Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Werkvertrag, Sachmangel, §§ 631, 634 BGB. Nichtigkeit einer Ohne-Rechnung-Abrede, § 134 BGB. Folgen für den Gesamtvertrag, § 139 BGB. Verstoß gegen Treu und Glauben durch Berufung auf Nichtigkeit. Gewährleistungsanspruch trotz Ohne-Rechnung-Abrede

BGH
Urteil vom 24. 4. 2008 (VII ZR 140/07)unter Einbeziehung von BGH vom 24. 4. 2008 (VII ZR 42/07) jeweils www.bundesgerichtshof.de

Fall (Vermessungsfehler)

Die Eheleute K beauftragten B, einen freiberuflich tätigen Vermessungsingenieur, die für den Neubau eines Einfamilienhauses erforderlichen Vermessungsarbeiten durchzuführen. Dabei trafen K und B die Abrede, dass für das an B zu zahlende Honorar weder eine Rechnung erstellt noch ein Quittung erteilt wird („Ohne-Rechnung-Abrede“). B führte die Vermessung durch und erhielt das Honorar in bar ausgezahlt. Später stellte sich heraus, dass die Vermessung fehlerhaft war, mit der Folge dass Haus und Carport falsch platziert wurden. K mussten einen zusätzlichen Grundstücksstreifen von den Nachbarn erwerben, wodurch ihnen ein Schaden in Höhe von 31.000 € entstand. Können sie diesen Schaden von B ersetzt verlangen ?

I. K könnten gegen B einen Schadensersatzanspruch aus §§ 634 Nr. 4, 280 I BGB wegen einer fehlerhaften Werkleistung haben.

1. K und B haben einen Vertrag geschlossen, wonach B eine Vermessung - ein Werk i. S. des § 631 II BGB - erstellen und K dafür ein Honorar zahlen sollten. Es handelte sich begrifflich um einen Werkvertrag i. S. des § 631 I BGB.

2. Falls dieser Vertrag wirksam ist, sind auch die weiteren Voraussetzungen für den Anspruch gegeben: Die Vermessung war mangelhaft, weil sie die genaue Lage des geplanten Bauvorhabens offenbar nicht richtig wiedergab und deshalb nicht den Vereinbarungen entsprach (§ 633 II). Darin lag eine von B zu vertretende Pflichtverletzung (§ 280 I 1 und 2). Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung (§§ 634 Nr. 1, 281 I) war nicht erforderlich, weil K nicht Schadensersatz statt der Leistung (§ 280 III), sondern wegen eines zusätzlichen Schadens („neben der Leistung“) verlangen. Im übrigen dürfte durch eine erneute, fehlerfreie Vermessung der eingetretene Schaden nicht zu beseitigen sein. Die Pflichtverletzung hatte auch den geltend gemachten Schaden zur Folge.

3. Somit ist entscheidende Frage, ob der Werkvertrag wirksam oder ob er gemäß §§ 134, 138 BGB nichtig war.

a) Der gesamte Vertrag könnte gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen und nach § 134 nichtig sein.

aa) Die Ohne-Rechnung-Abrede verstieß gegen das Verbot der Steuerhinterziehung in § 370 AbgabenO. Nach § 370 I Nr. 2 AO macht sich strafbar, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt. Die Ohne-Rechnung-Abrede sollte verhindern, dass das Finanzamt Kenntnis von einem Umsatzsteuer auslösenden Umsatz und einem Einkommensteuer auslösenden Einkommen erfährt, wodurch B eine ungerechtfertigte Steuerersparnis zukam und auch K davon mittelbar profitierten, weil B damit eine Verringerung seiner Honorarhöhe verband.

bb) Ob eine gesetzlich verbotene Abrede nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Vertrages führt, ist nach Sinn und Zweck der Verbotsnorm zu entscheiden. Nichtigkeit wird insbesondere angenommen, wenn eine Verbotsnorm beiden Parteien eine bestimmte Gestaltung verbietet und es mit dem Zweck der Verbotsnorm unvereinbar wäre, das Rechtsgeschäft aufrecht zu erhalten und seine Durchführung zu verlangen. § 370 AO untersagt primär Verträge, deren Hauptzweck auf eine Steuerhinterziehung gerichtet ist, und will diese verhindern. Im vorliegenden Fall war Hauptzweck des Vertrages nicht die Steuerhinterziehung, sondern der Vertrag blieb auf die Vermessung gerichtet. § 370 AO führt somit nicht zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages.

BGH Rdnr. 8: Diese Ohne-Rechnung-Abrede hatte nicht zur Folge, dass die Steuerhinterziehung Hauptzweck des Vertrages war und dieser schon aus diesem Grunde insgesamt gemäß §§ 134, 138 BGB nichtig ist (vgl. dazu BGHZ 14, 25;…NJW-RR 2002, 1527; NJW 2003, 2742). Hauptzweck des Vertrags war vielmehr die ordnungsgemäße Erbringung der vereinbarten Vermessungsleistungen durch den Beklagten.

b) Die Ohne-Rechnung-Abrede für sich verstieß aber gegen § 370 AO und war danach nichtig. Sie ist außerdem als erhebliche, gegen wichtige allgemeine Interessen gerichtete Straftat sittenwidrig und deshalb nach § 138 I nichtig. (Der BGH stützt die Nichtigkeit auf „§§ 134, 138 BGB“.)

c) Es liegt deshalb der Tatbestand der Teilnichtigkeit eines Vertrages (§ 139 BGB) vor. BGH Rdnr. 9: Gemäß §§ 134, 138 BGB nichtig ist die der Steuerhinterziehung dienende Ohne-Rechnung-Abrede (vgl. BGH MDR 1968, 834;…NJW 2003, 2742). Damit ist ein Teil des Vertrages nichtig und der Anwendungsbereich von § 139 BGB eröffnet.

Rdnr. 10: Nach dieser Vorschrift ist bei Nichtigkeit eines Teils eines Vertrages der gesamte Vertrag nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ob also die Vermutung der Gesamtnichtigkeit durch einen entgegenstehenden (hypothetischen) Parteiwillen entkräftet wird, ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen.

Rdnr. 11: Diese Grundsätze gelten auch für die Frage, ob die Nichtigkeit einer Ohne-Rechnung-Abrede die Nichtigkeit des ganzen Vertrages zur Folge hat (vgl. BGH MDR 1968, 834 zum Kaufvertrag und NJW 2003, 2742 zum Mietvertrag; OLG Hamm, BauR 1997, 501…zum Werkvertrag). Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, dass auch beim Werkvertrag Gesamtnichtigkeit nur dann nicht eintritt, wenn angenommen werden kann, dass ohne die Ohne-Rechnung-Abrede bei ordnungsgemäßer Rechnungslegung und Steuerabführung der Vertrag zu denselben Konditionen, insbesondere mit derselben Vergütungsregelung, abgeschlossen worden wäre. Da die Vergütung wegen der Steuerersparnis, von der ein Teil in aller Regel auch dem Kunden zugute kommen soll, niedriger ist, bei Wegfall der Ohne-Rechnung-Abrede aber höher sein würde, lässt sich nicht feststellen, dass das gleiche Honorar auch ohne die nichtige Ohne-Rechnung-Abrede vereinbart worden wäre, so dass es bei der Gesamtnichtigkeit bleiben müsste.

d) Der BGH lässt diese Frage aber offen, weil er dem Auftragnehmer B versagt, sich auf eine Gesamtnichtigkeit zu berufen. BGH Rdnr. 12: Der Senat muss nicht abschließend entscheiden, ob im Streitfall die Nichtigkeit der Ohne-Rechnung-Abrede zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages führt. Denn jedenfalls kann sich der Beklagte, nachdem er die Vermessungsleistungen erbracht hat und auf dieser Grundlage das Einfamilienhaus und der Carport der Kläger errichtet worden sind, nach Treu und Glauben nicht auf eine etwaige Nichtigkeit des Vertrages berufen, § 242 BGB.

aa) BGH Rdnr. 13: Der das gesamte Rechtsleben beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben gilt auch im Rahmen nichtiger Rechtsgeschäfte. Deshalb kann die Berufung auf die Nichtigkeit eines Vertrages in besonders gelagerten Ausnahmefällen eine unzulässige Rechtsausübung darstellen. Das gilt nicht nur im Anwendungsbereich von § 138 BGB (vgl. BGH NJW 1981, 1439; 1986, 2944, 2945), sondern auch bei § 134 BGB (vgl. BGHZ 53, 152, 158 f.; 85, 39, 47;…NJW 2007, 1130).

bb) Rdnr. 14: Allerdings dient § 134 BGB dem öffentlichen Interesse und dem Schutz des allgemeinen Rechtsverkehrs. Er schränkt die Privatautonomie ein; gesetzliche Verbote stehen nicht zur Disposition der Parteien (BGB-RGRK/Krüger-Nieland/Zöller, 12. Aufl., § 134 Rdn. 1 und Palandt/Heinrichs, 67. Aufl., § 134 BGB Rdn. 1). Hieraus wird in der Literatur gefolgert, die Berufung auf Treu und Glauben gegenüber einer aus § 134 BGB folgenden Nichtigkeit sei grundsätzlich unzulässig. Auf diese Weise könne ein gesetzliches Verbot nicht verdrängt werden; das Vertrauen auf die Wirksamkeit einer verbotsgesetzwidrigen Vereinbarung verdiene generell keinen Schutz (Jauernig, BGB, 12. Aufl., § 134 Rdn. 17; MünchKommBGB/Armbrüster, 5. Aufl., § 134 Rdn. 112).

Rdnr. 15: Diesen Bedenken kommt jedenfalls hier keine entscheidende Bedeutung zu. Denn gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB verstößt allein die Ohne-Rechnung-Abrede, nicht aber der Werkvertrag über die zu erbringenden Vermessungsarbeiten als solcher ohne diese Abrede. Seine Nichtigkeit folgt nicht unmittelbar aus § 134 BGB, sondern gegebenenfalls aus der Anwendung von § 139 BGB. Diese Vorschrift enthält dispositives Recht; die in ihr vorgesehene Gesamtnichtigkeit kann abbedungen werden (BGH NJW-RR 1997, 684, 685). Die Parteien hätten daher vereinbaren können, dass eine Nichtigkeit der Ohne-Rechnung-Abrede sich nicht auf die anderen Vertragsbestandteile erstrecken soll. In diesem Fall wäre der Beklagte den Mängelansprüchen der Kläger ausgesetzt. Lediglich diese in der Disposition der Parteien liegende Rechtsfolge wird durch die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben auf anderem Wege herbeigeführt. Die Nichtigkeit der Ohne-Rechnung-Abrede im Interesse der Allgemeinheit bleibt davon unberührt.

cc) Für die Entscheidung der Frage, ob eine Berufung des B auf die Gesamtnichtigkeit des Vertrages gegen Treu und Glauben verstößt, bezieht sich der BGH unter Rdnrn. 16 ff. auf das am selben Tage verkündete Urteil in der Sache VII ZR 42/07 („Terrassenabdichtung“, für BGHZ vorgesehen). In diesem Urteil hat der BGH entschieden, dass ein Unternehmer, der die Bauleistung erbracht hat, gegen Treu und Glauben verstößt, wenn er sich zur Abwehr von Mängelansprüchen des Bestellers wegen der Ohne-Rechnung-Abrede auf die Nichtigkeit des Bauvertrags beruft… Der Senat hat dazu ausgeführt:

Bei einem solchen Bauvertrag erbringt der Unternehmer die von ihm geschuldeten Bauleistungen regelmäßig an dem Grundstück des Bestellers. Eine Rückabwicklung des Vertrages durch Rückgabe der Leistung ist, wenn überhaupt, gewöhnlich nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich. Durch sie würden wirtschaftliche Werte gefährdet; der Unternehmer müsste bei einer solchen Rückabwicklung in fremdes Eigentum eingreifen (…). Ist die erbrachte Bauleistung mangelhaft, ist daher das Eigentum des Bestellers mit den hieraus folgenden Nachteilen nachhaltig belastet, die durch schlichte Rückabwicklung des Bauvertrags regelmäßig nicht wirtschaftlich sinnvoll zu beseitigen sind; der Besteller wird daher das mangelhafte Werk typischerweise behalten. Diese Belastungssituation führt dann zu einem besonderen Interesse des Bestellers an vertraglichen, auf die Beseitigung des Mangels gerichteten Gewährleistungsrechten, die bei einer Nichtigkeit des gesamten Bauvertrages entfallen würden.

Für den Unternehmer liegt diese spezifische Interessenlage des Bestellers der Bauleistung offen zutage. Hat er die Bauleistung mangelhaft erbracht, verhält er sich treuwidrig, wenn er sich gegenüber dem in der dargestellten Weise belasteten Besteller auf eine Gesamtnichtigkeit des Bauvertrages beruft, die allein aus der Gesetzwidrigkeit der Ohne-Rechnung-Abrede folgen kann. Denn der Unternehmer hat in Kenntnis dieser Abrede und der dargestellten Interessenlage den Vertrag durchgeführt, sozusagen „ins Werk gesetzt“, und seine Bauleistung erbracht. Er setzt sich in dieser von ihm maßgeblich mitverursachten Situation unter Verstoß gegen Treu und Glauben in Widerspruch zu seinem bisher auf Erfüllung des Vertrags gerichteten Verhalten, wenn er nunmehr unter Missachtung der besonderen Interessen seines Vertragspartners die Ohne-Rechnung-Abrede, die regelmäßig auch seinem eigenen gesetzwidrigen Vorteil dienen sollte, zum Anlass nimmt, für die Mangelhaftigkeit seiner Leistung nicht einstehen zu wollen mit der Folge, dass der Besteller unter Beeinträchtigung seines Eigentums dauerhaft mit den Mangelfolgen belastet bleibt.

dd) Bei anderen Werkverträgen wie im vorliegenden Fall liegt es nicht wesentlich anders. BGH Rdnr. 19: Ebenso stellt es einen Verstoß gegen Treu und Glauben dar, wenn sich ein Ingenieur, dessen fehlerhafte Vermessungsarbeiten zu einer fehlerhaften Erstellung eines Gebäudes geführt haben, zur Abwehr von Schadensersatzansprüchen des Bestellers wegen der Ohne-Rechnung-Abrede auf die Nichtigkeit des Werkvertrags beruft. Auch hier beruht dies auf der spezifischen Interessenlage, die sich bei einem solchen Werkvertrag für die Vertragsparteien typischerweise ergibt, wenn sich der Mangel der Vermessungsarbeiten bereits im Bauwerk verkörpert hat.

Die Vermessungsarbeiten sind Grundlage der regelmäßig an dem Grundstück des Bestellers erbrachten Bauleistungen. Werden die Bauleistungen aufgrund einer fehlerhaften Vermessung ausgeführt, sind sie selbst mangelhaft, so dass das Eigentum des Bestellers mit den hieraus folgenden Nachteilen nachhaltig belastet ist. Dies führt im Verhältnis zwischen Vermessungsingenieur und Besteller zu entsprechenden Rechtsfolgen im Hinblick auf die Anwendung des § 242 BGB, wie sie oben für das Verhältnis zwischen Bauunternehmer und Besteller dargestellt sind.

Ergebnis: B kann gegenüber K nicht einwenden, der Werkvertrag sei wegen der Ohne-Rechnung-Abrede insgesamt nichtig. Die Rechtslage stellt sich deshalb so dar, als wäre der Werkvertrag — von der Ohne-Rechnung-Abrede abgesehen — rechtswirksam. Danach steht K der geltend gemachte Schadensersatzanspruch zu.

4. Die Frage einer Nichtigkeit des Vertrages wegen Verstoßes gegen das Schwarzarbeitsgesetz (§ 1 II Nr. 2 SchwArbG) hat der BGH im vorliegenden Fall nicht erörtert. Im Fall VII ZR 42/07 („Terrassenabdichtung“) hat er die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen und darauf hingewiesen, das BerGer. habe nunmehr auch Gelegenheit, einem eventuellen Verstoß gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit nachzugehen. (Rdnr. 19)

Grundsätzlich führt ein beiderseitiger Verstoß der Vertragsparteien gegen das Verbot der Schwarzarbeit zur Nichtigkeit des Vertrages nach § 134 BGB. Aber auch hier liegt die Interessenlage gleich wie bei der Steuerhinterziehung: Der Auftragnehmer, der den Auftrag durchgeführt und das vereinbarte Entgelt erhalten hat, ist nach Treu und Glauben daran gehindert, sich auf die Nichtigkeit der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Erbringung der Werkleistung zu berufen, so dass auch das SchwArbG einem Schadensersatzanspruch der K gegen B nicht entgegen steht.

II. § 823 I BGB scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Die fehlerhafte Vermessung lässt sich trotz der auf dem Grundstück der K eingetretenen Folgen nicht als Eigentumsverletzung einordnen. B hat seine vertraglich geschuldete Leistung nicht pflichtgemäß erbracht und damit K einen Vermögensschaden zugefügt. Eine Eigentumsverletzung würde voraussetzen, dass vorhandenes Eigentum beschädigt wird. Ein den Plänen der K entsprechendes Haus hat es bisher nicht gegeben. Dass neues Eigentum auf dem Grundstück nicht in genau der Lage entstanden ist, wie K es geplant haben, ist keine Verletzung vorhandenen Eigentums.


Zusammenfassung