Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Mietrecht, § 535 BGB; Pflichten des Vermieters: Überlassungspflicht und Erhaltungspflicht. Mietmangel durch Umwelteinwirkungen (Lärmstörungen), § 536 BGB. Bestimmung eines Mietmangels durch Anwendung des § 22 Abs. 1a BImSchG und des § 906 BGB

BGH
Urteil vom 29. 4. 2015 (XIII ZR 197/14) NJW 2015, 2177 (für BGHZ vorgesehen)


Fall (Bolzplatz)

V, Eigentümer eines Mehrfamilienhauses in der Stadt S, haben die Erdgeschosswohnung mit Terrasse im Jahre 2000 an die Familie M vermietet. An das Hausgrundstück mit der an M vermieteten Wohnung grenzte schon im Zeitpunkt der Vermietung das Gelände einer städtischen Schule. Im Jahre 2010 ließ die Stadtverwaltung auf dem Schulgelände einen Bolzplatz mit Metallzaun errichten. Der Abstand des Zauns von der Wohnung der M beträgt 20 m. Nach dem am Bolzplatz angebrachten Schild steht der Platz Kindern im Alter bis zu 12 Jahren montags bis freitags bis 18:00 Uhr zur Verfügung. Seit der Einrichtung des Bolzplatzes beschweren sich M bei V über den auf die Wohnung einwirkenden Lärm. Vormittags lärmten die Schülerinnen und Schüler auf dem Schulhof, besonders in den Pausen. Am Nachmittag steigere sich der Lärm durch Kinder, die auf dem Bolzplatz spielen und toben. Nach 18.00 Uhr und an den Wochenenden benutzen ältere Jugendliche den Platz, schreien sich beim Fußballspielen an und schießen Bälle gegen den Metallzaun, wodurch die für Wohngebiete geltenden Lärmgrenzwerte weit überschritten werden. Die auf den Lärm angesprochene Stadtverwaltung verweist darauf, dass seit dem Jahre 2011 § 22 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) wie folgt lautet:

(1) Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass
1. schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind,…
(1 a) Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden.

Danach müsse eine solche Anlage geduldet werden. Als V sich dem anschlossen, erwiderten M, § 22 Abs. 1 a BImSchG erfasse diesen Fall nicht. Er gelte nur im Verhältnis zum Staat und nicht zwischen privaten Mietvertragsparteien. Auch sei diese Vorschrift erst lange nach Abschluss des Mietvertrags in Kraft getreten. Als V an ihrer Rechtsauffassung festhielten, minderten M die Miete um 15 % und zahlten entsprechend weniger. V haben gegen M Klage auf Zahlung der Beträge erhoben, um die diese die Miete gemindert haben. Ist die Klage begründet?

A. Anspruchsgrundlage für V ist der im Jahre 2000 zwischen V und M geschlossene Mietvertrag (§ 535 II BGB). Die darin vereinbarte Miete umfasst auch die von M nicht gezahlten 15 %. Somit ist der Anspruch auf den eingeklagten Betrag zunächst einmal entstanden.

B. Der Anspruch der V auf Zahlung der vollen Miete könnte nach § 536 I 1, 2 BGB um 15 % gemindert worden sein; dann würde der Anspruch der V auf Zahlung der von M einbehaltenen Miete entfallen. Voraussetzung ist, dass die vermietete Wohnung einen Mangel hat, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch mindert. Liegt ein Mangel vor, tritt der Wegfall des Anspruchs auf die Miete nach § 536 I 1 oder dessen Minderung nach § 536 I 2 kraft Gesetzes ein; im Unterschied zum Kaufrecht bedarf es keiner darauf gerichteten rechtsgestaltenden Erklärung des Mieters. Ein Mangel der Wohnung könnte sich aus den Lärmstörungen ergeben.

I. Allerdings scheidet der vom Schulbetrieb ausgehende Lärm, insbesondere der Pausenlärm als möglicher Mietmangel von vornherein aus. Denn die Schule existierte bereits bei Abschluss des Mietvertrags im Jahre 2000. M haben also gewusst, dass die Wohnung im Einwirkungsbereich des vom Schulbetrieb ausgehenden Lärms liegt. Durch Abschluss des Mietvertrags haben sie diese Störungen akzeptiert; wahrscheinlich sind sie auch bei der Höhe der Miete berücksichtigt worden. Dem entspricht, dass M sich bis 2010 nicht über den Lärm beschwert haben. Dass der vom Schulbetrieb ausgehende Lärm seit 2000 signifikant zugenommen hätte, ergibt sich aus dem Sachverhalt nicht.

II. Ein Mangel könnte sich aus den von der Benutzung des Bolzplatzes herrührenden Lärmstörungen ergeben. Diese gab es bei Abschluss des Mietvertrags noch nicht. Da ein solcher Mangel nicht in der Mietsache selbst begründet ist, handelt es sich um Umwelteinwirkungen als möglicher Mangel. Der BGH spricht von „Umweltfehler“.

1. BGH [18] Gemäß § 536 Abs. 1 BGB ist die vereinbarte Miete kraft Gesetzes gemindert, wenn die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder (erheblich) mindert, oder ein solcher Mangel während der Mietzeit entsteht. Ein derartiger Mangel ist dann gegeben, wenn der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht.

2. Der vertraglich geschuldete Zustand bestimmt sich in erster Linie nach den Beschaffenheitsvereinbarungen der Mietvertragsparteien, die auch durch schlüssiges Verhalten (konkludent) getroffen werden können.

a) Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung können dabei auch Umstände sein, die von außen auf die Mietsache unmittelbar einwirken (sog. Umweltfehler), wie etwa Immissionen, denen die Mietsache ausgesetzt ist.

b) Ausdrücklich haben V und M keine Vereinbarung über die Beschaffenheit der Wohnung unter dem Aspekt der Lärmeinwirkungen geschlossen. Eine schlüssige Vereinbarung könnte man dem Umstand entnehmen, dass die Parteien angesichts des damals nicht vorhandenen Bolzplatzes als selbstverständlich davon ausgegangen sind, dass es zu Störungen, wie sie vom Bolzplatz ausgehen, nicht kommen wird. Das Landgericht als Vorinstanz im BGH-Fall hatte eine solche schlüssige Beschaffenheitsvereinbarung angenommen. Dem stimmt der BGH aber nicht zu. [20-22] Eine konkludente Vereinbarung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Für die Annahme einer solchen Willensübereinstimmung bezüglich eines sogenannten Umweltfehlers reicht es nicht aus, dass der Mieter bei Vertragsschluss einen von außen auf die Mietsache einwirkenden Umstand - hier die von einem „normalen" Schulbetrieb ausgehenden Geräuschimmissionen - als für ihn hinnehmbar wahrnimmt und er sich ungeachtet dieser von ihm als (noch) erträglich empfundenen Vorbelastung dafür entscheidet, die Wohnung anzumieten. Zur konkludent geschlossenen Beschaffenheitsvereinbarung wird dieser Umstand vielmehr nur, wenn der Vermieter aus dem Verhalten des Mieters nach dem objektiv zu bestimmenden Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) erkennen musste, dass der Mieter die Fortdauer dieses bei Vertragsschluss bestehenden Umstands über die Dauer des Mietverhältnisses hinweg als maßgebliches Kriterium für den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung ansieht, und der Vermieter dem zustimmt. Eine einseitig gebliebene Vorstellung des Mieters genügt für die Annahme einer diesbezüglichen Willensübereinstimmung selbst dann nicht, wenn sie dem Vermieter bekannt ist. Erforderlich ist vielmehr, dass der Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert (BGH NJW 2013, 680 Rn. 10…). Soweit es um Lärmimmissionen geht, die von öffentlichen Straßen oder - wie hier - von einem Nachbargrundstück auf die Mietsache einwirken, ist im Übrigen der offensichtliche und beiden Parteien bekannte Umstand zu berücksichtigen, wonach der Vermieter regelmäßig keinen Einfluss darauf hat, dass die zu Mietbeginn bestehenden Verhältnisse während der gesamten Dauer des Mietvertrages unverändert fortbestehen. Der Mieter kann daher im Allgemeinen nicht erwarten, dass der Vermieter die vertragliche Haftung für den Fortbestand derartiger „Umweltbedingungen" übernehmen will. Die Annahme einer dahingehenden konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung wird deshalb nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen und konkrete Anhaltspunkte für die Übernahme einer so weit gehenden und vom Vermieter nicht beherrschbaren Haftung voraussetzen. Derartige Umstände sind…weder festgestellt noch sonst ersichtlich.

Eine Beschaffenheitsvereinbarung, aus der sich der vertraglich vorausgesetzte Zustand der Wohnung im Hinblick auf Lärmeinwirkungen ergibt, besteht somit nicht.

3. BGH [23] Soweit konkrete Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, beantwortet sich die Frage, was im Einzelnen zu dem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand der Wohnung gehört,…nach den gesamten Umständen des Mietverhältnisses und den daraus…abzuleitenden Standards, insbesondere nach der Mietsache und deren beabsichtigter Nutzung sowie der Verkehrsanschauung unter Beachtung des in § 242 BGB normierten Grundsatzes von Treu und Glauben (…). Zur näheren Bestimmung dieser Voraussetzungen im konkreten Fall verweist der BGH auf die Grundsätze über die ergänzende Vertragsauslegung.

a) Bei Anwendung dieser Grundsätze könnte § 22 Abs. 1 a BImSchG heranzuziehen sein mit der Folge, dass die von dieser Vorschrift erfassten Lärmstörungen keinen Mietmangel bedeuten.

aa) In erster Linie ist § 22 BImSchG eine verwaltungsrechtliche Vorschrift, die das Verhältnis zwischen dem Inhaber einer Anlage und der Verwaltungsbehörde regelt. Absatz 1a geht aber darüber hinaus und kann sich auch auf mietrechtliche Beziehungen auswirken. BGH [27, 28] Liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift vor, ist § 22 Abs. 1 a BImSchG zur Bewertung der Lärmeinwirkungen als Mangel der gemieteten Wohnung mit heranzuziehen. Denn diese Privilegierungsregelung ist nach dem Willen des Gesetzgebers darauf angelegt, über ihren eigentlichen Anwendungsbereich und das damit vielfach verklammerte zivilrechtliche Nachbarrecht hinaus auch auf das sonstige Zivilrecht, insbesondere das Mietrecht und das Wohnungseigentumsrecht, auszustrahlen, sofern dieses jeweils für die Bewertung von Kinderlärm relevant ist (BT-Drucks. 17/4836, S. 7…). Diese Ausstrahlungswirkungen, die zugleich die Verkehrsanschauung zu Art und Maß der als sozialadäquat hinzunehmenden Geräuschimmissionen prägen, würden sich insbesondere dahin äußern, dass bei einer - hier mangels abweichend vereinbarter Standards erforderlichen - Auslegung der beiderseitigen mietvertraglichen Rechte und Pflichten Kinderlärm der in § 22 Abs. 1 a BImSchG beschriebenen Art…in der Regel als den Mietgebrauch nicht oder nur unerheblich beeinträchtigend einzustufen wäre.

bb) Dass das hierin zum Ausdruck kommende Toleranzgebot erst im Jahr 2011 und damit lange nach Abschluss des Mietvertrages seinen gesetzlichen Niederschlag in § 22 Abs. 1 a BImSchG gefunden hat, steht…seiner Berücksichtigungsfähigkeit nicht entgegen. Denn abgesehen davon, dass dieses Gebot ohnehin nur die Konkretisierung einer bereits bei Mietvertragsschluss zumindest angelegten Verkehrsanschauung enthält (…), könnte eine Weiterentwicklung der Verkehrsanschauungen jedenfalls im Hinblick auf hinzunehmende Umwelteinwirkungen bei Fehlen konkreter vertraglicher Regelungen zum „Soll-Zustand" auch zu gewissen Anpassungen des vertraglich geschuldeten Standards einer Gebrauchsgewährung führen (…).

cc) Somit ist § 22 Abs. 1 a BImSchG - entgegen der Ansicht der M - im vorliegenden Fall bei der Frage eines Mietmangels mit heranzuziehen. Das führt dazu, dass der am Nachmittag von spielenden Kindern ausgehende Lärm keinen Mietmangel begründet. Nach dem Sachverhalt handelt es sich um typische Geräusche, die von den auf einem Ballspielplatz spielenden Kinder ausgehen. Dabei sind nicht nur Geräusche beim Ballspielen, sondern ist Kinderlärm jeder Art privilegiert. Zwar soll dies nur „in der Regel“ gelten, der Sachverhalt gibt aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass im vorliegenden Fall eine Ausnahme anzunehmen wäre.

dd) Dagegen fällt der von älteren Jugendlichen nach 18.00 Uhr und an Wochenenden verursachte Lärm nicht unter § 22 Abs. 1 a BImSchG. BGH [26] Für den Begriff der Kinder, deren Lärm als Ausdruck eines besonderen Toleranzgebots der Gesellschaft durch die Vorschrift privilegiert werden soll, hat der Gesetzgeber die Definition in § 7 Abs. 1 SGB VIII heranziehen wollen, wonach Kind ist, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, und Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist (BT-Drucks. 17/4836, S. 4, 6). Hinsichtlich der gegenständlich in die Privilegierung einbezogenen Kinder und Ballspielplätze hat der Gesetzgeber mit Blick auf den Nutzerkreis zugleich klargestellt, dass davon zu unterscheiden sind Spiel- und Bolzplätze sowie Skateranlagen und Streetballfelder für Jugendliche, die großräumiger angelegt seien und ein anderes Lärmprofil hätten als Kinderspielplätze (BT-Drucks. 17/4836, 6).

b) Für den Lärm der Jugendlichen gelten die oben 3. dargelegten Grundsätze, wobei von den den Vermieter nach § 535 I BGB treffenden Pflichten auszugehen ist. BGH [36, 37] Die nach § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB durch den Mietvertrag entstehende Verpflichtung des Vermieters, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren, gestaltet § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB zum einen dahin aus, dass der Vermieter die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen hat (Überlassungspflicht). Zum andern trifft den Vermieter danach auf Dauer die Verpflichtung, die Mietsache während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten (Erhaltungspflicht), was zugleich die Pflicht beinhaltet, eine nach Überlassung eingetretene Verschlechterung der Mietsache zu beseitigen und den zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand wiederherzustellen (BGH NJW 2015, 699 Rn. 25 m. w. N.…). Im vorliegenden Fall, in dem die Lärmstörung bei Mietbeginn noch nicht vorhanden war, haben die Vermieter ihre Überlassungspflicht erfüllt, und es kommt nur eine Verletzung der Erhaltungspflicht in Betracht. Während die Überlassungspflicht an einen gegenwärtigen Zustand der Mietsache anknüpft, über den der Vermieter sich ohne Weiteres vergewissern und dessen Beherrschung ihm deshalb auch ohne Weiteres zugemutet werden kann, bedarf es zur Erhaltungspflicht und der Beherrschbarkeit der dabei jedenfalls durch äußere Einflüsse auf die Mietsache einwirkenden Risiken eines prognostischen Blicks in die Zukunft, deren Entwicklung nicht in jeder Hinsicht überschaubar ist.

aa) Grundsätzlich ist anerkannt, dass von Dritten oder einer Anlage ausgehende Immissionen ein Mangel einer Wohnung sein können. Unter welchen Voraussetzungen das aber bei nachträglich entstehendem Lärm der Fall ist, ist umstritten. Unter [30-34] legt der BGH dar, welche Auffassungen hierzu in der Rechtsprechung der Instanzgerichte vertreten werden (dazu auch Emmerich JuS 2015, 1041), und referiert seine bisherige Rechtsprechung. Diese lässt sich aber auf die hier einschlägige Fallgruppe nicht ohne weiteres übertragen, so dass der BGH sie wie folgt weiter entwickelt.

bb) Da die Vermieter V die Lärmstörungen nicht durch eigenes positives Handeln verursachen und daher auch nicht durch bloßes Unterlassen abstellen können, könnten sie ihrer Pflicht zur Erhaltung eines ruhigen Wohnumfeldes ihrer Mieter nur dadurch nachkommen, dass sie die Störungen abwehren, wobei praktisch nur ein Vorgehen gegen die Stadt in Betracht kommt. Von der Stadtverwaltung könnten sie verlangen, dass diese die Benutzung des Bolzplatzes durch Jugendliche nach 18:00 Uhr und an Wochenenden unterbindet. BGH [41] Grundsätzlich trifft einen Vermieter…im Rahmen seiner Verpflichtung zur Erhaltung des vertragsgemäßen Zustands der Mietsache auch die Pflicht, von Dritten ausgehende Störungen vom Mieter fernzuhalten und zu diesem Zweck gegen den Störer im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vorzugehen…


Anspruchsgrundlage für einen Unterlassungsanspruch der V gegen die Stadt ist entweder § 1004 BGB oder ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch. Bei einem Anspruch aus § 1004 BGB kommt es wesentlich darauf an, ob V die Geräuschimmissionen nach § 906 BGB zu dulden haben. Gleiches würde für einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch gelten. Die Überlegungen zu § 906 BGB sind nach BGH auch für die Frage maßgeblich, ob im Verhältnis zwischen V und M ein Mietmangel vorliegt. BGH [43] Dabei steht einer Anwendung des § 906 nicht entgegen, dass § 906 BGB im Verhältnis der Mietvertragsparteien untereinander unmittelbar keine Anwendung findet (BGHZ 157, 188, 192 f.). Denn das schließt eine Beachtung der nachbarrechtlichen Ausstrahlungswirkungen dieser Norm zur näheren Bestimmung der mietvertraglichen Rechte und Pflichten der Parteien nicht aus. Vielmehr nimmt der einem Mieter zukommende Mietgebrauch bei Fehlen entgegenstehender Abreden an der jeweiligen Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks und der aus der Nachbarschaft entstammenden Einwirkungen einschließlich der damit verbundenen Veränderungsrisiken jedenfalls in einem Umfang teil, den der an § 906 BGB gebundene Vermieter angesichts des ihm danach billigerweise zuzumutenden Gebrauchsüberlassungsrisikos nicht beeinflussen kann. Auf § 906 BGB kann auch dann abgestellt werden, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen V und der Stadt nach öffentlichem Recht zu beurteilen sind. Denn auch innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Nachbarschaftsverhältnisses bestehen die Duldungspflichten aus § 906 BGB. Ebenso wie der BGH oben B II 3 a die öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 22 Abs. 1 a BImSchG zur Bestimmung der mietrechtlichen Pflichten mit herangezogen hat, muss es - erst recht - möglich sein, die mietrechtliche Lage an der privatrechtlichen Vorschrift des § 906 BGB auszurichten.

cc) Danach liegt ein Mietmangel vor, wenn der Vermieter die Störungen nach § 906 BGB nicht zu dulden hat, sondern abwehren kann; dagegen ist ein Mangel zu verneinen, wenn der Vermieter die Störungen nach § 906 BGB entschädigungslos zu dulden hat. Dazu BGH [42] in Anwendung der Grundsätze über die ergänzende Vertragsauslegung: Dass die Parteien davon ausgegangen wären, die Vermieter hätten den ursprünglich bestehenden Immissionsstandard ungeachtet etwa nach § 906 BGB bestehender Duldungspflichten unverändert gewährleisten sollen, kann redlicherweise nicht angenommen werden. Denn damit hätten die Mieter ihnen eine Erhaltungspflicht abverlangt, deren Erfüllung gemäß § 275 Abs. 1, 2 BGB tatsächlich oder jedenfalls wirtschaftlich unmöglich gewesen wäre… Vielmehr hätten sich die Parteien nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) darauf verständigt, die Störung durch Geräuschimmissionen Dritter nur dann als Mangel der Mietwohnung anzusehen, wenn die Vermieter selbst diese Immissionen gemäß § 906 BGB nicht oder jedenfalls nicht entschädigungslos dulden müssten. Im Falle einer Duldungspflicht gegen Entschädigung wäre diese Verständigung dahin gegangen, dass sich ein dann gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB bestehender Ausgleichsanspruch in einer adäquaten Minderung der vereinbarten Miete hätte niederschlagen müssen.

dd) Für eine danach maßgebliche Duldungspflicht der Vermieter nach § 906 I BGB ist nach dessen Satz 2 erforderlich, dass Grenz- oder Richtwerte nicht überschritten werden. Im vorliegenden Fall werden die Lärmgrenzwerte weit überschritten. Also brauchen V die Störungen nach § 906 I BGB nicht zu dulden. Eine Duldungspflicht nach § 906 II BGB hat eine ortsübliche Benutzung des Nachbargrundstücks zur Voraussetzung, also hier des Bolzplatzes. Eine solche kann aber nicht bejaht werden, wenn, wie sich aus dem von der Stadtverwaltung angebrachten Schild ergibt, eine Benutzung des Bolzplatzes nach 18:00 Uhr und an den Wochenenden überhaupt nicht gestattet ist. Also ergibt sich eine Duldungspflicht der V auch nicht aus § 906 II BGB.

ee) Folglich können V gegenüber der Stadtverwaltung verlangen, dass diese Maßnahmen trifft, durch die sie das lärmverursachende Verhalten der älteren Jugendlichen auf dem Bolzplatz unterbindet. Dass die Durchsetzung entsprechender Maßnahmen schwierig sein kann, ändert zumindest solange nichts an der dargestellten Rechtslage, wie V und die Stadt das noch nicht einmal versucht haben. Ist es V aber möglich, die Lärmstörungen abzuwehren, brauchen M es nicht hinzunehmen, dass während der Zeiten, zu denen ein erhöhter Ruhebedarf besteht, durch lautes Geschrei beim Fußballspielen und durch Aufprallgeräusche an dem Metallzaun die für Wohngebiete geltenden Lärmgrenzwerte weit überschritten und sie dadurch schwerwiegend in ihrer Wohnnutzung gestört werden. Es liegt ein Mangel der Mietsache i. S. des § 536 I 1, 2 BGB vor, durch den die Tauglichkeit der Mietsache zum Wohnen wesentlich gemindert ist.

In einer Besprechung in JuS 2015, 1040 kritisiert Emmerich (nach der Feststellung, das Urteil sei „von größter praktischer Bedeutung“) die Entscheidung. Der BGH habe die „unmittelbar einschlägige Vorschrift des § 536 b BGB“ nicht berücksichtigt. Jedoch behandelt § 536 b nur Mängel bei Vertragsschluss (S. 1, 2) oder bei Annahme der Mietsache (S. 3), nicht nachträglich eingetretene Mängel. Auch blieben „die Interessen der Mieter an Ruhe bei dieser Vorgehensweise vollkommen unberücksichtigt“. Dass das nicht zutrifft, ergibt sich aus der obigen Lösung, die auf der Grundlage des BGH-Urteils einen Mietminderungsanspruch der Mieter bejaht hat. - Eine teilweise kritische Besprechung des Urteils findet sich auch bei Förster JA 2016, 65.

4. Ob gerade 15 % der Miete der Bedeutung des Mangels entsprechen, hängt von den nicht näher bekannten weiteren Umständen ab, z. B von der Höhe der Miete und dem genaueren, auch jahreszeitlich unterschiedlichen Umfang der Störungen. Im Normalfall sind 15 % aber nicht unangemessen und können deshalb zugrunde gelegt werden. Folglich war die Mietminderung durch M berechtigt. V haben keinen weitergehenden Anspruch. Ihre Klage ist nicht begründet.


Zusammenfassung