Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Quasinegatorischer Unterlassungsanspruch analog §§ 1004 I 2, 823 I BGB. ► Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb; unmittelbarer Eingriff; Rechtswidrigkeit. ► Abwägung des Rechts am ungestörten Betrieb mit dem Recht auf Abwehr von Persönlichkeitsverletzungen. ► Störer i. S. des § 1004 I BGB
BGH Urteil vom 15. 1. 2019 (VI ZR 506/17) NJW 2019, 781
Fall (Presserechtliche Informationsschreiben)
M ist ein bekannter Musiker, der mit L als Lebensgefährtin zusammen lebt. Das von der V-Verlags-GmbH herausgegebene Boulevardblatt BUNTE hat eine Rubrik „Herzblatt-Geschichten“ und berichtet dort mit Bildern und Texten über Prominente, regelmäßig auch über M und L. M hat sich mehrfach bei V beschwert, dass Fotografen, die für V arbeiten, in Paparazzi-Manier in seine Privatsphäre eindringen und dass die Berichte in der BUNTEN über M und L nicht immer der Wahrheit entsprechen.
M und L werden von der auf Presserecht spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei R vertreten. Diese versendet an ausgewählte Verlage „ presserechtliche Informationsschreiben", in denen sie namens ihrer Mandanten rechtliche Schritte gegen als rechtsverletzend betrachtete Berichte ankündigt. Nachdem solche Schreiben auch an V gerichtet wurden, verlangte V von R, zukünftig „keine weiteren Informationsschreiben als Fax, E-Mail oder per Post zu schicken“. Derartige „Drohbriefe“ verursachten einen erheblichen Aufwand bei ihrer Rechtsabteilung, da nicht immer klar sei, auf welchen Vorgang sie sich beziehen, so dass dadurch belastende Ermittlungen ausgelöst würden. Außerdem lehne V die damit beanspruchte „Selbstzensur“ ab. R antwortete, auf die presserechtlichen Informationsschreiben werde nicht verzichtet; V werde anheimgestellt, die Anwaltskanzlei zu verklagen.
Am 11. Mai richtete R erneut ein als „presserechtliches Informationsschreiben“ bezeichnetes Telefax an V, das „im Auftrag und in Vollmacht meiner Mandanten M und L“ folgende Ausführungen enthielt: „Die aktuelle Berichterstattung in der BUNTEN erfolgt gegen den Willen meiner Mandanten und greift massiv in ihre Privatsphäre ein. Die Artikel enthalten Unwahrheiten und Rechtsverletzungen. Die Paparazzifotos stellen schwere Eingriffe dar. Wir sind beauftragt, sämtliche zulässigen zivil- und strafrechtlichen Schritte einzuleiten. Wegen der Massivität der Rechtsverletzungen werden wir auch Geldentschädigung verlangen.“ Nähere Angaben dazu, welcher Beitrag und welche Fotos gemeint waren, enthielt das Schreiben nicht. V beabsichtigt eine Klage gegen M und R mit dem Antrag, „M und R zu untersagen, der V Informationsschreiben zuzusenden, die ein rechtliches Vorgehen gegen eine Berichterstattung in Wort und/oder Bild über gewisse Ereignisse oder Umstände in Aussicht stellen, wenn dies geschieht wie mit Schreiben vom 11.5.“ Zur Begründung beruft sich V darauf, dass ihr Betrieb die Störungen durch solche Schreiben nicht hinzunehmen brauche. M und R verteidigen sich zunächst damit, der Antrag der angekündigten Klage sei zu unklar, weil ihm nicht hinreichend genau entnommen werden könne, was ihnen untersagt werden soll. Im Übrigen gehörten die Schreiben zur zulässigen Rechtsverteidigung des M. R handle als bloße Rechtsvertreterin des M und könne deshalb nicht selbst in Anspruch genommen werden. Wird die Klage Erfolg haben?
Lösung
Vorbemerkung: Der Fall wird besprochen von Mäsch JuS 2019, 587.
I. Eine für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Klageschrift muss nach § 253 II ZPO die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts, die Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Nach Auffassung von M und R ist der geplante Antrag zu unbestimmt.
1. BGH [12] Ein Klageantrag ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) absteckt, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abwälzt und schließlich eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt. Danach ist ein Unterlassungsantrag hinreichend bestimmt, wenn er sich auf eine bereits begangene, konkrete Verletzungshandlung bezieht und deren Unterlassung verlangt (BGH GRUR 2018, 1161 Rn. 16, Hohlfasermembranspinnanlage II; GRUR 2018, 1246 Rn. 28, Kraftfahrzeugfelgen II).
2. BGH [13] So verhält es sich im Streitfall. V wendet sich mit ihrem Hauptantrag ausschließlich gegen die konkrete Verletzungshandlung in Form der Übermittlung des Schreibens vom 11. Mai durch Telefax. Sie verlangt nicht, darüber hinausgehend die Übermittlung „presserechtlicher Informationsschreiben" allgemein und unabhängig vom konkreten Inhalt oder mit einem anderen Inhalt zu unterlassen. Somit ist ein derartiger Klageantrag hinreichend bestimmt.
II. Für die Begründetheit der Klage muss zugunsten der V eine auf Unterlassung gerichtete Anspruchsgrundlage eingreifen.
1. Ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 I 2 BGB hat einen Eingriff in Eigentum zur Voraussetzung. Mäsch JuS 2019, 587 bejaht diesen mit folgender Begründung: „Fax-Schreiben führen zum Verbrauch von Papier und Tinte; zudem kann man trotz fehlender Substanzverletzung auch einen Eingriff in das Fax-Gerät selbst annehmen, weil dieses für den Zeitraum des Empfangs des fraglichen Schreibens blockiert und damit seiner Funktionsfähigkeit beraubt ist.“ Jedoch ist der Verbrauch von Papier und Tinte bei einem Faxgerät ebenso wie die vorübergehende Sperre für andere Schreiben eine Folge der Funktion des Geräts und kein (rechtswidriger) Eingriff in das Eigentum. Vor allem fehlen diese Wirkungen bei Schreiben als E-Mail oder per Post. Auch wird der von V beanstandete Vorgang nicht angemessen gewürdigt, wenn lediglich auf das äußerliche Einwirken auf das Faxgerät abgestellt wird, statt - entsprechend dem Vorbringen der V - auf die Störung des Betriebs der V. Der BGH hat eine mögliche Eigentumsstörung nicht angesprochen. Aus einem Eingriff in Eigentum ergibt sich somit kein Unterlassungsanspruch.
2. Weitere Unterlassungsansprüche enthält das BGB nur zugunsten anderer dinglicher Rechte (z. B. in § 1134 zugunsten einer Hypothek) und in § 12 zugunsten des Namensrechts, dagegen weder zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts noch zugunsten des Rechts am Gewerbebetrieb. Der in §§ 823 ff. BGB gewährte umfassende Schutz absoluter Rechte und Rechtsgüter ist nur auf Schadensersatz gerichtet.
Diese nur begrenzte Anerkennung von Unterlassungsansprüchen im BGB erweist sich als lückenhaft. Seit Langem ist anerkannt, dass Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zugunsten eines jeden in §§ 823 ff. BGB geschützten Rechts und Schutzgesetzes bestehen müssen. Deshalb wird § 1004 I 1, 2 BGB auf diese Rechtspositionen analog angewendet (bezeichnet als quasinegatorischer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch; dazu Mäsch JuS 2019, 588 m. Nachw. Fn. 12, 13; BGH NJW 2018, 1820 im Fall der Veröffentlichung von Fotos eines früheren Bundespräsidenten ). Die analoge Anwendung erstreckt sich auf sämtliche deliktisch geschützten Rechte und Rechtsgüter. Somit ist die im vorliegenden Fall zu prüfende Anspruchsgrundlage § 1004 I 2 BGB analog i. V. mit einem in §§ 823 ff. BGB geschützten Recht oder Rechtsgut. Da den §§ 823 ff. nur die Rechtsgüter und deren Verletzungstatbestände entnommen werden, im Übrigen aber § 1004 maßgebend ist, sind beim Unterlassungsanspruch weder Verschulden noch Schaden erforderlich.
III. Im vorliegenden Fall könnte die unter II 2 entwickelte Anspruchsgrundlage wegen eines Eingriffs in das Recht der V am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb begründet sein. Dieses ist ein absolutes Recht i. S. des § 823 I BGB (BGHZ 208, 119 Rdnr. 16; Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 823 Rdnrn. 20, 133 ff.).
1. Unter das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb fällt jede erlaubte, selbstständige, auf Gewinnerzielung gerichtete und auf eine gewisse Dauer angelegte Tätigkeit. Der Betrieb eines Verlages erfüllt diese Voraussetzungen. Auch eine juristische Person wie die V-GmbH kann Inhaberin eines solchen Rechts sein. Das Recht am Gewerbebetrieb ist zwar als „bloßer Auffangtatbestand“ (BGHZ 105, 350) subsidiär gegenüber einer Verletzung des Eigentums; die presserechtlichen Informationsschreiben verletzen aber kein Eigentum (oben II 1).
2. In das Recht der V am Gewerbebetrieb müsste eingegriffen worden sein.
a) Hierfür ist der Schutzbereich des Rechts näher zu bestimmen. Das Recht am Gewerbebetrieb sichert die ungestörte Betätigung und Entfaltung des Gewerbebetriebs durch dessen Inhaber und schützt alles, was den wirtschaftlichen Wert des Betriebs als bestehende Einheit ausmacht (BGHZ 86, 156; BAGE 132, 140; Palandt/Sprau § 823 Rdnr. 134).
b) Durch die von V nicht gewünschte Zusendung eines Informationsschreibens mit der Folge, dass es bearbeitet werden muss, erfolgt eine Störung des Verlagsbetriebs. Dadurch wird der Schutzbereich des Rechts am Gewerbebetrieb beeinträchtigt. Das reicht für einen Eingriff aber nicht aus, weil nicht jede Beeinträchtigung eines Gewerbebetriebs schon ein Eingriff ist.
aa) Damit der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs keinen - dem Deliktsrecht fremden - Vermögensschutz bewirkt, bedarf es einer sachgerechten Eingrenzung des Haftungstatbestandes. Dem dient das Erfordernis des unmittelbaren Eingriffs. Ein Anspruch besteht nur, wenn die Beeinträchtigung unmittelbar in den Bereich des Gewerbebetriebs eingreift, also betriebsbezogen ist; sie darf nicht nur Rechtsgüter betreffen, die von diesem ohne weiteres ablösbar sind (Brox/Walker, SchuldR BT, 42. Aufl. 2018, § 45 Rdnr. 20; Mäsch JuS 2019, 588). BGH [16] Der Schutz des § 823 Abs. 1 BGB wird gegen Beeinträchtigungen des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährt, wenn die Störung einen unmittelbaren Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt… Die Verletzungshandlung muss sich gerade gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten und über eine bloße Belästigung oder eine sozial übliche Behinderung hinausgehen (vgl. BGHZ 138, 311, 317; …).
bb) Das Informationsschreiben der R/M erreichte V über das zum Betrieb gehörende Faxgerät und löste im Betrieb eine Bearbeitungsaufgabe aus. Damit richtete es sich unmittelbar gegen den Betrieb des Verlags. BGH [17] Die Übermittlung des Schreibens zielte unmittelbar auf eine Beeinflussung der redaktionellen Tätigkeit der V als Presseunternehmen ab. Dies führte auch nicht zu einer bloßen Belästigung. Bereits die Sichtung des Schreibens unmittelbar nach dem Eingang und die Weiterleitung innerhalb des Verlags verursachten zusätzlichen Arbeitsaufwand. Darüber hinaus war ungeachtet der Überschrift „Presserechtliches Informationsschreiben" nicht auf den ersten Blick erkennbar und bedurfte daher der Prüfung, was Inhalt und Gegenstand des von einer Rechtsanwaltskanzlei stammenden Schriftstücks war. Dadurch erfolgte schließlich keine lediglich sozial übliche Behinderung, da V zuvor erklärt hatte, keine Schreiben dieser Art (mehr) erhalten zu wollen.
Infolgedessen bewirkte das Telefax vom 11. 5. mit dem Inhalt eines „presserechtlichen Informationsschreibens“ einen unmittelbaren, betriebsbezogenen Eingriff in das Recht der V am Gewerbebetrieb.
3. Um einen Unterlassungsanspruch auszulösen, muss der Eingriff rechtswidrig sein.
a) Das Recht am Gewerbebetrieb ist - ebenso wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht - ein Rahmenrecht ( NomosHandkommentar BGB/Staudinger, 9. Aufl. 2017, § 823 Rdnr. 91; Brox/Walker, SchuldR BT, 42. Aufl. 2018, § 45 Rdnr. 52; Mäsch JuS 2019, 588). Während bei Rechten wie Eigentum, Gesundheit und Freiheit durch den Eingriff die Rechtswidrigkeit indiziert ist, muss bei den Rahmenrechten die Rechtswidrigkeit positiv festgestellt werden, indem eine Güter- und Interessenabwägung vorgenommen wird. BGH [19] Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stellt einen offenen Tatbestand dar, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Abwägung mit den im Einzelfall konkret kollidierenden Interessen anderer ergeben. Bei der Abwägung sind die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen. Der Eingriff in den Schutzbereich ist nur dann rechtswidrig, wenn das Interesse des Betroffenen [hier V] die schutzwürdigen Belange der anderen Seite [hier M und R] überwiegt (vgl. BGH NJW 2018, 2877 Rn. 19; GRUR 2014, 904 Rn. 15, Aufruf zur Kontokündigung; jeweils m. w. N.).
b) Um diese Abwägung zutreffend vorzunehmen, sind die betroffenen Rechte und Rechtsgüter auf Seiten des M und der R näher zu bestimmen. Dabei kann (vgl. a): „interpretationsleitend“) auf deren Schutz durch Grundrechte abgestellt werden. BGH [20] Die Übermittlung presserechtlicher Informationsschreiben fällt sowohl in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des M als auch in den der Berufsausübung der R. Derartige Schreiben zielen auf einen effektiven - möglichst bereits vor einer Verletzung wirksam werdenden - Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Sie dienen - vergleichbar einer Schutzschrift - dazu, dem von einer befürchteten Rechtsverletzung Betroffenen bereits im Vorfeld Gehör zu gewähren und dadurch persönlichkeitsrechtsverletzende Rechtsverstöße von vorneherein zu verhindern oder jedenfalls ihre Weiterverbreitung einzuschränken… Folglich sind die Schutzinteressen der V mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG) des M sowie dem Recht auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) der R und…deren Recht auf Verbreitung ihrer Meinung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) abzuwägen.
c) Dabei ist wesentlich auf Sinn und Zweck solcher Informationsschreiben abzustellen.
aa) Sie sind in der Regel für beide Seiten nützlich: Der Verlag kann prüfen, ob er angesichts der Beanstandungen an dem beabsichtigten Bericht festhält, und ggfs. einen Rechtsstreit vermeidet, und der Versender des Schreibens erhält darüber eine Rückmeldung vom Verlag, die er bei seinen Dispositionen berücksichtigen kann. BGH [21] Die Übermittlung presserechtlicher Informationsschreiben bereits im Vorfeld einer möglichen Presseberichterstattung kann für den Betroffenen von besonderer Bedeutung sein, da sich aufgrund der Schwierigkeit, die für einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch erforderliche Erstbegehungsgefahr konkret darzutun (…), auch durch eine einstweilige Verfügung in der Regel nur der weiteren Verbreitung einer bereits veröffentlichten persönlichkeitsrechtsverletzenden Berichterstattung entgegen wirken lässt. Je länger die Verbreitung angedauert hat, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalt bereits zur Kenntnis genommen und weiterverbreitet worden ist. Dem Interesse des M am Schutz seines Persönlichkeitsrechts korrespondiert das von Art. 12 geschützte Interesse der R, die Rechtsposition ihres Mandanten in der Weise wahrzunehmen, die sie für richtig hält.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass grundsätzlich ein erhebliches Interesse besteht, dass Informationsschreiben möglich sind, so dass die Interessen von M und R das Interesse der V, von Informationsschreiben verschont zu bleiben, überwiegen. Dafür sprechen auch die weiteren Überlegungen des BGH, [22] Zwar verursacht die Übersendung derartiger Schreiben auf Seiten des Empfängers einen gewissen Aufwand und Kosten. Der mit dem Empfang eines Informationsschreibens verbundene Aufwand wird sich jedoch regelmäßig auf dessen Sichtung und Zuordnung beschränken. Darüber hinaus hat es das betroffene Presseunternehmen selbst in der Hand, ob und inwieweit es sich weiter damit befasst… Auch etwaige Kosten halten sich in einem überschaubaren Rahmen. Abgesehen davon liegt die Übersendung derartiger Informationsschreiben auch im Interesse des Presseunternehmens, da sie es ihm aufgrund des mit einer Befassung mit dem Schreiben zu erwartenden Erkenntnisgewinns ermöglicht, Rechtsverletzungen zu vermeiden… Angesichts des Umstands, dass es auch zur Aufgabe der Presse gehört, beabsichtigte Berichterstattungen daraufhin zu überprüfen, ob sie Persönlichkeitsrechte davon Betroffener verletzen würden, kann hierin jedenfalls grundsätzlich nicht der Versuch einer unzulässigen Einflussnahme gesehen werden (…). Der Einwand der V, es handle sich um eine unzulässige Selbstzensur, ist daher unberechtigt.
bb) Diese grundsätzliche Würdigung des Informationsschreibens ist im konkreten Fall aber nur berechtigt, wenn der Inhalt des Schreibens eine Beurteilung zulässt, ob der Beitrag, gegen den es sich richtet, Persönlichkeitsrechte verletzt. Dafür muss der Beitrag und sein wesentlicher Inhalt bezeichnet werden. Das ist beim Schreiben vom 11.5. nicht der Fall. Das Schreiben enthält keine Angaben dazu, welcher gegenwärtige oder künftige Beitrag der Zeitschrift beanstandet wird (insoweit nur „Die Artikel“) und welche Fotos als unzulässig betrachtet werden (insoweit nur „Die Paparazzifotos“); er ermöglicht deshalb keine presserechtliche Prüfung. BGH [23, 24] Eine von den Überlegungen unter aa) abweichende Beurteilung ist geboten, wenn das übersandte Informationsschreiben von vorneherein ungeeignet ist, präventiven Rechtsschutz zu bewirken. Hiervon ist auszugehen, wenn es keine Informationen enthält, die dem Presseunternehmen die Beurteilung erlauben, ob Persönlichkeitsrechte durch eine etwaige Berichterstattung verletzt würden. So verhält es sich im Streitfall. Dem Schreiben lässt sich der Inhalt der von M und R für rechtswidrig gehaltenen Berichterstattung nicht entnehmen. Es wird nicht aufgezeigt, welche Rechtsverletzungen der BUNTEN konkret vorgeworfen werden. Weder wird klar, welche unrichtigen Behauptungen konkret aufgestellt worden sein sollen, noch welche Fotos aus welchen Gründen in rechtswidriger Weise veröffentlicht worden sein sollen. Die Darstellung ist so allgemein gehalten, dass sie V keine Prüfung und Beurteilung des Sachverhalts ermöglicht.
[20] Folglich überwiegt das Interesse der V die schutzwürdigen Belange von M und R. Der Eingriff in das Recht der V am Gewerbebetrieb war rechtswidrig.
4. Die Ansprüche nach § 1004 I 1 und 2 BGB richten sich gegen den Störer.
a) BGH [26] M ist Störer, da er R beauftragt und bevollmächtigt hat, in seinem Namen das Informationsschreiben vom 11. Mai an V zu richten. Zumindest ist davon auszugehen, dass das Informationsschreiben mit Zustimmung des M versandt wurde, so dass es ihm zuzurechnen ist.
b) Auch die Rechtsanwaltskanzlei R könnte für die Störung durch das Informationsschreiben verantwortlich sein. BGH [28, 29] Zwar ist es Aufgabe des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege, die Interessen seines Mandanten unabhängig zu vertreten und wahrzunehmen, um dessen Rechte zu wahren und zu verfolgen. Soweit er sich im Interesse eines Mandanten äußert, wird er nicht als Privatperson tätig, sondern in seiner Funktion als Rechtsanwalt und Vertreter seines Mandanten. Regelmäßig macht er sich Äußerungen im Namen und in Vollmacht seines Mandanten nicht als persönliche zu Eigen. Materiellrechtlich ist in diesen Fällen gegebenenfalls nicht er, sondern sein Mandant als Störer anzusehen.
Im Ausnahmefall kann die Berücksichtigung der Gesamtumstände aber eine persönliche Verantwortung des Rechtsanwalts nahelegen (vgl. BGHZ 208, 119 Rn. 23, unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. R hat sich nicht auf die Vertretung der M und L beschränkt. Vielmehr hat sie bereits im Vorfeld und unabhängig von einer Vertretung eines bestimmten Mandanten für sich selbst in Anspruch genommen, in der von V beanstandeten Art und Weise vorgehen zu dürfen. Sie hat sogar ausdrücklich angeregt, nicht einen konkreten Mandanten, sondern sie selbst zu verklagen. Damit hat sie zum Ausdruck gebracht, für diese Vorgehensweise…persönlich die Verantwortung zu übernehmen.
Somit sind M und R Störer und für den Eingriff verantwortlich.
5. Nach § 1004 I 2 BGB müssen weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sein; der Unterlassungsanspruch hat also grundsätzlich eine Verletzung und eine Wiederholungsgefahr zur Voraussetzung. Zwar kann ein Unterlassungsanspruch auch schon eingreifen, wenn eine Verletzung erstmals droht (bei Erstbegehungsgefahr); diese Variante braucht im vorliegenden Fall aber nicht in Betracht gezogen zu werden, weil bereits eine Verletzung erfolgt ist. R hat - für sich und im Namen des M - erklärt, dass auf solche Schreiben nicht verzichtet werde, was durch das Schreiben vom 11.5. bestätigt wurde. Außerdem indiziert eine bereits vorgenommene Verletzungshandlung, dass die Gefahr einer erneuten Rechtsverletzung droht (BGH NJW 2012, 3781; Mäsch JuS 2019, 589). Somit besteht Wiederholungsgefahr.
IV. Als Rechtsfolge der §§ 1004 I 2, 823 I BGB sind M und R verpflichtet, presserechtliche Informationsschreiben wie das vom 11. 5. künftig zu unterlassen. Die Klage der V wird Erfolg haben.
Zusätzliche Hinweise: Rechtswidrige Eingriffe in das Recht am Gewerbebetrieb sind auch unerbetene E-Mails (BGH NJW 2009, 2958) und die unberechtigte Warnung, der Adressat der Warnung verletze Patente (BGHZ 208, 119, Schutzrechtsverwarnung II). Rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist eine E-Mail mit der Aufforderung zu einer Kundenzufriedenheitserklärung (BGH NJW 2018, 3506; Anm. auf S. 3508, Besprechung JA 2019, 67).
Zusammenfassung