Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Die in §§ 598 – 606 BGB geregelte ► Leihe steht normalerweise eher am Rande des juristischen Interesses, weil ihr Wesen in der Unentgeltlichkeit der gewährten Nutzung besteht und wirtschaftlich bedeutsame Leistungen nicht unentgeltlich erbracht werden. So sind Autos, die als „Leihwagen“ bezeichnet werden, in der Regel entgeltlich genutzte, also „gemietete“ Fahrzeuge. Die folgende Entscheidung betrifft ausnahmsweise einen wirtschaftlich gewichtigen, gleichwohl unentgeltlichen Vertrag und gibt dem BGH Gelegenheit, den Begriff der Leihe genauer zu bestimmen. Da zwei der in dem Fall zu behandelnden Probleme auch beim Mietvertrag auftauchen können und dort gleich geregelt bzw. zu entscheiden sind, hat der Fall auch Bedeutung für den Mietvertrag (§§ 535 ff. BGB). Die Daten im Sachverhalt werden im Vergleich zum Originalfall so geändert, dass das seit dem 1. 1. 2002 geltende Recht zur Anwendung kommt.

Begriff der Leihe, § 598 BGB; auch bei fehlender Besitzüberlassung. Verjährung der Ansprüche aus Leihvertrag, § 606 BGB

BGH Urteil vom 28. 7. 2004 (XII ZR 153/03) www.bundesgerichtshof.de = NJW-RR 2004, 1566 = JA 2005, 81

Fall (Misslungener Flugzeugtest)

Die Flughafenbetriebsgesellschaft F wollte Tests durchführen und schloss mit der Luftfahrtgesellschaft L am 14. 2. 2002 einen Vertrag, dessen wesentliche Bestimmungen lauteten:

§ 1. Die Luftverkehrsgesellschaft L stellt der F-Gesellschaft für das Projekt „IRFI – International Runway Friction Index“ (Bremsvorgänge/Friction Messungen) auf kontaminierten Betriebsflächen am 24. 2. 2002 ein Flugzeug inklusive der Besatzung ab 21.00 Uhr unentgeltlich zur Verfügung.

§ 2. Alle Rollvorgänge sind vorab mit der Besatzung zu besprechen. Die Besatzung hat jederzeit das Recht, einen Rollvorgang ohne Begründung abzulehnen.

Nachdem L am 24. 2. einen Airbus A-319 zur Verfügung gestellt hatte, ließ F damit Brems- und Rollversuche auf Schneematsch vornehmen, um die Unfallgefahr bei winterlichen Bedingungen zu reduzieren. Beim ersten Test rollte der Airbus über die präparierte Teststrecke hinaus und kollidierte mit der Maschine einer anderen Fluggesellschaft. Die für den Versuch verantwortlichen Mitarbeiter der F hatten übersehen, dass das andere Flugzeug die Freigabe für die Benutzung der Bahn am Ende der Teststrecke erhalten hatte. An dem Airbus der L entstand ein Schaden in Höhe von 3 Mio. US-Dollar.

Nachdem L die F für den Schaden verantwortlich gemacht hatte, verhandelten beide Parteien unmittelbar nach dem Unfall über die Schadensersatzforderung, jedoch ohne Erfolg. Am 28. 10. 2002 brach F die Verhandlungen endgültig ab. L erhob am 3. 6. 2003 gegen F Klage auf Ersatz des Schadens. F beruft sich auf Verjährung. Wie ist zu entscheiden ?

I. L könnte gegen F einen vertraglichen Schadensersatzanspruch aus § 280 I BGB haben.

1. Zwischen L und F ist ein Vertrag geschlossen worden. Dabei kann der Rechtscharakter des Vertrages an dieser Stelle noch offen bleiben, weil es für den Anspruch selbst ausreicht, dass ein Vertrag – oder ein anderes Schuldverhältnis – vorliegt, woran hier kein Zweifel besteht.

2. Es müsste eine schuldhafte Pflichtverletzung der F vorgelegen haben. Nach dem Sachverhalt ist davon auszugehen, dass die Mitarbeiter der F als deren Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) dafür verantwortlich waren, dass im Zeitpunkt des Tests kein anderes Flugzeug am Ende der Teststrecke die Gefahr einer Kollision heraufbeschwor oder erhöhte. Die sich daraus ergebende Pflicht haben sie schuldhaft verletzt.

Folglich war ein Schadensersatzanspruch der L gegen F entstanden.

II. Der Anspruch könnte wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar sein. F hat die Einrede der Verjährung gemäß § 214 I BGB erhoben. Diese greift durch, wenn Verjährung eingetreten ist.

1. Maßgebliche Vorschrift für die Verjährung könnte § 606 BGB sein (entsprechende Vorschrift im Mietrecht: § 548 BGB). Danach verjähren Ersatzansprüche des Verleihers wegen Verschlechterung der verliehenen Sache in sechs Monaten. Voraussetzung ist, dass zwischen L und F ein Leihvertrag i. S. des § 598 BGB zu Stande gekommen ist.

a) Der Begriff des Leihvertrags und dessen vertragstypische Pflichten liegen vor, wenn sich eine Person verpflichtet, einer anderen Person den Gebrauch einer Sache unentgeltlich zu gestatten. Der Vertrag zwischen L und F vom 14. 2. 2002 bezog sich auf ein Flugzeug, also eine Sache, und gestattete F, dieses zur Durchführung von Tests zu gebrauchen. Die Überlassung erfolgte unentgeltlich.

b) Im typischen Fall des Leihvertrages erhält der Entleiher den unmittelbaren Besitz an der Sache (ebenso wie beim Mietvertrag der Mieter). Davon wich der vorliegende Fall ab, weil L und die Flugzeugbesatzung den Besitz an dem Flugzeug behielten und F keinen Besitz daran erhielt. Somit fragt sich, ob es für die Leihe wesentlich ist, dass der Entleiher den Besitz an der Sache oder eine andere sachenrechtliche Beziehung zu ihr erhält.

aa) BGH unter 2: In der Regel wird der Verleiher dem Entleiher den unmittelbaren Besitz an der Sache übertragen. Ein konstitutives Element des Leihvertrages ist die Besitzverschaffung aber nicht (MünchKomm/Voelskow BGB 3. Aufl. §§ 535, 536 Rdnr. 41). Denn der Leihvertrag setzt lediglich voraus, dass dem Entleiher der Gebrauch der Sache gestattet wird. Dazu wird meistens, aber nicht notwendigerweise die Übergabe (Besitzverschaffung) der Leihsache erforderlich (einhellige Meinung; vgl. zum entsprechenden Problem beim Mietvertrag BGH NJW-RR 1989, 589; Staudinger/Emmerich BGB (2003) § 536 Rdnr. 15). Maßgebend ist, ob der Vertragszweck die Übergabe erfordert… Im vorliegenden Fall war eine Übergabe des Flugzeugs an F nicht erforderlich, sogar nicht sinnvoll.

bb) Auch eine sonstige sachenrechtliche Beziehung des Entleihers zur Sache, wie beispielsweise bei Grundstücken ein Zutrittsrecht und bei beweglichen Sachen die Möglichkeit eines Zugriffs auf die Sache, hält der BGH nicht für erforderlich. Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck der Bestimmung verlangen eine körperliche Zugriffsmöglichkeit auf die Sache. Entscheidend ist allein, dass der Entleiher die Sache für seine Zwecke nutzen darf… Im vorliegenden Fall sollte die Klägerin der Beklagten ein Flugzeug samt Personal so zur Verfügung stellen, dass diese absprachegemäß die beabsichtigten Rolltests durchführen bzw. durchführen lassen konnte. Dass die Entleiherin die Maschine nicht selbst bedienen konnte und durfte, steht nicht entgegen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts konnte die Beklagte über Ort, Zeit und Art der durchzuführenden Roll- und Bremsvorgänge bestimmen. Deshalb durfte das Berufungsgericht zu Recht von einer Überlassung zum Gebrauch ausgehen.

c) Der BGH weist unter 2d) noch den Einwand zurück, obige Auffassung verhindere die notwendige Abgrenzung des Mietvertrages und der Leihe zum Werk- oder Dienstvertrag und zum Auftrag. Denn nach gefestigter Rspr. (mit Nachw.) kommt es für die Abgrenzung von Mietvertrag/Leihvertrag einerseits und Dienstvertrag, Werkvertrag und Auftrag andererseits entscheidend darauf an, ob über die Überlassung der Sache samt Bedienungspersonal hinaus noch die Herstellung eines bestimmten Werkes bzw. die Leistung von Diensten geschuldet ist. Ist dies der Fall und wird das Gesamtverhältnis insgesamt von dieser Leistung geprägt, dann finden die vom Gesetz vorgesehenen Regeln dieser besonderen Vertragstypen Anwendung. Liegt dagegen der Schwerpunkt auf der Pflicht zur Überlassung der Sache, gelten die Vorschriften über die Leihe/Miete. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus § 1 des Vertrages („stellt…zur Verfügung“) und insbesondere aus § 2 Satz 2, dass L nicht zur Vornahme von Rollvorgängen verpflichtet war und deshalb kein Werk-, Dienst- oder Auftragsvertrag vorlag, sondern dass das Hauptgewicht der von der Klägerin zu erbringenden Leistung in der Überlassung des Flugzeugs bestandWenn die von der Klägerin gestellte Besatzung konkret verlangte Rollvorgänge ohne Begründung ablehnen konnte, kann schwerlich ein bestimmter Arbeitserfolg geschuldet sein.

Somit handelte es sich um einen Leihvertrag.

2. Folglich richtet sich die Verjährung des Anspruchs der L nach § 606 BGB.

a) Für die Berechnung der in dieser Vorschrift enthaltenen Frist kommt es auf den Beginn der Verjährungsfrist an.

aa) Während die Verjährung normalerweise von der Entstehung des Anspruchs abhängt (§§ 199 - 201 BGB), beginnt sie bei Ansprüchen des Vermieters oder Verleihers wegen Verschlechterung der Sache nach §§ 548 I 2, 606 Satz 2 bereits mit der Rückgabe der Sache. Das gilt auch dann, wenn beispielweise der Schaden erst später eintritt und der Anspruch deshalb erst später entsteht oder wenn der Schaden erst später bekannt wird (BGH NJW 2005, 739 = JuS 2005, 460). Sinn ist, dass der Vermieter oder Verleiher frühestmöglich prüft, ob eine Ersatzanspruch entstanden oder zu erwarten ist; ggfs. muss er sich seine Rechte durch eine Feststellungsklage vorbehalten.

bb) Wurde, wie im vorliegenden Fall, kein Besitz übertragen, kann auch keine Rückgabe erfolgen. BGH unter 3: Wurde dem Entleiher der Besitz nicht verschafft, so beginnt die Verjährung, sobald der Entleiher den Gebrauch der Leihsache beendet und der Verleiher davon erfährt. Das war hier noch am 24. 2. der Fall. Somit begann die Verjährung am 25. 2. (§ 187 I BGB).

b) Allerdings ist die Verjährung während der Vergleichsverhandlungen gehemmt (§ 203 BGB). Diese Zeit wird nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet (§ 209). Die Verjährungsfrist begann deshalb praktisch erst am 28. 10. 2002 zu laufen. Sie betrug sechs Monate und endete am 28. 4. 2003. Bei Erhebung der Klage am 3. 6. 2003 war der Anspruch verjährt. F durfte dessen Erfüllung verweigern (§ 214 I BGB).

Der Anspruch der L gegen F wegen Vertragsverletzung ist nicht mehr durchsetzbar.

III. Ob L gegen F einAnspruch aus § 823 I BGB zusteht, kann offen bleiben. Denn auch dieser wäre nach § 606 verjährt. Nach seinem Zweck, die beschleunigte Abwicklung von Gebrauchsüberlassungsverträgen zu erreichen, erfasst § 606 ebenso wie § 548 auch die typischerweise mit einem vertraglichen Schadensersatzanspruch konkurrierenden gesetzlichen Schadensersatzansprüche sowie gleichgerichtete Ansprüche, z. B. aus Eigentum oder ungerechtfertigter Bereicherung… (BGH unter 3; ebenso Palandt/Putzo, 64. Aufl. 2005, § 606 Rdnr. 3).

Die Klage der L gegen F ist abzuweisen.

Zusammenfassung