Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Wohnungseigentumsrecht; §§ 1, 15 WEG. Anspruch auf Unterlassung der Nutzung eines Wohnungseigentums/Teileigentums, § 1004 I BGB; Anspruch gegen Mieter. Schutz des Kinderlärms, § 22 I a BImSchG; Ausstrahlungswirkung auf das Privatrecht.

BGH Urteil vom 13.12.2019 (V ZR 203/18) NJW 2020, 1354

Fall
(Eltern-Kind-Zentrum)

A und B sind Eigentümer von Immobilien in einem größeren Gebäude mit Eigentumswohnungen, Büros und Läden. Die Eigentumswohnung des A befindet sich im ersten Stock. Die Räume unmittelbar darunter gehören B und sind in der für die Eigentümer verbindlichen Teilungserklärung als „Laden mit Lager“ bezeichnet. B hat die Räumlichkeiten an den V-Verein, einen eingetragenen Verein vermietet. Dieser betreibt dort ein Eltern-Kind-Zentrum. Montags bis freitags findet am Vormittag ein „Mini-Kindergarten“ für Kinder im Alter zwischen 18 und 36 Monaten statt. Nachmittags veranstaltet V ein „offenes Spielzimmer und offene Spielgruppen“ für Kinder und Familienangehörige mit Kaffee und Kuchen, ferner Zeichenkurse und Musikkurse für Kinder. Es gibt auch einige Veranstaltungen nur für Erwachsene, so montags und freitags ein Kurs „Deutsch als Fremdsprache für Eltern“. Gelegentlich finden Kinderfeiern wie Faschingsfeiern statt.

A verlangt von V, den Betrieb des Eltern-Kind-Zentrums (EKZ) einzustellen. Das EKZ verstoße gegen die Zweckbestimmung in der Teilungserklärung und entwerte das Eigentum an seiner Wohnung. Der Betrieb des EKZ verursache ständigen Lärm durch lautes Sprechen, Rufen, Gelächter, Musik sowie andere Störungen wie den Publikumsverkehr und das Herumrennen der Kinder; diese Störungen brauche er nicht zu dulden. V lehnt die geforderte Schließung ab und beruft sich darauf, dass er in Rechtsbeziehungen nur mit seinem Vermieter B stehe und sich mit A nicht auseinanderzusetzen brauche. Auch gingen die Störungen nicht über das hinaus, womit auch bei einem Laden mit Lager zu rechnen wäre. Überdies sei der Betrieb des EKZ durch die Privilegierung des Kinderlärms im Immissionsschutzrecht geschützt. Dem hält A entgegen, das Immissionsschutzrecht sei öffentlich-rechtlicher Natur und zwischen ihm und V als Privatrechtssubjekte nicht anwendbar. Außerdem gehe das EKZ durch die Einbeziehung von Erwachsenen über eine Einrichtung für Kinder hinaus. Ist der Anspruch des A gegen V begründet?

Lösung

I. Der Anspruch des A auf Einstellung des Betriebs des EKZ könnte sich aus § 15 III Wohnungseigentumsgesetz (WEG) ergeben. Danach kann j eder Wohnungseigentümer einen Gebrauch der im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile und des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen, der dem Gesetz, den Vereinbarungen und Beschlüssen entspricht.

1. A ist Wohnungseigentümer; B Teileigentümer.

a) Nach § 1 II WEG ist Wohnungseigentum (umgangssprachlich auch: Eigentumswohnung) das Sondereigentum an einer Wohnung in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum. Gemeinschaftseigentum sind das Grundstück sowie die Teile, Anlagen und Einrichtungen des Gebäudes, die nicht im Sondereigentum stehen (§ 1 V WEG; z. B. Außenwände, Dach, Treppenhaus, Versorgungsleitungen). Sondereigentum und Anteil am Gemeinschaftseigentum können nicht getrennt werden (§ 6 WEG).

b) Das Sondereigentum des B besteht nicht an einer Wohnung, sondern an einem „Laden mit Lager“. Besteht das Sondereigentum nicht an Räumen mit Wohnzweck (sondern z. B. an Ladengeschäften, Büros, Arztpraxen), handelt es sich um Teileigentum (§ 1 III WEG; „Teileigentum“ ist Parallelbegriff zum „Wohnungseigentum“). Für das Teileigentum gelten die gleichen Vorschriften wie für das Wohnungseigentum (§ 1 VI WEG).

2. § 15 III WEG ist aber keine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch gegen V, weil er nur Rechtsbeziehungen zwischen den Eigentümern regelt (BGH NJW 2020, 921 Rdnr. 12: gilt nur im Innenverhältnis der Eigentümer). V als Dritter wird daraus nicht verpflichtet. Begründung ist, dass § 15 WEG im 2. Abschnitt des WEG überschrieben mit „Gemeinschaft der Wohnungseigentümer“ steht. Auch passt die Rechtsfolge des § 15 III WEG im vorliegenden Fall nicht, nach der ein Gebrauch verlangt werden kann. A verlangt von V keinen Gebrauch, sondern macht geltend, die durch V vorgenommene Nutzung sei unzulässig, und will diese verhindern. Möglicherweise wäre A sogar einverstanden, wenn die Räume leer stünden. Somit ergibt sich aus § 15 III WEG kein Anspruch des A gegen V.

II. Anspruchsgrundlage kann § 1004 I BGB sein, die Grundnorm für die Abwehr von Eigentumsstörungen. Danach kann ein Eigentümer, wenn das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt wird, von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung und künftig Unterlassung der Beeinträchtigung verlangen. A könnte Eigentümer, V Störer im Sinne dieser Vorschrift sein.

1. Zunächst ist zu prüfen, ob § 1004 I BGB auf das Rechtsverhältnis zwischen einem Wohnungseigentümer (A) und einem Mieter (V) als Dritten anwendbar ist, wenn sich der Wohnungseigentümer auf eine Nutzungsregelung in der Teilungserklärung beruft und deren Beachtung von dem Mieter verlangt. Ähnlich wie bei § 15 WEG könnte sich die Bedeutung der Nutzungsregelung in der Teilungserklärung auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Eigentümern beschränken. Dann würde die Nutzungsregelung nur zwischen A und B gelten und nicht gegenüber V. Dementsprechend wäre der Einwand des V zutreffend, für ihn gelte nur der mit B geschlossene Mietvertrag.

Die Frage, ob ein Wohnungseigentümer gegen den Mieter einer Wohnungs- oder Teileigentumseinheit, der diese entgegen ihrer Zweckbestimmung nutzt, einen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch hat, wurde von BGH NJW 2020, 921 ausführlich behandelt (so dass der BGH im vorliegenden Fall unter [6] nur darauf verweist). Im dortigen Fall war das Teileigentum als „Laden“ zugelassen, der Mieter benutzte es aber als Eisdiele mit Bestuhlung, also als Gastronomiebetrieb. Nach Auffassung des BGH ist auch der Mieter an die Zweckbestimmung in der Teilungserklärung gebunden. LS b) der Entscheidung lautet: „Die Wohnungseigentümer haben gegen den Mieter einer Wohnungs- oder Teileigentumseinheit im Falle einer Nutzung, die der in der Teilungserklärung für diese Einheit getroffenen Zweckbestimmung widerspricht, einen Unterlassungsanspruch aus §1004 I BGB.“ Zur Begründung hat der BGH ausgeführt:

a) Ein Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch besteht zunächst dann, wenn der Mieter durch die zweckwidrige Nutzung in das Sondereigentum eines anderen Wohnungseigentümers oder in das gemeinschaftliche Eigentum eingreift (NJW 2020, 921 Rdnr. 12), z. B. seinen Pkw unzulässig in der gemeinsamen Einfahrt parkt. Zu dieser Benutzung wäre sein Vermieter der Wohnungseigentümergemeinschaft gegenüber nicht berechtigt. Da dessen Mieter keine weitergehenden Rechte haben kann, ist er ebenfalls zur Unterlassung verpflichtet.

b) Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Mieter ohne direkten Eingriff in fremdes oder das gemeinschaftliche Eigentum das seinem Vermieter zustehende Teileigentum zweckwidrig nutzt, beispielsweise einen Laden als Eisdiele, und dadurch Störungen entstehen. Der BGH geht davon aus, dass das Wohnungs- und Teileigentum echtes Eigentum i. S. des § 903 BGB ist (NJW 2020, 921 Rdnr. 18), jedoch mit der Besonderheit, dass es in der Teilungserklärung oder durch Vereinbarungen der Wohnungseigentümer inhaltlich ausgestaltet werden kann. BGH NJW 2020, 921 Rdnr. 18: Die Beschränkung der Rechte aus dem Sondereigentum vermittelt den übrigen Sondereigentümern spiegelbildlich als Inhalt ihres Sondereigentums und des Miteigentums am Grundstück das Recht, ihr Sondereigentum unter Ausschluss eines zweckwidrigen Gebrauchs einer anderen Einheit zu nutzen. Die der Zweckbestimmung widersprechende Nutzung einer Sondereigentumseinheit stellt sich damit als (mittelbare) Beeinträchtigung des Eigentums aller Wohnungseigentümer dar, und zwar auch dann, wenn sie nicht durch den Sondereigentümer, sondern durch dessen Mieter erfolgt. Diese Beeinträchtigungen müssen die Wohnungseigentümer nicht dulden, selbst wenn der Mieter vertraglich im Verhältnis zu seinem Vermieter zu einer solchen Nutzung berechtigt ist. Folglich ist § 1004 I BGB im Verhältnis des A zu V anwendbar.

2. § 1004 I Satz 1 BGB ist anzuwenden, wenn der Eigentümer die Beseitigung einer Beeinträchtigung verlangt. Die Rechtsfolge des § 1004 I Satz 2 BGB ist auf Unterlassung künftiger Beeinträchtigungen gerichtet. Da das EKZ als Störungsquelle vorhanden ist, könnte die von A verlangte Einstellung als Beseitigung i. S. des Satzes 1 verstanden werden. Letztlich verlangt A aber das Unterbleiben von künftigen Störungen, das eher einer Unterlassung gleicht. Der BGH spricht in NJW 2020, 921 (vgl. den oben bei 1. wiedergegebenen Leitsatz) und im vorliegenden Fall durchgehend von Unterlassen, [5, 10, 17, 29, 33]. Da die Einordnung des Anspruchsbegehrens des A in Satz 1 oder Satz 2 oder in beide für die weitere Prüfung keine Bedeutung hat, bleibt die Einordnung offen und nur auf § 1004 I BGB abgestellt.

III. Voraussetzung für § 1004 I BGB ist, dass V durch eine zweckwidrige Nutzung des Sondereigentums des B das Wohnungseigentum des A beeinträchtigt.

1. Ein Eingriff in die Substanz des Wohnungseigentums des A erfolgt nicht. A macht geltend, das Eigentum an seiner Wohnung werde entwertet. Das reicht jedoch als Beeinträchtigung nicht aus. Der Wert einer Sache wird nicht über das Eigentum geschützt. Ebenso wie ein Eigentümer für Wertsteigerungen keinen Ausgleich zahlen muss, erhält er allein durch eine Wertminderung auch keinen Anspruch auf Entschädigung oder Unterlassung.

2. Eine Beeinträchtigung könnte darin liegen, dass V gegen die Zweckbestimmung in der Teilungserklärung verstößt mit der Folge der von A beanstandeten Störungen.

a) Die von V betriebene Benutzung der Räume entspricht nicht der Zweckbestimmung in der Teilungserklärung. Das EKZ ist weder ein Laden noch ein Lager.

b) Die Zweckbestimmung ist zwar verbindlich (als Gebrauchsregelung nach § 15 I WEG, BGH [6]), hat aber keine Gesetzeskraft. Ihr Sinn und Zweck geht nicht dahin, zu einer bestimmten Nutzung des Teileigentums zu verpflichten, sondern soll die Miteigentümer vor unerwarteten Störungen bewahren. Mit diesem Zweck wäre es nicht vereinbar, den Gebrauch einer Eigentumswohnung oder eines Teileigentums zu untersagen, wenn der praktizierte Gebrauch zu keinen stärkeren Störungen führt als der gestattete. BGH [10] Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kann sich eine - wie hier - nach dem vereinbarten Zweck ausgeschlossene Nutzung als zulässig erweisen, wenn sie bei typisierender Betrachtungsweise nicht mehr stört als die vorgesehene Nutzung. Entscheidend ist, dass eine anderweitige Nutzung die übrigen Wohnungseigentümer nicht über das Maß hinaus beeinträchtigt, das bei einer Nutzung zu dem vereinbarten Zweck typischerweise zu erwarten ist (BGH NJW 2016, 53; BGHZ 216, 333). Auf diese Einschränkung des Unterlassungsanspruchs kann sich auch ein Mieter berufen, dem ein Wohnungseigentümer die Nutzung überlassen hat.

Methodisch begründet der BGH das damit, dass der Fall einer anderen, nicht stärker störenden Nutzung bei Abgabe der Teilungserklärung nicht bedacht worden ist, dass somit eine Regelungslücke vorliegt, die durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen ist. [10] Eine solche Lösung ist nach den Grundsätzen einer ergänzenden Vertragsauslegung gerechtfertigt. Eine solche ist sowohl bei der Auslegung von Vereinbarungen der Wohnungseigentümer als auch bei der Auslegung von einseitigen Willenserklärungen möglich, zu denen die Teilungserklärung nach § 8 WEG zählt. Weist diese eine Lücke auf, kann sie nach den Regeln der ergänzenden Auslegung geschlossen werden, wenn sich bei der gebotenen objektiven Auslegung…ein bestimmter hypothetischer Wille des teilenden Eigentümers feststellen lässt. Hierfür ist darauf abzustellen, welche Regelung der teilende Eigentümer bei einer angemessenen Abwägung der berührten Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise getroffen hätte, wenn er den von ihm nicht geregelten Fall bedacht hätte (vgl. BGHZ 160, 354, 357 ff.). Der hypothetische Wille bei einer Teilungserklärung geht bei der Zweckbestimmung grundsätzlich nicht dahin, den Wohnungs- und Teileigentümern eine bestimmte Gestaltung ihres Privat- oder Berufslebens vorzugeben und das ihnen gemäß Art. 14 GG i. V. m. § 13 Abs. 1 WEG zustehende Recht zur Nutzung ihres Eigentums über Gebühr einzuschränken. Vielmehr soll in erster Linie das Maß der hinzunehmenden Störungen festgelegt werden (…). Solange dieses Maß eingehalten wird, fehlt es in der Regel ebenso wie bei einer der Zweckbestimmung entsprechenden Nutzung an einem schutzwürdigen Abwehrinteresse der anderen Wohnungseigentümer.

c) Somit ist das Ausmaß der Störungen zu bestimmen, die einerseits bei einem Laden mit Lager typischerweise entstehen und die andererseits durch das EKZ verursacht werden. BGH [11] Unter einem Laden mit Lager werden Geschäftsräume verstanden, in denen ständig Waren zum Verkauf dargeboten werden und bei denen der Charakter einer Verkaufsstätte im Vordergrund steht (…). Es handelt sich um Räumlichkeiten, in denen sich Personal aufhält, während der Öffnungszeiten Kunden ein- und ausgehen, Waren angeliefert werden und die von Kunden sowie Lieferanten mit Fahrzeugen angefahren werden. Bei dem EKZ finden ähnliche Aktivitäten statt. Zusätzlich gibt es bei diesem aber Geräusche, die von den dort typischerweise stattfindenden gemeinsamen Aktivitäten der Kinder und ihrer Familienangehörigen ausgehen und regelmäßig konzentrierter und lauter sind, als dies bei einer Verkaufsstätte zum Vertrieb von Waren üblicherweise zu erwarten ist. Diese zusätzlichen Störungen könnten den Schluss zulassen, dass die Störwirkung des EKZ größer ist als die eines Ladens mit Lager.

3. Die unter c) a. E. vorgenommene Einbeziehung der bei dem EKZ auftretenden zusätzlichen Geräusche in den Vergleich zwischen Laden/Lager und EKZ könnte aber gegen § 22 I a BImSchG verstoßen und deshalb unzulässig sein. Nach dieser Vorschrift sind Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädlichen Umwelteinwirkungen. Eine Anwendung dieser Vorschrift könnte dazu führen, dass bestimmte von dem EKZ ausgehenden Störungen zugunsten des V außer Betracht bleiben.

a) Hierfür müsste § 22 I a BImSchG zwischen A und V anwendbar sein, was A wegen der öffentlich-rechtlichen Natur dieser Vorschrift verneint. A ist zuzugeben, dass zwischen Privatrechtssubjekten wie A und V grundsätzlich Privatrecht anwendbar ist, während das öffentliche Recht, insbesondere das zum Verwaltungsrecht gehörende BImSchG, die Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Staat regelt. Jedoch bestehen zwischen beiden Rechtsgebieten Verbindungen. Einerseits beziehen sich die zum öffentlichen Recht (Staatsrecht) gehörenden Grundrechte des Art. 6 GG und des Art. 14 GG auf die privatrechtlich im BGB geregelten Rechtsinstitute der Ehe und des Eigentums. In zahlreichen anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften und vor allem im Strafrecht wird auf das Eigentum, den Besitz und andere private Rechte abgestellt. Andererseits haben im Privatrecht die Grundrechte Ausstrahlungswirkung auf die Auslegung der Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe (BVerfGE 7, 198; JZ 2019, 1103; Ruffert JuS 2020, 1). Als Schutzgesetze i. S. des § 823 II BGB kommen auch öffentlich-rechtliche Vorschriften in Betracht. Für die Konstellation im vorliegenden Fall stellt der BGH die Verbindung beider Rechtsgebiete dadurch her, dass er dem §§ 22 I a BImSchG - ähnlich wie Grundrechten - Ausstrahlungswirkung auf privatrechtliche Rechtsbeziehungen zuerkennt. Der Schutzzweck des § 22 I a BImSchG erfordert, dass Kinderlärm nicht nur im Verhältnis zu staatlichen Behörden, sondern auch gegenüber Abwehransprüchen Privater privilegiert ist. BGH [12, 13] § 22 Abs. 1 a Satz 1 BImSchG hat nicht nur Bedeutung für das öffentlich-rechtliche Immissionsschutzrecht. Vielmehr kommt der Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers eine Ausstrahlungswirkung auch auf das Zivilrecht einschließlich des Wohnungseigentumsrechts zu…(vgl. BT-Drucks. 17/4836 S. 7; siehe auch BGH NJW-RR 2012, 1292 Rn. 11; BGHZ 205, 177 Rn. 27, Mietminderung wegen Bolzplatz). Somit ist § 22 I a BImSchG zwischen A und V anwendbar und kann dazu führen, dass die nach dieser Vorschrift privilegierten Geräuscheinwirkungen bei der Frage, ob eine Nutzung mehr stört als eine nach der Teilungserklärung vorgesehene, außer Betracht bleiben müssen.

b) Es müssten die Voraussetzungen des § 22 I a BImSchG erfüllt sein.

aa) Das EKZ ist eine Art Kindertagesstätte, zumindest eine ähnliche Einrichtung, weil sie Kindern tagsüber Unterkunft, Beschäftigung und Förderung gewährt. Nach BGH [18-21] darf der Begriff der Kindertageseinrichtung bzw. einer ähnlichen Einrichtung nicht eng gefasst werden. Nur ein offenes Verständnis entspricht dem gesetzgeberischen Ziel, durch § 22 Abs. 1 a BImSchG eine Privilegierungsregelung von grundsätzlicher Natur zu schaffen, und vor dem Hintergrund, dass Kinderlärm unter einem besonderen Toleranzgebot der Gesellschaft steht, ein klares gesetzgeberisches Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft zu setzen (vgl. BT-Drucks. 17/4836 S. 1, 4 u. 7). Unter Beachtung dieses gesetzgeberischen Ziels handelt es sich bei dem EKZ um eine Kindertageseinrichtung i. S. d. § 22 Abs. 1 a BImSchG bzw. jedenfalls um eine „ähnliche Einrichtung“.

bb) Die von A beanstandeten vom EKZ ausgehenden Emissionen sind in erster Linie Geräuscheinwirkungen durch Kinder.

cc) Allerdings gehen Einwirkungen auch von Eltern und anderen Erwachsenen aus. BGH [22, 23] Dass ein nicht unerheblicher Teil der Veranstaltungen nicht ausschließlich an Kinder gerichtet ist, sondern die Beteiligung von Familienmitgliedern einschließt (offenes Spielzimmer und offene Spielgruppen) und damit auch den Austausch der Eltern untereinander fördern soll, ändert an dem Vorliegen einer Einrichtung i. S. d. § 22 Abs.1 a BImSchG nichts. Geschützt werden gerade auch neue Angebotsformen, die über die traditionelle Kinderbetreuung hinaus gehen.…Auch dass bei einigen Veranstaltungen (offenes Spielzimmer, offene Spielgruppen und unregelmäßige Kinderfeiern wie Faschingsfeiern) das für Kindertageseinrichtungen konstituierende Merkmal der Förderung (…) weniger im Vordergrund steht, ist unschädlich. Hinsichtlich dieser Angebote handelt es sich bei dem Eltern-Kind-Zentrum jedenfalls um eine „ähnliche Einrichtung“ wie einen Kinderspielplatz. Solche Einrichtungen, die auf spielerische oder körperlich-spielerische Aktivitäten von Kindern zugeschnitten sind, werden gleichermaßen von § 22 Abs. 1 a BImSchG geschützt (…). Ebenso wie bei Kinderspielplätzen ist hierbei die Anwesenheit von Familienangehörigen zur Beaufsichtigung und Betreuung die Regel.

dd) Soweit V Angebote ausschließlich an Eltern richtet, wie dies bei dem zweimal wöchentlich stattfindenden Kurs „Deutsch als Fremdsprache“ der Fall ist, kommt ihnen im Vergleich zu den an die Kinder alleine bzw. an diese zusammen mit ihren Eltern gerichteten Angeboten, die zeitlich und von ihrer Bedeutung her im Mittelpunkt der Tätigkeit des V stehen, nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie nehmen dem EKZ nicht die Eigenschaft als Einrichtung i. S. d. § 22 Abs.1 a BImSchG.

c) Folge dieser Überlegungen ist, BGH [25]: Soweit die Angebote des V an die Kinder und teilweise gleichzeitig an die Eltern, Großeltern etc. gerichtet sind, müssen die hiermit im Zusammenhang stehenden Geräuscheinwirkungen wegen der Ausstrahlungswirkung des § 22 Abs. 1 a BImSchG insgesamt außer Betracht bleiben. Aufgrund der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise ist von dem im Gesetz angeordneten „Regelfall“ auszugehen, dass solche Einwirkungen - ungeachtet von im Einzelfall möglichen Abweichungen - keine schädliche Umwelteinwirkung darstellen. Hierbei ist zu beachten, dass unter die durch Kinder hervorgerufenen Geräuscheinwirkungen nicht nur solche fallen, die durch kindliche Laute wie Sprechen und Singen, Lachen und Weinen, Rufen, Schreien und Kreischen, durch körperliche Aktivitäten wie Spielen, Laufen, Springen und Tanzen, durch kindgerechte Spielzeuge, Spielbälle und Spielgeräte sowie Musikinstrumente hervorgerufen werden. Vielmehr gilt § 22 Abs. 1 a BImSchG auch für die durch die Betreuung der Kinder bedingten Geräuscheinwirkungen wie Sprechen und Rufen von Betreuerinnen und Betreuern (…). Nachdem die Aufgaben der Kinderbetreuung zulässigerweise auch von Familienangehörigen wahrgenommen werden, handelt es sich auch bei den von diesen im Rahmen der Betreuung ausgehenden Geräuscheinwirkungen um mittelbar von Kindern verursachte und deshalb gemäß § 22 Abs. 1 a BImSchG privilegierte Emissionen.

BGH [28, 29] Damit verbleiben als mögliche Beeinträchtigungen, durch die A mehr als durch einen Laden mit Lager gestört werden könnte, nur noch die ausschließlich an Erwachsene gerichteten Angebote des V. Von diesen gehen jedoch keine Störungen aus, die die eines Ladens mit Lager übersteigen. Ebenso wenig geht bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise der mit dem Betrieb des EKZ verbundene Publikumsverkehr über das hinaus, was bei dem Betrieb eines Ladens mit Lager regelmäßig zu erwarten ist.

4. BGH [24] Unter Berücksichtigung der Ausstrahlungswirkung des § 22 Abs. 1 a BImSchG auf das Wohnungseigentumsrecht stört das von V betriebene EKZ nicht mehr als die nach der Teilungserklärung vorgesehene Nutzung als Laden mit Lager. Folglich verstößt die Nutzung der Räume des B durch V nicht gegen deren Zweckbestimmung und bedeutet keine Beeinträchtigung des Eigentums des A.

Ergebnis: A hat keinen Anspruch aus § 1004 I BGB. Der von A gegen V erhobene Anspruch auf Einstellung des EKZ ist nicht begründet.


Zusammenfassung