Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann
► Löschen von Inhalten durch Facebook. ► Anspruch des Nutzers auf erneutes Freischalten aus Nutzervertrag, §§ 280 I, 249 BGB. ► Rechtswirksamkeit einer AGB, § 307 I BGB. ► Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht. ► Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Berufsfreiheit. ► Löschen durch Facebook erst nach Anhören des Betroffenen. ► Verhältnis zum NetzDG
BGH Urteil vom 29.7.2021 (III ZR 179/20) NJW 2021, 3179 (für BGHZ vorgesehen)
Fall (Hassrede)
Frau K unterhält ein Benutzerkonto im weltweiten sozialen Netzwerk Facebook, dessen Anbieterin und Vertragspartnerin für Nutzer in Deutschland die F-GmbH ist. F hat hierfür Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards aufgestellt. Nach Nr. 3.2 der Nutzungsbedingungen (NuBe) darf F Inhalte wegen Verstoßes gegen das Verbot der „Hassrede" entfernen und weitergehende Maßnahmen hinsichtlich des Nutzerkontos ergreifen. Die NuBe definieren „Hassrede“ als den „direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften.“ Geschützte Eigenschaften sind „ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, Religion, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Behinderung, Krankheit und Einwanderungsstatus.“ Angriffe sind „gewalttätige oder entmenschlichende Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit von Personen, Aufrufe, wonach Personen ausgeschlossen oder isoliert werden sollen.“ Weiterhin führt Nr. 3.2 aus: „Soweit möglich werden Betroffene in Kenntnis gesetzt, wenn Inhalte wegen eines Verstoßes entfernt werden sollen, es kann jedoch nicht in allen Fällen möglich sein, beispielsweise wenn dies rechtlich untersagt ist oder wenn dies unseren Produkten schaden könnte.“ Nachdem K diese Bestimmungen zur Kenntnis genommen hat, hat sie wie verlangt die Schaltfläche „Ich stimme zu“ angeklickt.
K stellte auf ihrem Konto einen Beitrag ein, in dem sie eine nach ihrer Ansicht bestehende Benachteiligung Deutscher im Vergleich zu Migranten kritisierte, wobei als Beispiel für benachteiligte Deutsche auf sog. Reichsbürger Bezug genommen wurde. Der wesentliche Teil des Beitrags lautete: „Ich kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu stehen die Morde von islamischen Einwanderern. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eine andere Ansicht haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessierts!“ F löschte den Beitrag und sperrte das Konto der K befristet. K hält diese Maßnahmen für rechtswidrig. Die Nutzungsbedingungen seien bereits nicht wirksam einbezogen, weil F ihre Zustimmung dadurch erzwun gen habe, dass sie den weiteren Zugang zu ihrem Netzwerk von der Zustimmung abhängig gemacht habe. Außerdem seien die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in 3.2 NuBe unwirksam. F dürfe nur strafbare Inhalte wie Beleidigung und Volksverhetzung löschen, darüber hinausgehende Eingriffsmöglichkeiten seien mit dem Recht auf Meinungsfreiheit unvereinbar. Auch hätte K vor der Löschung und Sperrung angehört werden müssen. F wendet ein, der Vorwurf, Migranten würden morden und vergewaltigen, ohne dass es jemand interessiert, sei eine Hassrede i. S. der Nr. 3.2 NuBe, zu deren Löschung sie auch ohne Anhörung berechtigt gewesen sei.
Kann K von F verlangen, den gelöschten Beitrag wieder freizuschalten? Auf ein Vorgehen gegen die Sperrung verzichtet K, weil die Sperrfrist bereits abgelaufen ist. – Bei der Bearbeitung ist davon auszugehen, dass auf die Beziehungen zwischen K und F deutsches Recht anwendbar ist und dass im Streitfall deutsche Gerichte für die Entscheidung zuständig sind.
Lösung
Vorbemerkung: Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte und die Anwendbarkeit deutschen Rechts in diesem Fall begründet BGH [24, 26] wie folgt: Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte… folgt aus Art. 17 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 2 i. V. m. Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO; ABl. L 351 vom 20. Dezember 2012, S. 1).… Zu Recht haben die Vorinstanzen deutsches Recht angewandt (Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 der EU-Verordnung Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, Rom I-VO; ABl. L 177 vom 4. Juli 2008, S. 6).
A. Der von K geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht aus dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Zwar fällt Facebook unter dieses Gesetz (§ 1 I NetzDG), gehört sogar zu dessen primären Adressaten. Gegenstand des NetzDG ist aber die Pflicht zum Löschen und Sperren von rechtswidrigen Inhalten (§ 3 II Nr. 1 und Nr. 2 NetzDG) und nicht das von K verlangte - gegenteilige - Freischalten eines gelöschten Beitrags. Außerdem erfasst das NetzDG nur strafbare Inhalte (§ 1 III), wovon bei dem Beitrag der K nicht ausgegangen werden kann (dazu noch B II 3).
B. Da eine spezielle Anspruchsgrundlage für einen Anspruch auf Freischalten eines Beitrags in Facebook nicht ersichtlich ist, kommt § 280 I BGB als allgemeine Regelung der Pflichtverletzung in Betracht. F könnte durch das Löschen des Beitrags der K einen zwischen ihr und K bestehenden Vertrag verletzt haben und deshalb das Freischalten als Schadensersatz (§ 249 I BGB) schulden.
I. Zwischen K und F müsste ein Schuldverhältnis bestanden haben.
1. BGH [28] Zwischen den Parteien besteht ein Nutzungsvertrag, in dessen Rahmen sich F gegenüber K verpflichtet hat, dieser ihre Produkte und Dienste zur Verfügung zu stellen, um ihr die Möglichkeit zu geben, mit anderen Nutzern in Kontakt zu treten und sich mit ihnen auszutauschen, insbesondere Nachrichten zu senden und Daten wie Texte, Fotos und Videos zu teilen. Daraus folgt, dass F Beiträge, die K in ihr Netzwerk eingestellt hat, nicht grundlos löschen darf.
2. Ob Nr. 3.2 NuBe als Allgemeine Geschäftsbedingungen wirksam sind, ist an dieser Stelle noch unerheblich, weil der Vertrag auch im Falle ihrer Unwirksamkeit gültig bleibt (§ 306 I BGB).
II. F müsste beim Löschen des Beitrags der K eine Pflichtverletzung begangen haben. Wie unter I 1 ausgeführt, durfte sie den Beitrag nicht grundlos löschen.
1. Eine Berechtigung zum Löschen für F könnte sich aus Nr. 3.2 NuBe ergeben. Die NuBe sind Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) i. S. des § 305 I BGB (BGH [32]). Sie haben Rechtswirkungen zwischen K und F nur, wenn sie nach § 305 II BGB Bestandteil des Vertrages geworden sind.
a) K hat diese Bestimmungen zur Kenntnis genommen und die Schaltfläche „Ich stimme zu“ angeklickt. Somit hat F ausdrücklich auf sie hingewiesen, und K hat sich mit ihrer Geltung einverstanden erklärt. Damit sind die Anforderungen des § 305 II BGB erfüllt (BGH [33-43]).
b) Der Einwand der K, F habe ihre Zustimmung dadurch erzwungen, dass sie den weiteren Zugang zu ihrem Netzwerk von der Zustimmung zu den NuBe abhängig gemacht habe, könnte dazu führen, dass die Vereinbarung über die Geltung der AGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist (§ 138 I BGB). BGH [44-50] geht zunächst davon aus, dass dem Vorgehen der F eine Drohung zugrunde lag. Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels. Als Übel genügt jeder Nachteil (Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Aufl.,§ 123 Rn. 15a). Dieser kann auch darin bestehen, dass eine vertraglich geschuldete Leistung von einer Gegenleistung abhängig gemacht wird. Allerdings ist die widerrechtliche Drohung in § 123 BGB gesondert geregelt und führt nur zu einer Anfechtbarkeit, eine Anfechtungserklärung hat K aber nicht abgegeben. Wegen des Vorrangs des § 123 BGB greift § 138 I BGB in den Fällen einer Drohung ein, wenn besondere Umstände zu der durch die widerrechtliche Drohung bewirkten Willensbeeinflussung hinzutreten, die das Geschäft nach seinem Gesamtcharakter als sittenwidrig erscheinen lassen. F müsste als marktbeherrschendes Unternehmen seine wirtschaftliche Macht sittenwidrig dazu ausgenutzt haben, um sich aus eigensüchtigen Beweggründen unter Missachtung der berechtigten Belange des Vertragspartners unangemessene Vorteile zu verschaffen (…). Davon kann vorliegend aber keine Rede sein. Vielmehr durfte F die weiteren Vertragsbeziehungen davon abhängig machen, dass K - wie alle anderen Kunden - die AGB formal akzeptiert. Somit ist die Einverständniserklärung der K weder über §§ 123, 142 BGB noch nach § 138 I BGB nichtig. Nr. 3.2 NuBe wurde wirksam in den zwischen K und F bestehenden Vertrag einbezogen.
2. Nr. 3.2 NuBe müsste auch einer Inhaltskontrolle standhalten. Da eine der Spezialregelungen der §§ 308, 309 BGB nicht eingreift (zu § 308 Nr. 5 BGH [42]), könnte Nr. 3.2 NuBe nach der Generalklausel des § 307 I BGB unwirksam sein. § 307 I BGB ist nach dessen Absatz III anwendbar, weil die Vorschriften der Nr. 3.2 NuBe über das Entfernen von Beiträgen und über weitergehende Maßnahmen die allgemeinen Vorschriften des BGB über Verträge ergänzen (BGH [52]). Unwirksam ist eine AGB- Bestimmung n ach § 307 I 1 BGB, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. BGH [54] Eine Klausel ist unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn der Verwender missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Insoweit bedarf es einer umfassenden Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen.
a) Möglicherweise sind in die Abwägung Grundrechte einzustellen, insbesondere die Meinungsfreiheit der Nutzer. Der Anwendbarkeit von Grundrechten im Verhältnis der Nutzer zu K könnte allerdings entgegenstehen, dass Grundrechte grundsätzlich den Staat binden (Art. 1 III GG), F aber ein privates Unternehmen ist, dem gegenüber Privatrecht gilt. BGH [54] Jedoch entfalten Grundrechte im Privatrecht Wirkkraft über die Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen (mittelbare Drittwirkung; BVerfGE 7, 198, 205 f.; 152, 152 Rn. 76 ff.), und sind insbesondere bei der Auslegung von Generalklauseln zu beachten (BVerfGE 7, 198, 206; 152, 152 Rn. 76), wie hier von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. BGH [60] Ob die Klauseln in Nr. 3.2 NuBe (i. V. m. Teil III Nr. 12 der Gemeinschaftsstandards) einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB standhalten, hängt somit von einer Abwägung der einander gegenüberstehenden Grundrechtspositionen ab.
Zunächst ist zu klären, welche Grundrechtspositionen einander gegenüberstehen und in die Abwägung einzustellen sind, BGH [62-77]:
aa) Da in dem Netzwerk regelmäßig Meinungen geäußert werden, ist auf Seiten der Nutzer deren Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit einzustellen. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt das Recht, die eigene Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten… Das gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden, polemischen oder verletzenden Gehalts einer Äußerung (BVerfG MDR 2021, 41 Rn. 8 m. w. N.). Folglich fällt der Beitrag der K, den F gelöscht hat und dessentwegen sie das Nutzerkonto der K vorübergehend gesperrt hat, in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. (Diese Ausführungen sind methodisch insofern nicht konsequent, als es bei der Inhaltskontrolle der Nr. 3.2 NuBe um deren allgemeine Wirksamkeit und nicht nur um den Fall der K geht; wie auch BGH [68] anerkennt. Richtig war: Auch ein Beitrag, der sich als Hassrede erweist, enthält eine Meinungsäußerung und fällt unter den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.)
Darüber hinaus ist das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Art. 3 Abs. 1 GG enthält zwar keinen Grundsatz, wonach die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten von diesen prinzipiell gleichheitsgerecht zu gestalten wären. Denn eine Anwendung des Gleichbehandlungsgebots auf private Rechtsgeschäfte würde die Vertragsfreiheit als Ausfluss der in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit weitgehend aushöhlen (BVerfGE 148, 267 Rn. 40). In besonderen Konstellationen können sich jedoch auch für das Verhältnis Privater gleichheitsrechtliche Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG ergeben (BVerfG a. a. O. Rn. 41)… Bei F besteht eine solche besondere Konstellation. Maßgeblich für die mittelbare Drittwirkung des Gleichbehandlungsgebots ist der einseitige, auf die strukturelle Überlegenheit der F gestützte Ausschluss von Dienstleistungen, die F im Rahmen ihrer marktbeherrschenden Stellung einer unbegrenzten Vielzahl von Menschen ohne Ansehen der Person anbietet und die für einen beträchtlichen Teil der Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheiden… Wer hiervon ausgeschlossen wird oder seine Meinung nicht oder nicht in einer bestimmten Weise kundtun darf, kann sich an den dort stattfindenden gruppeninternen oder öffentlichen Diskussionen nicht mehr oder nur eingeschränkt beteiligen. Zwar ist zuzugeben, dass ein von den Dienstleistungen der F Ausgeschlossener seine Meinung immer noch an anderen Orten - auch im Internet - äußern kann. Da er aber nicht davon ausgehen kann, in einem alternativen Netzwerk auch seine Freunde und Bekannten vorzufinden, ist die dortige Äußerungsmöglichkeit nicht von gleicher Qualität… Aufgrund ihres hohen Marktanteils und der erheblichen Reichweite ihres Netzwerks verfügt F über eine bedeutende Markt- und soziale Macht (BVerfG NJW 2019, 1935 Rn. 15…). Sie unterliegt deshalb auch Bindungen aus dem Gleichbehandlungsgebot.
bb) Zugunsten der F sind ebenfalls Grundrechte einzustellen.
Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Die „wesensmäßige Anwendbarkeit" ist insbesondere bei Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG gegeben (BVerfG NJW-RR 2004, 1710, 1711 m. w. N. hinsichtlich Art. 5 Abs. 1 GG; BVerfGE 105, 252, 265 m. w. N. hinsichtlich Art. 12 Abs. 1 GG). Die Grundrechtsberechtigung inländischer juristischer Personen ist auf F als juristische Person mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU wegen der vertraglichen Gewährleistung der europäischen Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) zu erstrecken (BVerfGE 154, 152 Rn. 63). Daher ist F Trägerin des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 129, 78, 94). Dasselbe gilt für die Berufsausübungsfreiheit….
Damit Art. 12 I GG im vorliegenden Fall eingreift, müsste der Erlass der Nr. 3.2 NuBe unter den Schutzbereich dieses Grundrechts fallen. F betätigt sich beruflich-geschäftlich i. S. des Art. 12 I GG. Dazu gehört auch der Erlass von AGB. BGH [73] Das Geschäftsmodell der F zielt darauf ab, ihren Nutzern eine Plattform zu bieten, auf der diese frei, unbesorgt und in einem sicheren Umfeld mit anderen kommunizieren und Informationen austauschen können. Diese Geschäftstätigkeit finanziert F dadurch, dass sie Werbung ihrer Geschäftspartner aufgrund der von ihren Nutzern bereitgestellten Daten zielgruppenorientiert platzieren und damit effizient verbreiten kann (Einzelheiten bei Tief, Kommunikation auf Facebook, Twitter & YouTube, 2020, S. 30 f). F hat daher ein geschäftliches Interesse daran, sowohl für ihre Nutzer als auch für ihre Werbekunden ein attraktives Kommunikations- und Werbeumfeld zu schaffen, um weiter Nutzerdaten erheben und Werbeplätze verkaufen zu können. Die Verbreitung eines verrohten Umgangstons steht diesem Interesse entgegen, weil sich dadurch sowohl Nutzer als auch Werbepartner abgeschreckt fühlen können… Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der F, in Umsetzung ihres Geschäftsmodells aggressive Ausdrucksweisen wie „Hassrede" zu verbieten, von ihrer unternehmerischen Handlungsfreiheit umfasst. Somit fällt der Erlass der Nr. 3.2 NuBe unter den Schutzbereich des Art. 12 I GG.
Auch auf Seiten der F ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu berücksichtigen. Zwar betreibt sie die Kommunikationsplattform nicht, um ihre eigene Meinung kundzutun, sondern um Dritten die Verbreitung von Meinungen und Informationen zu ermöglichen. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt aber auch den Kommunikationsprozess als solchen, weshalb die Mitteilung einer fremden Meinung oder Tatsachenbehauptung selbst dann in den Schutzbereich des Grundrechts fallen kann, wenn der Mitteilende sich diese weder zu eigen macht noch sie in eine eigene Stellungnahme einbindet (vgl. BGHZ 202, 242 Rn. 28 m. w. N.). F ist als Netzwerkbetreiberin unverzichtbare Mittlerperson (…). Bereits deshalb wird der Betrieb des sozialen Netzwerks vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst. Außerdem bringt F durch das Aufstellen von Kommunikationsregeln zum Ausdruck, welche Formen der Kommunikation sie in ihrem Netzwerk nicht duldet. Auf diese Weise macht sie von ihrem eigenen Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch.
cc) Zusätzlich zu den Grundrechten ist zugunsten der F das Interesse anderer Nutzer an einer von gegenseitigem Respekt geprägten Diskussionskultur sowie an einem damit verbundenen Schutz vor der Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts in die Interessenabwägung einzustellen (…). Schließlich ist im Rahmen der gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmenden Abwägung das Interesse der F einzubeziehen, nicht für die auf ihrer Kommunikationsplattform gespeicherten Beiträge zu haften (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 NetzDG sowie BGHZ 217, 350 Rn. 31 f. m. w. N.). Denn die AGB-Regelung über den einzuhaltenden Diskussionsstandard kann einer Haftung entgegenwirken.
b) Bei AGB mit dem Gehalt der Nr. 3.2 NuBe könnte es geboten sein, eine Abwägung zugunsten der Meinungsfreiheit vorzunehmen. Ob das der Fall ist, ist streitig, BGH [56-59]:
aa) Einer Ansicht nach muss im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte gewährleistet sein, dass von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasste Meinungsäußerungen nicht unterbunden werden, weshalb es Anbietern sozialer Netzwerke nicht gestattet sei, in ihren Nutzungsbedingungen Meinungsäußerungen zu untersagen und zu sanktionieren, die weder strafbar seien noch sonst Rechte Dritter verletzen (…Mayer, Soziale Netzwerke im Internet im Lichte des Vertragsrechts, 2018, S. 306).
bb) Einer anderen Auffassung zufolge sind Netzwerkbetreiber von Verfassungs wegen nicht gehindert, in ihren AGB ein Verbot von Hassrede vorzusehen, durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden…(Friehe, NJW 2020, 1697, 1702…).
Mit dem BGH ist letzterer, für F günstigeren Auffassung zu folgen. Die der Auffassung aa) zugrunde liegende strenge Bindung an Art. 5 I GG gilt nur für den Staat. F hat zwar eine starke Marktmacht, die aber gleichwohl eine staatsgleiche Bindung nicht rechtfertigt, zumal F, wie unter II 2 a bb) ausgeführt wurde, selbst Trägerin von Grundrechten ist, die bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfGE 128, 226, 249; BVerfG, NJW 2015, 2485). Somit ist die Meinungsfreiheit nicht vorrangig.
c) Es ist eine Abwägung der unter 2a) aa) - cc) aufgeführten Positionen vorzunehmen.
aa) Da die AGB im Interesse von F erlassen wurden, ist von den zugunsten der F sprechenden Argumenten auszugehen. BGH [78, 79] Aus den Überlegungen vorstehend b) bb) folgt, dass F grundsätzlich berechtigt ist, den Nutzern ihres Netzwerks in AGB die Einhaltung von Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben (Beleidigung, Volksverhetzung) hinausgehen. In diesem Rahmen darf sie sich das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards Maßnahmen zu ergreifen, die eine Entfernung einzelner Beiträge und die (vorübergehende) Sperrung des Netzwerkzugangs einschließen. Nur auf diese Weise werden sowohl die durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte unternehmerische Handlungsfreiheit der F und ihre in diesem Rahmen getroffene Entscheidung, aggressive Ausdrucksweisen wie „Hassrede" zu verbieten, als auch das Interesse Dritter an einer von gegenseitigem Respekt geprägten Diskussionskultur angemessen geschützt. Auch kann F durch derartige Regeln ihr Haftungsrisiko insbesondere für Verpflichtungen aus dem NetzDG verringern.
bb) Die Rechtspositionen der Nutzer aus Art. 5 I GG und Art. 3 I GG werden dadurch geschützt, dass die Löschungs- und Sperrungsbefugnisse der F an Voraussetzungen geknüpft werden, die bereits in den AGB enthalten sein müssen. BGH [80-89]:
(1) Für die Entfernung von Inhalten und die Sperrung von Nutzerkonten muss ein sachlicher Grund bestehen, der auf objektiven, überprüfbaren Tatbeständen beruht. Er ist in den AGB zu konkretisieren.
(2) Bei der erforderlichen Aufklärung stellt die Anhörung des Äußernden ein wichtiges Mittel der Aufklärung dar (vgl. Kovacs, Die Haftung der Host-Provider für persönlichkeitsrechtsverletzende Internetäußerungen, 2018, S. 293; Raue JZ 2018, 961, 969: „Grundrechtsschutz durch Verfahren")… Die Anhörung des Nutzers bietet die Möglichkeit, eventuelle Missverständnisse hinsichtlich eines Inhalts schnell und unkompliziert aufzuklären und durch zügige Wiederzugänglichmachung eines zu Unrecht entfernten Beitrags dem Grundrecht des Nutzers auf freie Meinungsäußerung die nötige Geltung zu verschaffen… Deshalb ist für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen und für die Wahrung der Angemessenheit im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlich, dass sich F in ihren AGB dazu verpflichtet, den betroffenen Nutzer über die Entfernung eines Beitrags und eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht (vgl. zu einem solchen vom Anbieter eines sozialen Netzwerks vorzuhaltenden Gegendarstellungsverfahren § 3b Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3b Abs. 1 und 2 NetzDG sowie § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 NetzDG)… Die danach erforderliche Anhörung des Nutzers ist, soweit F eine Sperrung des Nutzerkontos beabsichtigt, vor Durchführung dieser Maßnahme geboten, abgesehen von eng begrenzten, in AGB näher zu bestimmenden Ausnahmefällen…Durch die Verpflichtung, den Nutzern in ihren Geschäftsbedingungen das Recht auf Benachrichtigung, Begründung und Gegendarstellung mit anschließender Neubescheidung einzuräumen, wird F kein Prüfungsaufwand auferlegt, durch den der Betrieb ihres sozialen Netzwerkes wirtschaftlich gefährdet oder unverhältnismäßig erschwert wird.
d) Nr. 3.2 NuBe ist an den Voraussetzungen (1) und (2) zu messen, BGH [90-94]:
(1) Das mit dem Verbot von „Hassrede" verfolgte Ziel, einer Verrohung der Debattenkultur entgegenzuwirken, ist ein sachlicher Grund für die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte. Dadurch werden insbesondere die Interessen der Nutzer geschützt, die sich nicht mit „Hassrede" konfrontiert sehen wollen, weil ihnen an einer von gegenseitigem Respekt geprägten Diskussionskultur gelegen ist. Dem entspricht das - durch die unternehmerische Handlungsfreiheit geschützte - geschäftliche Interesse der F daran, sowohl für ihre Nutzer als auch für ihre Werbekunden ein attraktives Kommunikations- und Werbeumfeld zu schaffen.
(2) Die Regelung des Anhörungsverfahrens entspricht jedoch nicht den Anforderungen. In Nr. 3.2 NuBe räumt F sich einen weiten und sie nahezu von jeglicher Anhörungsverpflichtung freistellenden Beurteilungsspielraum dahingehend ein, die Nutzer über die Entfernung von Inhalten zu informieren oder nicht. Auch bleibt unklar, in welchen Fällen die Benachrichtigung der Nutzer nicht möglich sein soll. Es wird nicht deutlich und ist nur schwer vorstellbar, dass und aus welchen Gründen der F die Benachrichtigung rechtlich untersagt sein oder dadurch ihre Produkte Schaden nehmen könnte. Zudem beinhaltet die Klausel nicht - wie erforderlich - die Verpflichtung der F, ihre Maßnahmen gegenüber den Nutzern zu begründen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme mit anschließender Neubescheidung einzuräumen. Folglich werden die Nutzer durch die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB benachteiligt. BGH [29] Somit kann F sich nicht auf den Entfernungsvorbehalt in Nr. 3.2 NuBe berufen, weil dieser gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist.
3. Das NetzDG enthält zwar keine Anspruchsgrundlage für K (oben A.), könnte aber F ein Recht zum Löschen geben. Das ist jedoch nicht der Fall. BGH [98] Zwar ist F gehalten, unverzüglich tätig zu werden, um strafbare Inhalte in ihrem sozialen Netzwerk zu entfernen oder zu sperren, sobald sie Kenntnis von Tatsachen oder Umständen erlangt hat, aus denen die Rechtswidrigkeit der Beiträge offensichtlich wird (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 NetzDG; MüKo/Freund, StGB, 4. Aufl., § 13 Rn. 163 sowie BGHZ 217, 350 Rn. 31 f.). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass der streitgegenständliche Beitrag den - allenfalls in Betracht kommenden - Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 oder 2 StGB erfüllt. Zu einer derartigen Annahme besteht unter Berücksichtigung des Grundrechts der K auf freie Meinungsäußerung kein Anlass. Zumindest ist eine Strafbarkeit des Beitrags der K nicht offensichtlich.
BGH [29] F hat durch die Löschung des streitgegenständlichen Beitrags gegen ihre vertragliche Verpflichtung verstoßen.
4. Außerdem könnte die Löschung deshalb pflichtwidrig sein, weil die Voraussetzungen der Nr. 3.2 NuBe nicht vorliegen. (Ob diese Prüfung methodisch zulässig ist, ist zweifelhaft, weil es sich dabei um die Anwendung einer unwirksamen Vorschrift handelt. Da für das Gutachten das Prinzip gilt, dass eine vollständige Prüfung zu erfolgen hat, der Fall dieses Problem aufwirft und die Prüfung das gewonnene Ergebnis stützen kann, wird dieser Aspekt geprüft.)
K könnte mit ihrem Beitrag gegen das in Nr. 3.2 enthaltene Verbot der Hassrede verstoßen haben.
a) Erforderlich ist ein direkter Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften. Der Text der K äußert sich negativ zu islamischen Einwanderern. Insoweit betrifft er den Einwanderungsstatus, der eine geschützte Eigenschaft ist. Ihm liegt die Aussage zugrunde, dass diese Personen morden und vergewaltigen, also kriminell handeln und damit eine Gefahr für die Gesellschaft sind. F hat den Text so verstanden und deshalb gelöscht. Im Originalfall hatten die Vorinstanzen des BGH diese Ansicht bestätigt. Der BGH ist darauf nicht mehr eingegangen, offenbar weil es wegen der Unwirksamkeit der Nr. 3.2 für das Urteil nicht mehr darauf ankam.
b) Jedoch ist Nr. 3.2 NuBe wegen ihrer die Meinungsfreiheit beschränkenden Wirkung eng auszulegen. Demzufolge ist für die Bejahung eines „direkten Angriffs auf Personen“ erforderlich, dass die angegriffene Person erkennbar ist. Da der Text der K nicht so verstanden werden kann, dass alle Migranten kriminell handeln, fehlt es an der Benennung bestimmter angegriffener Personen. Außerdem besteht der Sinn des Textes primär darin, Deutsche mit alternativen Ansichten vor Benachteiligung zu schützen. Dabei werden Migranten als Vergleichsgruppe herangezogen, sie werden aber nicht zum Hassobjekt. Somit fehlt es an einem direkten Angriff auf Personen, eine Hassrede liegt nicht vor.
Die Löschung ist also auch deshalb pflichtwidrig, weil die Voraussetzungen der Nr. 3.2 NuBe nicht vorliegen.
III. Es sind die weiteren Voraussetzungen des § 280 I BGB zu prüfen.
1. F muss die Pflichtverletzung zu vertreten haben (§ 280 I 2 BGB). Dazu hat BGH [99] lediglich ausgeführt: Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass F die in der Entfernung des Beitrags bestehende Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ausgehend von § 276 BGB ist festzustellen, dass nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen eine Person, der ein Nachteil wegen eines ihr vorgeworfenen Fehlverhaltens zugefügt werden soll, grundsätzlich vorher Gelegenheit gegeben werden muss, dazu Stellung zu nehmen. Ausnahmen davon sind eng zu fassen. Über diese Grundsätze hinwegzugehen, war fahrlässig.
2. Einer der Fälle des § 280 II oder III BGB, wonach weitere Voraussetzungen zu prüfen sind, liegt nicht vor.
3. Die Voraussetzung, dass ein Schaden vorliegen muss, kann mit der auf Schadensersatz gerichteten Rechtsfolge verbunden werden. BGH [99] Der dadurch verursachte Schaden der K besteht darin, dass ihr Beitrag auf der Kommunikationsplattform der F nicht mehr gespeichert ist und von den anderen Nutzern nicht mehr gelesen werden kann. Gemäß § 249 Abs. 1 BGB ist F daher zur Wiederherstellung des Beitrags verpflichtet.
Ergebnis: K hat gegen F einen Anspruch darauf, dass der gelöschte Beitrag wieder freigeschaltet wird. Dementsprechend hat der BGH F als Beklagte verurteilt, den nachfolgend wiedergegebenen, am 11. August 2018 gelöschten Beitrag der Klägerin wieder freizuschalten…
Ergänzung: Aufgrund eines weiteren Klageantrags der K hat der BGH F außerdem dazu verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin für das Einstellen des unter Ziffer 1 genannten Textes auf www.f.com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen. Begründet hat er dies wie folgt, [101-103]:
Die Beklagte hat durch die Entfernung des Beitrags der Klägerin gegen ihre Vertragspflichten verstoßen… Bei der Verletzung von Vertragspflichten kann sich aus § 280 Abs. 1 BGB ein Unterlassungsanspruch ergeben (vgl. BGHZ 178, 63 Rn. 17). Jedenfalls in der vorliegenden Konstellation, in der die Beklagte bereits einmal ihre Pflichten aus dem Vertragsverhältnis verletzt hat und die Vertragsverletzung - in Gestalt der Entfernung des Beitrags der Klägerin - noch andauert, ist vom Bestehen eines aus § 280 Abs. 1 BGB folgenden Unterlassungsanspruchs auszugehen. Ein vertraglicher Unterlassungsanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB setzt - ebenso wie ein gesetzlicher Unterlassungsanspruch entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB - eine Erstbegehungs- beziehungsweise Wiederholungsgefahr voraus (…). Vorliegend folgt aus den bereits begangenen Pflichtverletzungen der Beklagten eine Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr (…). Anhaltspunkte für eine Widerlegung der Vermutung sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Zusammenfassung