Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Der Fall betrifft das vom BGB systematisch ins Schuldrecht eingeordnete, inhaltlich aber das Zustandekommen und den Inhalt von Verträgen aller Art betreffende Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB).Bei diesen haben die AGB der Banken eine besondere Bedeutung. Durch die im nachfolgenden Fall umstrittene Klausel hat sich die Bank vorbehalten, einen Teil ihrer Leistungspflicht selbst zu bestimmen. Der BGH hatte zu entscheiden, ob das allgemein zulässig ist und ob es gerade durch AGB vorgesehen werden kann.

Rechtsschutz gegenüber AGB; Unterlassungsklage nach UKlaG; Verbandsklage. Einseitige Leistungsbestimmung, §§ 315, 316 BGB. AGB-Klausel mit Zinsänderungsvorbehalt bei Sparvertrag, § 308 Nr. 4 BGB. Interessenabwägung bei Klauselverbot mit Wertungsmöglichkeit

BGH Urteil vom 17. 2. 2004 (XI ZR 140/03) NJW 2004, 1588 = BGHZ 158, 149

Fall (Zinsänderungsklausel bei Combisparvertrag)

Die B-Sparkasse bietet ihren Kunden sog. Combisparverträge an. Bei ihnen verpflichten sich die Kunden langfristig zu gleich bleibenden monatlichen Sparleistungen. Dafür verspricht B eine Verzinsung und die Zahlung von Sparprämien. Die Prämienzahlung beginnt mit dem Erreichen der dreifachen Jahresprämie, also nach drei Jahren, und steigt von 5 % der jährlichen Sparleistung im Laufe der Zeit auf 20 %. Die Besonderheiten dieses Vertragstyps werden in einer formularmäßigen Zusatzvereinbarung zum Kontoeröffnungsantrag geregelt. Zur Verzinsung heißt es in Nr. 5: „Die Sparkasse zahlt am Ende eines Kalenderjahrs den im Jahresverlauf durch Aushang bekannt gegebenen Zins für das Combisparguthaben.“ A hat einen solchen Vertrag geschlossen und zahlt regelmäßig ein. Bei der B hat er erfahren, dass der Zins im laufenden Jahr um 1 % sinken soll, was er für ungerechtfertigt hält. Er wendet sich an den V-Verein, der als Verbraucherschutzverband anerkannt ist und in der Liste des Bundesverwaltungsamts geführt wird. Dieser wendet sich an die B und beanstandet die Klausel. B verteidigt die Klausel mit der Begründung, sie müsse ihre eigene Finanzierung (im sog. Passivgeschäft) einer eventuellen schwachen Nachfrage nach Krediten (im Aktivgeschäft) anpassen können; insbesondere müsse sie durch Herabsetzung der Guthabenzinsen die Anlage von Geldern abwehren können, für die sie keine Verwendung habe.

Wie könnte die Rechtswirksamkeit der in Nr. 5 enthaltenen Klausel gerichtlich überprüft werden ? Zu welchem Ergebnis würde diese Überprüfung führen ?

A. Für die gerichtliche Überprüfung der Klausel kommen zwei Wege in Betracht:

I. A kann im Wege einer normalen zivilprozessualen Individualklage aus seinem Vertrag gegen die B-Sparkasse vorgehen. In Betracht kommt eine Leistungsklage, mit der er nach Ablauf des Jahres, für das ihm ein Zinsanspruch zusteht, in dem B aber eine Herabsetzung des Zinssatzes vorgenommen hat, Zahlung von Zinsen in der bisherigen Höhe verlangt. Er könnte auch allgemeiner auf Feststellung klagen, dass die Klausel unwirksam und B nicht zur Zinsherabsetzung nach Nr. 5 der Vertragsbedingungen befugt ist. In jedem Fall würde die Rechtswirksamkeit der Nr. 5 geprüft. – Nachteil dieses Weges ist, dass A die Mühen des Prozesses und das Kostenrisiko allein zu tragen hätte, obwohl die Klärung der Frage, ob die Klausel rechtswirksam ist, im Interesse aller Bankkunden liegt, deren Verträge eine solche Klausel enthalten. Auch würde sich die Rechtskraft eines solchen Urteils auf den entschiedenen Einzelfall beschränken. Der Weg über eine Verbandsklage vermeidet diese Nachteile.

II. Das Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (UKlaG; Schönfelder Nr. 105) sieht in solchen Fällen die Möglichkeit einer Verbandsklage vor. §§ 1, 2 regeln zunächst die Unterlassungsansprüche. § 3 bestimmt, von wem diese Ansprüche geltend gemacht werden können. Nach Nr. 1 und 2 sind das

wobei diese Verbände bestimmte, im Gesetz enthaltene Voraussetzungen erfüllen müssen. Die Rechtswirkungen eines im Wege der Verbandsklage erwirkten stattgebenden Urteils ergeben sich aus der in § 9 näher beschriebenen Fassung der Urteilsformel.

Im vorliegenden Fall ist die Erhebung einer Verbandsklage durch V zulässig, wenn die hierfür bestehenden Voraussetzungen nach §§ 1, 3 UKlaG vorliegen.

1. V müsste einen Anspruch gemäß § 1 UKlaG geltend machen.

a) Die von B formularmäßig verwendete Klausel der Nr. 5 ist eine AGB i. S. des § 305 I BGB. Sie ist eine vorformulierte Vertragsbedingung, die von B allen Kunden, die mit ihr einen Combisparvertrag schließen, gestellt wird. Dass sie nicht in den allgemeinen Bankbedingungen enthalten ist, sondern als Zusatz in den Sparvertrag aufgenommen wird, ist nach § 305 I 2 unerheblich. Die Klausel wird auch nicht individuell ausgehandelt (§ 305 I 3).

b) V kann geltend machen, die Klausel sei nach §§ 307 bis 309 BGB unwirksam.

2. V ist eine qualifizierte Einrichtung i. S. des §§ 3 I Nr. 1, 4 II UKlaG und wird in der Liste des Bundesverwaltungsamtes geführt (§ 4 I UKlaG), ist somit verbandsklagebefugt.

Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass V – wie im BGH-Fall – eine derartige Verbandsklage erhoben hat und dass über diese zu entscheiden ist.

B. Eine Verbandsklage des V gegen B ist begründet, wenn V einen Anspruch aus § 1 UKlaG hat. Dafür ist Voraussetzung, dass die Klausel der Nr. 5 nach §§ 307 ff. BGB unwirksam ist. Ein Fall der „Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit“ (§ 309) greift nicht ein. In Betracht kommt ein „Klauselverbot mit Wertungsmöglichkeit“ nach § 308 Nr. 4 Danach ist unwirksam die Vereinbarung eines Rechts des AGB-Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen (Änderungsvorbehalt), wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist (= Wertungsmöglichkeit).

I. Nach § 307 III 1 gilt § 308 – ebenso wie §§ 309 und 307 I, II – nur für Bestimmungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Es ist deshalb zunächst die Kontrollfähigkeit der Nr. 5 der Zusatzvereinbarung zu dem Sparvertrag zu prüfen.

1. Da in Rechtsvorschriften die Höhe von Leistung und Gegenleistung nicht festgelegt ist, sondern der Parteivereinbarung überlassen bleibt, unterliegen nach st. Rspr. des BGH (BGHZ 147, 354, 360; 147, 373, 376; 148, 74, 78; Freitag/Leible JA 2001, 987) k einer Kontrolle: die Leistungsbeschreibung, die den Inhalt der Hauptleistung festlegt, und die Bestimmung der Gegenleistung, des Preises oder sonstigen Entgelts.

a) Der von B zu zahlende Zins gehört zu der Gegenleistung, die die B für die Überlassung des Sparguthabens durch ihren Kunden A an diesen zu zahlen hat. Durch die Klausel hat sich B das Recht vorbehalten, die(Gegen-) Leistung einseitig zu bestimmen, was nach § 315 I BGB grundsätzlich zulässig ist. BGH S. 1588 unter aa): Einseitige Leistungsbestimmungsrechte i. S. der §§ 315 ff. BGB fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 308 Nr. 4 BGB, wenn sie darauf beschränkt sind, dem Verwender die erstmalige Festlegung seiner Leistung zu ermöglichen (folgen Nachw.).

b) Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch nicht um die erstmalige einseitige Leistungsbestimmung. BGH: Da in die von der Bekl. für ihre Combisparverträge verwendeten Formulare jeweils der bei Vertragsbeginn geltende Zinssatz eingetragen wird, liegt die praktische Bedeutung der angegriffenen Klausel allein darin, der Bekl. spätere Änderungen der in den einzelnen Combisparverträgen jeweils festgelegten Anfangszinssätze zu ermöglichen. Somit geht es nicht um die erstmalige Leistungsbestimmung, die nach § 307 III 1 nicht kontrollfähig ist, sondern um eine spätere Änderung, die der Kontrolle nach § 308 Nr. 4 unterliegen kann.

2. Eine Abweichung von gesetzlichen Vorschriften liegt darin, dass die Klausel in Abweichung von der gesetzlichen Regel des § 316 BGB der Bekl. das Recht zur Bestimmung der von ihr zu erbringenden Gegenleistung überträgt (BGH S. 1588 unter a).

Somit unterliegt Nr. 5 AGB der Kontrolle nach § 308 Nr. 4.

II. Es sind die Voraussetzungen des § 308 Nr. 4 zu prüfen.

1. Bei der Nr. 5 AGB handelt es sich um ein Recht, die versprochene Leistung teilweise zu ändern.

2. Dieser Änderungsvorbehalt ist (nur) wirksam, wenn er für den Kunden A zumutbar ist, was unter Berücksichtigung der Interessen der B zu entscheiden ist.

a) BGH S. 1588 unter bb): Aus der Fassung des § 308 Nr. 4 BGB sowie aus dem das Vertragsrecht beherrschenden Rechtsgrundsatz der Bindung beider Vertragspartner an eine von ihnen getroffene Vereinbarung (vgl. BGHZ 89, 206 [211] = pacta sunt servanda) ergibt sich, dass gegen Klauseln in AGB, die zu Gunsten des Verwenders ein Recht zur Änderung seiner Leistung vorsehen, die Vermutung der Unwirksamkeit spricht. Es ist daher Sache des Verwenders, diese Vermutung durch die Darlegung und gegebenenfalls den Nachweis der Voraussetzungen der Zumutbarkeit des Änderungsvorbehalts für den anderen Vertragsteil zu entkräften.

b) Bei der erforderlichen Abwägung der beiderseitigen Interessen verlangt der BGH auf S. 1588 unter (1) für ein Abwägungsergebnis zu Gunsten der Bank, dass nicht nur die Änderungsmöglichkeit zumutbar ist, sondern dass auch für den anderen Vertragsteil zumindest ein gewisses Maß an Kalkulierbarkeit der möglichen Leistungsänderungen besteht. Die Vorinstanzen hatten das bejaht und die Klausel für wirksam gehalten; anders aber der BGH auf S. 1589:

(a) Die Klausel enthält keine, zu Gunsten der Kunden wirkende Begrenzung der möglichen Änderungen. Insbesondere will sich B, wie sie ausdrücklich ausgeführt hat, die Befugnis vorbehalten, durch Herabsetzung der Guthabenzinsen die Anlage von Geldern abzuwehren, für die sie keine Verwendung hat, was eine Begrenzung im Interesse der Kunden ausschließt. Hierdurch entsteht für die Kunden ein unkalkulierbares Zinsänderungsrisiko.

(b) Allerdings hat der BGH entsprechende Klauseln bei Bankdarlehen (im Aktivgeschäft) einschränkend dahin ausgelegt, dass sie den darlehensgebenden Kreditinstituten Änderungen des Zinssatzes nur nach Maßgabe der kapitalmarktbedingten Veränderungen ihrer Refinanzierungskonditionen gestatten (BGHZ 97, 212 [217]; 118, 126 [130 f.]…). Für eine so ausgelegte Klausel hat der BGH ein berechtigtes Interesse der Bank anerkannt, das zur Wirksamkeit der Klausel führt (BGHZ 97, 212 [216]; 118, 126 [131]). Jedoch scheidet eine spiegelbildliche Übertragung dieser Auslegung auf die Verzinsung von Kundeneinlagen (sog. Passivseite)…aus, weil die Vielfalt der Verwendungsmöglichkeiten für die einem Kreditinstitut zur Verfügung stehenden Gelder eine für Außenstehende klar auf der Hand liegende Zuordnung zu bestimmten Aktivgeschäften und deren Verzinsung ausschließt. Gegen eine dahingehende Auslegung zu Gunsten der Bank als AGB-Verwenderin spricht auch die Unklarheitenregelung des § 305 c II BGB, die sich jedenfalls im Verbandsprozess dahin auswirkt, dass bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Klausel die kundenfeindlichste Auslegung zu Grunde zu legen ist (BGH S. 1589 unter (b) mit Nachw. u. a. auf BGHZ 150, 269, 275; BGH NJW 2003, 507, 509). Kundenfeindlichster Inhalt der hier zu prüfenden Klausel ist die unbegrenzte Abänderungsbefugnis der Bank bis zu einem Zinssatz von nahezu 0 %.

(c) Bedeutsam ist auch, dass Combisparverträge, bei denen die Sparprämien erst nach Jahren gezahlt und erst im Laufe der Jahre erhöht werden, langfristige Verträge sind, bei denen sich unbegrenzte Zinsänderungsmöglichkeiten erheblich auswirken können. BGB S. 1589 unter (c): Angesichts des Langfristcharakters der Combisparverträge ist eine völlig unbegrenzte Zinsänderungsbefugnis der Bekl. für die betroffenen Sparer nicht zumutbar… Der Gesichtspunkt, dass Sparern anders als manchen Kreditnehmern durch Zinssatzänderungen in aller Regel keine existenzielle Notlage droht, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das für formularmäßige Leistungsänderungsvorbehalte insbesondere bei langfristigen Vertragsverhältnissen wesentliche Erfordernis der Wahrung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses (vgl. BGHZ 82, 21 [25]; 94, 335 [339]) beschränkt sich nicht auf Fälle einer existenziellen Notlage des von der Änderung Betroffenen.

(d) Allerdings ist auch beim Passivgeschäft ein berechtigtes Interesse der Bank, ihre Zinsverpflichtungen an Veränderungen anpassen zu können, nicht von der Hand zu weisen. Wie der BGH aber auf S. 1589/1590 unter (c) ausführt, ist es den Banken nicht unmöglich, Bezugsgrößen des Kapitalmarkts zu finden, von denen sie berechtigte Zinsänderungen abhängig machen können. BGH S. 1590: Ein seinem Inhalt nach völlig unbestimmter formularmäßiger Zinsänderungsvorbehalt, wie ihn die angegriffene Klausel enthält, liefert die Combisparer beliebigen Entscheidungen der Bekl. aus. Dies lässt sich durch das grundsätzlich schutzwürdige Interesse der Bekl. an einer Anpassung ihrer Zinssätze an wechselnde Gegebenheiten des Kapitalmarkts nicht rechtfertigen.

Ergebnis: Die Klausel ist unwirksam. Die Klage des V gegen B ist begründet.

Zusammenfassung