Kalkulationsirrtum im Verfahren der Vergabe eines öffentlichen Auftrags. Erklärungs- und Inhaltsirrtum, § 119 I BGB; Abgrenzung zum Motivirrtum. Rücksichtnahmepflicht nach § 241 II BGB. Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) durch Zuschlagserteilung trotz eines erkannten erheblichen Kalkulationsirrtums, §§ 311 II; 241 II BGB

BGH
Urteil vom 11. 11. 2014 (X ZR 32/14) NJW 2015, 1513

Fall (Asphaltbinder)

Die Straßenbauverwaltung des Landes L, für die deren Vergabestelle handelte, hatte die Arbeiten für eine Fahrbahnerneuerung der Landstraße L 341 ausgeschrieben. Die Entscheidung darüber, welches Angebot angenommen wird, sollte nach der Eröffnung der Angebote getroffen werden. Beim Eröffnungstermin ergab sich, dass das Angebot einer Straßenbaufirma - sie wird künftig als Bieter = B bezeichnet - mit ca. 455.000 Euro das günstigste war; das nächstgünstige Angebot belief sich auf ca. 621.000 Euro. B hatte zwischenzeitlich das Angebot überprüft und festgestellt, dass für den Asphaltbinder in der Ausschreibung als Abrechnungseinheit „Tonne“ vorgeschrieben war, dass das Angebot aber „qm“ als Abrechnungseinheit zugrunde gelegt hatte. Der Preis für eine Tonne hätte 59 Euro betragen, der qm-Preis betrug nur 9 Euro. Bei einer fehlerfreien Kalkulation auf der Basis von Tonnen hätte sich der Preis im Angebot des B um ca. 224.000 Euro erhöht. B machte der Vergabestelle umgehend Mitteilung von dem Fehler. Als die Vergabestelle darauf hinwies, dass die Eröffnung der Angebote bereits erfolgt war, bat B die Vergabestelle, das Angebot des B wegen Irrtums aus der Wertung zu nehmen. Die Vergabestelle erklärte jedoch, sie sei verpflichtet, das günstigste Angebot anzunehmen. Ein bei der Kalkulation unterlaufener Fehler stehe einer Annahme nur entgegen, wenn der Auftragnehmer durch den fehlkalkulierten Auftrag in ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten, etwa in die Gefahr einer Insolvenz gerate, was bei B, einem wirtschaftlich starken Unternehmen nicht der Fall sei. Anschließend erteilte die Vergabestelle B den Zuschlag. B teilte der Vergabestelle aber mit, zu den Bedingungen des ursprünglichen Angebots werde der Auftrag nicht ausgeführt. Die Vergabestelle (künftig: Auftraggeber = AG) erklärte den Rücktritt vom Vertrag und beauftragte ein anderes Unternehmen mit den Arbeiten. Dieses berechnete für deren Durchführung ca. 175.000 Euro mehr als das ursprüngliche Angebot des B betrug. AG verlangt von B Zahlung von 175.000 Euro. Zu Recht?

I. Anspruchsgrundlage für den Anspruch des AG gegen B können §§ 280 I, III, 281 I BGB sein (Schadensersatz statt der Leistung). B könnte seine Leistungspflicht aus einem Werkvertrag (§ 631 BGB) verletzt haben, so dass AG die von dem neuen Auftragnehmer berechneten Mehrkosten als Schadensersatz verlangen kann.

1. Die zum Zustandekommen eines Werkvertrages erforderlichen Willenserklärungen haben die Parteien abgegeben: B hat ein Angebot als Auftragnehmer aus einem Werkvertrag abgegeben, AG hat dieses Angebot als Auftraggeber angenommen.

2. B hat die aus dem Vertrag geschuldete Werkleistung nicht erbracht. Die Nichterbringung der geschuldeten Leistung ist eine Pflichtverletzung i. S. des § 280 I 1 BGB. B hat die Leistung auch vorsätzlich nicht erbracht, so dass § 280 I 2 BGB dem Anspruch nicht entgegensteht.

3. Die nach § 281 I 1 BGB grundsätzlich erforderliche Fristsetzung war nach § 281 II BGB entbehrlich, weil B die Vornahme der Straßenbauarbeiten zu den Bedingungen des geschlossenen Vertrages ernsthaft und endgültig verweigert hat.

II. Dem damit grundsätzlich bejahten Anspruch könnte jedoch eine Gegennorm als Folge des B bei der Kalkulation unterlaufenen Irrtums entgegenstehen.

1. Eine Besonderheit dieses Falles besteht darin, dass B den Irrtum noch vor der Annahme seines Angebots durch AG erkannt und AG davon Mitteilung gemacht hat. Darin könnte ein Widerruf des Angebots nach § 130 I 1 BGB liegen. Ein Widerruf ist aber nur wirksam, wenn er vor dem Zugang des Angebots oder gleichzeitig zugeht. Die Fehlermeldung des B ist AG erst nach dem Zugang des Angebots übermittelt worden. Ein wirksamer Widerruf liegt somit nicht vor.

2. Die Mitteilung des Irrtums und die Bitte, das Angebot aus der Wertung zu nehmen, könnte eine Anfechtungserklärung i. S. der §§ 119, 121, 143 I BGB sein. Dann müsste ein Anfechtungsgrund vorliegen.

a) Nach § 119 I, 2. Fall BGB kann eine Willenserklärung angefochten werden, wenn sie der Erklärende nicht abgeben wollte. Bei einem solchen Erklärungsirrtum fallen bereits bei der Erklärungshandlung Wille und Erklärung auseinander, etwa weil der Erklärende sich versprochen oder verschrieben hat. Bei einem Kalkulationsirrtum unterläuft der Irrtum aber nicht bei der Erklärungshandlung, sondern vorher. Die Erklärungshandlung ist frei von Irrtum. So wollte B im vorliegenden Fall sowohl „qm zu 9 Euro“ als auch „Angebot zu 455.000 Euro“ erklären. Der Wille, das zu erklären, und die Erklärung selbst fielen also nicht auseinander. Ein Erklärungsirrtum liegt nicht vor.

b) Beim Inhaltsirrtum (§ 119 I, 1. Fall BGB) war der Erklärende über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum. Es fallen der Wille, eine Erklärung mit einem bestimmten Inhalt abzugeben, und der Inhalt, mit dem die Erklärung dem Empfänger zugeht, auseinander.

aa) Ein solches Auseinanderfallen liegt bei der für das Angebot des B maßgeblichen Endsumme von 455.000 Euro nicht vor. B wollte ein Angebot zu diesem Endpreis abgeben und hat es auch abgegeben. Im Hinblick auf die Endsumme stellt sich der Irrtum des B bei der Kalkulation lediglich als Fehler bei der vorangegangenen Willensbildung dar. Da die vorangegangene Willensbildung das Motiv für das spätere Angebot ist, ist unter dem Aspekt der Endsumme der Irrtum bei der Kalkulation ein bloß unbeachtlicher Motivirrtum. Zumindest dann, wenn der Bieter dem Empfänger des Angebots bei Abgabe des Angebots die Kalkulation nicht mitgeteilt hat (sog. interner Kalkulationsirrtum), liegt ein Inhaltsirrtum nicht vor.

bb) Anders könnte zu entscheiden sein, wenn B seine Kalkulation in das abgegebene Angebot eingefügt und diese dem AG mit übersandt hat (sog. offener Kalkulationsirrtum). Für diesen Fall hält Riehm JuS 2015, 645 (Besprechung des Falles) es für vertretbar, einen Inhaltsirrtum anzunehmen und diesen damit zu begründen, B habe nach seiner Vorstellung eine Erklärung über den nach qm berechneten Asphaltbinder abgegeben, während AG davon ausgehen und die Erklärung so verstehen durfte, dass der Asphaltbinder in Tonnen berechnet wurde. Damit könnte zwar ein Auseinanderfallen von Wille und Erklärung dargetan werden, dieses bezieht sich jedoch nicht auf die zum Vertragsschluss führende Willenserklärung. Denn diese liegt in der Erklärung, die geforderten Leistungen zum angegebenen Preis zu erbringen. Über den Inhalt dieser Erklärung war B nicht im Irrtum. Die vorangegangene Kalkulation wird selbst dann nicht zum Inhalt der Vertragserklärung, wenn sie übermittelt wird, sondern bleibt Motiv für die eigentliche abschließende Erklärung. Überdies könnte, selbst wenn im Ausgangspunkt der Annahme von Riehm gefolgt würde, daraus ein Anfechtungsgrund nicht hergeleitet werden, weil der Sachverhalt nicht die Feststellung erlaubt, dass B der AG seine Berechnungen mitgeteilt hat. Riehm stellt deshalb sein Ergebnis auch unter diesen Vorbehalt (S. 645, Ende des ersten Absatzes).

c) In Fällen eines für den Bieter massiv ungünstigen und vom Auftraggeber erkannten oder erkennbaren Kalkulationsirrtums - der vorliegende Fall könnte zu dieser Fallgruppe gehören - besteht allerdings ein Bedürfnis, den Bieter nicht schutzlos zu lassen. Es ist der Vorschlag gemacht worden, § 119 BGB in solchem Fall analog anzuwenden. Der BGH hat diese Frage in BGHZ 139, 177, 182 erörtert (mit Darstellung des Meinungsstandes), ist diesem Vorschlag aber nicht gefolgt. Das Ergebnis ist im Leitsatz von BGHZ 139, 177 wie folgt wiedergegeben: Ein Kalkulationsirrtum berechtigt selbst dann nicht zur Anfechtung, wenn der Erklärungsempfänger diesen erkannt oder die Kenntnisnahme treuwidrig vereitelt hat… Begründet hat der BGH das u. a. mit der Überlegung, wegen der subjektiven Voraussetzung „erkannt oder treuwidrig vereitelt“ lasse sich nicht feststellen, wann die Anfechtungsfrist nach § 121 I BGB zu laufen beginnt. Vgl. S. 183: Überhaupt nicht mehr sinnvoll handhabbar wäre § 121 Abs. 1 BGB im Fall treuwidriger Kenntnisvereitelung. Statt dessen wendet der BGH die unter 3. näher behandelten §§ 311 II, 241 II BGB an. Dem wird in diesem Lösungsvorschlag gefolgt. Damit steht fest, dass B nicht die Möglichkeit hat, sein Angebot anzufechten.

3. Als Gegenanspruch des B gegenüber dem Schadensersatzanspruch des AG kommt ein eigener Schadensersatzanspruch des B aus §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) in Betracht.

a) Durch die Ausschreibung und die Abgabe des Angebots durch B sind AG und B in Vertragsverhandlungen getreten. Nach § 311 II Nr. 1 BGB werden dadurch Rücksichtnahmepflichten gemäß § 241 II BGB ausgelöst. BGH NJW 2015, 1513 [ 8] Nach der neueren Rspr. des BGH ist der Schadensersatzanspruch wegen Fehlverhaltens im Vergabeverfahren…an die Verletzung der in § 241 Abs. 2 BGB konstituierten Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils geknüpft (BGHZ 190, 89 ff., Rettungsdienstleistungen II)… Der Schutz aus § 241 Abs. 2 BGB ist nicht auf Einhaltung der spezifisch vergaberechtlichen, den Schutz der Gegenseite bezweckenden Bestimmungen über das Vergabeverfahren im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Vergabeverordnung und den Vergabe- und Vertragsordnungen begrenzt, sondern schließt das gesamte vorvertragliche Verhalten im Vergabeverfahren ein.

b) BGH [9, 10] Die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber allerdings nicht, bei jeglichem noch so geringen Kalkulationsirrtum von der Annahme des Angebots abzusehen. Die Regelung ist kein Korrektiv, durch das Unternehmen sich bei Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit von der Verantwortung für ihr eigenes geschäftliches Handeln freizeichnen könnten. Sie dient vielmehr als Ausprägung des Gedankens von Treu und Glauben dem Schutz eines redlichen Geschäftsverkehrs. Dieser setzt die prinzipielle Bindung an das eigene geschäftliche Handeln gerade da voraus, wo beim Leistungsaustausch die andere Seite gleichermaßen auf ihren Vorteil bedacht sein darf. Das ist auch in Vergabeverfahren der Fall, wo öffentliche Auftraggeber Waren oder Bau- und Dienstleistungen im Wettbewerb beschaffen (vgl. § 97 Abs. 1 GWB), um die ihnen zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel effektiv einzusetzen. Die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB darf Bietern auch keinen Vorwand liefern, sich im Nachhinein unter Berufung auf einen vermeintlichen Kalkulationsirrtum von einem in Wirklichkeit mit Bedacht sehr günstig gestalteten Angebot zu lösen, wenn sie die besonders günstige Kalkulation nach Angebotsabgabe reut.

c) [11] Die Schwelle zum Pflichtenverstoß durch Erteilung des Zuschlags zu einem kalkulationsirrtumsbehafteten Preis ist…aber dann überschritten, wenn dem Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr angesonnen werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer auch nur annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bau-, Liefer- oder Dienstleistung zu begnügen.

aa) Zunächst ist allerdings erforderlich, dass der Auftraggeber den Kalkulationsirrtum erkannt hat oder sich dieser Erkenntnis treuwidrig verschlossen hat (vgl. BGH [12, 13]). Im vorliegenden Fall hatte B dem AG noch vor der Annahme des Angebots den zu dem Irrtum führenden Fehler mitgeteilt, und AG hatte diesen Sachverhalt nicht in Zweifel gezogen. Somit war der Irrtum dem AG bekannt.

bb) BGH [12] Steht der Kalkulationsirrtum, wie hier, im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zuschlagserteilung außer Streit, hängt die Entscheidung nur noch davon ab, ob der Auftraggeber im Hinblick auf die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des betroffenen Bieters (§ 241 Abs. 2 BGB) von der Zuschlagserteilung hätte absehen müssen. Hierfür ist auf die folgenden Umstände abzustellen.

(1) BGH [19] Zu Recht hat das BerGer. auf die Massivität des Irrtums abgestellt, der zu einem Positionspreis in Höhe von etwa einem Sechstel des üblichen Preises geführt hat, und darauf, dass der Endpreis des Angebots des B…in besonders auffälligem Maß unter dem Preis gelegen hat, den der nächstgünstige Mitbewerber als auskömmlich angeboten hatte [Differenz: 166.000 Euro]. Das steht grundsätzlich in Einklang mit der Rspr. des BGH, die dem Ausmaß des Irrtums…wesentliche Bedeutung zumisst (BGHZ 139, 177, 185)… Für die Massivität des Irrtums spricht auch, dass nach den im Sachverhalt enthaltenen, aus dem BGH-Urteil übernommenen Zahlen das Angebot des B aufgrund des Fehlers um 224.000 Euro zu niedrig ausgefallen ist.

(2) [16] Auch die für öffentliche Aufträge geltende Vergabe- und Vertragsordnung Teil A (VOB/A) fordert, vom Vertragsschluss nach § 241 Abs. 2 BGB abzusehen, wenn der Auftraggeber den irrig kalkulierten Preis billigerweise nicht mehr als auch nur im Ansatz äquivalentes Entgelt für die erbrachte Leistung auffassen kann… und enthält die Aufforderung, öffentliche Aufträge zu angemessenen Preisen zu erteilen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A, § 2 Abs. 1 VOL/A). Dieser darf zwar nicht als Handhabe dafür missverstanden werden, die Preisbildung in einem funktionierenden Vergabewettbewerb infrage zu stellen. Die Regelung rechtfertigt aber, eine unmäßige Übervorteilung eines Bieters abzuwenden, die diesem aus der Bindung an einen Preis droht, der von einem erheblichen Kalkulationsirrtum beeinflusst ist.

(3) Ein wesentlicher Aspekt ist der dem Bieter drohende Schaden. BGH [15] Nicht zu beanstanden ist die Annahme des BerGer., dass die Rücksichtnahmepflicht der Vergabestelle aus § 241 Abs. 2 BGB nicht erst dann einsetzt, wenn dem betroffenen Bieter bei Durchführung des Auftrags zum Angebotspreis in absehbarer Zeit Insolvenz oder vergleichbar prekäre wirtschaftliche Schwierigkeiten drohen, wie die Vergabestelle in ihrem Schreiben gemeint hat. Die Verpflichtung, aus Rücksicht auf die Interessen des Bieters von der Zuschlagserteilung abzusehen, greift nicht erst ein, wenn dessen wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht… Es wäre unbillig, das Eingreifen von Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB davon abhängig zu machen, dass eine existenzielle Bedrohung des anderen Teils im Raum steht. Dafür ist vielmehr darauf abzustellen, ob zwischen dem Wert der für den Auftraggeber erbrachten Leistung und dessen Gegenleistung eine unbillige Diskrepanz herrscht. Bei Prüfung dieser Voraussetzung soll als Wert der von AG ausgeschriebenen Leistung das nächstgünstige Angebot zugrunde gelegt werden, das sich auf 621.000 Euro belief. Dann ist die vertragliche Gegenleistung, die B nach dem geschlossenen Vertrag erhalten sollte, 166.000 Euro niedriger, was ein so hoher Betrag ist, dass er zur Annahme einer unbilligen Diskrepanz ausreicht. Wird der Preis zugrunde gelegt, zu dem der Auftrag schließlich durchgeführt wurde, ergibt sich die noch etwas höhere Diskrepanz von 175.000 Euro.

cc) Eine Würdigung der Umstände dieses Falles ergibt somit, dass AG auf die überwiegenden Interessen des B hätte Rücksicht nehmen müssen und den Zuschlag nicht hätte erteilen dürfen. Die gleichwohl erfolgte Erteilung enthält eine schuldhafte Verletzung des § 241 II BGB.

d) Zur Rechtsfolge führt BGH [8] lediglich aus: Da die Herbeiführung des Vertragsschlusses im Streitfall gegen § 241 Abs. 2 BGB verstieß, kann der Auftraggeber aus der Nichterfüllung des Vertrages durch den Bieter keine Ansprüche herleiten. Eine genauere Begründung hat von der Rechtsfolge des § 280 I BGB als Anspruchsgrundlage auszugehen, die auf die Verpflichtung zum Schadensersatz gerichtet ist.

aa) Der Schaden des B besteht darin, dass er infolge der pflichtwidrigen Annahme seines Angebots einer vertraglichen Verpflichtung ausgesetzt wurde, die zu einer Schadensersatzverpflichtung in Höhe von 175.000 Euro geführt hat. Diesen Schaden kann AG dadurch beseitigen (§ 249 BGB), dass er B aus dem Vertrag entlässt, zumindest den Anspruch auf 175.000 Euro nicht geltend macht. Genau genommen müsste B eine solche Erklärung von AG verlangen und im Weigerungsfall AG auf ihre Abgabe verklagen.

bb) Eine Vereinfachung ermöglicht aber der aus § 242 BGB abgeleitete Grundsatz, wonach niemand etwas verlangen darf, das er sofort zurückzugeben hätte („Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“; dazu Riehm JuS 2015, 645). AG verlangt von B Schadensersatz aus einem Vertrag, obwohl er diesen Vertrag gerade stornieren muss. Das ist nach § 242 BGB und obigem Grundsatz nicht zulässig. Überwiegend ist üblich, B insoweit eine Einrede zu gewähren (Riehm a. a. O.). Durch diese Einrede kann B den Anspruch des AG abwehren.

Ergebnis: AG kann von B keine Zahlung der 175.000 Euro verlangen.

Ergänzender Hinweis zur Bedeutung des Begriffs „Kalkulationsirrtum“:

Dass es sich, wie im vorliegenden Fall, um einen Kalkulationsirrtum handelt, bedeutet zunächst nur eine Eigenart des Sachverhalts. Ein Rechtsbegriff ist „Kalkulationsirrtum“ nicht, er bedarf deshalb auch keiner Definition. Er führt auch zu keiner bestimmten Lösung. Vielmehr gibt es verschiedene Lösungsmöglichkeiten im Falle eines Kalkulationsirrtums, auf die hier überblicksmäßig hingewiesen werden soll (vgl. Riehm JuS 2015, 646): 1) Ausnahmsweise kann der Irrtum bereits im Rahmen einer Auslegung nach §§ 133, 157 BGB berücksichtigt werden. 2) Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass er bei einer anderen Gestaltung als im Normalfall zu einem Anfechtungsgrund nach § 119 I BGB führt. 3) Ein beiderseitiger Irrtum kann zum Fehlen der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) führen. 4) In einem Fall wie dem oben entschiedenen führt er zu einem eine Einrede auslösenden Gegenanspruch aus culpa in contrahendo (§§ 280 I, 311 II, 241 II BGB). 5) Vielfach werden die Voraussetzungen keiner der vorstehenden Rechtsfiguren vorliegen; dann bleibt der Kalkulationsirrtum als bloßer Motivirrtum rechtlich unbeachtlich.



Zusammenfassung