Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Bereicherungsrecht (§ 812 I BGB): Bereicherung durch Leistung (Leistungskondiktion) oder in sonstiger Weise (Nichtleistungskondiktion). ► Leistungsbeziehungen im Mehrpersonenverhältnis aufgrund Anweisung. ► Leistung als Sperre für Nichtleistungskondiktion; Ausnahme bei fehlerhafter Anweisung. ► Mietzahlung aufgrund Sozialrechts (§ 22 SGB II, ALG II); Zahlung von ALG II unmittelbar an Vermieter (§ 22 VII SGB II); Rückabwicklung nach unberechtigter Zahlung
BGH Urteil vom 31. 1. 2018 (VIII ZR 39/17) NJW 2018, 1079
Fall (Mietzahlung durch Jobcenter)
Mieter M1 und M2 (M) hatten von V ein Einfamilienhaus gemietet. Die monatliche Miete betrug 860 Euro. Der Mietvertrag war befristet bis zum 31. Juli. Als beide Mieter arbeitslos wurden, erhielten sie vom Jobcenter (J) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) Arbeitslosengeld II („ALG II“, auch: „Hartz IV“). Nach § 22 I SGB II umfasst das Arbeitslosengeld II auch die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe. Die nach dem SGB zu erbringenden Geldleistungen werden grundsätzlich auf das Konto der leistungsberechtigten Person überwiesen. Als Ausnahme davon bestimmt § 22 VII SGB II, dass auf Antrag der leistungsberechtigten Person das Geld für die Unterkunft direkt an den Vermieter gezahlt werden kann; der Antrag ist widerruflich. Nachdem M diesen Antrag gestellt hatten, überwies J monatlich 860 Euro an V.
Gegen Ende der Mietzeit mieteten M eine neue Wohnung, legten den neuen Mietvertrag am 24. 7. dem Jobcenter vor und zogen aus dem von V gemieteten Haus aus. Am 31. 7. überwies J wie bisher 860 Euro an V; der Überweisungsträger enthielt den Vermerk „Mieter M, Vermieter und Empfänger V, Miete August“. Nachdem bei J festgestellt wurde, dass das Mietverhältnis zwischen V und M Ende Juli ausgelaufen war, verlangte J die 860 Euro von V zurück. V lehnt eine Rückzahlung mit der Begründung ab, aus der Mietzahlung für August könne J keine Rechte herleiten, weil diese ausschließlich sein Verhältnis zu den Mietern M betreffe. Er habe gegen M noch Ansprüche aus dem Mietverhältnis und wolle eine eventuelle Rückzahlungsverpflichtung durch Aufrechnung mit diesen Ansprüchen abwehren. Auch stehe einem Anspruch des J entgegen, dass J gezahlt habe, obwohl sich aus den Unterlagen ergab, dass das Mietverhältnis nur bis Ende Juli lief. Kann J von V Zahlung von 860 Euro verlangen?
Lösung
I. Da zwischen J und V keine vertraglichen Beziehungen bestehen, kommt nur ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 I BGB) in Betracht.
1. Dann müsste § 812 BGB anwendbar sein. Dagegen bestehen Bedenken, weil J die 860 Euro als ALG II-Leistung nach § 22 SGB II, einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift, gezahlt hat.
§ 812 BGB ist anwendbar, wenn die Vermögensverschiebung privatrechtlich erfolgt ist; ist sie öffentlich-rechtlich erfolgt, kommt ein öffentlich-rechtlicher (sozialrechtlicher) Erstattungsanspruch zur Anwendung (Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 531). Die Zahlung der 860 Euro durch J hatte zwar im Verhältnis zu M wegen seiner Grundlage in § 22 SGB II einen öffentlich-rechtlichen Charakter. Gegenüber V wurde die Zahlung aber wesentlich durch den Vermerk „Mieter M, Vermieter und Empfänger V, Miete August“ geprägt. Durch diesen Vermerk, der sowohl dem Willen des J als auch der Vorstellung des V entsprach, erhielt die Zahlung einen privatrechtlichen Charakter. Die Zahlung wurde also öffentlich-rechtlich abgesandt, kam aber beim Empfänger privatrechtlich an. In diesem Sinne wird auch bei den sog. fehlgeleiteten Leistungen entschieden. Beispiel ist, dass nach dem Tod eines Rentenbeziehers dessen Rente in Unkenntnis des Todes an die Erben weitergezahlt wurde. Nach h. M. hat die Rückabwicklung privatrechtlich zu erfolgen, weil zwischen der leistenden Stelle und den Erben als Empfänger kein öffentlich-rechtliches Verhältnis bestand (BVerwGE 84, 274; Ossenbühl/Cornils, StHR, S. 531). Auch im vorliegenden Fall bestand zwischen J und V kein sozialrechtliches Rechtsverhältnis. Vielmehr handelt es sich um den Fall, dass Mieter ihre Miete aus einer Sozialleistung zahlen, was nicht dafür ausreicht, V als Vermieter in das zwischen J und M bestehende sozialleistungsrechtliche Verhältnis einzubeziehen. Folglich ist § 812 BGB anwendbar.
(Der BGH hat diese Frage nicht angesprochen, sondern § 812 BGB ohne weiteres angewendet; ebenso Mäsch JuS 2018, 1098 in einer Besprechung des Falles. - Würde der Fall über den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gelöst, wären Gedankengang und Ergebnis gleich, weil der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch dieselben Voraussetzungen wie § 812 BGB hat; vgl. BVerwG NJW 2006, 3226; BSG DVBl 2013, 1519. Lediglich auf Rechtsfolgeseite besteht ein Unterschied, insofern § 818 III BGB auf den Erstattungsanspruch nicht anwendbar ist, was im vorliegenden Fall aber nicht relevant wird. - Für eine Klage des Vermieters gegen das Jobcenter auf Zahlung der vom ALG-II-Bezieher geschuldeten Miete haben die Sozialgerichte den Sozialrechtsweg für zulässig gehalten, BSG NJW 2018, 3740.)
2. Von den drei Voraussetzungen des § 812 I 1 BGB - etwas erlangt; durch Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten; ohne rechtlichen Grund - liegt die erste vor. V hat 860 Euro erlangt. Auch die dritte ist gegeben. Der Mietvertrag war Ende Juli ausgelaufen, so dass V keinen Anspruch mehr auf eine Miete für August hatte; für die Zahlung bestand somit kein Rechtsgrund. Es bleibt die zweite Voraussetzung zu prüfen.
II. Hierfür müsste V die 860 Euro durch Leistung des J oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten erlangt haben. Diese Voraussetzung hat nicht nur die Aufgabe, einen Anspruch zu begründen. Sie entscheidet im Fall einer Mehrpersonenbeziehung (hier: J - M - V) auch darüber, zwischen welchen Personen die fehlerhafte Vermögensverschiebung rückgängig gemacht wird, im vorliegenden Fall: ob eine Rückabwicklung direkt zwischen dem Zahlenden und dem Empfänger (J und V) erfolgt oder ob die Einschaltung des Dritten (M) geboten ist.
Der Behandlung von Mehrpersonenbeziehungen stellt der BGH regelmäßig und auch im vorliegenden Fall folgende Ausführungen voran, [16]: Dabei entspricht es ständiger Rechtsprechung des BGH, dass sich bei der bereicherungsrechtlichen Behandlung von Vorgängen, an denen - wie im vorliegenden Fall - mehr als zwei Personen beteiligt sind, jede schematische Lösung verbietet. Vielmehr sind für die sachgerechte bereicherungsrechtliche Abwicklung stets die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen, zu denen insbesondere Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes und der Risikoverteilung zählen (siehe nur BGH NJW 2015, 229 Rn. 22). Jedoch ist diese Formel zu unbestimmt und wird vom BGH auch nicht wirklich verwendet. Vielmehr hat der BGH durchaus konkretere und über den Einzelfall hinausgehende Grundsätze entwickelt; diese sind anzuwenden, wie nachfolgend zu zeigen ist. (In einer ausführlichen Besprechung des Falles von Schwab JZ 2018, 517 hält dieser auf S. 524 die Formel sogar für verfassungswidrig, weil sie gegen die Gesetzmäßigkeitsverpflichtung der Gerichte aus Art. 20 III GG verstößt. Auch Mäsch JuS 2018, 1101 kritisiert dies: Mit dieser „berühmt-berüchtigten Formel“ stelle der BGB „seine eigene Leistung bei der Entwicklung… handhabbarer Grundsätze unter den Scheffel.“ Sie ist deshalb überflüssig.)
Vorrangig ist zu prüfen, ob der Vermögenswert in Höhe von 860 Euro durch Leistung des J an V gelangt ist.
1. BGH [17] Unter einer Leistung im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ist die bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zu verstehen. Für die Beurteilung, wer Leistender und wer Empfänger einer Leistung ist, kommt es in erster Linie auf die der Zuwendung gegebene Zweckbestimmung an. Maßgeblich ist grundsätzlich der Zweck, den die Beteiligten im Zeitpunkt der Zuwendung mit dieser nach ihrem zum Ausdruck gekommenen Willen verfolgt haben. Stimmen die Vorstellungen der Beteiligten nicht überein, ist nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH eine objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers (Empfängerhorizont) geboten. Es kommt darauf an, wie eine vernünftige Person in der Lage des Empfängers die Zuwendung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste und durfte (siehe nur BGH NJW 2016, 2260 Rn. 21, m. w. N.). Diese Grundsätze gelten auch für den Bereicherungsausgleich in Mehrpersonenverhältnissen (BGH NJW 2016, 3027 m. w. N.). Wichtigster und häufigster Zweck einer Leistung ist, eine Verpflichtung (eine Schuld) zu erfüllen. So will beim Kaufvertrag der Verkäufer durch Lieferung der Sache seine Verkäuferpflicht, der Käufer durch Zahlung des Kaufpreises seine Käuferpflicht erfüllen.
2. Nach diesen Grundsätzen ist zu bestimmen, ob J mit der Zahlung der 860 Euro an V gegenüber V einen Zweck verfolgt hat. Das ist der Fall, wenn J gegenüber V eine Verpflichtung hat erfüllen wollen.
a) Auszugehen ist von der Überlegung, dass J eine Sozialleistung nach SGB II, die Zahlung von (ALG II, erbracht hat. Normalerweise wird diese an den anspruchsberechtigten Antragsteller ausgezahlt und ist diesem gegenüber eine Leistung.
b) Hiervon weicht der vorliegende Fall aber ab. BGH [21, 22, mit Nachw. auf Rspr. und Lit.] § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II sieht vor, dass der Sozialleistungsträger, soweit - wie im vorliegenden Fall hinsichtlich der Mieter - ALG II als Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, diesen auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter zu zahlen hat. Einen solchen Antrag haben die Mieter M gestellt. § 22 Abs. 7 SGB II regelt eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach alle Geldleistungen nach dem SGB II auf das in dem hierauf gerichteten Antrag angegebene Konto des Leistungsberechtigten überwiesen werden (§ 47 Abs. 1 SGB I) und der zweckentsprechende Einsatz der Mittel dem Leistungsberechtigten überlassen. bleibt. Werden - wie im vorliegenden Fall - die Leistungen für Unterkunft und Heizung direkt an den Vermieter gezahlt, wirkt dies als Anspruchserfüllung gegenüber dem Leistungsberechtigten (hier gegenüber den Mietern). Der eigentliche Zweck der Leistung als Geldleistung für den Hilfeberechtigten wird nicht geändert. Die Regelung in § 22 Abs. 7 SGB II begründet lediglich eine Empfangsberechtigung des Vermieters. Rechte oder Pflichten des Vermieters gegenüber dem Leistungsträger werden durch die Zahlungsbestimmung in § 22 Abs. 7 SGB II nicht begründet, vielmehr begründet die Vorschrift lediglich eine reflexartige Begünstigung des Vermieters. Der Leistungsträger ist auch nicht etwa Erfüllungsgehilfe des leistungsberechtigten Mieters, sondern erbringt im Rahmen der hoheitlichen Aufgabe der Daseinsvorsorge staatliche Transferleistungen an einen Bürger. Die gesetzlichen Regelungen in § 22 Abs. 7 SGB II sollen durch die Möglichkeit der Direktzahlung an den Vermieter dazu dienen, dass die Transferleistungen zu den Wohnkosten den Vermieter tatsächlich erreichen, und dienen hierdurch dem Schutz des leistungsberechtigten Mieters vor Wohnungslosigkeit…
Folglich hat J bei der Zahlung der 860 Euro an V eine Verpflichtung gegenüber M und keine gegenüber V erfüllen wollen. Unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung einer Verpflichtung war die Zahlung der 860 Euro keine Leistung des J an V.
(Im Fall BSG NJW 2018, 3740 hat das BSG ebenfalls und in gleichem Sinn zum Dreiecksverhältnis zwischen Jobcenter, ALG-II-Empfänger und Vermieter Stellung genommen, vgl. S. 3743. Danach ist der Vermieter ist lediglich Empfangsberechtigter und hat keinen eigenen Anspruch auf Zahlung der Miete an ihn.)
3. Zweck der Zahlung durch J könnte gewesen sein, als Dritter i. S. des § 267 I BGB eine (vermeintliche) Schuld der M zu erfüllen. Dafür spricht, dass J auf dem Überweisungsträger vermerkt hat „Mieter M, Vermieter und Empfänger V, Miete August“.
a) Bezweckt ein Zahlender, als Dritter die Verpflichtung eines Schuldners gegenüber dem Gläubiger zu begleichen (§ 267 BGB), liegt darin eine Zweckverfolgung i. S. des Leistungsbegriffs. Im vorliegenden Fall könnte J bezweckt haben, eine Mietschuld der M für den Monat August zu erfüllen. Besteht im Fall des § 267 BGB die fremde Schuld nicht, kann der Leistende seine Leistung nach § 812 BGB zurückverlangen (Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, § 267 Rdnr. 8 bb).
b) BGH [26] Eine Leistung durch einen Dritten (§ 267 Abs. 1 BGB) setzt voraus, dass dieser mit dem erklärten (eigenen) Willen handelt, die fremde Schuld zu tilgen (BGH BeckRS 2017, 134831 Rn. 16; NJW 2012, 523 Rn. 38 m. w. N.). J handelte jedoch nicht mit dem Willen, eine fremde Schuld - in Gestalt der Verpflichtung der Mieter zur Zahlung der in deren Mietvertrag mit V vereinbarten Miete - zu tilgen. Mit der Zahlung der 860 Euro kam J als Sozialleistungsträger vielmehr seiner gegenüber den Mietern grundsätzlich bestehenden gesetzlichen Verpflichtung zur Unterstützung durch staatliche Transferleistungen nach. Diese Unterstützungsleistung ist nur deshalb nicht, wie vom Gesetz grundsätzlich vorgesehen, an die Mieter als Leistungsberechtigte - zur bestimmungsgemäßen eigenen Verwendung - erbracht worden, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der (Ausnahme-)Regelung des § 22 Abs. 7 SGB II erfüllt waren und hierdurch eine Empfangszuständigkeit des V als Vermieter hinsichtlich der Unterstützungsleistung bestand. Zuwendungszweck der direkt an V erbrachten Zahlung blieb die Erbringung staatlicher Transferleistungen, nicht hingegen die Erbringung einer Leistung des J zur Tilgung der mietvertraglichen Schuld der Mieter. Gegen eine Anwendung des § 267 BGB spricht nach BGH [23, 27] auch, dass im Fall des § 267 BGB der Leistende entscheidet, ob er als Dritter die Schuld eines andern begleicht. Demgegenüber begründet der Antrag nach § 22 SGB II eine Pflicht des Jobcenters, die Unterstützungsleistung direkt an den Vermieter zu leisten.
Somit lässt sich über § 267 BGB eine Leistung des J an V nicht begründen. J hat an V keine Leistung erbracht. Ein Bereicherungsanspruch des J gegen V aus Leistungskondiktion besteht nicht.
III. V könnte die 860 Euro in sonstiger Weise auf Kosten des J erlangt haben, so dass eine Nichtleistungskondiktion eingreift (§ 812 I 1 Alt. 2 BGB).
1. Begrifflich lässt sich die Zahlung der 860 Euro, die keine Leistung sind, als Vermögensverschiebung in sonstiger Weise zwischen J und V bewerten.
2. Die Rückabwicklung einer Zuwendung über eine Nichtleistungskondiktion scheidet aber aus, wenn die Zuwendung Gegenstand einer Leistung war. Dabei ist nicht nur eine Leistung des unmittelbar Zuwendenden vorrangig, sondern auch die einer weiteren Person (eines Dritten). BGH [16] Die Leistungskondiktion hat Vorrang vor der Nichtleistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB (st. Rspr.; vgl. nur BGH NJW 2013, 2519 Rn. 11; m. w. N.). K. Schmidt JuS 2016, 73: „Wer durch irgendjemandes Leistung bereichert ist, ist keinerlei Nichtleistungskondiktion ausgesetzt.“
a) Danach steht einem Rückforderungsanspruch des J gegen V entgegen, wenn V die 860 Euro durch Leistung der M erhalten hat. Da M die 860 Euro faktisch nicht an V überwiesen haben, sondern die faktische Zahlung zwischen J und V erfolgt ist, bedarf es eines Rechtsinstituts, das diese Zahlung als Leistung der M bewertet. Das ist Aufgabe der Grundsätze zur Leistung auf Anweisung.
aa) Der bereicherungsrechtliche Begriff der Anweisung ist weiter als der des § 783 BGB und umfasst jede Weisung, an einen Dritten zu zahlen oder zu liefern. Hauptfall ist der Überweisungsauftrag eines Bankkunden an seine Bank. Im vorliegenden Fall enthält der Antrag der M gegenüber J nach 22 VII SGB II die Weisung, die ALG II-Beträge an V zu zahlen (BGH [35]). Dass dieser Antrag auf einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift beruht und deshalb selbst öffentlich-rechtlicher Natur ist, ändert an seinem Anweisungscharakter nichts.
Durch eine Anweisung entsteht ein Dreiecksverhältnis zwischen Anweisenden (im vorliegenden Fall M), Angewiesenen (J) und Zuwendungsempfänger (V). Leider ist die Bezeichnung des Zuwendungsempfängers nicht einheitlich, sondern dieser wird auch als Dritter, Leistungsempfänger, Zahlungsempfänger (so Mäsch JuS 2018, 1100) oder Anweisungsempfänger (so BGH [31]) bezeichnet. Im Folgenden wird einheitlich von Zuwendungsempfänger gesprochen, auch durch Ersetzung der anderslautenden Begriffe in den Originalzitaten. Bloße Zahlstellen wie die im vorliegenden Fall von J bei der Überweisung eingeschaltete Bank bleiben außer Betracht (BGH [30]).
bb) Führt der Angewiesene die Anweisung aus, werden z wei Leistungen bewirkt: eine Leistung des Angewiesenen an den Anweisenden (im Deckungsverhältnis) und eine Leistung des Anweisenden an den Zuwendungsempfänger (im Valutaverhältnis). BGH [31] Somit bewirkt der Angewiesene…mit seiner Zuwendung an den Zuwendungsempfänger zunächst eine eigene Leistung an den Anweisenden und zugleich eine Leistung des Anweisenden an den Zuwendungsempfänger (BGHZ 176, 234 Rn. 9; 205, 377 Rn. 17 jeweils m. w. N.). Dagegen erfolgt im Zuwendungsverhältnis zwischen Angewiesenen und Zuwendungsempfänger keine Leistung; dort bedarf es auch keines Rechtsgrundes. Erforderlich ist ein Rechtsgrund im Deckungsverhältnis und im Valutaverhältnis, innerhalb derer die Leistungen erfolgen.
cc) Fehlt ein - erforderlicher - Rechtsgrund, ist die Rückabwicklung innerhalb des fehlerhaften Rechtsverhältnisses vorzunehmen. BGH [30] Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (…BGHZ 205, 377 Rn. 17 ff. m. w. N.) vollzieht sich in den Fällen der Leistung kraft Anweisung der Bereicherungsausgleich grundsätzlich innerhalb des jeweiligen fehlerhaften Leistungsverhältnisses, also zum einen zwischen dem Anweisenden und dem Angewiesenen - hier den Mietern und J - im sog. Deckungsverhältnis und zum anderen zwischen dem Anweisenden und dem Zuwendungsempfänger - hier den Mietern und V - im sog. Valutaverhältnis.
dd) Eine Anwendung der Überlegungen unter bb) und cc) auf den vorliegenden Fall würde ergeben: J hätte die 860 Euro auf eine (vermeintliche) Verpflichtung aus § 22 SGB II an M geleistet. M hätten den gleichen Betrag auf eine (vermeintliche) Pflicht zur Zahlung der Augustmiete (§ 535 II BGB) an V geleistet; diese Leistung der M an V würde einer Nichtleistungskondiktion des J gegenüber V entgegenstehen. D ie rechtsgrundlos geleistete Augustmiete müsste von V an M und die zu Unrecht erhaltene ALG II-Leistung von M an J zurückgezahlt werden.
b) Jedoch gibt es von diesen Grundsätzen Ausnahmen. BGH [32] So hat der Angewiesene einen unmittelbaren Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB gegen den Zuwendungsempfänger, wenn eine wirksame Anweisung gänzlich fehlt. In diesem Fall hat der Angewiesene lediglich erfolglos versucht, eine Leistung an den Anweisenden zu erbringen. Der Zuwendungsempfänger ist daher in sonstiger Weise auf Kosten des Angewiesenen bereichert und deshalb dessen Anspruch aus Nichtleistungskondiktion ausgesetzt. Das gilt unabhängig davon, ob der Zuwendungsempfänger das Fehlen einer wirksamen Anweisung im Zeitpunkt der Zuwendung kannte oder nicht kannte (BGHZ 205, 377 Rn. 18 m. w. N.).
Im vorliegenden Fall könnte eine Ausnahme wegen einer Zahlung nach einer widerrufenen Anweisung vorliegen.
aa) Die das Anweisungsverhältnis begründende Anweisung lag in dem Antrag der M nach § 22 VII SGB II (oben III 2 a aa). Diesen Antrag haben M zwar nicht ausdrücklich zurückgenommen. Indem sie aber am 24. 7. den Mietvertrag über eine neue Wohnung bei J vorgelegt haben, konnte es für J nicht zweifelhaft sein, dass die ALG II-Leistungen nicht mehr an V gezahlt werden sollten, zumal angenommen werden muss, dass M künftig Erstattung der Kosten aus dem neuen Mietverhältnis verlangen würden. BGH [35] Der Antrag auf Direktzahlung an den Vermieter nach § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II kann von dem Leistungsberechtigten jederzeit widerrufen werden… In der am 24. Juli erfolgten Einreichung des neuen Mietvertrags durch die Mieter ist ein konkludenter Widerruf des Antrags nach § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II und damit auch der Anweisung dahingehend zu sehen, dass J die Unterstützungsleistungen ab August nicht mehr an V als (bisherige) Vermieter auszahlen solle.
bb) Dieser Fall kann allerdings dem oben bei b) behandelten Fall, in dem eine Anweisung gänzlich fehlte, nicht ohne weiteres gleichgestellt werden. Denn ursprünglich lag eine Anweisung der M vor und diese war mitursächlich für die streitige Zahlung; insofern hatten M die Weiterzahlung der Miete mitveranlasst und bei V den Rechtsschein hervorgerufen, dass die Zahlung auf ihre Weisung hin erfolgte. Gleichgestellt werden kann aber der Fall, in dem ein Widerruf erfolgt ist und der Zuwendungsempfänger Kenntnis von dem Widerruf hatte (BGHZ 205, 377; NJW 1983, 2499). Hatte er dagegen keine Kenntnis, wurde bisher ein Direktanspruch des Angewiesenen gegen den Zuwendungsempfänger abgelehnt (Schwab JZ 2018, 522 m. N. Fn. 5). Im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass V Kenntnis von dem konkludenten Widerruf der M gegenüber J hatte (Schwab JZ 2018, 523; Mäsch JuS 2018, 1100).
Gleichwohl hält der BGH den vorliegenden Fall für vergleichbar mit dem Fall der Kenntnis vom Widerruf und bejaht einen Direktanspruch des J gegen V. Die wesentliche Begründung geht dahin (BGH [29]), dass die Mieter gegenüber J ihre Anweisung, die Unterstützungsleistungen direkt an V zu zahlen, konkludent durch Vorlage des neuen Mietvertrages widerrufen haben und V… aufgrund der Beendigung des Mietvertrags bei Erhalt des Geldes wusste, dass ihm der für den Monat August überwiesene Betrag von 860 Euro nicht zustand…
Es handelt sich um den Fall, dass nicht nur das Valutaverhältnis M - V die Zahlung nicht rechtfertigt, sondern auch im Deckungsverhältnis M - J die Mieter keine Erstattung von an V gezahlten Mietkosten verlangen konnten, weil ihnen diese Kosten für August nicht mehr entstanden sind (Dreiecksverhältnis mit Doppelmangel, Mäsch JuS 2018, 1100). Außerdem lag im Zeitpunkt der Zahlung keine Anweisung mehr vor (Doppelmangel plus fehlende Anweisung). Bei einem solchen dreifachen Defekt ist es sinnvoll, die Fehlerhaftigkeit der Vermögensverschiebung durch direkte Rückzahlung von V zu J zu beheben (Schwab JZ 2018, 521). Für einen direkten Anspruch spricht auch (vgl. Schwab JZ 2018, 523), dass V Kenntnis davon hatte, dass der Mietvertrag Ende Juli ausgelaufen war. Wenn gleichwohl noch eine Mietzahlung für August erfolgte, hätte V sich bei M oder J erkundigen müssen, ob eine Mietzahlung für August wirklich gewollt war. Er hätte dann erfahren, dass M die Weisung bereits vor der Zahlung widerrufen hatten und die Zahlung nicht mehr von einem Tilgungszweck der M getragen war. Diese Unterlassung ist V vorzuwerfen, so dass sich daraus eine zusätzliche Begründung für einen direkten Anspruch ergibt.
Allerdings würde der Zulassung einer direkten Rückzahlung entgegenstehen, wenn im Valuta- oder Deckungsverhältnis Gegenleistungen zusammen mit den Zahlungen zurückgegeben werden müssten. Jedoch hat weder V gegen M einen Anspruch auf Rückgabe einer Gegenleistung noch M gegen J. Die von V behauptete Aufrechnungsmöglichkeit hindert die Direktzahlung nicht, weil sie die Rückzahlungsverpflichtung selbst nicht betrifft. Auch bestand vor der Mietzahlung für August keine Aufrechnungsmöglichkeit für V, so dass sich dessen Rechtslage durch eine direkte Rückzahlung nicht verschlechtert. Ein Recht darauf, dass die Rückzahlungsverpflichtung so gestaltet wird, dass eine Aufrechnungslage entsteht, hat V nicht.
(Der früher häufigste Fall des Widerrufs einer Anweisung, das Stornieren eines Überweisungsauftrags, wird inzwischen nicht mehr nach obigen Grundsätzen gelöst, sondern über das Rechtsinstitut der Autorisierung des Zahlungsvorgangs (§ 675 j BGB; BGHZ 205, 377 Rn. 22 ff.; dazu Schwab JZ 2018, 522.)
IV. Der Einwand des V, einem Anspruch des J stehe entgegen, dass J gezahlt hat, obwohl sich aus den Unterlagen ergab, dass das Mietverhältnis nur bis Ende Juli lief, könnte zur Anwendung des § 814 BGB führen. Danach kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. BGH [40] Diese Vorschrift ist jedoch auf die - hier vorliegende - Nichtleistungskondiktion nicht anwendbar (BGH NJW 2005, 3213 unter III 1 b cc m. w. N.; Staudinger/Lorenz, BGB, Neubearb. 2007, § 814 Rn. 3). Dies gilt auch für den hier gegebenen Fall der Nichtleistungskondiktion in Gestalt eines direkten Bereicherungsanspruchs des Angewiesenen gegen den Anweisungsempfänger (vgl. BGH NJW 1994, 2357 unter III 1 c aa; NJW 2005, 3213; MünchKommBGB/Schwab, 7. Aufl. 2012, § 814 Rn. 5).
Folglich ist ein Anspruch des J gegen V auf Zahlung der 860 Euro aufgrund einer Nichtleistungskondiktion (§ 812 I 1 Alt. 2 BGB) entstanden.
V. Die von V angesprochene Aufrechnungsmöglichkeit besteht nicht. Nach § 387 BGB müssen die Forderungen zwischen denselben Personen bestehen. Hier besteht der Anspruch aus § 812 BGB zwischen J und V, die Ansprüche des V richten sich gegen M.
Ergebnis: J hat einen Anspruch gegen V auf Zahlung der 860 Euro.
Zusammenfassung