Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Mietrecht, § 535 BGB. ► Ordentliche Kündigung, § 542 I BGB; Kündigungsausschluss. ► Kündigungsausschluss als Allgemeine Geschäftsbedingung, §§ 305, 307 BGB. ► Mietverhältnis über Wohnraum, § 549 BGB. ► Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund, § 543 BGB. ► Verwendungsrisiko beim Mietvertrag
BGH Urteil vom 23.10.2019 (XII ZR 125/18) NJW 2020, 331 (für BGHZ vorgesehen)
Fall (Flüchtlingsunterkunft)
Am 26.1.2016 mietete die Stadt S von V, der über mehrere Wohngebäude verfügt, ein Wohnhaus. Nach § 1 des Mietvertrages (MV) beabsichtigte S, in dem Haus bis zu 14 Personen unterzubringen, die ihr als Flüchtlinge zugewiesen werden. Nach § 2 MV beträgt die Miete monatlich 2.645 Euro. § 4 MV bestimmt, dass das Recht beider Mietparteien zur ordentlichen Kündigung für die Dauer von 60 Monaten ab Abschluss des Vertrages ausgeschlossen wird. Für den Vertragstext wurde ein von V vorgelegtes, mit „Mietvertrag über Wohnräume“ überschriebenes Formular verwendet, in das die Zahl „60“ an der in dem Formular vorgegebenen Stelle handschriftlich eingefügt war.
In der Folgezeit wurden der Stadt S aufgrund des Rückgangs der Flüchtlingszahlen keine Flüchtlinge mehr zugewiesen, so dass das Haus zu keiner Zeit belegt war. Im April 2017 erklärte die Stadt S gegenüber V die fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung des Mietverhältnisses. Zur Begründung machte S geltend, V habe auf der langen Kündigungsfrist bestanden und die Zahl „60“ einseitig in § 4 des Formulars eingetragen, was eine zur Unwirksamkeit des § 4 MV führende unangemessene Benachteiligung der S sei. Vor allem aber hätten sich mit dem Rückgang der Flüchtlingszahlen die Verhältnisse in nicht vorhersehbarer Weise geändert, so dass der vereinbarte Zweck nicht mehr erreicht werden könne. V lehnte eine Zustimmung zu der Kündigung ab. Zum Zustandekommen des § 4 MV widerspricht V dem Vorbringen der S und trägt vor, er habe die Frist erst eingetragen, nachdem sie zwischen ihm und der Vertreterin der Stadt abgesprochen worden sei. Im Juli 2017 forderte S den V auf, einer - im Einzelnen näher berechneten - Mietherabsetzung zuzustimmen, weil die vereinbarte Miete die ortsübliche Wohnungsmiete um mehr als 30 % übersteige. V lehnte die Herabsetzung der Miete ab und verwies darauf, dass die in § 2 MV vereinbarte Miete der damals für Flüchtlingsunterkünfte üblichen Miete entsprochen habe. Unter Berufung auf die Weigerung des V erklärte S im August 2017 erneut die Kündigung und stellte die Mietzahlungen ein. V verlangt Weiterzahlung der Miete bis zum Ablauf der in § 4 MV vereinbarten Frist. Zu Recht?
Lösung
Vorbemerkungen: Im Originalfall überstieg die vereinbarte Miete die ortsübliche Wohnungsmiete um 112 %. Dieser Betrag wurde im Sachverhalt herabgesetzt, weil auf der Basis 112 % Kandidaten bei einer Klausurlösung schnell zu einem wucherähnlichen Geschäft i.S. d. § 138 Abs. 1 BGB kommen und sich damit den Zugang zu den Problemen des Falles nehmen könnten, wenn sie – unzutreffend – als Vergleichswert auf die ortsübliche Wohnungsmiete abstellen. Richtigerweise wäre auf die Miete für vergleichbare Flüchtlingsunterkünfte abzustellen (BGH a. a. O., Rn. 41; vgl. dazu auch noch unten C II 2), hierzu fehlte es im Originalfall aber an ausreichendem Sachvortrag der Parteien.
A. Nach § 535 II BGB ist der Mieter zur Zahlung der vereinbarten Miete verpflichtet. Diese Vorschrift in Verbindung mit dem Mietvertrag ist Anspruchsgrundlage für den Anspruch des Vermieters auf Mietzahlung. Zwischen V als Vermieter und S als Mieterin wurde am 26.1.2016 ein Mietvertrag geschlossen. Danach kann V von S die Zahlung einer Monatsmiete in Höhe von 2.645 Euro bis zum Ende der Laufzeit des Vertrages verlangen.
B. Der Mietzahlungsanspruch erlischt für die Zukunft, wenn S das Mietverhältnis im April 2017 wirksam gekündigt hat.
I. In Betracht kommt eine ordentliche Kündigung nach § 542 I BGB. Nach dieser Vorschrift kann, wenn die Mietzeit nicht bestimmt ist, jede Vertragspartei das Mietverhältnis nach den gesetzlichen Vorschriften kündigen. Im Mietvertrag zwischen V und S ist die Mietzeit nicht bestimmt. § 4 MV enthält keine Mitzeitbestimmung, weil kein Ende der Mietzeit vereinbart wurde, sondern lediglich ein befristeter Kündigungsausschluss. Demnach wäre nach § 542 BGB eine ordentliche Kündigung grundsätzlich möglich.
Der Kündigung könnte aber der Kündigungsausschluss nach § 4 MV entgegenstehen. Ein rechtswirksamer Kündigungsausschluss hat zur Folge, dass während dieser Zeit das Mietverhältnis nicht ordentlich kündbar ist. Grundsätzlich ist die Vereinbarung eines Kündigungsausschlusses aufgrund der Vertragsfreiheit (§ 311 I BGB) zulässig und rechtswirksam. § 4 MV könnte aber als Allgemeine Geschäftsbedingung nach §§ 307 ff. BGB unwirksam sein.
1. Dann müsste es sich bei § 4 MV um eine AGB handeln. Nach § 305 I BGB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Dabei ist gleichgültig, ob die Bestimmungen einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrags bilden oder in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen werden. Nach § 305 I 3 BGB liegen AGB nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt wurden.
a) Nach dem Vortrag der Stadt S wurde b eim Vertragsschluss ein von V vorgelegtes, mit „Mietvertrag über Wohnräume“ überschriebenes Formular verwendet, das den § 4 MV vorformuliert enthielt. Da V über mehrere Wohngebäude verfügt, kann davon ausgegangen werden, dass V das Formular auch in anderen Fällen verwendet. V hat die Kündigungsfrist einseitig eingefügt, so dass es sich auch bei der Fristangabe um eine vorformulierte, von V der S als Vertragspartei gestellte Vertragsbedingung handelt. Danach ist § 4 MV eine AGB.
b) Demgegenüber trägt V vor, er habe die Frist erst eingetragen, nachdem sie zwischen ihm und der Vertreterin der Stadt abgesprochen worden sei. Danach ist § 4 MV i. S. des § 305 I 3 BGB ausgehandelt worden und ist keine AGB.
Eine Entscheidung darüber, wessen Vortrag zutreffend ist, ist nach dem Sachverhalt nicht möglich. Auf die danach offene Frage kommt es aber nicht an, wenn § 4 MV nach beiden Auffassungen rechtswirksam ist.
2. Nach dem Vortrag des V (vorstehend b) ist § 4 MV keine AGB, sondern eine Individualvereinbarung über einen fünfjährigen Kündigungsausschluss. Gegen eine Vereinbarung, die dem Vermieter für diese Zeit die Miete und dem Mieter den Besitz an der Mietsache sichert, bestehen keine Bedenken. BGH [17] Nimmt man mit dem BerGer. an, dass der in § 4 des Mietvertrags geregelte Kündigungsausschluss zwischen den Mietvertragsparteien individualvertraglich vereinbart wurde, steht die Wirksamkeit dieser Klausel außer Frage. Der BGH hat bereits mehrfach entschieden, dass…die Vertragsparteien die ordentliche Kündigung im Wege der Individualvereinbarung für sehr lange Zeit (vgl. BGH NJW 2004, 1448 f. für einen 5-jährigen Kündigungsausschluss; NJW 2011, 59 Rn. 25 für einen 10-jährigen Kündigungsausschluss und NJW 2013, 2820 Rn. 15 ff. für einen bis zu 13-jährigen Kündigungsausschluss) oder in den Grenzen des § 138 BGB sogar dauerhaft ausschließen können (vgl. BGH NJW-RR 2018, 843 Rn. 16).
3. Handelt es sich bei § 4 MV um eine AGB (oben 1a), ist deren Rechtswirksamkeit nach §§ 307 ff. BGB zu prüfen. Einer der Fälle des § 308 BGB (Klauselverbot mit Wertungsmöglichkeit) oder des § 309 BGB (Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit) liegt nicht vor. Zwar behandelt § 309 Nr. 9 BGB die Laufzeit von Verträgen, jedoch nur von Verträgen, die die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen zum Gegenstand haben, nicht jedoch von Mietverträgen. Unwirksamkeitsgrund kann deshalb nur die Generalnorm des § 307 BGB sein. Deren Absätze I und II sind nach § 307 III anwendbar, weil der Kündigungsausschluss eine von § 542 BGB abweichende Vorschrift ist.
Nach § 307 I 1 BGB ist eine AGB-Bestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders unangemessen benachteiligt. Aus § 307 II Nr. 1 BGB ergibt sich keine unangemessene Benachteiligung, weil eine längere Bindung bei einem Mietverhältnis mit dem Grundgedanken dieses Dauerschuldverhältnisses vereinbar ist, auch nicht aus § 307 II Nr. 2 BGB, weil Rechte oder Pflichten aus dem Mietvertrag durch einen Kündigungsausschluss nicht eingeschränkt werden. Die Frist von fünf Jahren könnte aber zu lang und deshalb unangemessen sein.
a) Der BGH [19] hat entschieden, dass ein formularvertraglich vereinbarter Kündigungsausschluss, der die Dauer von vier Jahren übersteigt, den Mieter entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt und daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist (vgl. BGH NJW 2015, 3780 Rn. 19;…). Diese Entscheidungen bezogen sich jedoch auf den Bereich der Wohnungsmiete. Ihnen liegt die Erwägung zugrunde, dass das Mobilitätserfordernis des Mieters in der heutigen Zeit der Zulässigkeit einer längerfristigen Bindung an ein Mietverhältnis entgegensteht… Auch sieht die Regelung der Staffelmiete in § 557 a III BGB vor, dass das Kündigungsrecht des Mieters für die Dauer von höchstens vier Jahren ausgeschlossen werden kann. Dieser Vorschrift kann die gesetzliche Wertung entnommen werden, dass die Bindung eines Mieters an einen Mietvertrag, der die Dauer von vier Jahren - gerechnet vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Mieter den Vertrag erstmals beenden kann - nicht überschreitet, diesen nicht i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt (vgl. BGH NJW 2011, 597 Rn. 15 m. w. N.). Liegt dagegen eine darüber hinausgehende Bindung des Mieters einer Wohnung vor, bedeutet das eine unangemessene Benachteiligung.
b) Auf den vorliegenden Fall lässt sich das dann übertragen, wenn der Mietvertrag zwischen V und S ein Vertrag über Wohnraum (vgl. § 549 I BGB) ist. BGH [21] Das hier zur Beurteilung stehende Vertragsformular ist zwar als „Mietvertrag über Wohnräume" überschrieben… Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Mietverhältnis über Wohnraum vorliegt, ist jedoch auf den Zweck abzustellen, den der Mieter mit der Anmietung des Mietobjekts vertragsgemäß verfolgt (vgl. BGHZ 202, 39 Rn. 21 und 94, 11). Wohnraummiete liegt vor, wenn die Räume dem Mieter vertragsgemäß zur Befriedigung seiner eigenen Wohnbedürfnisse und/oder der Wohnbedürfnisse seiner Familie dienen (Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht 14. Aufl., vor § 535 Rn. 94). Erfolgt die Vermietung zu Zwecken, die keinen unmittelbaren Wohnraumcharakter haben, ist hingegen allgemeines Mietrecht maßgebend (vgl. BGHZ 202, 39 Rn. 28).
[23] Im vorliegenden Fall hat die Stadt S die Immobilie angemietet, um dort den Wohnbedarf der ihr zugewiesenen Flüchtlinge decken zu können. Der Zweck der Anmietung war deshalb nicht darauf gerichtet, selbst die Räume zu Wohnzwecken zu nutzen, zumal eine juristische Person keinen eigenen Wohnbedarf haben kann (Schmidt-Futterer/Blank vor § 535 Rn. 94). Der vertragsgemäße Gebrauch der Beklagten bezog sich vielmehr darauf, die angemieteten Räumlichkeiten zugewiesenen Flüchtlingen zu Wohnzwecken überlassen zu dürfen.
Somit lässt sich die unter a) dargestellte Rspr. nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. [25] Bei Formularverträgen über allgemeine Mietverhältnisse hat der BGH eine mehrjährige Bindung für sich genommen nicht als unangemessene Benachteiligung des anderen Teils gewertet. Mietverträge sind als typische Dauerschuldverhältnisse regelmäßig auf eine längere Laufzeit angelegt; gesetzliche Bestimmungen, welche die Länge der Vertragsdauer beschränken, gibt es nicht (…). Aus der Regelung in § 544 BGB kann vielmehr geschlossen werden, dass außerhalb von Wohnraummietverhältnissen für Mietverträge auch Laufzeiten von über 30 Jahren vereinbart werden können. Anders als beim Mieter von Wohnraum besteht bei der Stadt S auch kein Mobilitätsinteresse, das eine Beschränkung der Dauer des Kündigungsausschlusses auf vier Jahre rechtfertigen könnte… Deshalb wird die Stadt S durch eine Bindung an den Mietvertrag für die Dauer von 60 Monaten nicht unangemessen benachteiligt i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
4. Folglich ist die Kündigungsausschlussklausel des § 4 MV sowohl als Individualvereinbarung wie auch als AGB rechtswirksam. Die ordentliche Kündigung durch S im April 2017 verstieß gegen § 4 MV, war deshalb unwirksam und hat das Mietverhältnis nicht beendet.
II. Soweit S geltend macht, die Verhältnisse hätten sich in nicht vorhersehbarer Weise geändert, könnte damit eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund (§ 543 BGB) begründet werden. Da einer der Fälle des § 543 II BGB nicht vorliegt, kommt § 543 I 1, 2 BGB in Betracht. Danach ist erforderlich, dass der kündigenden Stadt S unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
1. S beruft sich darauf, dass wegen der veränderten Umstände der in § 1 MV enthaltene Zweck des Mietvertrages nicht mehr erreicht werden könne. Der in § 1 MV aufgeführte Zweck betrifft die Verwendung der Mietsache. Ob die Mietsache so verwendet werden kann, wie der Mieter - ggfs. mit Zustimmung des Vermieters - das beabsichtigt, fällt in die Risikosphäre des Mieters; dieser trägt das Verwendungsrisiko. Es gilt Gleiches wie beim Erwerb einer Kaufsache oder bei einer durch Werkvertrag erworbenen Sache, bei denen jeweils der Käufer bzw. Besteller das Verwendungsrisiko trägt.
2. Allerdings können die Parteien die Verwendung zu einem gemeinsamen Zweck erheben. Dafür reicht aber § 1 MV nicht aus. Die dort festgelegte Nutzungsart lag allein im Interesse der S und der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe, Flüchtlinge unterzubringen. Auch hatte V keinen Einfluss darauf, ob und wie Flüchtlinge der S zugewiesen und in dem Haus untergebracht wurden, es war nicht einmal gesichert, dass er davon Kenntnis erhielt.
3. Zu den Überlegungen unter 1. und 2. genauer BGH [32-36] Nach st. Rspr. trägt im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache (BGH NJW 2016, 311 Rn. 33 m. w. N.). Allerdings können die Parteien die Risikoverteilung vertraglich ändern und vereinbaren, dass der Vermieter das Verwendungsrisiko des Mieters - ganz oder zum Teil - übernimmt. Ob das der Fall ist, ist durch Auslegung der getroffenen Vertragsvereinbarungen zu ermitteln…
Zwar dürften die Vertragsparteien bei Abschluss des Mietvertrags die gemeinsame Vorstellung gehabt haben, dass das Mietobjekt zur Unterbringung von Flüchtlingen dienen sollte. Ebenso wird man davon ausgehen können, dass der streitgegenständliche Mietvertrag von S nicht oder jedenfalls nicht mit einem auf 60 Monaten befristeten Kündigungsverzicht abgeschlossen worden wäre, wenn sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits mit einem starken Rückgang der Flüchtlingszahlen gerechnet hätte. Etwaige gemeinsame Vorstellungen der Parteien über die zukünftige Nutzung des Mietobjekts reichen jedoch ebenso wenig wie die Erwartung hinsichtlich der Anzahl von unterzubringenden Flüchtlingen aus, um abweichend vom gesetzlichen Leitbild des Mietvertrags eine Verlagerung des Verwendungsrisikos auf V zu rechtfertigen… Hätten die Vertragsparteien die Bindungswirkung des Vertrags vom tatsächlichen Bedarf an Wohnraum für zugewiesene Flüchtlinge abhängig machen wollen, hätte es nahegelegen, durch eine entsprechende Vertragsgestaltung hierfür Vorsorge zu treffen (vgl. etwa BGH NJW-RR 2003, 152). Von einer solchen Möglichkeit haben die Vertragsparteien jedoch keinen Gebrauch gemacht… Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der von S erklärten Kündigung eine Belegung der Mieträume während der Geltungsdauer des vereinbarten Kündigungsverzichts trotz des Rückgangs der Flüchtlingszahlen nicht völlig ausgeschlossen war. Zum einen bestand die Möglichkeit, dass S noch Flüchtlinge zur Aufnahme zugewiesen werden. Zum anderen lässt es die Richtlinie zum Sonderprogramm zur finanziellen Unterstützung der Städte und Gemeinden… auch zu, dass der von einer Gemeinde angemietete Wohnraum bei Bedarf sonstigen Personen mit besonderen Problemen beim Zugang zum Wohnungsmarkt zur Verfügung gestellt wird. Hat sich damit durch den Rückgang der Flüchtlingszahlen nur das Verwendungsrisiko der S verwirklicht, steht ihr unter diesem Gesichtspunkt kein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrags nach § 543 Abs. 1 BGB zu.
Durch die Kündigung im April 2017 wurde das Mietverhältnis nicht gemäß §§ 542, 543 BGB beendet.
III. Wegen des nicht vorhergesehenen Rückgangs der Flüchtlingszahlen könnte eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) eingetreten sein. Rechtsfolge könnte, da das Mietverhältnis ein Dauerschuldverhältnis ist, ein die Kündigung von April 2017 rechtfertigendes Kündigungsrecht nach § 313 III 2 BGB sein.
1. Eine Störung der Geschäftsgrundlage hat nach § 313 I 1 BGB zur Voraussetzung, dass sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben. Derartige Umstände sind im vorliegenden Fall die Zuweisung von Flüchtlingen an die Stadt S. Vor Vertragsschluss waren Flüchtlinge zugewiesen worden, nach Vertragsschluss nicht mehr, so dass sich die Umstände verändert haben. Ob diese Änderung auch schwerwiegend ist, kann offen bleiben.
2. Denn diese Umstände müssten zur Grundlage des Vertrages gemacht worden sein. Keine Vertragsgrundlage sind aber Umstände, die im alleinigen Risikobereich einer Partei liegen. Die weitere Zuweisung von Flüchtlingen hätte ermöglicht, das gemietete Haus so wie beabsichtigt zu verwenden. Ob diese Entwicklung sich einstellt, fällt in das Verwendungsrisiko, das - wie oben II. ausgeführt - allein S zu tragen hat. BGH [37] Für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen. Eine solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei - abgesehen von extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt - regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen (BGH NJW 2000, 1714, 1716 m. w. N.). So liegen die Dinge hier, da das Verwendungsrisiko - wie ausgeführt - allein bei der Stadt S liegt.
Auf § 313 III 2 BGB konnte somit die Kündigung nicht gestützt werden. Die Kündigung von April 2017 hat nicht zum Erlöschen des Mietzahlungsanspruchs des V geführt.
C. Der Mietzahlungsanspruch des V könnte durch die Kündigung der S im August erloschen sein. Da auch im August eine ordentliche Kündigung wegen der Kündigungsausschlussklausel des § 4 MV nicht möglich war, müsste S zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt gewesen sein.
I. Das dem Mieter in § 561 I BGB eingeräumte Sonderkündigungsrecht greift nicht ein. Es steht im Untertitel 2 „Mietverhältnisse über Wohnraum“, jedoch ist die Flüchtlingsunterkunft für die S als Mieterin kein Wohnraum (oben B I 3b). Außerdem setzt es eine Mieterhöhung durch den Vermieter voraus, die nicht erfolgt ist.
II. Für eine außerordentliche Kündigung nach § 543 BGB muss ein wichtiger Grund vorliegen. Er könnte darin liegen, dass V einer Mietherabsetzung nicht zugestimmt hat, obwohl er zur Zustimmung verpflichtet war.
1. Aus den Vorschriften über die sog. Mietpreisbremse (§§ 556 d ff. BGB) ergibt sich keine Verpflichtung zur Herabsetzung der Miete. Diese Vorschriften gelten nur für Wohnraum und nur im Falle einer Neuvermietung in einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, beides liegt nicht vor.
2. Ein weiterer Verpflichtungsgrund ist nicht ersichtlich. Daraus, dass die vereinbarte Miete die ortsübliche Wohnungsmiete um 30 % übersteigt, kann sich weder eine Verpflichtung zur Herabsetzung noch ein wichtiger Grund für eine Kündigung ergeben, weil die vereinbarte Miete keine Wohnungsmiete ist (oben B I 3b) und deshalb ein Vergleich der vereinbarten Miete mit einer Wohnungsmiete nicht zulässig ist. BGH [40, 41] Für die Prüfung, ob die vereinbarte Miete eine zulässige Schwelle überschreitet, ist auf den üblichen Wert abzustellen, der für eine vergleichbare Leistung auf dem Markt zu zahlen ist. Das ist bei einer Flüchtlingsunterkunft nicht die ortsübliche Miete für Wohnraum, sondern die Miete, die auf dem Wohnungsmarkt für vergleichbare Unterkünfte zur Abdeckung des Wohnbedarfs von Flüchtlingen zu erzielen war. Laut Sachverhalt entspricht die vereinbarte Miete der für Flüchtlingsunterkünfte üblichen Miete, so dass nicht einmal eine Überhöhung vorliegt. Es kann deshalb offen bleiben, ob und unter welchen Umständen die Herabsetzung einer überhöhten Miete verlangt werden kann. (Der BGH erörtert die Frage unter [39-41] im Zusammenhang damit, ob der Mietvertrag als wucherähnliches Geschäft unter § 138 I BGB fiel, was im Originalfall bei einer Überhöhung von 112 % verständlich war, gleichwohl vom BGH im Ergebnis verneint wurde.)
Somit konnte S von V keine Mietherabsetzung verlangen. Aus der Weigerung des V ergibt sich für S kein wichtiger Grund zur Kündigung.
Ergebnis: Der durch den Mietvertrag entstandene Anspruch des V auf Mietzahlung bis zum Ende der in § 4 MV enthaltenen Frist ist nicht erloschen. V verlangt von S zu Recht Weiterzahlung der Miete.
Zusammenfassung