Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

► Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Das privatrechtliche Persönlichkeitsrecht wurde ursprünglich aus dem entsprechenden Grundrecht (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG) hergeleitet, ist aber seit langem als eigenständiges Recht auch im Privatrecht anerkannt und ist insbesondere ein sonstiges Recht i. S. des § 823 I BGB. Die Frage seines Schutzes ist fast stets zugleich auch eine Frage des Schutzes eines damit in Widerspruch tretenden Rechtes eines anderen. Wird das Persönlichkeitsrecht durch Äußerungen beeinträchtigt, ist kollidierendes Recht die Meinungsfreiheit, die aus Art. 5 I GG hergeleitet wird und auch im Privatrecht Beachtung beansprucht. Für den gedanklichen Aufbau ist erste Frage, von welchem Recht die Prüfung auszugehen hat. Im Privatrecht ist das i. d. R. das Persönlichkeitsrecht, so auch im folgenden Fall. Bei Verfassungsbeschwerden wird meist eine Verletzung der Meinungsfreiheit geltend gemacht, so dass von dieser auszugehen ist. Allerdings darf das Ergebnis nicht davon abhängen, was „Anspruchsgrundlage“ ist. Für dieses kommt es vielmehr letztlich auf eine Abwägung an, wobei das Gewicht jedes der beiden kollidierenden Rechte in der konkreten Situation maßgeblich ist. Dabei hat die Rechtsprechung, insbesondere die des BVerfG, prinzipiell der Meinungsfreiheit ein hohes Gewicht und vielfach einen Vorrang vor dem Persönlichkeitsrecht eingeräumt, so dass ihr teilweise vorgeworfen wurde, sie vernachlässige den Schutz der Persönlichkeit. Offenbar zeigt diese Kritik jedenfalls beim BGH Wirkungen, wie der vorliegende Fall zeigt, in dem sich das Persönlichkeitsrecht durchsetzt. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Kriterien, nach denen solche Konfliktfälle entschieden werden können, sie sind deshalb ein wesentliches Thema des folgenden Falles. – Dass Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit auch im Privatrecht Geltung beanspruchen, wurde ursprünglich über die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte begründet (Grundentscheidung: BVerfGE 7, 198, Lüth-Urteil). Inzwischen ist das aber so selbstverständlich, dass diese Frage nicht mehr problematisiert werden sollte. Auch in der folgenden Falllösung wird die (mittelbare) Geltung der Grundrechte nicht mehr behandelt, sonder vorausgesetzt.

 

Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei beruflicher Betätigung, §§ 1004 I 2, 823 I BGB, Art. 2 I i. V. mit Art 1 I GG. Abwägung mit der Meinungsfreiheit, Art. 5 GG. Gedankliche Konstruktion der Abwägungsüberlegung und –entscheidung

BGH Urteil vom 7. 12. 2004 (VI ZR 308/03) NJW 2005, 592

Fall („Lebensschützer“ gegen Abtreibungsarzt)

B ist entschiedener Kämpfer gegen Abtreibungen und wirkt in diesem Sinne auch in der Öffentlichkeit. Dabei beruft er sich auf seinen Glauben und sein Gewissen. Zu seinen Aktivitäten gehören auch Aktionen vor Arztpraxen, in denen (legale) Abtreibungen vorgenommen werden. Eine solche ist die Praxis des Gynäkologen Dr. A in S. Auf der Straße vor dieser Praxis geht B regelmäßig auf und ab und trägt ein Sandwich-Plakat, auf dem sich vorn die Aufschrift „Abtreibung tötet ungeborene Kinder“ und auf der Rückseite „Du sollst nicht töten. Gilt auch für Ärzte“ befindet. Außerdem verteilt er Flugblätter. Weiterhin spricht er Passantinnen und Passanten an, vor allem Frauen, die er für Patientinnen des Dr. A hält, und erklärt, in der Praxis des A würden Abtreibungen vorgenommen, die zwar straflos, aber rechtswidrig und moralisch verwerflich seien. Zu den angesprochenen Personen gehören auch Mitarbeiterinnen des A. A hat gegen B Klage auf Unterlassung erhoben. Ist diese begründet ?

Als Anspruchsgrundlage kommt § 1004 I 2 i. V. mit § 823 I BGB in Betracht. Der an sich nur das Eigentum schützende § 1004 ist auf die anderen in § 823 I geschützten Rechte analog anwendbar (sog. negatorischer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch). Zu den danach geschützten Rechten gehören Leben, Körper, Freiheit und auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Palandt/Bassenge, 64. Aufl. 2004, § 1004 Rnr. 4). §§ 1004 I 2 , 823 I analog gewähren dem A einen Unterlassungsanspruch, wenn B das allgemeine Persönlichkeitsrecht des A verletzt.

I. Hierfür ist zunächst ein Eingriff des B in das Persönlichkeitsrecht des A erforderlich.

1. Im Anschluss an das OLG konkretisiert der BGH die hier betroffene Rechtssphäre des A dahin, dass dem A der Persönlichkeitsschutz auf dem Gebiet der beruflichen Betätigung zusteht. Dieser wird beeinträchtigt, wenn B gezielte Aktionen vornimmt, um dem A in diesem Bereich Nachteile zuzufügen. BGH S. 592 unter aa): Indem der Bekl. Passanten und Frauen, die er für Patientinnen des Kl. hält, in unmittelbarer Nähe von dessen Praxis in Gespräche über das Thema Abtreibung verwickelt, den Kl. namentlich benennt und auf dessen Abtreibungstätigkeit hinweist, um die Patientinnen zu irritieren und von dem Besuch der Praxis abzuhalten, würdigt er die berufliche Tätigkeit des Kl. insgesamt herab, obwohl diese legal ist.

2. Für das Maß an Schutz, das A beanspruchen kann, ist eine nähere Zuordnung des geschützten Bereichs zu den drei Sphären der Persönlichkeit vorzunehmen. Im vorliegenden Fall ist weder die Intim- und Geheimsphäre noch die (sonstige) Privatsphäre betroffen, sondern die Sozialsphäre. BGH S. 592 unter aa): Denn das Geschehen fällt in das berufliche Umfeld des Kl., also in einen Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht (BGHZ 36, 77 [80]; BVerfG NJW 2003, 1109 [1111]…). Der Persönlichkeitsschutz der beruflichen Betätigung reicht keineswegs so weit, wie der Schutz des privaten Bereichs im engeren Sinne. (Zu Vorgängen innerhalb der Sozialsphäre auch BGH NJW 2005, 2766, 2770.)

II. Mit der Feststellung der Beeinträchtigung bzw. des Eingriffs steht die Verletzung des Persönlichkeitsrechts noch nicht fest. Vielmehr handelt es sich beim Persönlichkeitsrecht um ein sog. Rahmenrecht. BGH NJW 2005, 2770: Persönlichkeitsrecht und Recht am Gewerbebetrieb sind sog. offene oder Rahmentatbestände, bei denen der Eingriff nicht die Rechtswidrigkeit indiziert, sondern in jedem Einzelfall durch eine Güterabwägung ermittelt werden muss, ob der Eingriff durch ein konkurrierendes anderes Interesse gerechtfertigt ist oder nicht… Diese Prüfung ist weitergehend als die einer Duldungspflicht nach § 1004 II, schließt diese aber mit ein.

1. Im vorliegenden Fall könnte auf Seiten des B dessen Recht auf freie Meinungsäußerung, grundrechtlich geschützt durch Art. 5 I GG, eingreifen.

Bei einer allein vom Grundrecht des Art. 2 I GG ausgehenden Betrachtungsweise – etwa bei einer Verfassungsbeschwerde – wäre Art. 5 GG das „Recht anderer“, das nach Art. 2 I GG das Persönlichkeitsrecht beschränkt, während umgekehrt bei einer auf Art. 5 I gestützten VfB das Persönlichkeitsrecht als Bestandteil der „allgemeinen Gesetze“ die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 II GG begrenzen würde (dazu noch unter b).

a) B äußert und verbreitet seine Meinung durch Wort und Schrift. Das Recht auf Meinungsäußerung schützt allerdings nicht die Äußerung von bewusst oder offensichtlich falschen Tatsachen und auch nicht eine Schmähkritik. Beide Beschränkungen greifen hier aber nicht ein, so dass B Schutz seiner Meinungsfreiheit verlangen kann.

b) Jedoch wird das Recht auf Meinungsäußerung nicht uneingeschränkt geschützt, sondern unterliegt den Schranken der allgemeinen Gesetze (Art. 5 II GG) einschließlich der Rechte Dritter, zu denen auch der Schutz der Persönlichkeit gehört. Deshalb entfällt der Persönlichkeitsschutz nicht, sondern wird mit Hilfe der Meinungsfreiheit begrenzt, d. h. das Recht des B auf Meinungsäußerung fließt mit in die Abwägung ein.

2. Gleiches gilt für die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 I, II GG), auf die B sich ebenfalls berufen kann. Sie ist zwar gegenüber dem Staat vorbehaltlos geschützt und nur durch sog. immanente, aus der Verfassung hergeleitete Schranken eingeschränkt. Im Privatrecht hat sie aber keinen Vorrang vor den Rechten Dritter, insbesondere nicht vor dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht eines anderen, sondern kann ebenfalls nur im Rahmen der Abwägung Berücksichtigung finden (vgl. BGH S. 593 unter b; ferner dazu noch unten im Fall „Klage auf Sterbenlassen des Wachkomapatienten“ unter B II 2c).

III. Für die nunmehr anstehende Frage, ob einerseits dem Persönlichkeitsrecht des A oder andererseits dem Recht des B auf Meinungs-, Glaubens- und Gewissensfreiheit der Vorrang einzuräumen ist, bedarf es eines Prüfungsmaßstabs. Leider ist das Urteil des BGH insoweit nicht hinreichend klar. Folgende Möglichkeiten bestehen:

(a) Ausgangsüberlegung könnte sein, dass A nur in seiner Sozialsphäre berührt ist und deshalb einen geringeren Schutz beanspruchen kann (oben I 2); dieser könnte gegenüber den gewichtigen Rechtspositionen des B zurückzutreten haben. Dieser Ausgangspunkt klingt beim BGH auf S. 592 unter aa) an, wird aber nicht wirklich weiter verfolgt (wohl auch, weil er die Begründung des vom BGH angestrebten Ergebnisses beträchtlich erschwert hätte). (b) Eine ähnliche Überlegung wäre, darauf abzustellen, wie intensiv der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist (so BGH NJW 2004, 762 und 766 = JurTel 2004, 178, Promivillen auf Mallorca); auch dieser Gesichtspunkt klingt beim BGH auf S. 592 unter aa) an, wird aber nicht zu einer schlüssigen Begründung entwickelt. (c) Bei einer rein grundrechtlichen Prüfung müsste entsprechend der Rspr. des BVerfG davon ausgegangen werden, dass bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage die Meinungsfreiheit grundsätzlich Vorrang hat. Darauf weist der BGH auf S. 593 unter (2) zwar hin, macht diese Überlegung aber nicht zum Ausgangspunkt der Prüfung. (d) Diesen sieht er auf S. 592 unter bb) im Verhältnismäßigkeitsprinzip, das er zu Gunsten des A anwendet: Die mit der Meinungskundgabe verbundenen Beeinträchtigungen Dritter müssten geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dieser Ausgangspunkt ist aber nicht überzeugend, weil eher das Umgekehrte gilt: Staatliche Eingriffe in die Meinungsfreiheit – auch solche der Gerichte – müssen verhältnismäßig sein; demgegenüber unterliegt der Bürger bei Meinungsäußerungen nicht den Beschränkungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips. (e) Deshalb bleibt nur, eine allgemeine Güter- und Interessenabwägung anhand des zu beurteilenden Einzelfalls vorzunehmen (so formuliert der BGH auf S. 592 unter 1 im Obersatz seiner Prüfung und verfährt so auch in der Begründung auf S. 593). Diese Abwägung nimmt der BGH auf S. 592/3 unter bb) anhand folgender Argumente vor:

1. Wesentlich ist, dass das Verhalten des Bekl. in unverhältnismäßiger Weise eine Prangerwirkung gegen die Person des Kl. entfaltet (zur Prangerwirkung BVerfGE 97, 391 [406];… BGH NJW 2003, 2011). Der Bekl. wählt den Kl. willkürlich aus einer Vielzahl von Abtreibungsmedizinern aus und drängt ihn als Privatperson in eine von ihm ungewollte und nicht herausgeforderte Öffentlichkeit… In diesem Zusammenhang weist das BerGer. zutreffend auf den Unterschied der Stellung des Kl. zu der des Bf. im Verfahren FCKW-produzierende Unternehmen gegen Greenpeace (BVerfG NJW 1999, 2358 [2359]; BGH VersR 1994, 58) hin, der dadurch gegeben ist, dass der damalige Bf. als Vorstandsvorsitzender eines führenden Chemieunternehmens sich öffentlich in die Kontroverse eingeschaltet hatte. Hingegen hat der Kl. in der Öffentlichkeit zum Thema Abtreibung nicht Stellung genommen.

2. Die Tätigkeit des A ist nicht nur straflos, sondern Bestandteil des gesetzlichen Konzepts zur Regelung der Probleme bei ungewollten Schwangerschaften. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass der Kl.…seine ärztliche Fachkompetenz in den Dienst einer von Verantwortung getragenen Elternschaft stellt. Da Repression durch das Strafrecht zur Verhinderung von Abtreibungen in der Vergangenheit wenig vermocht hat, sollen nach der Intention des Gesetzgebers durch die Schaffung der Möglichkeit eines zulässigen Schwangerschaftsabbruchs nach der Beratung der Schwangeren die Frauen im Sinne des Lebensschutzes beeinflusst werden (BVerfG NJW 1999, 841 [843]…). Der Schutz des ungeborenen Lebens kann in dieser Weise nur unter Einbindung der Ärzte und der Beratungsstellen im Zusammenwirken mit der Frau erreicht werden.

3. Zu dem geschilderten Konzept gehört auch ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Frau. Dieses bedingt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patientin nicht durch das Dazwischentreten außenstehender Dritter belastet wird, so dass sich die Schwangere auf Grund der äußeren Umstände bedrängt fühlt. Bei seinem Handeln versucht B, durch die bewusste Störung des Verhältnisses Arzt/Patientinnen den Kl. letztlich dazu zu veranlassen, Schwangerschaftsabbrüche zu unterlassen, auch wenn diese legal sind. In Verfolgung dieses Ziels versucht er, den Kl. im Ansehen und in der Wertschätzung bei den angesprochenen Passanten herabzuwürdigen, so dass die erforderliche Vertrauensbasis verloren geht.

4. Während die bisherigen Überlegungen zu Gunsten des A und zu Lasten des B sprachen, ist zu Gunsten des B zu berücksichtigen, dass er nicht eigennützig handelt, sondern den Zweck verfolgt, die bestehende Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch zu kritisieren und auf ihre Änderung hinzuwirken, dass er also in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage Stellung nimmt. Das darf auch mit scharfen Mitteln geschehen. OLG und BGH haben diesem Argument aber entgegengehalten, dass der Bekl. durch sein Vorgehen auf das Personal des Kl. und abtreibungswillige Schwangere einwirkt und dem Kl. dadurch wirtschaftliche Nachteile zufügen will, um ihn von der Fortführung der gesetzlich erlaubten Tätigkeit, die im Hinblick auf Hilfe suchende Schwangere Teil der medizinischen Versorgung ist, abzuhalten. Das geht über eine nach Art. 5 I GG vorrangig zu rechtfertigende Meinungsäußerungsfreiheit hinaus.

Somit haben die rechtlich geschützten Interessen des A ein höheres Gewicht als die Meinungsfreiheit des B.

5. Nach BGH S. 593 unter b) ändert sich nichts dadurch, dass B sich auch auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit beruft: Dieses Grundrecht gewährleistet, dass sich die maßgeblichen Wertauffassungen frei von staatlicher Beeinflussung in einem freien geistigen Prozess bilden können. Weder Art. 4 I GG noch Art. 4 II GG gewähren jedoch dem einzelnen Bürger ein Recht darauf, dass seine Überzeugung zum Maßstab der Gültigkeit genereller Rechtsnormen und ihrer Anwendung gemacht wird (vgl. BVerfGE 67, 26 [37]; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rdnrn. 111 ff.). Keine Privatperson muss sich außerhalb bestehender Rechtsverhältnisse einen Eingriff in ihre Rechtssphäre gefallen lassen, nur weil eine andere Privatperson nach ihrem eigenen Glaubens- oder Gewissensmaßstab handeln will.

6. Somit fällt die Abwägung zu Gunsten des A und zu Lasten des B aus. Das Verhalten des B verletzt das Persönlichkeitsrecht des A. Der Unterlassungsanspruch ist begründet.

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Zusammenfassung