertet werden, weil eine Willensübereinstimmung hinsichtlich des Inhalts des Beförderungsvertrags nicht erzielt worden ist. Weder durfte der Kläger nach den Angaben in der Buchungsmaske der Beklagten annehmen, dass ihm die Beklagte die nachträgliche Benennung eines Mitreisenden gestatten wollte, noch musste er die Abbuchung dahin verstehen, dass die Beklagte sich zur Beförderung eines Passagiers mit dem Namen „noch unbekannt noch unbekannt" verpflichten wollte.
II. Folglich ist zwischen K und B bezüglich der zweiten Person kein Beförderungsvertrag geschlossen worden. K hat keinen Anspruch aus der EU-FluggastrechteVO. Es kann deshalb offen bleiben, ob, wie das OLG angenommen hat (vgl. BGH [9]), ein solcher Anspruch zusätzlich daran scheitert, dass der Anspruch aus der FluggastrechteVO nur dem Fluggast selbst - den es im vorliegenden Fall nicht gab - und nicht einem bloßen Vertragspartner des Beförderungsvertrages zusteht.
Hinweise: Zu Ausgleichsleistungen nach der FluggastrechteVO u. a. bei Streiks und Verspätung drei Entscheidungen des EuGH in NJW 2013, 361, 363, 365; auch BGH NJW 2013, 374 und 378.
B. Als Anspruchsgrundlage für die Rückzahlung des auf die zweite Person entfallenen Reisepreises kommt § 812 I 1 BGB in Betracht.
I. Die Abbuchung durch B beruhte auf der von K bei der Buchung zum Zwecke einer Lastschrift vorgenommenen Bezeichnung des Kontos und entsprach somit dem Willen des K. K wollte damit seine vermeintliche Verpflichtung aus dem Beförderungsvertrag, soweit er die zweite Person betraf, erfüllen. Folglich hat K an B 182, 71 Euro geleistet.
II. Da im Hinblick auf die zweite Person kein Beförderungsvertrag zustande gekommen ist, fehlte der Rechtsgrund für die Leistung. Der Anspruch ist somit begründet.
BGH [23]: Da die Beklagte den Reisepreis für eine zweite Person ohne Rechtsgrund erlangt hat, kann der Kläger gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB insoweit Rückzahlung verlangen. Für einen Gegenanspruch der Beklagten, der etwa in Betracht kommen könnte, wenn der Beklagten durch die vom Kläger vorgenommene Eintragung in der Buchungsmaske eine anderweitige Buchung entgangen oder Kosten entstanden wären, ist nichts dargetan.
Zusammenfassung